TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/12 W191 1408081-2

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Veröffentlicht am 12.10.2021
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Entscheidungsdatum

12.10.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W191 1408081-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Serbien, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Weber, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.04.2021, Zahl 229652600-180219589, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.09.2021 zu Recht:

A)

I.       Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von einem Jahr erteilt.

II.      Die Spruchpunkte II. bis V. werden gemäß § 28 VwGVG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein Staatsangehöriger Serbiens, reiste im Alter von 14 Jahren mit seiner Familie nach Österreich ein. Von 28.07.1989 bis 28.07.1994 verfügte der BF über Sichtvermerke. Eine Aufenthaltsbewilligung wurde dem BF mit Bescheid vom 08.09.1994 nicht erteilt.

1.2. Am 10.08.1994 wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen Wien, C E VR 3629/94 HV 3063/94, gemäß §§ 127, 129 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

1.3. Von 01.10.1994 bis 01.02.1995 hielt sich der BF ohne Sichtvermerke im Bundesgebiet auf.

1.4. Am 23.06.1995 heiratete der BF im Bundesgebiet die österreichische Staatsangehörige XXXX (in Folge XXXX ), geboren am XXXX . Am XXXX wurde die gemeinsame Tochter XXXX geboren.

1.5. Der BF stellte weitere Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung, die mit Bescheiden der zuständigen Behörde abgewiesen wurden. Auch dagegen erhobene Berufungen wurde abgewiesen. Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltsverbot erlassen. Die Anträge auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes wurden abgewiesen.

1.6. Am 03.07.1996 wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen Wien, A VR 3815/96 HV 2843/96, gemäß §§ 12 StGB sowie 12 und 16 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.

1.7. Am 30.05.1997 wurde der BF nach Serbien abgeschoben.

1.8. Am XXXX wurde eine weitere Tochter des BF in Österreich geboren.

1.9. Am XXXX wurde die dritte Tochter des BF in Österreich geboren.

1.10. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Wien Innere Stadt wurde das Scheidungsurteil des BF und seiner Frau XXXX vom 09.08.2001 („Jugoslawien“) anerkannt. Am 11.02.2002 schloss der BF unter falschem Namen ( XXXX , geboren XXXX ) erneut die Ehe mit seiner Frau XXXX .

1.11. Unter seiner Falschidentität stellte der BF am 17.01.2002 einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltsbewilligung, die dem BF erteilt wurde. Dem BF wurde ein „Niederlassungsnachweis“, gültig von 23.03.2004 bis 22.03.2014, erteilt.

1.12. Am XXXX wurde der Sohn des BF, XXXX , am XXXX ein weiterer Sohn, XXXX , in Österreich geboren.

1.13. Am 08.06.2009 stellte der BF unter der Identität XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Antrag wurde abgewiesen und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde ebenfalls abgewiesen.

1.14. Am 03.07.2009 wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen Wien, 2 HV 45/2009Z, gemäß §§ 15, 127, 129 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, davon sieben Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

1.15. Die Verfahren über die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung wurden aufgrund der Falschidentität des BF von Amts wegen wiederaufgenommen und dem BF keine Aufenthaltsberechtigungen nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz 2005 (in der Folge NAG) erteilt.

1.16. Am 13.09.2010 änderte der BF im Zuge eines Aufenthaltes in Serbien seinen Namen zu „ XXXX “.

1.17. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.05.2013, 111 Hv 47/13i-24, wurde der BF gemäß §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, acht Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

1.18. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.01.2016, 61 Hv 158/15y-92, wurde der BF gemäß §§ 15 StGB, 28a Abs. 1 sechster Fall Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt.

1.19. Am 06.03.2018 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.20. Der BF wurde am 22.06.2020 vor dem BFA niederschriftlich in der Sprache Serbisch einvernommen.

Er gab an, dass er Medikamente im Rahmen eines Substitutionsprogrammes (Suchtmittelerkrankung) nehme.

Alle seine Familienangehörigen (Eltern, Kinder) seien in Österreich aufhältig. In Serbien habe er keine Verwandten mehr. Er sei geschieden, habe jedoch eine slowakische Lebensgefährtin, mit der er bereits drei Jahre zusammen sei und die er heiraten wolle. Er lebe auch in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin.

Er habe fünf Kinder, zwei seiner Töchter seien bereits über 18 Jahre alt. Seine Tochter lebe bei ihm, er habe zudem bereits drei Enkel. Er kümmere sich auch um seinen Vater, der alleine lebe und an Multipler Sklerose leide.

Er verfüge über eine Einstellungszusage einer Reinigungsfirma. Die Straftaten in Österreich habe er begangen, als er süchtig gewesen sei. Er besuche nun eine Therapie und konsumiere keine Drogen mehr.

1.21. Mit Schreiben des BFA vom 03.03.2021 wurde der BF über das Ergebnis der Beweisaufnahme – die beabsichtigte Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK – in Kenntnis gesetzt.

1.22. Mit Bescheid vom 28.04.2021 wies das BFA den Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG) in Verbindung mit § 10 Abs. 3 AsylG (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass die Abschiebung des BF nach Serbien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Über den BF wurde gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 „Z 0“ FPG ein auf die Dauer von „3 Jahr/Jahren“ [drei Jahren] befristetes Einreiseverbot erlassen.

1.23. Mit Bescheid vom 05.05.2021 berichtigte das BFA den Bescheid vom 28.04.2021.

1.24. Der BF erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG).

Vorgebracht wurde, dass seine Eltern und seine Kinder sowie seine vier Enkelkinder in Österreich leben würden. Er habe seit nunmehr vier Jahren auch eine Lebensgefährtin, die er heiraten wolle. Auch seine beiden Brüder würden in Österreich leben.

1.25. Das BVwG führte am 03.09.2021 eine öffentliche, mündliche Verhandlung durch, zu der der BF mit seinem gewillkürten Vertreter und seiner Lebensgefährtin persönlich erschien.

Der BF gab an, dass seine fünf Kinder, seine Eltern, seine Geschwister und seine Brüder in Österreich leben würden und er in Serbien keine Angehörigen mehr habe.

Die Straftaten habe er begangen, als er süchtig gewesen sei. Er besuche nunmehr eine Therapie und nehme an einem Substitutionsprogramm teil.

1.26. Mit Schreiben seines Vertreters vom 16.09.2021 legte der BF medizinische Unterlagen seines Vaters sowie eine Geburtsurkunde vor und gab an, dass er für seinen Vater zweimal wöchentlich Einkaufen gehe und auch sonstige Behördengänge für ihn erledige. Er helfe ihm auch fallweise in der Wohnung und bei der Körperpflege.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschrift der Einvernahme des BF am 22.06.2020, den angefochtenen Bescheid sowie die gegenständliche Beschwerde, die Einvernahme des BF und seiner Lebensgefährtin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG und die vom BF im Verfahren vorgelegten Unterlagen.

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

3.1. Der BF ist Staatsangehöriger Serbiens, hat früher den Namen XXXX getragen und führt nunmehr den Namen XXXX , geboren am XXXX . Seine Muttersprache ist Serbisch. Die BF spricht auch Deutsch, Rumänisch und Englisch.

3.2. Der BF hat in Serbien sieben Jahre lang die Grundschule und in Österreich ein Jahr lang die Hauptschule sowie ein halbes Jahr lang eine Polytechnische Schule besucht. Danach hat er verschiedene Hilfstätigkeiten als Lagerarbeiter, Kommissionierer und in der Reinigung ausgeführt.

3.3. Der BF hat am 23.06.1995 die österreichische Staatsangehörige XXXX (nunmehr XXXX ) geheiratet. Diese Ehe wurde am 09.08.2001 rechtskräftig in Serbien geschieden. Am 11.02.2002 hat der BF unter falschem Namen und falscher Identität ( XXXX , geboren XXXX ) erneut die Ehe mit seiner Frau XXXX , geschlossen.

Der BF ist Vater von fünf Kindern:
XXXX , geboren am XXXX
XXXX , geboren am XXXX
XXXX , geboren am XXXX
XXXX , geboren am XXXX
XXXX , geboren am XXXX

Der BF hat seit etwa drei Jahren eine Lebensgefährtin, XXXX , geboren am XXXX , und lebt mit dieser im gemeinsamen Haushalt.

Die Eltern des BF leben seit dem Jahr 1989 in Wien. Sie sind getrennt, der BF hat zu beiden Elternteilen Kontakt. Der Vater des BF leidet an Multipler Sklerose, der BF geht etwa zweimal pro Woche für ihn Einkaufen, kümmert sich um ihn und übernimmt seine Behördengänge.

3.4. Der BF reiste im Alter von 14 Jahren mit seiner Familie nach Österreich. Von 28.07.1989 bis 28.07.1994 verfügte der BF über Sichtvermerke. Von 01.10.1994 bis 01.02.1995 hielt sich der BF ohne Sichtvermerke im Bundesgebiet auf.

Der BF stellte Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung, die mit Bescheiden der zuständigen Behörde abgewiesen wurden. Auch dagegen erhobene Berufungen wurde abgewiesen. Gegen den BF wurde ein Aufenthaltsverbot erlassen. Die Anträge auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes wurden abgewiesen. Am 30.05.1997 wurde der BF nach Serbien abgeschoben.

Unter seiner Falschidentität stellte der BF am 17.01.2002 einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltsbewilligung, die dem BF erteilt wurde. Dem BF wurde ein „Niederlassungsnachweis“, gültig von 23.03.2004 bis 22.03.2014, erteilt. Die Verfahren über die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung wurden aufgrund der Falschidentität des BF von Amts wegen wiederaufgenommen und dem BF keine Aufenthaltsberechtigungen nach dem NAG erteilt.

Am 08.06.2009 stellte der BF unter der Identität XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Antrag wurde abgewiesen und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde ebenfalls abgewiesen.

Am 06.03.2018 stellte der BF gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG.

3.5. Der BF hat das ÖSD-Zertifikat Deutsch A2 am 24.04.2017 sehr gut bestanden.

3.6. Er hat einen Basiskurs für Reinigungsmitarbeiter besucht und verfügt über eine Einstellungszusage eines Reinigungsunternehmens vom 31.08.2021.

3.7. Die BF wies laut Ergebnis der Einschau in das Zentrale Melderegister zu folgenden Zeitpunkten eine Meldeadresse (Hauptwohnsitz) im Bundesgebiet auf:

?        25.05.2009 – 22.06.2009 XXXX in 1080 Wien (JA Wien-Josefstadt)

?        22.06.2009 – 24.08.2009 XXXX in 1110 Wien (JA Wien-Simmering)

?        22.04.2013 – 24.06.2013 XXXX in 1080 Wien (JA Wien-Josefstadt)

?        24.06.2013 – 23.07.2013 XXXX in 1110 Wien (JA Wien-Simmering)

?        10.06.2014 bis 27.04.2020 XXXX in 1230 Wien

?        27.04.2020 – laufend XXXX in 1220 Wien

Davor war der BF unter dem Namen XXXX an mehreren Adressen in Österreich gemeldet.

3.8. Strafgerichtliche Verurteilungen:

3.8.1. Der BF wurde 10.08.1994 vom Landesgericht für Strafsachen Wien, C E VR 3629/94 HV 3063/94, gemäß §§ 127, 129 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

3.8.2. Am 03.07.1996 wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen Wien, A VR 3815/96 HV 2843/96, gemäß §§ 12 StGB sowie 12 und 16 SGG zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.

3.8.3. Am 03.07.2009 wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen Wien, 2 HV 45/2009Z, gemäß §§ 15, 127, 129 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, davon sieben Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

3.8.4. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.05.2013, 111 Hv 47/2013i, wurde der BF gemäß §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, acht Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

3.8.5. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.01.2016, 61 Hv 158/2015y, wurde der BF gemäß §§ 15 StGB, 28a Abs. 1 sechster Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt.

3.9. Der BF war drogensüchtig, befindet sich nunmehr aber in einem Substitutionsprogramm und besucht regelmäßig eine Therapie.

Er leidet an Depressionen, Bandscheibenproblemen, Cephalea und einem Schädel-Hirn-Trauma aus 2013. Er nimmt Medikamente und Schlafmittel.

4. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.

Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus seinen Angaben vor dem BFA, in der Beschwerde, in der mündlichen Beschwerdeverhandlung und der im Akt einliegenden Kopie der Geburtsurkunde des BF. Die Identität des BF steht fest.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zu den Lebensumständen des BF in Serbien und Österreich stützen sich auf die Angaben des BF vor dem BFA, in der Beschwerde, in der Beschwerdeverhandlung sowie auf die Angaben seiner Lebensgefährtin in der Beschwerdeverhandlung und auf die von ihm vorgelegten Urkunden sowie die eingeholten Registerabfragen des BVwG (Strafregister, Zentrales Melderegister, Fremdenregister).

5. Rechtliche Beurteilung:

5.1. Anzuwendendes Recht:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das FPG und das AsylG verweisen, anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-VG in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1.         der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2.         die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

5.2. Rechtlich folgt daraus:

Zu Spruchteil A):

5.2.1. Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde am 14.05.2021 beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 21.05.2021 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

5.2.2. Zur Beschwerde:

Das Vorbringen in der Beschwerde war geeignet, eine anderslautende Entscheidung herbeizuführen.

5.2.3. Zu den Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides:

5.2.3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Aufenthaltsberechtigung):

Der BF hat am 06.03.2018 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG gestellt.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1.       dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2.       der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ist bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Bei der Abwägung, die durch Art. 8 EMRK vorgeschrieben wird, stehen die Interessen des Fremden an seinem Verbleib im Inland, die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützt sind, dem öffentlichen Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes gegenüber.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) und des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der VwGH feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hierfür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979). Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der VwGH feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Nach der Rechtsprechung des EGMR sind Kinder aus einer Familienbeziehung im Sinne des Art. 8 EMRK allein auf Grund ihrer Geburt und von diesem Zeitpunkt an ipso iure Teil dieser Familie. Mit der Trennung der Eltern endet nicht automatisch das Familienleben eines der Elternteile zu seinem minderjährigen Kind. Zur Beurteilung der Frage, ob ein „Familienleben“ im Sinne des Art. 8 EMRK besteht, ist im Einzelfall auf das tatsächliche Vorliegen enger persönlicher Bindungen („close personal ties“) abzustellen, wobei es insbesondere auf das nachweisliche Interesse des betreffenden Elternteiles am Kind und sein diesbezügliches Engagement ankommt (vgl. EGMR 03.12.2009, Zaunegger gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 22028/04, Randnummer 37 und 38; VwGH 28.06.2011, 2008/01/0583).

Gemäß der Rechtsprechung des VfGH sind die Auswirkungen der Rückkehrentscheidung und die Konsequenzen einer Außerlandesbringung des BF auf das Kindeswohl zu berücksichtigen (vgl. VfGH 24.09.2018, E 1416/2018-14). Wie der VfGH in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine Aufenthaltsbeendigung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt (vgl. EGMR 21.06.1988, Fall Berrehab, Appl. 10.730/84 [Z 21]; 26.5.1994, Fall Keegan, Appl. 16.969/90 [Z 44]). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (EGMR 19.02.1996, Fall Gül, Appl. 23.218/94 [Z 32]).

Ferner ist es nach Auffassung des EGMR ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können. Davon ausgehend kann eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohles zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung und somit zu einer Verletzung des Art. 8 EMRK führen (vgl. VfGH 28.02.2012, B 1644/10 mit Hinweis auf EGMR 31.01.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99 sowie insbesondere EGMR 28.06.2011, Fall Nunez, Appl. 55.597/09; 02.10.2016, E 1349/2016).

Der VwGH hat in seiner Judikatur eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, im Ergebnis allerdings dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden (oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug) der Fall ist. Insbesondere schwerwiegende kriminelle Handlungen, aus denen sich eine vom Fremden ausgehende Gefährdung ergibt, können die Erlassung einer Rückkehrentscheidung daher auch dann tragen, wenn diese zu einer Trennung von Familienangehörigen führt (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0359, mwN; 08.04.2020, Ra 2020/14/0108).

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das Kinderwohl nicht nur dann zu berücksichtigen, wenn eine Rückkehrentscheidung gegenüber einer minderjährigen Person ergeht. Vielmehr ist es auch dann zu beachten, wenn die Rückkehrentscheidung sich gegen die Eltern einer minderjährigen Person richtet. […] Nach alledem ist Art. 5 der Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit Art. 24 der Charta dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten vor Erlass einer mit einem Einreiseverbot verbundenen Rückkehrentscheidung das Wohl des Kindes gebührend zu berücksichtigen haben, selbst wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um einen Minderjährigen, sondern um dessen Vater handelt. […] Diese Vorschrift ist also an sich schon weit gefasst und auf Entscheidungen anwendbar, die – wie etwa eine gegen einen Drittstaatsangehörigen, der Vater eines Minderjährigen ist, erlassene Rückkehrentscheidung – nicht an den Minderjährigen gerichtet sind, aber weitreichende Folgen für ihn haben (EuGH 11.03.2021, Rs C-112/30).

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration ist erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der VwGH hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwN).

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist laut ständiger Rechtsprechung des VwGH regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen, und es kann grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0340, mwN). Diese Rechtsprechungslinie betraf allerdings nur Konstellationen, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden – abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich – sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0054; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001). In Fällen gravierender Kriminalität und daraus ableitbarer hoher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht die Zulässigkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch gegen langjährig in Österreich befindliche Fremde, selbst wenn sie Ehegatten österreichischer Staatsbürger sind, nicht in Frage (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249 mwN).

Der Aspekt der Bindungen zum Heimatstaat steht in direkter Beziehung zur Integration im Bundesgebiet: Je länger der Aufenthalt im Gastland, desto stärker wird der Verlust an Bindungen zum Heimatland sein. Mit der Abnahme von Bindungen zum Herkunftsstaat wird in der Regel auch der Integrationsgrad im Bundesgebiet zunehmen. […] (Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 858 f.).

Wird einem Fremden sowohl ein Beherrschen der deutschen Sprache als auch in der Vergangenheit ausgeübte Erwerbstätigkeiten und das Vorhandensein von Einstellungszusagen zugestanden, kann keine Rede davon sein, dass er sich überhaupt nicht integriert hätte; dass insbesondere Einstellungszusagen keine Bedeutung zukommt, trifft in Zusammenhang mit einem langjährigen Aufenthalt nicht zu (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168; vgl. E 30.06.2016, Ra 2016/21/0165).

5.2.3.2. Vor dem Hintergrund der in § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG normierten Integrationstatbestände, die zur Beurteilung eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sind, ist in der gegenständlichen Rechtssache der Eingriff in das Privat- und Familienleben der BF nicht durch die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen gerechtfertigt. Dies aus folgenden Gründen:

Die BF befindet sich (mit vergleichsweise kurzen Unterbrechungen) seit dem Jahr 1989 (sohin seit knapp 30 Jahren) in Österreich. Entsprechend der oben dargestellten ständigen Judikatur des VwGH ist bei einer derart langen Aufenthaltsdauer regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen.

In Österreich leben die fünf Kinder, wovon zwei noch minderjährig sind, sowie vier Enkelkinder des BF. Auch die Eltern und Brüder des BF leben in Österreich. Der Vater des BF leidet an Multipler Sklerose und wird vom BF versorgt. Dieser geht für ihn einkaufen und unterstützt ihn bei Behördengängen und der Pflege. In Serbien hat der BF keine Angehörigen mehr.

Der BF hat zudem seit etwa vier Jahren eine Lebensgefährtin, mit der er im gemeinsamen Haushalt lebt und die er zu heiraten beabsichtigt.

Aufgrund seines überaus langen Aufenthaltes spricht der BF auch Deutsch. Er hat das ÖSD-Zertifikat Deutsch auf Niveau A2 sehr gut bestanden und ist diversen Erwerbstätigkeiten nachgegangen. Der BF verfügt über eine Einstellungszusage eines Reinigungsunternehmens.

Aufgrund der dargelegten Umstände ergibt sich, dass der BF über ein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich verfügt. Wie dargestellt, beruhen die drohenden Verletzungen des Privat- und Familienlebens auf Umständen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

Es wird nicht verkannt, dass der BF mehrmals straffällig wurde und zum Teil unbedingte Freiheitsstrafen verbüßt hat. Er hat seine Straftaten jedoch in Zusammenhang mit seiner Suchtmittelerkrankung begangen, und liegt seine letzte Verurteilung bereits fast sechs Jahre zurück, seitdem hat sich der BF wohlverhalten. Zudem besucht der BF nunmehr eine Therapie und nimmt an einem Substitutionsprogramm aufgrund seiner Drogenabhängigkeit teil.

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG überwiegt daher das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet (bzw. dem Nichtausstellen eines Aufenthaltstitels).

5.2.3.3. Zur Aufenthaltsberechtigung:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

3.       dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

4.       der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

Gemäß § 9 Abs. 4 IntG, in der Fassung BGBl. I Nr. 42/2020, ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1.       einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

2.       […]

Die Übergangsbestimmung gemäß § 81 Abs. 36 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (NAG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, lautet:

„Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG gilt als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.“

§ 14a NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 wurde aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2017 mit Ablauf des 08.06.2017, trat jedoch gemäß § 82 Abs. 24 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017 rückwirkend mit 09.06.2017 in Kraft und mit Ablauf des 30.09.2017 außer Kraft und lautete samt Überschrift:

„Modul 1 der Integrationsvereinbarung

§ 14a. (1) Drittstaatsangehörige sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

(2) Der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 haben Drittstaatsangehörige binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 nachzukommen. Unter Bedachtnahme auf die persönlichen Lebensumstände des Drittstaatsangehörigen kann der Zeitraum der Erfüllungspflicht auf Antrag mit Bescheid verlängert werden. Diese Verlängerung darf die Dauer von jeweils zwölf Monaten nicht überschreiten; sie hemmt den Lauf der Fristen nach § 15.

(3) Für die Dauer von fünf Jahren ab Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 werden bereits konsumierte Zeiten der Erfüllungspflicht auf den Zeitraum der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 2 angerechnet.

(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1.       einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses vorlegt,

2.       einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 vorlegt,

3.       über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht oder

4.       einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 besitzt.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 14b) beinhaltet das Modul 1. [...]“

Der bezuggenommene § 14 NAG samt Überschrift lautete:

„Integrationsvereinbarung

§ 14. (1) Die Integrationsvereinbarung dient der Integration rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassener Drittstaatsangehöriger (§ 2 Abs. 2). Sie bezweckt den Erwerb von vertieften Kenntnissen der deutschen Sprache, um den Drittstaatsangehörigen zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich zu befähigen.

(2) Die Integrationsvereinbarung besteht aus zwei aufeinander aufbauenden Modulen:

1.       das Modul 1 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung;

2.       das Modul 2 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur selbständigen Sprachverwendung.

(3) Die näheren Bestimmungen zu den Inhalten der Module 1 und 2 der Integrationsvereinbarung hat der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festzulegen.“

Auszug aus der Bezug genommenen Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung – NAG-DV, Stammfassung: BGBl. II Nr. 451/2005):

„Zu § 21a NAG

Nachweis von Deutschkenntnissen

§ 9b.

(1) Kenntnisse der deutschen Sprache zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau im Sinne des § 21a Abs. 1 NAG entsprechen dem A1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen, Berlin u.a., Langenscheidt 2001).

(2) Als Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse im Sinne des § 21a Abs. 1 NAG gelten allgemein anerkannte Sprachdiplome oder Kurszeugnisse von folgenden Einrichtungen:

1.

Österreichisches Sprachdiplom Deutsch;

2.

Goethe-Institut e.V.;

3.

Telc GmbH;

4.

Österreichischer Integrationsfonds.

(3) Aus dem Sprachdiplom oder Kurszeugnis muss hervorgehen, dass der Fremde über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest auf A1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt. Andernfalls gilt der Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse als nicht erbracht.“

Der BF hat das ÖSD-Zertifikat Deutsch A2 am 24.04.2017 erfolgreich bestanden und erfüllt somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Die Aufenthaltstitel gelten gemäß § 54 Abs. 2 AsylG zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum. Die Formulierung im Spruch (Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von zwölf Monaten) folgt den Ausführungen des VwGH im Erkenntnis vom 17.12.2019, Ra 2019/18/0281.

5.2.4. Aufgrund der Zuerkennung des Aufenthaltstitels waren die Spruchpunkte II. bis V. des angefochtenen Bescheides zu beheben.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH zu den Voraussetzungen für die Glaubhaftmachung des Vorliegens der Voraussetzungen für Asyl und subsidiären Schutz sowie für die Gewährung eines Aufenthaltstitels auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen sowie eine Interessenabwägung maßgeblich für die zu treffende Entscheidung waren.

Beschluss des VwGH vom 31.08.2017, Ra 2017/21/0041-13: „Die Interessenabwägung und eine Gefährdungsprognose, denen jeweils eine einzelfallbezogene Beurteilung zugrunde liegt, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nämlich dann nicht revisibel, wenn wie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurden (vgl. den hg. Beschluss vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0284, mwN).“

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Deutschkenntnisse Integration Interessenabwägung Lebensgemeinschaft Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W191.1408081.2.00

Im RIS seit

05.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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