TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/5 W103 2211808-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.10.2021
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Entscheidungsdatum

05.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W103 2211808-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, unvertreten, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.11.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe, sowie dem muslimischen Glauben an und stellte am 03.07.2003 – gesetzlich vertreten durch seine Mutter einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit dem Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 11.07.2003, Zl. XXXX , wurde dem Asylerstreckungsantrag des Beschwerdeführers vom 03.07.2003 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Familienverfahren stattgegeben und festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3. Der BF wurde lt. Strafregisterauszung hinsichtlich folgender Delikte verurteilt:

01) LG XXXX vom 17.06.2014 RK 20.06.2014

§ 15 StGB § 127 StGB

Datum der (letzten) Tat 07.05.2014

Freiheitsstrafe 4 Wochen, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Junge(r) Erwachsene(r)

zu LG XXXX vom 17.06.2014 RK 20.06.2014

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX

02) LG XXXX vom 06.03.2015 RK 16.03.2015

§§ 127, 129 Z 1 u 2 StGB, § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 28.12.2014

Freiheitsstrafe 12 Monate, davon Freiheitsstrafe 8 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 27.04.2015

zu LG XXXX vom 06.03.2015 RK 16.03.2015

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 27.04.2015

LG XXXX vom 30.04.2015

zu LG XXXX vom 06.03.2015 RK 16.03.2015

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 27.04.2015

LG XXXX vom 05.06.2020

03) LG XXXX vom 02.03.2016 RK 07.03.2016

§ 83 (1) StGB

§ 107 (1,2) StGB

§ 50 (1) Z 3 WaffG

Datum der (letzten) Tat 21.09.2015

Freiheitsstrafe 9 Monate, davon Freiheitsstrafe 7 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre

Junge(r) Erwachsene(r)

zu LG XXXX RK 07.03.2016

Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX vom 14.08.2018

zu LG XXXX RK 07.03.2016

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 25.02.2020

LG XXXX vom 26.02.2020

04) LG. XXXX vom 14.08.2018 RK 18.08.2018

§ 269 (1) 1. Fall StGB § 15 StGB

§§ 84 (2), 84 (4) StGB

Datum der (letzten) Tat 11.07.2018

Freiheitsstrafe 18 Monate

Vollzugsdatum 25.01.2020

4. Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde eingeleitet und wurde der BF am 07.11.2018 in der JA XXXX dazu niederschriftlich einvernommen.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.11.2018 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.07.2003, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aberkannt und gemäß § 7 Absatz 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG, der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 1 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.) und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VII.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sowie den Erlass des Einreiseverbotes mit den zuvor dargestellten strafgerichtlichen Verurteilungen, insbesondere mit der Verurteilung wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, und führte aus, dass der Beschwerdeführer aus diesem Grund eine Gefahr für die Gemeinschaft darstellen würde. Bei den vom BF begangenen Straftaten handle es sich um die Verletzung besonders wichtiger Rechtsgüter. In solch gravierenden Fällen, sei es zulässig, bereits ohne umfassende Prüfung aller einzelner Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose vorzunehmen.

Der Beschwerdeführer habe keine nachvollziehbaren Rückkehrbefürchtungen geltend machen können, er habe lediglich gesagt, er wisse nicht, was ihn nach so langer Zeit in Tschetschenien erwarten werde. Das Einreiseverbot in der angegebenen Dauer scheine der Behörde im Hinblick auf die Gesamtbeurteilung des Verhaltens des BF, seiner Lebensumstände sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte gerechtfertigt und notwendig, um die von ihm ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

Es wurden vom BFA folgende Feststellungen bzw. Beweiswürdigung hinsichtlich der Aberkennung des Status eines Asylberechtigten getroffen:

„Zu Ihrer Person:

Ihre Identität steht nicht fest. Sie führen als Verfahrensidentität den Namen XXXX und als Geburtsdatum den XXXX .

Sie sind russischer Staatsangehöriger.

Sie gehören der Volksgruppe der Tschetschenen an.

Sie stammen aus XXXX , Tschetschenien.

Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 11.07.2003, Zahl: XXXX , wurde Ihrem Asylerstreckungsantrag stattgegeben, und festgestellt, dass Ihnen die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Seitdem waren Sie nicht mehr in Russland, jedoch im Rahmen Ihrer Möglichkeiten zu reisen in Deutschland und den Niederlanden.

Sie sind nicht verheiratet, gaben jedoch an, eine Lebensgefährtin und mit dieser ein Kind zu haben.

Sie wurden in Österreich mehrmals straffällig.

Sie leiden an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung und nehmen Sie auch keine Medikamente ein.

Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

Am 17.06.2014 wurden Sie vom Landesgericht XXXX wegen des Vergehens des Diebstahls gem. § 127 StGB zu einer – für eine Probezeit von drei Jahren – bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Wochen verurteilt. Diese wurde aufgrund einer späteren Verurteilung auf insgesamt fünf Jahre verlängert.

Am 06.03.2015 wurden Sie vom Landesgericht XXXX wegen des Vergehens des Diebstahls gem. §127 StGB sowie des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen gem. § 129 Z 1 und 2 StGB a.F. zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 8 Monate bedingt verurteilt.

Am 02.03.2016 wurden Sie vom Landesgericht XXXX wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 und 2 StGB sowie des Vergehens des Waffenbesitz trotz Verbot gemäß § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG zu Freiheitsstrafe von 8 Monaten, davon 7 Monate bedingt verurteilt.

Am 14.08.2018 wurden Sie vom Landesgericht XXXX wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §269 Abs. 1 1. Fall StGB, des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 2 StGB sowie des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.

[…]

Beweiswürdigung

[…]

Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

Die Feststellungen bzgl. der Gründe für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten ergeben sich aus dem Strafregisterauszug vom 19.11.2018.

Für eine Aberkennung des Ihnen gewährten Asyls müssen zunächst drei Voraussetzungen vorliegen:

Sie müssen rechtskräftig verurteilt worden sein, bei Ihren Straftaten muss es sich um ein besonders schweres Verbrechen handeln und Sie müssen als ein gemeingefährlicher Täter angesehen werden können.

Bei Straftaten, die mit lebenslanger bzw. mit einer fünf Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind handelt es sich um Schwerkriminalität. Diese Delikte fallen in die schöffen- oder geschworenengerichtliche Zuständigkeit (§ 31 Abs 2 Z 1, § 31 bs 3 Z 1 StPO).

Weiters ist bei diesen Verbrechen eine Diversion von vornherein ausgeschlossen (§ 198 Abs 1 Z 1 StPO). Daher ist prima facie bei derartigen Verbrechen von einem besonders schweren Verbrechen iS des § 6 Abs 1 Z 4 AsylG 2005 auszugehen. Lediglich dann, wenn ein Fall der außerordentlichen Strafmilderung vorliegt, also die Milderungsgründe gegenüber den Erschwerungsgründen beträchtlich überwiegen (§ 41 StGB), kann die „besondere Schwere“ im Wege der Einzelfallbetrachtung verneint werden. Bei Verbrechen iSd § 17 Abs 1 StGB, die die Grenze zur Schwerkriminalität nicht überschreiten (z.B. absichtlich schwere Körperverletzung gem. § 87 Abs 1 StGB – Strafdrohung 1-5 Jahre) ist durch eine konkrete Einzelfallbetrachtung die Schwere der Straftat zu bestimmen. Dabei spielen die Höhe der konkret verhängten Freiheitsstrafe (je näher an der Höchststrafe desto eher liegt ein besonders schweres Verbrechen vor), die konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit (Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch für die Gesellschaft im Ganze) und die Erschwerungs- und Milderungsgründe im Urteil zur Beurteilung eine besondere Rolle.

Aufgrund des Sachverhaltes und den schriftlichen Ausführungen in den Urteilen wird festgestellt, dass es sich vor allem bei der Verurteilung wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und der schweren Körperverletzung um ein besonders schweres Verbrechen handeln. Bei Straftaten, die mit lebenslanger bzw. mit einer fünf Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind handelt es sich um Schwerkriminalität. Dies ist bei keiner Ihrer Verurteilungen der Fall. Jedoch ist bei Verbrechen iSd § 17 Abs 1 StGB, die die Grenze zur Schwerkriminalität nicht überschreiten (z.B. absichtlich schwere Körperverletzung gem. § 87 Abs 1 StGB – Strafdrohung 1-5 Jahre) durch eine konkrete Einzelfallbetrachtung die Schwere der Straftat zu bestimmen. Dabei spielen die Höhe der konkret verhängten Freiheitsstrafe (je näher an der Höchststrafe desto eher liegt ein besonders schweres Verbrechen vor), die konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit (Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch für die Gesellschaft im Ganze) und die Erschwerungs- und Milderungsgründe im Urteil zur Beurteilung eine besondere Rolle.

In dem Urteil XXXX vom 14.08.2018 ist zu lesen, dass Sie versuchten, sich Ihrer rechtmäßigen Festnahme zu widersetzen, indem Sie einem Beamten mit Ihrem Ellenbogen in dessen rechte Gesichtshälfte stießen sowie ihm einen Fußtritt gegen das linke Knie versetzten. Aufgrund der Verletzungen (u.a Riss im Hinterhorn des Innenmeniskus links des linken Knies) kam es zu einer Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit von mehr als 24-tägiger Dauer.

Die erschwerenden Strafbemessungsgründe überwiegen deutlich gegenüber den mildernden, zudem Sie in der Einvernahme vom 07.11.2018 angaben, dass Sie der schweren Körperverletzung nicht schuldig sind, es jedoch egal wäre, was Sie sagen würden. Somit ist der Milderungsgrund des reumütigen Geständnisses bei der Beurteilung der Schwere des Verbrechens derzeit wohl nicht auf das Verbrechen der schweren Körperverletzung anzuwenden.

Auch im Urteil XXXX nahmen Sie den Einsatz von Gewalt in Kauf, indem Sie Ihr Opfer mit dem Tod gefährlich bedrohten indem Sie und ein Komplize aus – nicht als solchen erkennbaren – Gaspistolen mehrere Schüsse abfeuerten sowie Ihrem am Boden liegenden Opfer durch Versetzen von Fußtritten unter anderem eine Gehirnerschütterung zufügten.

Sie wurden somit mehrmals aufgrund von Verbrechen beziehungsweise Vergehen gegen die körperliche Integrität verurteilt. Dazu begingen Sie mehrere Vermögensdelikte (Diebstahl, Diebstahl durch Einbruch oder mit Waffen). Hierbei handelt es sich um die Verletzung objektiv besonders wichtiger Rechtsgüter, nämlich Vermögen und die körperliche Unversehrtheit. In solch gravierenden Fällen verübter Straftaten ist es zulässig, bereits ohne umfassende Prüfung aller einzelnen Tatumstände, eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose vorzunehmen (VwGH 23.09.2009, 2006/01/0626).

Insgesamt wurden Sie vier Mal von einem österreichischen Gericht verurteilt.

Sie wurden bereits als junger Erwachsener mehrmals rückfällig. Die mehrmaligen Verurteilungen als junger Erwachsener, wobei die Anwendung des Jugendstrafrechts vor allem den Zweck hat, den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten, konnten Sie nicht davon abhalten, im Erwachsenenalter wiederum rückfällig zu werden, und bereits kurz nach dem Vollenden des einundzwanzigsten Lebensjahres erneut Straftaten zu begehen.

Die mehrmaligen Verurteilungen konnten Sie nicht davon abhalten, rückfällig zu werden. Die mehrmaligen Verurteilungen und der oftmals rasche Rückfall zeugen nicht von einer Resozialisierung Ihrerseits. Auch überwiegen bei der letzten Verurteilung die erschwerenden Strafbemessungsgründe deutlich gegenüber den mildernden.

Sie können als ein gemeingefährlicher Täter angesehen werden.“

6. Gegen den oben angeführten Bescheid wurde mit Eingabe vom 19.12.2018 durch den rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde eingebracht, in welcher unrichtige rechtliche Beweiswürdigung, unrichtige Tatsachenfeststellung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurden. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass es für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten der Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens bedarf.

Nach den Erläuterungen zum AsylG 2005 fielen unter den Begriff „besonders schweres Verbrechen“ Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen würden, wie Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub oder bestimmte Formen der Schlepperei. Der BF habe jedoch keine „typischerweise“ als „besonders schweres Verbrechen“ zu beurteilende Tat begangen. Wenn die belangte Behörde ausführe, bei der Verurteilung des BF wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt handle es sich um ein besonders schweres Verbrechen, kann dem nicht gefolgt werden, ebenso wenig erfülle die Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung diesen Begriff. Bei der schweren Körperverletzung nach § 84 StGB handle es sich um keine Vorsatztat (hinsichtlich der Schwere der Verletzung) und sei auch der Strafrahmen deutlich niedriger. Insgesamt liege kein „besonders schweres Verbrechen“ vor, weshalb die Aberkennung seines Asylstatus nicht zulässig gewesen sei.

7. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 27.12.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Mit Schreiben vom 23.11.2020 legte der vormalige rechtsfreundliche Vertreter des BF ( XXXX ) alle bestehenden Vollmachten mit 31.12.2020 nieder. Da nunmehr keine aktuelle Vollmacht aus dem Verwaltungsakt ersichtlich ist, ist der BF unvertreten.

9. Das gegenständliche Verfahren wurde der Gerichtsabteilung W103 aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.06.2021 zugewiesen und langte am 06.07.2021 samt dem bezughabenden Verwaltungsakt bei der erkennenden Gerichtsabteilung ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen Lage in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts Folgendes festgestellt:

1.1. Die beschwerdeführende Partei führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist muslimischen Glaubens und stellte am 03.07.2003 – gesetzlich vertreten durch seine Mutter im Familienverfahren - einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit dem Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 11.07.2003, Zl XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 03.07.2003 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG im Familienverfahren stattgegeben und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Der BF wurde lt. Strafregisterauszung hinsichtlich folgender Delikte verurteilt:

01) LG XXXX vom 17.06.2014 RK 20.06.2014

§ 15 StGB § 127 StGB

Datum der (letzten) Tat 07.05.2014

Freiheitsstrafe 4 Wochen, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Junge(r) Erwachsene(r)

zu LG XXXX vom 17.06.2014 RK 20.06.2014

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX

02) LG XXXX vom 06.03.2015 RK 16.03.2015

§§ 127, 129 Z 1 u 2 StGB, § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 28.12.2014

Freiheitsstrafe 12 Monate, davon Freiheitsstrafe 8 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 27.04.2015

zu LG XXXX vom 06.03.2015 RK 16.03.2015

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 27.04.2015

LG XXXX vom 30.04.2015

zu LG XXXX vom 06.03.2015 RK 16.03.2015

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 27.04.2015

LG XXXX vom 05.06.2020

03) LG XXXX vom 02.03.2016 RK 07.03.2016

§ 83 (1) StGB

§ 107 (1,2) StGB

§ 50 (1) Z 3 WaffG

Datum der (letzten) Tat 21.09.2015

Freiheitsstrafe 9 Monate, davon Freiheitsstrafe 7 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre

Junge(r) Erwachsene(r)

zu LG XXXX RK 07.03.2016

Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX vom 14.08.2018

zu LG XXXX RK 07.03.2016

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 25.02.2020

LG XXXX vom 26.02.2020

04) LG. XXXX vom 14.08.2018 RK 18.08.2018

§ 269 (1) 1. Fall StGB § 15 StGB

§§ 84 (2), 84 (4) StGB

Datum der (letzten) Tat 11.07.2018

Freiheitsstrafe 18 Monate

Vollzugsdatum 25.01.2020

Der BF hat kein „besonders schweres Verbrechen“ begangen“.

2. Beweiswürdigung:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus der Beschwerde, dem angefochtenen Bescheid und dem Verwaltungsakt – sowie dem im Akt einliegenden Urteil vom 06.03.2015, XXXX – und einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.1. Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFAVG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFAVG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu Spruchteil A)

3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.2.1. Der mit "Aberkennung des Status des Asylberechtigten" betitelte § 7 AsylG 2005 lautet wie folgt:

"(1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1.       ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

2.       einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3.       der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

(2) In den Fällen des § 27 Abs. 3 Z 1 bis 4 und bei Vorliegen konkreter Hinweise, dass ein in Art. 1 Abschnitt C Z 1, 2 oder 4 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführter Endigungsgrund eingetreten ist, ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, sofern das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 wahrscheinlich ist. Ein Verfahren gemäß Satz 1 ist, wenn es auf Grund des § 27 Abs. 3 Z 1 eingeleitet wurde, längstens binnen einem Monat nach Einlangen der Verständigung über den Eintritt der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG, in den übrigen Fällen schnellstmöglich, längstens jedoch binnen einem Monat ab seiner Einleitung zu entscheiden, sofern bis zum Ablauf dieser Frist jeweils der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht. Eine Überschreitung der Frist gemäß Satz 2 steht einer späteren Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht entgegen. Als Hinweise gemäß Satz 1 gelten insbesondere die Einreise des Asylberechtigten in seinen Herkunftsstaat oder die Beantragung und Ausfolgung eines Reisepasses seines Herkunftsstaates.

(2a) Ungeachtet der in § 3 Abs. 4 genannten Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, wenn sich aus der Analyse gemäß § 3 Abs. 4a ergibt, dass es im Herkunftsstaat des Asylberechtigten zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist. Das Bundesamt hat von Amts wegen dem Asylberechtigten die Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten formlos mitzuteilen.

(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt – wenn auch nicht rechtskräftig – nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen."

Der mit "Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" betitelte § 6 AsylG 2005 lautet wie folgt:

"(1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

1.       und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

2.       einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

3.       er aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

4.       er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt."

Gemäß § 2 Abs. 3 AsylG ist ein Fremder im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt (Z 1), oder mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 2).

Für den vom Bundesamt bei der Sachverhaltsfeststellung zu Spruchpunkt I. (primär) angenommenen Fall einer Entscheidung gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 müssen wegen der wörtlich gleichen Voraussetzungen die gleichen Maßstäbe gelten, auf die sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in den bisherigen Vorerkenntnissen zu § 13 Abs. 2 zweiter Fall AsylG 1997 bezogen haben (vgl. dazu VwGH 01.03.2016, Zl. Ra 2015/18/0247, und insbesondere VwGH 21.09.2015, Zl. Ra 2015/19/0130: "vgl. allgemein zu den Kriterien des Asylausschlussgrundes - zu vergleichbarer Rechtslage - die Erkenntnisse vom 6. Oktober 1999, 99/01/0288, vom 3. Dezember 2002, 99/01/0449 und vom 23.September 2009, 2006/01/0626; zum Begriff des "besonders schweren Verbrechens" im Sinne dieser Bestimmung die bereits zitierten Erkenntnisse vom 3. Dezember 2002 und vom 23. September 2009; sowie zum Tatbestandsmerkmal der "Gefahr für die Gemeinschaft" des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 die zur "Gemeingefährlichkeit" ergangene hg. Judikatur, etwa die hg. Erkenntnisse vom 18. Jänner 1995, 94/01/0746, vom 10. Oktober 1996, 95/20/0247 sowie vom 27. September 2005, 2003/01/0517").

Nach der Rechtsprechung des VwGH müssen für die Anwendung des § 13 Abs. 2 zweiter Fall AsylG 1997 (entspricht § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005) kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf: Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Es genügt nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwer wiegend erweisen. In gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig (vgl. zu alldem VwGH 23.9.2009, 2006/01/0626, mwN; VwGH 14.2.2018, Ra 2017/18/0419).

Unter den Begriff des schweren Verbrechens iSd Art. 1 Abschn. F lit. b GFK fallen nach herrschender Lehre nur Straftaten, die in objektiver und subjektiver Hinsicht besonders verwerflich sind und deren Verwerflichkeit in einer Güterabwägung gegenüber den Schutzinteressen der betroffenen Person diese eindeutig überwiegt. Dieser Standpunkt – Berücksichtigung subjektiver Faktoren, wie Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe oder Rechtfertigungsgründe – wird auch in der Rechtsprechung des VwGH vertreten (zB VwGH 06.10.1999, 99/01/0288). Es genügt nicht, dass der Beschwerdeführer ein abstrakt als schwer einzustufendes Delikt verübt hat. Um ein schweres Verbrechen, das zum Ausschluss von der Anerkennung als Asylberechtigter – und im vorliegenden Fall somit zur Aberkennung des Status eines Asylberechtigten – führen kann, handelt es sich typischerweise um Vergewaltigung, Tötung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und schließlich auch Menschenhandel bzw. Schlepperei (vgl. Putzer, Asylrecht2, 2011, Rz 125).

In der Regierungsvorlage zum AsylG 2005, RV 952 BlgNR 22. GP, wird zu § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 erläuternd – wenngleich nur demonstrativ – Folgendes ausgeführt:

"Die Z 3 und 4 des Abs. 1 entsprechen inhaltlich dem bisherigen § 13 Abs. 2 AsylG. Unter den Begriff, besonders schweres Verbrechen‘ fallen nach Kälin, Grundriss des Asylverfahrens (1990), S 182 und 228 (ua. mit Hinweis auf den UNHCR) und Rohrböck, (Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999) Rz 455, mit weiteren Hinweisen auf die internationale Lehre), nach herrschender Lehre des Völkerrechts nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (vgl. VwGH 10.06.1999, 99/01/0288). Zu denken wäre aber auch - auf Grund der Gefährlichkeit und Verwerflichkeit - an besondere Formen der Schlepperei, bei der es zu einer erheblichen Gefährdung, nicht unbedeutenden Verletzung oder gar Tötung oder während der es zu erheblichen, mit Folter vergleichbaren Eingriffen in die Rechte der Geschleppten kommt. Die aktuelle Judikatur in Österreich, wie in anderen Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention, verdeutlicht, dass der aus dem Jahre 1951 stammende Begriff des ‚besonders schweren Verbrechens‘ des Art. 33 Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention einer Anpassung an sich ändernde gesellschaftliche Normenvorstellungen zugänglich ist."

3.2.2. Aufgrund der bereits erfolgten Ausführungen ist davon auszugehen, dass es sich bei der Begehung sämtlicher Delikte um kein besonders schweres Verbrechen handeln kann.

Verbrechen sind lt. § 17 Abs. 1 StGB vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind.

Alle anderen strafbaren Handlungen sind gemäß § 17 Abs. 2 StGB Vergehen.

Es liegen folgende Verurteilungen (Junger Erwachsener bzw. 4. Verurteilung als Erwachsener) hinsichtlich der im Strafregister eingetragenen Verurteilungen zu Pt. 1 bis 4 vor:

§127 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 129 Z 1 und 2 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

§ 83 Abs. 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 107 Abs. 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 107 Abs. 2 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen

§ 50 Abs. 1 Z 3 WaffG ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 269 Abs. 1 1. Fall ist mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 5 Jahren zu bestrafen.

§ 84 Abs. 2 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

§ 84 Abs. 4 StGB ist mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren zu bestrafen.

Gemäß § 5 Abs. 4 JGG wird das Höchstmaß der Freistrafe auf die Hälfte im Falle des zur Tatbegehung minderjährigen bzw. jungen Erwachsenen BF herabgesetzt.

Bei seiner ersten Verurteilung wurde der BF lediglich zu seiner bedingten Freiheitsstrafe von 4 Wochen, bei seiner zweiten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 8 Monate bedingt und bei seiner dritten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, davon 7 Monate bedingt verurteilt. Bei seiner letzten und vierten Verurteilung wurde der BF zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.

Im vorliegenden Fall ist zunächst einmal unumstritten, dass der Beschwerdeführer von einem inländischen Gericht viermal rechtskräftig wegen verschiedener Delikte verurteilt wurde. Davon sind jedoch lediglich zwei der vom Beschwerdeführer verübten Delikte Verbrechen iSd § 17 StGB ( nämlich § 269 Abs. 1 StGB und § 84 Abs. 4 StGB), und nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abstrakt nicht als besonders schwer einzustufen.

Nach dem zuvor zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes, Zl. 99/01/0288, genügt es jedoch auch nicht, dass der Antragsteller ein abstrakt als schwer einzustufendes Delikt verübt hat, sondern muss sich die Tat auch im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen.

Mit Blick auf die wiedergegebenen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes, der die Aberkennungsbestimmung offenkundig restriktiv auslegt, können die konkreten Straftaten, derentwegen der Beschwerdeführer rechtskräftig verurteilt wurde, dem Grunde nach nicht als „besonders schweres Verbrechen“ iSd § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 qualifiziert werden, zumal aus der Tatbegehung des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der schweren Körperverletzung in casu nicht erkannt werden kann warum diese als „besonders schwere Verbrechen“ einzustufen sind, wie es beispielsweise der bewaffnete Raub, besondere Formen der Schlepperei sind oder andere von der Judikatur genannte Straftaten, wie Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung oder Drogenhandel. Das hat die belangte Behörde im Übrigen auch nicht substantiiert begründet, sondern gibt die beiden Tathandlungen der letzten beiden Verurteilungen des BF wider. Dabei führt die belangte Behörde selbst aus, dass bei Verbrechen iSd § 17 Abs 1 StGB, die die Grenze zur Schwerkriminalität (über 5 Jahre Freiheitsstrafe) nicht überschreiten (z.B. absichtlich schwere Körperverletzung gem. § 87 Abs 1 StGB – Strafdrohung 1-5 Jahre) durch eine konkrete Einzelfallbetrachtung die Schwere der Straftat zu bestimmen ist. Gegenständlich liegt auch gar keine absichtlich schwere Körperverletzung vor, sondern „lediglich“ eine durch den BF begangene schwere Körperverletzung. Unbestritten ist, dass der Unrechtsgehalt der absichtlich schweren Körperverletzung noch einmal größer ist als jener der schweren Körperverletzung. In casu lässt die belangte Behörde dann jedoch vermissen substantiiert auszuführen, warum die vom BF begangenen Tathandlung des § 269 Abs. 1 1. Fall StGB und des § 84 Abs. 4 StGB im Einzelfall als „besonders schwere Verbrechen“ einzustufen sind und kann ein solches vom erkennenden Gericht nicht erkannt werden. Der BF hat „lediglich“ eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten verbüßt, wobei der Strafrahmen sowohl bei § 269 Abs. 1 StGB, als auch bei § 84 Abs. 4 StGB bei 6 Monaten bis zu 5 Jahren liegt. Ein „besondes schweres Verbrechen“ kann dabei vom erkennenden Gericht nicht erkannt werden. Der Vollständigkeit halber darf darauf hingewiesen werden, dass die belangte Behörde bei der Entscheidungsfindung an die Urteile der Strafgerichte gebunden und nicht berechtigt ist Milderungsgründe aufgrund von Angaben des BF in der niederschriftlichen Einvernahme außer Acht zu lassen (AS 179). Darüber hinaus ist das Strafurteil der 4. Verurteilung wegen der §§ 269 iVm 84 Abs 2 u 4 StGB, hinsichtlich derer sich die belangte Behörde auf das Vorliegen „eines besonders schwerer Verbrechens“ stützt, nicht im Verwaltungsakt einliegend.

Der Argumentation des BF in seiner Beschwerde kann daher gefolgt werden, wenn ausgeführt wird, dass kein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt.

Wenn auch das unzweifelhaft hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen nicht verkannt wird, ist festzuhalten, dass das vom Beschwerdeführer gesetzte strafrechtswidrige Verhalten – nach der derzeitigen Gesetzeslage - fallgegenständlich nicht alle Kriterien erfüllt, die für eine Aberkennung des Status eines Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG erforderlich sind.

Es darf aber ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass bei der Begehung einer neuerlichen Straftat sich diese Umstände ändern können.

Zum Vergleich bietet sich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 03.12.2002 zu Zl. 2001/01/0494 an, worin in der Verurteilung zu zwei Jahren Freiheits- und einer Geldstrafe von ATS 300.000,- wegen Suchtgifthandels kein „besonders schweres Verbrechen“ gesehen wurde. Denn – so der VwGH – ohne Hinzutreten besonderer Umstände, aus denen sich ergäbe, dass sich das begangene Delikt bei einer Strafdrohung von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erwiesen hätte, könne – selbst unter Berücksichtigung der im Urteil als erschwerend für die Strafzumessung gewerteten Gewinnsucht als Motiv für die Tatbegehung sowie der mehrfachen Tatbegehung – aus der Verurteilung zu einer bloß zweijährigen Freiheitsstrafe, in deren Höhe die als erschwerend angenommenen Umstände bereits zum Ausdruck gekommen sind, wegen eines „typischer Weise“ schweren Deliktes nicht geschlossen werden, dass der Straftat die für ein „besonders schweres Verbrechen“ erforderliche außerordentliche Schwere anhafte.

Nichts Anderes trifft auf den Beschwerdeführer zu; er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt und hat keines der von der Judikatur genannten typischerweise „besonders schweren Verbrechen“ begangen, zu denen weder § 269 Abs. 1 StGB, noch § 84 Abs. 4 StGB gehören.

3.2.3. Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG erweist sich demnach nicht als rechtmäßig, sodass der angefochtene Bescheid insoweit zu beheben ist.

3.3. Auch die Spruchpunkte II. bis VII. des angefochtenen Bescheides waren in der Folge zu beheben, da deren Rechtmäßigkeit die Aberkennung des Status des Asylberechtigten des Beschwerdeführers voraussetzt.

3.4. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der gegenständliche Bescheid aufzuheben war, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung entfallen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben (vgl. insb 06.10.1999, 99/01/0288; 03.12.2002, 99/01/0449; 03.12.2002, 2001/01/0494; 23.09.2009, 2006/01/0626). Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung individuelle Verhältnisse mangelnder Anknüpfungspunkt Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W103.2211808.1.00

Im RIS seit

05.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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