TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/4 G315 2167008-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.10.2021
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Entscheidungsdatum

04.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


G315 2167008-1/32E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gregor KLAMMER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2017, Zahl: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 04.03.2021, zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet) stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten, unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 20.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

2. Am 20.06.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF zu seinem Antrag auf internationalen Schutz statt.

3. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , der nunmehr belangten Behörde (in der Folge kurz als „bB“ bezeichnet) am 21.02.2017 im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen.

4. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm
§ 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des BF in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

5. Mit Verfahrensanordnung vom 21.07.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht beigegeben.

6. Mit dem am 03.08.2017 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag erhob der BF durch seine damalige bevollmächtigte Rechtsvertretung fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Bescheid der bB vom 20.07.2017. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, der Beschwerde stattgeben und dem BF den Status eines Asylberechtigten oder allenfalls subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und das Verfahren an die bB zurückverweisen.

7. Die gegenständliche Beschwerde zum Bescheid vom 20.07.2017 und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 09.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt. Sie wurde ursprünglich der Gerichtsabteilung L519 zugewiesen.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 01.09.2017 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L519 abgenommen und der Gerichtsabteilung L526 neu zugewiesen.

8. Am 24.01.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Dokumentenvorlage seitens der ehemaligen bevollmächtigten Rechtsvertretung des BF ein. Es wurden Integrationsunterlagen, darunter eine Zeitbestätigung des ÖIF vom 10.01.2018 und eine Bestätigung vom 16.01.2018 über den Besuch des BF einer Deutschsprachgruppe als außerordentlicher Studierender eins Gymnasiums für Berufstätige vorgelegt.

9. Mit der am 20.02.2018 einlangenden Dokumentenvorlage wurden dem Bundesverwaltungsgericht eine Teilnahmebestätigung des BF an eine ÖIF Werte- und Orientierungskurs vom 25.01.2018 samt zugehöriger Anmeldebestätigung sowie eine Schulbesuchsbestätigung eines Gymnasiums für Berufstätige für das Schuljahr 2017/2018 vom 08.02.2018 vorgelegt.

10. Eine weitere Dokumentenvorlage erfolgte am 05.04.2018. Der BF brachte dabei eine Teilnahmebestätigung der XXXX vom 28.03.2018 über eine Teilnahme an einer Übungsleiterausbildung für Jugend samt Auflistung der Ausbildungsinhalte zur Vorlage.

11. Am 14.12.2018 langte eine Bestätigung des Gymnasiums für Berufstätige vom 19.11.2018 ein, wonach der BF auch im Wintersemester 2018 als außerordentlicher Studierender eine Sprachfördergruppe besucht.

12. Am 11.02.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein von der bB weitergeleiteter Abschlussbericht der LPD XXXX vom 23.01.2019 wegen des Verdachts des Widerstandes gegen die Staatsgewalt infolge eines Raufhandels gegen den BF sowie weitere Mittäter am 14.10.2018 ein.

13. Am 13.02.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein weiterer Abschlussbericht der LPD XXXX vom 07.02.2019 wegen des Verdachts des Raufhandels am 14.10.2018 gegen den BF und weitere Mittäter beim Bundesverwaltungsgericht ein.

14. Mit Beschwerdenachreichung vom 14.02.2019 wurden dem Bundesverwaltungsgericht neben einer nochmaligen Übermittlung des Abschlussberichtes vom 07.02.2019 zudem die Beschuldigtenvernehmung des BF vor der LPD XXXX vom 17.01.2019 übermittelt.

15. Mit Dokumentenvorlage vom 01.04.2019 wurde eine weitere (undatierte) Bestätigung des Gymnasiums für Berufstätige vorgelegt, wonach der BF auch im Wintersemester 2018 als außerordentlicher Studierender eine Sprachfördergruppe besucht und diese Gruppe sich auf dem Deutsch-Sprachniveau B1 befinde. Darüber hinaus wurden zwei Klassenfotos übermittelt.

16. Mit dem mündlich verkündeten Strafurteil des Landesgerichtes XXXX vom 28.03.2019, XXXX , rechtskräftig am 02.04.2019, wurde der BF wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß § 15, § 269 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens des Raufhandels gemäß § 91 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je EUR 4,00 (gesamt EUR 960,00) und im Uneinbringlichkeitsfalle zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Tagen verurteilt, wobei gemäß § 43a Abs. 1 StGB die Hälfte der ausgesprochenen Geldstrafe von 120 Tagessätzen, 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden (vgl. aktenkundiges Urteil des Landesgerichtes, AS 155 ff).

Die Verhandlungsmitschrift der Hauptverhandlung des Landesgerichtes Innsbruck vom 28.03.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 17.04.2019 übermittelt.

17. Am 21.10.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine seitens der ehemaligen Rechtsvertretung des BF übermittelte Schulbesuchsbestätigung für das Schuljahr 2019/2020 als Schüler eines Gymnasiums für Berufstätige ein.

18. Die bB übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht sodann am 09.11.2020 die Mitteilung über die Ermittlung zur Ehefähigkeit des BF sowie die Mitteilung über die erfolgte Eheschließung des BF am 06.11.2020.

19. Die Vertretungsvollmacht der bisherigen Rechtsvertretung des BF wurde mit Schreiben vom 11.12.2020 ab 31.12.2020 niedergelegt.

20. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 14.01.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L526 abgenommen und der Gerichtsabteilung G315 neu zugewiesen.

21. Mit Ladung zu einer im Beschwerdeverfahren durchzuführenden mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 10.02.2021 wurden dem BF Länderberichte zur aktuellen Lage im Irak zur schriftlichen Stellungnahme bis spätestens einer Woche vor der mündlichen Verhandlung übermittelt.

22. Am 26.02.2021 langte seine schriftliche Stellungnahme der nunmehrigen bevollmächtigten Rechtsvertretung des BF zu einen Integrationsleistungen beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Unter einem wurden ergänzende Unterlagen zur Integration des BF im Bundesgebiet, und zwar (sofern nicht bereits aktenkundig):

-        ein Konvolut von Fotos, die den BF als ehrenamtlichen Trainer bei der XXXX für Parcours und Free-Running zeigen

-        Vereinbarung mit der Caritas über freiwillige Mitarbeit des BF ab 22.10.2019

-        österreichische Heiratsurkunde des BF vom 06.11.2020

-        Mietvertrag vom 20.08.2020

-        Dienstzettel über eine Beschäftigung als Küchenhilfe im Ausmaß von 25 Wochenstunden ab 12.08.2020, Anmeldebestätigung zur Sozialversicherung sowie Lohnzettel für August 2020, September 2020, Oktober 2020, November 2020, Dezember 2020 und Jänner 2021

-        Kopie Schülerausweis Schuljahr 2016/2017

-        Kopie eines bis 24.03.2021 gültigen vorläufigen österreichischen Führerscheins des BF

vorgelegt.

23. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.03.2021 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der BF, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch teilnahmen. Die Ehefrau des BF wurde zudem als Zeugin vernommen. Das Bundesamt verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Darüber hinaus wurden von der erkennenden Richterin Statistiken zu den aktuellen Corona-Infektionszahlen im Irak und Bericht (z.B. der WKO) über die vom Irak diesbezüglich gesetzten Maßnahmen verlesen und die Rechtsvertretung zur Äußerung eingeladen. Die Rechtsvertretung stellte eine schriftliche Stellungnahme binnen zwei Wochen in Aussicht.

Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.

24. Per E-Mail vom 15.03.2021 übermittelte der BF über seine Ehefrau eine mit 05.03.2021 datierte Bestätigung einer Friseur OG, wonach der BF im Februar und 2020 „selbstständig“ beschäftigt gewesen sei, und er sofort wieder als Mitarbeiter „eingestellt“ werden würde.

25. Am 19.03.2021 langte schließlich sowohl per E-Mail als auch per ERV die schriftliche Stellungnahme des BF mittels als „Beweismittelvorlage“ betiteltem Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 18.03.2021 ein, wonach in der Beilage weiter Unterlagen zu den Beschäftigungsverhältnissen des BF übermittelt würden. Weitere Dokumente hätten nicht erlangt werden können. Er sei die Arbeitsverhältnisse in bestem Glauben eingegangen, diese ausüben zu dürfen und sei daher auch zur Sozialversicherung gemeldet gewesen. Im Friseurbereich sei er selbstständig gewesen, die übrigen Beschäftigungen habe er als Saisonier ausgeübt.

Unter einem wurden

-        die bereits mit E-Mail vom 15.03.2021 vorgelegte Bestätigung des Friseurs vom 05.03.2021,

-        eine Einstellungszusage eines weiteren Friseurs vom 06.03.2021,

-        eine Bestätigung vom 07.03.2021, wonach sich der BF bei einem Subunternehmen für XXXX als Paketzusteller beworben habe und eine Einstellung nur mangels Aufenthaltstitels nicht erfolgt sei,

-        sowie Seite 3 eines Versicherungsdatenauszuges vom 09.03.2021, woraus sich die Diensteber/meldenden Stellen ergeben,

vorgelegt.

26. Mit Schreiben vom 09.09.2021 wurde dem BF eine aktuelle Version des Länder-informationsblattes übermittelt und wurde der BF eingeladen, binnen einer Frist von einer Woche Bescheinigungsmittel, insbesondere im Hinblick auf seine Integration und Sachverhalte, die sich seit der mündlichen Verhandlung ergeben haben, beizubringen und darzulegen, welche Schritte er seitdem konkret unternommen hat, um seine Integration zu verbessern und keine Gewalttaten und sonstigen Delikte mehr zu begehen bzw. weshalb das Gericht davon ausgehen sollte, dass Gesetzesübertretungen in Hinkunft unterbleiben werden. Dem BF wurde ferner mitgeteilt, dass es ihm freisteht, dazu Beweismittel, wie etwa eidesstattliche Erklärungen, beizubringen.

27. Eine Stellungnahme zur o.a. Note des Bundesverwaltungsgerichtes oder eine sonstige Eingabe des BF ist bislang nicht erfolgt. Bis dato ist auch kein Antrag auf Verlängerung der gesetzten Frist eingegangen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch (vgl. Erstbefragung vom 01.07.2015, AS 1 ff; aktenkundige Kopie des irakischen Personalausweises, AS 51 f, und des irakischen Staatsbürgerschaftsnachweises, AS 59 f; Niederschrift Bundesamt vom 21.02.2017, AS 37 ff; Verhandlungsprotokoll vom 04.03.2021, S 4 ff).

Geboren und aufgewachsen ist der BF in Bagdad/Irak, wo er mit seiner Familie im Bezirk XXXX XXXX im Viertel XXXX (im Folgenden: XXXX ) lebte und sechs Jahre eine Grundschule, drei Jahre eine Mittelschule und zwei Jahre ein Gymnasium besuchte, dieses jedoch nicht abschloss. Der BF hat keinen Beruf erlernt und war im Irak auch noch nicht erwerbstätig. Er lebte von 2005 bis zumindest Juni 2013 im Elternhaus in Bagdad – XXXX Sein Vater war Direktor eines Elektrizitätsunternehmens, er ist jedoch bereits am XXXX verstorben. Seine Mutter arbeitet in Bagdad in einer Bank und kam mit diesem Einkommen auch für den Lebensunterhalt des BF auf. XXXX (im Folgenden: O.), einer der beiden Brüder des BF, lebt nach wie vor in Bagdad, ebenso die Mutter des BF nach wie vor in deren Haus in Bagdad – XXXX Der BF hat auch noch drei Schwester sowie weitere Verwandte, darunter Onkel, Tanten und Cousins bzw. Cousinen, die seinen Angaben nach ebenfalls alle ohne Probleme in Bagdad leben. Zu seinen Familienangehörigen im Irak hat der BF regelmäßig per Telefon und über soziale Medien wie Facebook Kontakt (vgl. Erstbefragung vom 01.07.2015, AS 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 21.02.2017, AS 39 ff; Verhandlungsprotokoll vom 04.03.2021, S 4 ff & S 9).

Hingegen konnte nicht festgestellt werden, dass der BF zwischen 2012 und Juli 2014 zwischen Bagdad und XXXX gependelt ist bzw. bereits nach dem behaupteten Erhalt des ersten Drohbriefes im Jahr 2011 Bagdad verlassen und nach XXXX gezogen wäre.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen im Endstadium, die im Irak nicht behandelbar wären (vgl. Erstbefragung vom 01.07.2015, AS 5; Niederschrift Bundesamt vom 21.02.2017, AS 39; Verhandlungsprotokoll vom 04.03.2021, S 3).

1.2. Der BF verließ den Irak erstmals am 15.07.2014 legal auf dem Luftweg von Bagdad aus und reiste nach XXXX /Türkei. Dort hielt er sich für etwa zwei Monate auf, bevor er in den Irak und dort nach Bagdad zurückkehrte. Am 23.11.2014 verließ der BF den Irak neuerlich legal auf dem Luftweg von Bagdad aus und flog nach XXXX /Türkei. Von dort aus reiste er nach XXXX /Türkei, wo er sich neuerlich etwa zwei Monate aufhielt und dann zu seinem sich bereits in XXXX /Türkei befindlichen Bruder XXXX (im Folgenden: A.) weiterreiste. Bis Juni 2015 verblieb der BF dann in XXXX in der Türkei und reiste in der Folge schlepperunterstützt und illegal von XXXX aus mit einem Schlauchboot nach Griechenland. Von dort aus reiste er schlepperunterstützt mittels LKW durch dem BF unbekannte Länder bis nach Österreich, wo er am 20.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl. Erstbefragung vom 01.07.2015, AS 5 ff; Niederschrift Bundesamt vom 21.02.2017, AS 41 f; Verhandlungsprotokoll vom 04.03.2021, S 7).

1.3. Der BF gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an. Er hatte vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der BF konkretes Ziel von Bedrohungen durch Mitglieder schiitischer Milizen war oder im Falle seiner Rückkehr sein wird.

Der BF ist im Fall einer Rückkehr auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund seines Bekenntnisses zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam ausgesetzt.

1.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

Der BF ist ein gesunder, arbeitsfähiger und anpassungsfähiger Mensch mit guter Schulbildung und in Österreich inzwischen gewonnener Berufserfahrung. Er verfügt über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte. Ihm ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

1.5. Es konnte beim BF kein Reisepass sichergestellt werden. Seine Angaben zur Identität können jedoch aufgrund der von ihm vorgelegten originalen irakischen Dokumente, konkret des Personalausweises und des Staatsbürgerschaftsnachweises, verifiziert werden (vgl. aktenkundige Kopien des irakischen Personalausweises, AS 51 f, und des irakischen Staatsbürgerschaftsnachweises, AS 59 f).

1.6. Seit seiner Asylantragstellung hält sich der BF ununterbrochen im Bundesgebiet auf und verfügt hier seit 14.07.2015 über durchgehende Hauptwohnsitzmeldungen (vgl. aktenkundiger Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 13.04.2021).

Mit 04.04.2019 hat der BF jedoch ein Aufenthaltsrecht gemäß § 13 AsylG verloren. Der Bescheid des Bundesamtes vom 04.04.2019 erwuchs in erster Instanz in Rechtskraft. Über ein anderes Aufenthaltsrecht oder einen sonstigen Aufenthaltstitel verfügt der BF nicht (vgl. Auszug aus dem Fremdenregister vom 13.04.2021).

Am 06.11.2020 heiratete der BF in Österreich die österreichische Staatsangehörige XXXX , geboren am XXXX . Der BF lebt mit seiner Ehefrau den im Akt erliegenden Meldedaten zumindest seit 16.03.2021 im gemeinsamen Haushalt (vgl. vorgelegte österreichische Heiratsurkunde; Verhandlungsprotokoll vom 04.03.2021, S 5; Auszüge aus dem Zentralen Melderegister vom 13.04.2021 (BF) und 14.04.2021 (Ehefrau)), von gemeinsamen Kindern wurde dem Bundesverwaltungsgericht bis zum Entscheidungszeitpunkt jedoch nichts berichtet.

Hinsichtlich des BF liegen in Österreich nachfolgende Sozialversicherungszeiten vor (vgl. Sozialversicherungsdatenauszug vom 13.04.2021):

-        20.06.2015-11.07.2015 Asylwerber bzw. Flüchtling

-        12.07.2015-02.02.2020 Asylwerber bzw. Flüchtling

-        03.02.2020-31.05.2020 gewerbl. selbstständig Erwerbstätiger

-        01.06.2020-31.08.2020 KV–Weiterversicherung GSVG Sachleistung

-        09.07.2020-28.07.2020 geringfügig beschäftigter Arbeiter

-        12.08.2020-31.08.2020 geringfügig beschäftigter Arbeiter

-        01.09.2020-31.01.2021 Arbeiter

-        07.03.2021-13.03.2021 angemeldet als Angestellter nach ASVG

Der BF verfügte jedoch schon mangels des ihm seit 04.04.2019 nicht mehr zukommenden Aufenthaltsrechtes als Asylwerber gemäß § 13 AsylG oder eines anderen Aufenthaltsrechtes jedenfalls nicht über die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen zur Aufnahme einer legalen Beschäftigung in Österreich. Dass dem BF zu irgendeinem Zeitpunkt dennoch vom Arbeitsmarktservice eine Beschäftigungsbewilligung erteilt worden wäre, konnte nicht festgestellt werden. Der BF hat die Legalität seiner Beschäftigungen auch nicht belegen können.

Der BF befindet sich nach wie vor in der Grundversorgung, bezieht seit Februar 2020 jedoch keine Grundversorgungsleistungen mehr (vgl. Grundversorgungsdatenauszug vom 13.04.2021). Derzeit lebt er von den Einkünften seiner Ehefrau, die seit 11.09.2017 ununterbrochen als angestellte Sozialpädagogin sozialversichert erwerbstätig ist und durchschnittlich netto monatlich EUR 2.100,00 bis EUR 2.200,00 verdient (vgl. Zeugin, Verhandlungsprotokoll vom 04.03.2021, S 13 f; Sozialversicherungsdatenauszug der Ehefrau des BF vom 14.04.2021).

Mit der Stellungnahme vom 18.03.2021 wurden vom BF eine Einstellungszusage vom 06.03.2021 als Friseur sowie eine Einstellungszusage vom 07.03.2021 als Paketzusteller bei einem Subunternehmen von XXXX vorgelegt (siehe aktenkundige Unterlagen; OZ 27 und OZ 28).

Der BF verfügt über ein ÖSD-Deutschsprachzertifikat auf Niveau A1 und hat darüber hinaus als außerordentlicher Schüler Sprachmodule eines Gymnasiums für Berufstätige über mehrere Semester, zuletzt für das Sprachniveau B1, besucht. Diesbezüglich liegt jedoch keine erfolgreich abgelegte Sprachprüfung vor, sodass eine Einordnung des konkreten Sprachniveaus des BF in den Europäischen Referenzrahmen nicht möglich ist. Die an den BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf Deutsch gerichteten und nicht übersetzten Fragen konnte er jedoch verstehen und flüssig und verständlich auf Deutsch beantworten. Es kann daher festgestellt werden, dass der BF über gute Deutschkenntnisse verfügt (vgl. ÖSD-Sprachzertifikat vom 08.02.2017, AS 61; Konvolut aktenkundiger Schul- bzw. Kursbesuchsbestätigungen eines Gymnasiums für Berufstätige, vom 16.01.2018 für das WS 2017/2018, vom 19.11.2018, AS 40 Gerichtsakt; undatierte Bestätigung der Deutschlehrerin für WS 2017/2018 und WS 2018/2019, AS 100 Gerichtsakt; Verhandlungsprotokoll vom 04.03.2021, S 9 f).

Der BF hat zudem als außerordentlicher Schüler über mehrere Semester ein Gymnasium für Berufstätige besucht, am 25.01.2018 einen Werte- und Orientierungskurs und eine Übungsleiterausbildung für Jugend bei der XXXX absolviert, wo er auch als ehrenamtlicher Kinder- und Jugendtrainer im Bereich „Parcours und Free-Running“ tätig ist. Zudem besteht seit Oktober 2019 eine Vereinbarung mit der CARITAS über die freiwillige Mitarbeit des BF im Bereich XXXX (vgl. Konvolut aktenkundiger Schulbesuchsbestätigungen, etwa AS 25 und 176 Gerichtsakt; ÖIF-Bestätigung vom 25.01.2018, AS 21 f Verwaltungsakt; Teilnahmebestätigung XXXX vom 28.03.2018, AS 35 f Gerichtsakt; Stellungnahme vom 25.02.2021 samt entsprechenden Beilagen, wie etwa Fotos und Vereinbarung mit der Caritas).

Einzige in Österreich lebende Familienangehörige ist die nunmehrige Ehefrau des BF. Das Asylverfahren des Bruders A. über dessen Antrag auf internationalen Schutz vom 29.06.2015 wurde schlussendlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.11.2018, Zahl G306 XXXX , rechtskräftig negativ entschieden. Der Folgeantrag des Bruders A. vom 28.02.2020 wurde von der bB wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Das dagegen zur Zahl G315 XXXX beim Bundesverwaltungsgericht zuletzt anhängige Beschwerdeverfahren wurde mit verfahrensleitendem Beschluss vom 18.03.2021 infolge der freiwilligen Ausreise des A. am 05.03.2021 in den Irak unter Inanspruchnahme einer finanziellen Rückkehrhilfe eingestellt. Ein Cousin des BF lebt seinen Angaben nach in Deutschland, ein weiterer in Belgien. Mit diesen hat er nur zeitweise Kontakt. Ein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis zu diesen Cousins liegt nicht vor (vgl. Fremdenregisterauszug hinsichtlich des Bruders A. des BF vom 14.04.2021; Einsicht in das elektronische Aktenverwaltungssystem des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Zahlen G306 2180048-1 und G315 2180048-2; Verhandlungsprotokoll vom 04.03.2021, S 9).

1.7. Der BF wurde in Österreich einmal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt (vgl. Strafregisterauszug vom 13.04.2021):

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28.03.2019, XXXX , rechtskräftig am 02.04.2019, wurde der BF wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß § 15, § 269 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens des Raufhandels gemäß
§ 91 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je EUR 4,00 (gesamt EUR 960,00) und im Uneinbringlichkeitsfalle zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Tagen verurteilt, wobei die Hälfte der ausgesprochenen Geldstrafe, somit 120 Tagessätze bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Tagen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF sowie weitere vier Mittäter, darunter auch sein Bruder A., am 14.10.2018 an einer Schlägerei mit drei weiteren Personen teilnahm, wobei die Schlägerei eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) eines Mitglieds der gegnerischen Gruppe, nämlich eine mit länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit verbundenen Schulterluxation links und eine Gesichtsprellung rechts zur Folge hatte. Darüber hinaus hat der BF im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei Mittätern (darunter auch seinem Bruder A.) versucht, zwei Polizeibeamte an einer Amtshandlung, nämlich der Festnahme eines weiteren Mittäters zu hindern, indem sie diesen und die Beamten erfassten und an ihnen zerrten, um den Festgenommenen aus den Festhaltegriffen der Beamten zu befreien. Bei der Strafbemessung wertete das Strafgericht als mildernd die Unbescholtenheit sowie, dass es teils beim Versuch geblieben war, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen mehrerer (zweier) Vergehen, die Opfermehrheit und das Handeln mit Mittätern beim Widerstand gegen die Staatsgewalt (vgl. aktenkundiges Urteil des Landesgerichtes, AS 161 ff; Strafregisterauszug vom 13.04.2021).

1.8. Der Aufenthalt des BF war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.9. Zur gegenwärtigen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem BF offengelegten Quellen getroffen:

1.9.1. Zur Lage in Bezug auf die weltweit herrschende Corona-Pandemie und den Irak werden folgende Feststellungen getroffen:

Mit Stand 01.10.2021 gab es im Irak 2 Mio. bestätigte COVID-19 Erkrankungen, 22260 Todesfälle und bis 26.09.2021 haben 11,4% mindestens eine Impfdosis erhalten (Daten zu „Corona Irak“ und Impfung eingesehen über „Google Suche“, Zugriff am 01.01.2021).

Aus der Zusammenfassung der WKO (https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-im-irak.html) ergibt sich, dass im Irak das nationale Impfprogramm gegen das Corona-Virus seit 30.03.2021 läuft und der Zentralirak das Ein- und Ausreiseverbot für 21 Länder, die Autonome Region Kurdistan für 22 Länder, unter anderem jeweils Österreich, aufgehoben hat. Alle Landgrenzen sind bis auf weiteres geschlossen. Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra sind für kommerzielle Linienflüge geöffnet. Bei einer Einreise in den Zentralirak müssen Passagiere, maximal 72 Stunden vor Abflug über einen negativen COVID-19 Test verfügen. Solche Passagiere müssen am Flughafen keinen Test mehr machen. Alle Passagiere, die ohne PCR-Test ankommen, müssen sich dem Test des medizinischen Teams des Flughafens unterziehen und die Kosten dafür (USD 50,00) tragen. Alle Ministerien arbeiten bis auf weiters mit 50 % Kapazität. Es gilt eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 21:00 Uhr und 05:00 Uhr und komplette Ausgangssperren an Freitagen und Samstagen sowie eine generelle Maskenpflicht. Reisebewegungen zwischen Provinzen werden nicht beschränkt, jedoch ist die Einreise in den Irak aus touristischen oder religiösen Zwecken verboten. Einkaufszentren, Supermärkte sind unter Auflagen des Gesundheitskomitees wieder geöffnet. Am 13.04.2021 hat der Fastenmonat begonnen, in dieser Zeit sind Restaurants, Cafés und Bars geschlossen. Moscheen sind geöffnet. Taxis dürfen nicht mehr als drei Personen (inklusive Fahrer transportieren).

Bei einer Einreise in die Autonome Region Kurdistan müssen Passagiere, die in Erbil einreisen wollen, einen negativen COVID-19-Test vorweisen, der nicht älter als 48 Stunden ist. Alle ankommenden Passagiere müssen sich bei Ankunft am Flughafen einem COVID-19 Test unterziehen und es gilt eine 2-tägige Quarantäne, für deren Kosten der Reisende aufkommen muss. Ist das Testergebnis positiv, muss der/die Reisende ein Formular ausfüllen und erklären, dass er/sie in einer 14-tägigen Quarantäne bleiben wird. Die Landgrenze mit der Türkei ist wieder geöffnet und muss bei Auftreten von Symptomen das kurdische Gesundheitsministerium kontaktiert werden. Nächtliche Ausgangssperren in der ARK wurden aufgehoben. Reisen innerhalb der Region Kurdistan sind an Wochenenden untersagt. Reisen zwischen der Region Kurdistan und dem Irak sind bis auf weiteres untersagt, ausgenommen davon sind Patienten, die dringend medizinische Versorgung benötigen, Geschäftsleute und Investoren. Es muss ein gültiger negativer PCR-Test vorgewiesen werden. Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen und internationale Organisationen sind von der Regelung ausgenommen. Geschäfte, Restaurants, Einkaufszentren, Cafés, Fitness und Sportzentren sind wieder geöffnet im Zeitraum von 06:00 bis 21:00 Uhr. Alle Ministerien sind mit Mindestkapazität nur von Sonntag bis Mittwoch geöffnet und es gilt eine Maskenpflicht für alle. In öffentlichen Einrichtungen und auf öffentlichen Plätzen sowie in Einkaufszentren und Märkten gilt die Pflicht zum Tragen einer Maske und zur Einhaltung der Abstandsregeln.

1.9.2. Zur sonstigen asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak werden folgende Feststellungen (Staatendokumentation des BFA, Gesamtaktualisierung vom 17.03.2020, Version 3) getroffen:

Politische Lage

Letzte Änderung: 14.05.2020

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

?        AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

?        CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

?        DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

?        Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

?        ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

?        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

?        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

?        Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

?        NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

?        Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020

?        Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

?        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

?        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

?        RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

?        Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

?        ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

Parteienlandschaft

Letzte Änderung: 14.05.2020

Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019).

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).

Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018).

Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).

(LSE 7.2018)

Quellen:

?        CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

?        LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        RCRSS - Rawabet Center for Research and Strategic Studies (24.2.2019): Law of political parties in Iraq: proposals for amendment, https://rawabetcenter.com/en/?p=6954, Zugriff 13.3.2020

?        Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020
Kurdische Region im Irak (KRI) / Autonome Region Kurdistan

Letzte Änderung: 14.05.2020

Die Kurdische Region im Irak (KRI) wird in der irakischen Verfassung, in Artikel 121, Absatz 5 anerkannt (Rudaw 20.11.2019). Die KRI besteht aus den Gouvernements Erbil, Dohuk und Sulaymaniyah. sowie aus dem im Jahr 2014 durch Ministerratsbeschluss aus Sulaymaniyah herausgelösten Gouvernement Halabja, wobei dieser Beschluss noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde. Verwaltet wird die KRI durch die kurdische Regionalregierung (KRG) (GIZ 1.2020a).

Das Verhältnis der Zentralregierung zur KRI hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der KRI und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil „umstrittener Gebiete“ ab dem 25.9.2017 deutlich verschlechtert. Im Oktober 2017 kam es sogar zu lokal begrenzten militärischen Auseinandersetzungen (AA 12.1.2019). Der langjährige Präsident der KRI, Masoud Barzani, der das Referendum mit Nachdruck umgesetzt hatte, trat als Konsequenz zurück (GIZ 1.2020a).

Der Konflikt zwischen Bagdad und Erbil hat sich im Lauf des Jahres 2018 wieder beruhigt, und es finden seither regelmäßig Gespräche zwischen den beiden Seiten statt. Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind jedoch weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der KRI (AA 12.1.2019).

Die KRI ist seit Jahrzehnten zwischen den beiden größten Parteien geteilt, der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP), angeführt von der Familie Barzani, und deren Rivalen, der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die vom Talabani-Clan angeführt wird (France24 22.2.2020; vgl. KAS 2.5.2018). Die KDP hat ihr Machtzentrum in Erbil, die PUK ihres in Sulaymaniyah. Beide verfügen einerseits über eine bedeutende Anzahl von Sitzen im Irakischen Parlament und gewannen andererseits auch die meisten Sitze bei den Wahlen in der KRI im September 2018 (CRS 3.2.2020). Der Machtkampf zwischen KDP und PUK schwächt einerseits inner-kurdische Reformen und andererseits Erbils Position gegenüber Bagdad (GIZ 1.2020a). Dazu kommen Gorran („Wandel“), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert (KAS 2.5.2018; vgl. WI 8.7.2019), sowie eine Reihe kleinerer islamistischer Parteien (KAS 2.5.2018).

Auch nach dem Rücktritt von Präsident Masoud Barzani teilt sich die Barzani Familie die Macht. Nechirvan Barzani, langjähriger Premierminister unter seinem Onkel Masoud, beerbte ihn im Amt des Präsidenten der KRI. Masrour Barzani, Sohn Masouds, wurde im Juni 2019 zum neuen Premierminister der KRI ernannt (GIZ 1.2020a) und im Juli 2019 durch das kurdische Parlament bestätigt (CRS 3.2.2020).

Proteste in der KRI gehen auf das Jahr 2003 zurück. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind dabei gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018). Insbesondere in der nordöstlichen Stadt Sulaymaniyah kommt es zu periodischen Protesten, deren jüngste im Februar 2020 begannen (France24 22.2.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        CRS - Congressional Research Service (3.2.2020): Iraq and U.S. Policy, https://fas.org/sgp/crs/mideast/IF10404.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        France24 (22.2.2020): Iraqi Kurds rally against 'corruption' of ruling elite, https://www.france24.com/en/20200222-iraqi-kurds-rally-against-corruption-of-ruling-elite, Zugriff 13.3.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

?        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

?        LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        Rudaw (20.11.2019): Will the Peshmerga reform – or be integrated into the Iraqi Army?, https://www.rudaw.net/english/analysis/201120191, Zugriff 13.3.2020

?        WI - Washington Institute (8.7.2019): Gorran and the End of Populism in the Kurdistan Region of Iraq , https://www.washingtoninstitute.org/fikraforum/view/gorran-and-the-end-of-populism-in-the-kurdistan-region-of-iraq, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 14.05.2020

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

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Islamischer Staat (IS)

Letzte Änderung: 14.05.2020

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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