Entscheidungsdatum
05.10.2021Norm
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2Spruch
G306 2219718-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch Kocher & Bucher RAe OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis V. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Bosnien und Herzegowina gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und der Beschwerdeführerin gemäß §§ 55 Abs. 2 iVm. 54 Abs. 1 Z 2 AsylG, der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde der Antrag der Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ – Verlängerungsantrag vom 12.04.2018 gemäß § 57 AsylG iVm § 59 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Bosnien – Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt III.), ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 – 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise der BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG gegen die BF ein auf die Dauer von fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).
Dieser Bescheid wurde der BF am 30.04.2019 zugestellt.
2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Es wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und dem Antrag der BF vom 12.04.2018 auf Verlängerung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ Folge zu geben, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuverweisen, allenfalls die gegen die BF ausgesprochene Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot aufzuheben und die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären, in eventu festzustellen, dass die Abschiebung der BF nach Bosnien und Herzegowina (im Folgenden: BiH) nicht zulässig ist, in eventu die Dauer des auf fünf Jahre befristeten Einreiseverbotes angemessen herabzusetzen, und eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen.
3. Am 05.06.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.
4. Mit Erkenntnis des BVwG zu GZ.: G306 2219718-1/7E, vom 13.05.2020, wurde der gegenständlichen Beschwerde teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass das Einreiseverbot auf zwei (2) Jahre herabgesetzt wird. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
5. Mit Erkenntnis des VwGH zu Zahl Ra 2020/21/0289, vom 05.03.2021, wurde der außerordentlichen Revision der BF insoweit stattgegeben als sie sich gegen die Spruchpunkte II. bis V. des unter Punkt I.4. genannten Erkenntnisses richtete und die besagten Spruchpunkte aufgehoben. Hinsichtlich des Spruchpunktes I. des besagten Erkenntnisses, wurde das Rechtsmittel jedoch zurückgewiesen.
6. Am 20.07.2021 fand in der Grazer Außenstelle des BVwG eine mündliche Verhandlung statt, an der die BF sowie deren RV persönlich teilnahmen und der Lebensgefährte (im Folgenden: LG) der BF als Zeuge einvernommen wurde.
Die belangte Behörde wurde korrekt geladen verzichtete jedoch auf die Entsendung eines informierten Vertreters/ einer informierten Vertreterin.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF führt die im Spruch genannte Identität (Name und Geburtsdatum) und ist Staatsangehörige von BiH, geschieden, gesund und arbeitsfähig.
Die BF hält sich seit 2012 durchgehend in Österreich auf. Sie war in Österreich erstmals ab 25.05.2012 und ab diesem Zeitpunkt immer wieder, bis 08.04.2016 jedoch nie durchgehend gemeldet. Von XXXX .2016 bis XXXX .2017 wurde die BF in einer Justizanstalt in Österreich angehalten und verbüßte von XXXX .2018 bis XXXX .2019 eine Freiheitsstrafe im elektronisch überwachten Hausarrest.
Seit 2 Jahren führt die BF eine Lebensgemeinschaft mit einem österreichischen Staatsbürger, XXXX , geb. XXXX , mit welchem sie auch ein gemeinsames Kind XXXX , geb. XXXX , StA. Österreich hat.
Die BF hat regelmäßigen Kontakt zu ihrer in Österreich lebenden Cousine und hält Kontakt zu Freunden aufrecht. In BiH lebt die Mutter der BF, mit jener sie regelmäßigen (Telefon-)kontakt hat und sie auch von Zeit zu Zeit im Herkunftsstaat besucht.
Mit Bescheid vom April 2014, rechtskräftig seit Juni 2016, wurde gegen die BF ein Waffenverbot ausgesprochen, zumal sie ihren damaligen Ehemann im Zuge einer verbalen und tätlichen Auseinandersetzung mit 2 Küchenmessern bedroht habe. Eine gerichtliche Verurteilung erfolgte bis dato nicht.
Die BF hat am 27.12.2013 erstmals in Österreich einen Aufenthaltstitel als Familienangehörige beantragt. Dieser Antrag wurde am 15.12.2014 abgewiesen. Begründend wurde im Bescheid ausgeführt, dass die BF im Zeitraum vom 24.11.2013 bis 19.05.2014 die ihr (als bosnischen Staatsangehörigen zugekommene, sichtvermerkbefreite) erlaubte Aufenthaltsdauer überschritten habe, obwohl sie von der zuständigen NAG-Behörde auf die erlaubte Aufenthaltsdauer mündlich hingewiesen worden sei, und die BF vom 26.11.2013 bis 04.12.2013 illegal in Österreich beschäftigt gewesen sei.
Die BF wurde mit Urteil des LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2016, in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2014, wegen des Verbrechens des versuchten Suchtgifthandels in Form der Beitragstäterschaft gemäß § 15 StGB, § 12 3. Fall StGB, §§ 28a Abs. 1 fünfter Fall, 28a Abs. 4 Z 3 SMG, zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt
Der strafgerichtlichen Verurteilung der BF lagen folgende strafbare Handlungen zugrunde:
Die BF hat mit vier weiteren Personen an verschiedenen Orten im Bundesgebiet
? vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge anderen zu überlassen versucht, und zwar am XXXX 2016 Suchtgift bzw. 999,56 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 76,88 % (686 Gramm Cocain-Base in Reinsubstanz) an einen verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamtes zu einem Kaufpreis von EUR 55.000,00, dabei
? die BF als Beitragstäterin, indem sie zunächst den Kontakt zwischen dem verdeckten Ermittler und ihrem Auftraggeber herstellte und sodann die Treffen mit den möglichen Suchtgiftlieferanten vereinbarte, hiebei Übersetzungsleistungen erbrachte, mit dem tatsächlichen Auftraggeber, der die Lieferung eines Kilogramm Kokains zusicherte und in weiterer Folge auch organisierte, in Kontakt blieb, entsprechende weitere Informationen sodann an den verdeckten Ermittler weitergab und sich für die Anwesenheit und Dolmetscherdienste von ihrem Auftraggeber einen finanziellen Beitrag für den Fall der positiven Abwicklung des Suchtgiftgeschäftes versprechen ließ;
(die BF wurde mit zwei weiteren Tätern kurz vor dem XXXX 2016 von ihrem Arbeitgeber dazu bestimmt, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge anderen zu überlassen, indem sie mit den weiteren Tätern von ihm angewiesen wurde, 999,56 Gramm Kokain an einen ihrem Auftraggeber vornamentlich bekannten verdeckten Ermittler zu übergeben, wobei kurz vor der Übergabe die Polizei einschreiten konnte; von ihrem Arbeitgeber wurde der BF dabei auch ein finanzieller Vorteil nach Abwicklung des Suchtgiftgeschäftes versprochen und wurden bei der Abhandlung des Suchtgiftgeschäftes weitere Anweisungen erteilt).
Die Tatbeteiligung der BF betrifft eine Vermittlung eines Drogengeschäftes bei mehreren Treffen, offensichtlich zahlreichen Telefonaten, über einen Zeitraum von zumindest XXXX .2016 bis XXXX .2016.
Bei der Strafbemessung des Strafgerichtes wurde die bisherige Unbescholtenheit, das umfassende und reumütige Geständnis, die untergeordnete Täterrolle, die Sicherstellung des Suchtgiftes und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, als mildernd, und kein Umstand als erschwerend gewertet.
Im Berufungsurteil des zuständigen Oberlandesgerichts XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2017, wurde festgehalten, dass der geständigen Verantwortung der BF, weil es sich dabei aufgrund der verdeckten Ermittlung entgegen des Berufungsvorbringens nicht um ein „unnötiges“, sondern um ein „Muss-Geständnis“ handelt, nur eingeschränktes Gewicht zukommt.
Es wird festgestellt, dass die BF die genannten Straftaten begangen und die beschriebenen Verhaltensweisen gesetzt hat.
Die BF hat ab Februar 2017 dem Bundeskriminalamt (BK) als Vertrauensperson unter anderem dabei geholfen, internationale Drogenhändler strafrechtlich zu verfolgen und zur strafrechtlichen Verurteilung zu führen.
In einem Bericht des BK vom XXXX .2018 wurde Folgendes festgehalten (Name der BF durch „BF“ ersetzt):
„Die BF ist als Vertrauensperson beim Bundeskriminalamt registriert. Durch ihre Tätigkeit gelang es bereits mehrmals, international agierende Täter (vorwiegend Drogenhändler) auszuforschen und der Festnahme zuzuführen.
Zurzeit ist die BF als Vertrauensperson in der Akte (…) eingesetzt. Der angeführte Einsatz ist nicht abgeschlossen und wird noch längere Zeit andauern. Aufgrund der notwendigen laufenden Informationsgewinnung ist die Anwesenheit der BF in Österreich unumgänglich.
Es wird daher ersucht, für die weiteren Ermittlungen und zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen der BF den besonderen Schutz gemäß § 57 AsylG zukommen zu lassen.“
Mit Schreiben der Einsatz-, Grenz- und Fremdenpolizeilichen Abteilung (EGFA) der Landespolizeidirektion (LPD) vom XXXX .2018 wurde folgende „Stellungnahme gem. §5 7 Abs. 2 AsylG“ abgegeben:
„(…) Gem. § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG ist im konkreten Fall als einzige (formelle) Erteilungsvoraussetzung zu prüfen, ob bereits ein begonnenes (gerichtliches) Strafverfahren vorliegt.
Erst bei Vorliegen dieser Voraussetzung kann seitens der LPD (…) im Sinne des § 57 Abs. 2 AsylG eine begründete Stellungnahme dahingehend abgegeben werden, ob durch die Erteilung der begehrten Aufenthaltsberechtigung zu erwarten ist, dass die Strafverfolgung von (nach ha. Ansicht: konkreten) gerichtlichen strafbaren Handlungen gewährleistet ist. (…)
Gem. § 1 Abs. 2 StPO beginnt ein Strafverfahren, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung des Verdachtes einer Straftat gegen eine bekannte oder unbekannte Person ermittelt oder Zwang gegen eine verdächtigte Person ausübt.
Wie sich aus dem Schreiben des BKA vom XXXX .2018, (…) ersehen lässt, ist die Antragstellerin zur Zeit als Vertrauensperson in der Akte (…) in einem offensichtlich von der Kriminalpolizei (nämlich dem BKA) begonnenen Strafverfahren eingesetzt.
Durch ihre Tätigkeit gelang es bereits mehrmals, international agierende Täter (vorwiegend Drogenhändler) auszuforschen und der Festnahme zuzuführen.
Der angeführte Einsatz sei noch nicht abgeschlossen und werde noch längere Zeit andauern. Auf Grund der notwendigen laufenden Informationsgewinnung sei die Anwesenheit der BF in Österreich unumgänglich.
Auf Grund dieser der Behörde zur Verfügung stehenden Angaben des Bundeskriminalamtes, welche von der Behörde in keinster Weise zu bezweifeln sind, kann die Stellungnahme der LPD (…) nur dahingehend lauten, dass das Vorliegen der Voraussetzung nach § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG eindeutig zu bejahen ist, nämlich, dass die beantragte „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ im konkreten Fall der Gewährleistung der Strafverfolgung von konkreten gerichtlich strafbaren Handlungen dient.“
Der BF wurde daraufhin erstmals für den Zeitraum vom 27.04.2017 bis 26.04.2018 eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ erteilt.
Am 12.04.2018 brachte die BF beim BFA einen Verlängerungsantrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ ein.
Mit Schreiben vom 26.04.2018 und damit mit Ablauf der bis 26.04.2018 gültigen Aufenthaltsberechtigung wurde von der Generaldirektion des BK für die öffentliche Sicherheit, Büro für verdeckte Ermittlungen, bekanntgegeben, dass die BF nicht mehr als Vertrauensperson zum Einsatz komme zumal deren Status aufgrund ihres Haftantrittes stillgelegt worden sei, und der gegenständliche Antrag daher nicht unterstützt werde.
Mit Schreiben vom 18.07.2021 wurde Seitens des .BK eine chronologische Aufstellung des Verfahrens/Einsatzes der BF aus Sicht des .BK übermittelt und unter anderem festgehalten, dass aufgrund der Mitwirkung der BF als „V-Person“ in Österreich 4 Personen wegen Drogenhandels und gewerbsmäßigen Betruges sowie in Südtirol 24 Mitglieder einer kriminellen Vereinigung festgenommen und dabei erhebliche Mengen an Drogen und Bargeld sichergestellt werden konnten. Ferner wurde angemerkt, dass eine Stilllegung einer „V-Person“ bedeute, dass diese weiterhin als „V-Person“ geführt werde und als solche registriert bleibe, allerdings aktuell nicht eingesetzt werde, die Aufhebung der Stilllegung jedoch jederzeit möglich sei.
Am XXXX .2018 erfolgte der Strafantritt der BF im elektronisch überwachten Hausarrest, und am XXXX .2019 wurde die BF bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren aus der Strafhaft entlassen.
Die BF war im Bundesgebiet in den Zeiträumen 26.11.2013 bis 04.12.2013, 01.07.2017 bis 22.11.2017, 01.08.2018 bis 30.09.2019, 18.11.2019 bis 16.03.2020, 20.11.2020 bis 22.10.2020 arbeitend und versichert gemeldet. Von 17.03.2020 bis 30.06.2020 und 21.08.2020 bis 23.09.2020 bezog die BF Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung sowie von XXXX .2020 bis XXXX .2021 Sozialversicherungsleistungen aufgrund der Geburt ihres Kindes.
Die BF geht aktuell keiner Beschäftigung im Bundesgebiet nach, sondern wird von ihrem LG finanziell unterstützt.
BiH gilt als sicherer Herkunftsstaat.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten und abgehaltenen mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Name und Geburtsdatum), zur Staatsangehörigkeit, zum Familienstand sowie zu familiären und sozialen Anknüpfungspunkten der BF in Österreich und BiH getroffen wurden, beruhen diese auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, jenen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurden und dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.
2.2.2. Die oben genannte erfolglose Beantragung eines Aufenthaltstitels als Familienangehörige konnte durch Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister ermittelt werden, und kann dem Zentralen Melderegister die Wohnsitzmeldungen der BF im Bundesgebiet entnommen werden.
Die strafgerichtliche Verurteilung der BF samt den näheren Ausführungen zu den Straftaten, sowie die Feststellung, dass die BF die besagten Straftaten begangen und die beschriebenen Verhaltensweisen gesetzt hat, beruhen auf einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie jeweils einer Ausfertigung der oben zitierten Urteile des LG - und OLG XXXX .
Das verhängte Waffenverbot beruht auf einer Ausfertigung des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft XXXX , zu GZ.: XXXX , vom 29.04.2014 (siehe AS 135) und ergibt sich die Verwendung der BF als „V-Person“ samt deren Tätigkeit sowie die Stilllegung deren Verwendung als solche aufgrund ihres Strafantrittes aus den oben genannten Schreiben des .BK vom April 2018 (siehe AS 35ff) und 19.07.2021 (siehe Beilage zum Verhandlungsprotokoll)
Die Erwerbstätigkeiten der BF, die jeweiligen Bezüge von Arbeitslosengeld und Sozialversicherungsleistungen sowie die aktuelle Erwerbslosigkeit der BF beruhen auf einem Sozialversicherungsauszug.
Dem konsistenten und glaubwürdigen Vorbringen der BF wiederum folgen die Feststellungen zum Gesundheitszustand, zur Arbeitsfähigkeit und zur finanziellen Unterstützung der BF durch ihren LG. Die Identität sowie die Staatsbürgerschaft des Sohnes der BF konnte zudem durch Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister bestätigt werden und hat der LG der BF die Vaterschaft zum gemeinsamen Kind in der mündlichen Verhandlung eingestanden. Ferner decken sich die Angaben der BF mit jenen ihres LG hinsichtlich des Bestehens einer Lebensgemeinschaft, welche zudem durch eine gemeinsame Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet eine Bestätigung erfährt.
Der durchgehende Aufenthalt der BF in Österreich wiederum ergibt sich aus dem konsistenten Vorbringen der BF, deren Wohn- und Erwerbstätigkeitsmeldungen in Österreich sowie der von der BH Linz-Land im den Antrag der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abweisenden Bescheid festgehaltenen teils unrechtmäßigen durchgehenden Aufenthalts der BF im Jahr 2013/14. (siehe AS 77f) Darüber hinaus kann nachvollzogen werden, dass die BF aufgrund – bescheidmäßig – festgehaltener Spannungen in ihrer damaligen Ehe ohne ihr Zutun von ihrem geschiedenen Ehemann abgemeldet wurde und sich so Meldungslücken ergeben.
Letztlich bleibt festzuhalten, dass die BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung einen glaubwürdigen Eindruck vermittelte und die ihr gestellten Fragen ohne Umschweife konkret und rasch beantworten konnte. Ferner konnten keine Widersprüche zwischen den Angaben der BF und jenen ihres als Zeugen einvernommen LG ausgemacht werden, was deren Glaubwürdigkeit weiter untermauert.
Die Einstufung BiH als sicherer Herkunftsstaat beruht auf § 1 Z 1 HStV.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A) I.:
3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:
Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt, und gemäß Abs. 4 Z 10 leg cit, jeder Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist, als Drittstaatsangehöriger.
Die BF als Staatsangehörige von BiH ist sohin Drittstaatsangehörige iSd. § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.
3.1.1. Staatsangehörige der Republik BiH, die Inhaber eines biometrischen Reisepasses sind, sind nach Art. 1 Abs. 2 iVm Anlage II der Verordnung (EG) Nr. 539/2011 vom 15.03.2001, idF VO (EU) 109/2010 vom 24.11.2010 von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit.
Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 zukommt (Z4) oder sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2).
§ 58 Abs. 13 AsylG normiert, dass Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründen.
Gemäß § 59 Abs. 1 AsylG sind Anträge auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, beim Bundesamt einzubringen und ist nach Stellung eines Verlängerungsantrages der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmung nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Die BF fällt nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.
Die BF hält sich seit 07.09.2012 durchgehend in Österreich auf, und wurde ihr am 27.04.2017 ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG für die Dauer von 12 Monaten erteilt. Am 12.04.2018 stellte die BF einen Antrag auf Verlängerung des genannten Aufenthaltstitels welcher letztlich mit Erkenntnis des BVwG zu GZ G306 2219718-1/7E, vom 13.05.2020, abgewiesen wurde.
Der Aufenthalt der BF in Österreich erwies sich – mangels Aufenthaltstitels – nach Ablauf der ihr als Staatsangehörige von BiH zustehenden visumsbefreiten Frist von drei Monaten bis zum Zeitpunkt der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG als durchgehend unrechtmäßig. Mit unter Punkt I.4. genannter rechtskräftiger Entscheidung des BVwG, wurde der Antrag der BF auf Verlängerung ihres Aufenthaltstitels nach dem AsylG abgewiesen und erweist sich der Aufenthalt der BF seither als neuerlich unrechtmäßig.
3.1.2. Der mit „Rückkehrentscheidung“ betitelte § 52 FPG lautet:
§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,
1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,
2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.
Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Liegt ein Fall des § 55a vor, so wird die Rückkehrentscheidung mit dem Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise durchsetzbar. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.
(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.
Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK“ betitelte § 55 ASylG lautet:
„§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
3.1.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:
3.1.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:
Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere die gegenständlichen Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101).
Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. „legitimate family“ bzw. „famille légitime“) oder einer unehelichen Familie („illegitimate family“ bzw. „famille naturelle“), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, ?erife Yi?it, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:
• die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),
• das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),
• die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
• den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),
• die Bindungen zum Heimatstaat,
• die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie
• auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).
Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).
Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens iSd Art. 8 MRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101). (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120)
Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2015/22/0025; E 19. November 2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. E 16. Dezember 2014, 2012/22/0169; E 9. September 2014, 2013/22/0247; E 30. Juli 2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120)
Dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, können Ausweisungen ausnahmsweise auch nach über zehn Jahre andauernden Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (Vgl. VwGH 10.12.2013, 2012/22/0129)
„Es trifft zu, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist und grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden kann (vgl. etwa VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0340, mwN). Diese zu mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalten entwickelte Judikatur wurde vom VwGH - bei stärkerem Integrationserfolg - auch auf Fälle übertragen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0132, mwN). Diese Rechtsprechungslinie betraf aber nur Konstellationen, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001).“ (VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0169)
„Die "Zehn-Jahres-Grenze" spielt in der Judikatur des VwGH nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden, kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen ist (vgl E 26. März 2015, 2013/22/0303). In Fällen gravierender Kriminalität und daraus ableitbarer hoher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit stand die Zulässigkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch gegen langjährig in Österreich befindliche Ehegatten von österreichischen Staatsbürgern nie in Frage (vgl. E 2. August 2013, 2012/21/0262).“ (VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0121)
„Im Falle der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, wenn diese (auch) wegen strafrechtlichen Fehlverhaltens verhängt werden, bedarf es vor allem im Rahmen der zu treffenden Gefährlichkeitsprognose einer näheren Auseinandersetzung mit diesem strafrechtlichen Fehlverhalten im Einzelnen (Hinweis E 19. Mai 2015, Ra 2014/21/0057).“ (VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0121)
3.1.4.1. „Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nehmen die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001).“ (vgl. VwGH 08.11.2018, Ro 2016/22/0120)
Die BF hält sich mittlerweile seit beinahe 9 Jahren im Bundesgebiet auf, und war dessen Aufenthalt zuletzt durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG und rechtzeitiger Antragstellung auf Verlängerung desselben von 27.04.2017 bis zur rechtskräftigen Abweisung des Verlängerungsantrages durch das BVwG am 13.05.2020 rechtmäßig. Ferner ging die BF wiederholt Erwerbstätigkeiten in Österreich nach, ist Mutter eines die österreichische Staatsbürgerschaft innehabenden minderjährigen Kindes und lebt mit ihrem LG, dem Vater des gemeinsamen Kindes, ebenfalls ein österreichischer Staatsbürger im gemeinsamen Haushalt im Bundesgebiet. Zudem hält sich eine Cousine der BF in Österreich auf und pflegt die BF soziale Kontakte im Bundegebiet.
Demgegenüber ist in Anschlag zu bringen, dass sich der Aufenthalt der BF in Österreich als überwiegend unrechtmäßig erwies, sie keine durchgehenden Wohnsitzmeldungen aufweist, gegen sie ein Waffenverbot erlassen wurde, sie im Jahr 2013 unrechtmäßig einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nachging und sie insbesondere wegen des Verbrechens des versuchten Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt wurde. Wenn die BF dabei auch nur eine vermittelnde Rolle eingenommen hat, so hat sie dennoch im Wissen um die Strafbarkeit und die notorisch bekannten Auswirkungen von Suchtmittelkonsum auf Konsumenten und die öffentliche Ordnung sowie die Volksgesundheit einen wesentlichen Beitrag zum – versuchten – Gelingen der oben beschriebenen Straftaten zum Zwecke der eigenen Bereicherung geleistet. Es steht somit außer Zweifel, dass das von der BF gezeigte Verhalten öffentliche Interessen maßgeblich beeinträchtigt hat, was sich letztlich auch in der Höhe der Verurteilung zeigt. So hat auch der VwGH wiederholt ausgeführt, dass ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Suchtmitteldelikten vorherrscht und mit diesen eine große Rückfallgefährlichkeit einhergehe (vgl. VwGH 26.05.2021, Ra 2021/01/0159)
Es gilt jedoch auch zu bedenken, dass die BF sich seit ihrer letzten Straftat nichts mehr zu Schulden kommen hat lassen. Wenn dabei auch die Zeit die diese in Strafhaft bzw. elektronisch überwachten Hausarrest verbracht hat zu berücksichtigen und in Abzug zu bringen ist, so erweist sich der Zeitraum des Wohlverhaltens der BF in Freiheit dennoch insofern als maßgebend, als die BF ihre Reue und Läuterung durch ihre freiwillige und erfolgreiche Mithilfe als „V-Person“ für die österreichischen Exekutivbehörden an der Überführung von Kriminellen aus dem Bereich der Suchtmittel- und Betrugskriminalität zum Ausdruck gebracht hat. So hat die BF einen Beitrag beim Überführen von Kriminellen und damit einen Dienst im Sinne der öffentlichen Interessen Österreichs und der österreichischen Gesellschaft geleistet.
Ferner ist die BF mittlerweile Mutter geworden und lebt in geordneten familiären Verhältnissen mit ihrem Lebensgefährten und dem gemeinsamen Kind zusammen. Insofern haben sich die Lebensverhältnisse der BF maßgeblich geändert und kann nachvollzogen werden, dass die BF Reue für ihr strafbares Verhalten empfindet und sich – insbesondere aufgrund ihrer nunmehrigen Verantwortung als Mutter – zukünftig wohlverhalten wird.
Das erkennende Gericht verkennt keinesfalls, dass der Beachtung fremdenrechtlicher, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden in Österreich regelnden Normen, sowie an der Beendigung unrechtmäßiger Aufenthalte im Bundesgebiet (vgl. VwGH 09.03.2003, 2002/18/0293) sowie an der Verhinderung von Suchtmitteldelikten (vgl. VwGH 29.03.2012, 2011/23/0662) große Bedeutung zukommt und insbesondere die BF weiterhin Bezugspunkte im Herkunftsstaat, wo ihre Mutter lebt aufweist. Wenn die integrativen Leistungen der BF sowie deren Bezugspunkte in Österreich wegen ihrer Straftaten und unrechtmäßigen Aufenthaltsnahme, damaligen unrechtmäßigen Erwerbstätigkeiten und ihres Waffenverbotes auch eine gewisse Relativierung hinzunehmen haben, so kommt das erkennende Gericht dennoch zur Ansicht, dass eingedenk der langen Zeit des Aufenthaltes der BF in Österreich, Berücksichtigung bestehender enger familiärer Bande im Bundesgebiet und erbrachter Leistungen im Dienste der Strafverfolgung, nach Abwägung der sich widerstreitenden privaten Interessen der BF und jenen der Republik Österreich, ein überwiegen der Interessen der BF festzustellen ist.
Die Anordnung einer Rückkehrentscheidung würde sohin eine Verletzung der Rechte der BF nach Art. 8 EMRK nach sich ziehen, und erweist sich eine solche sohin aufgrund des nicht nur vorübergehenden Wesens der dieser Verletzung zugrundeliegenden Umstände, als iSd. § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig.
Insofern liegen die Voraussetzungen für die Erteilungen eines Aufenthaltstitels an die BF gemäß §§ 58 Abs. 2 iVm. 55 AsylG vor. (vgl. Szymanski, AsylG § 55 Anm. 1, in Schrefler-König/Szymanski (Hrsg) Fremdenpolizei- und Asylrecht Teil II: wonach § 55 AsylG das Bleiberecht iSd. der Judikatur des VfGH umsetzt, und hierfür Bedingung sei, dass eine Aufenthaltsbeendigung im Hinblick auf Art 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist)
In Ermangelung der Erfüllung der in § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG genannten Voraussetzungen durch die BF, war der Beschwerde stattzugeben und spruchgemäß festzustellen, dass der BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 Abs. 2 iVm. § 54 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 AsylG „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten zu erteilen ist. Ausschlussgründe iSd. § 60 AsylG liegen nicht vor.
3.1.4.2. Aufgrund erfolgter – die Aufhebung der von der belangten Behörde ausgesprochenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme bewirkender – Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG an die BF, fällt auch die Voraussetzung für einen Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung (siehe § 52 Abs. 9 FPG) samt Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise (§ 55 FPG) sowie die Erlassung eines Einreiseverbotes weg, weshalb die entsprechenden Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides – im Zuge der Stattgabe der Beschwerde – als aufgehoben gelten.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung individuelle Verhältnisse Integration Pandemie Rechtsanschauung des VwGH Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässigEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G306.2219718.1.00Im RIS seit
05.01.2022Zuletzt aktualisiert am
05.01.2022