Entscheidungsdatum
12.10.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W189 2237343-2/13E
W189 2237341-3/15E
W189 2237339-2/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX geb. XXXX und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Florian KREINER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1.) XXXX , Zl. XXXX , 2.) XXXX , Zl. XXXX , und 3.) XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkt I. – IV. der angefochtenen Bescheide wird als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und gemäß § 9 BFA-VG wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, und gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ sowie XXXX und XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
III. Im Übrigen wird der Beschwerde stattgegeben und die angefochtenen Bescheide der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin in den Spruchpunkten VI. – VIII. sowie der angefochtene Bescheid des Drittbeschwerdeführers in den Spruchpunkten VI. – VII. ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge: die BF1) ist die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge: die BF2) und des Drittbeschwerdeführers (in der Folge: der BF3). Zusammen werden sie als „die BF“ bezeichnet.
1. Die BF reisten gemeinsam mit einem weiteren Sohn der BF1, XXXX , geb. XXXX , spätestens am XXXX illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom XXXX , Zlen. XXXX , XXXX und XXXX , wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ihnen wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 07.04.2011 erteilt (Spruchpunkt III.).
3. Die befristete Aufenthaltsberechtigung der BF wurde mehrfach, zuletzt mit Bescheiden vom XXXX bis zum XXXX verlängert.
4. Am XXXX stellten die BF Anträge auf erneute Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.
5. Mit Schreiben vom XXXX informierte das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) die BF über die mögliche Einleitung eines Aberkennungsverfahrens und gewährte eine Frist zur Stellungnahme, welcher seitens der BF am XXXX nachgekommen wurde.
6. Am XXXX wurden die BF1 und die BF2 vom BFA niederschriftlich einvernommen.
7. Mit Schreiben vom XXXX wurde der BF3 seitens des BFA zur Vorlage etwaiger weiterer medizinischer Unterlagen aufgefordert, dem am XXXX , XXXX und XXXX nachgekommen wurde.
8. Mit den als Bescheiden bezeichneten Erledigungen des BFA vom XXXX wurden diese Anträge abgewiesen (Spruchpunkt I.), der den BF zuerkannte Status der subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen die Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte entzogen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde den BF nicht erteilt (Spruchpunkt IV.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt V.), sowie die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt (Spruchpunkt VI.) und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VII.). Gegen die BF1 wurde zudem ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren erlassen (Spruchpunkt VIII.).
9. Gegen diese Erledigungen brachten die BF fristgerecht Beschwerde ein.
10. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , wurde diese Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen, da die bekämpften Erledigungen des BFA mangels rechtswirksamer Zustellung an den bevollmächtigten Vertreter der BF keinen Bescheidcharakter hatten.
11. Mit der als Bescheid bezeichneten Erledigung des BFA XXXX wurde der Antrag der BF2 erneut abgewiesen (Spruchpunkt I.), der ihr zuerkannte Status der subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt II.) und ihr die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte entzogen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde der BF2 nicht erteilt (Spruchpunkt IV.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt V.), sowie die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt (Spruchpunkt VI.) und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VII.). Gegen die BF2 wurde zudem ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren erlassen (Spruchpunkt VIII.).
12. Gegen diese Erledigung brachte die BF2 fristgerecht Beschwerde ein.
13. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX wurde diese Beschwerde erneut gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen, da die bekämpfte Erledigung des BFA neuerlich mangels rechtswirksamer Zustellung an den bevollmächtigten Vertreter der BF2 keinen Bescheidcharakter hatte.
14. Mit den nunmehr korrekt zugestellten, angefochtenen Bescheiden des BFA wurden die Anträge der BF auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen (Spruchpunkt I.), der ihnen zuerkannte Status der subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen die Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte entzogen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde den BF nicht erteilt (Spruchpunkt IV.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt V.), sowie die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt (Spruchpunkt VI.) und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VII.). Gegen die BF1 und die BF2 wurde zudem ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren erlassen (Spruchpunkt VIII.).
15. Gegen diese Bescheide brachten die BF fristgerecht Beschwerde ein und monierten aus näher genannten Gründen die Rechtswidrigkeit des Inhaltes der Bescheide, ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, eine mangelhafte Bescheidbegründung und eine mangelhafte Beweiswürdigung.
16. Am XXXX übermittelte das BFA eine Kontrollmitteilung der Österreichischen Botschaft XXXX über einen Aufenthalt der BF in der Russischen Föderation.
17. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an welcher die BF und ihre Rechtsvertretung teilnahmen. Die BF wurden ausführlich zu ihrer Person, den Rückkehrbefürchtungen und der Integration im Bundesgebiet befragt, sowie ihnen Gelegenheit gegeben, zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihnen mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen.
18. Am XXXX langten Integrationsunterlagen der BF beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt)
1.1. Zur Person der BF
Die BF1 ist die Mutter der BF2 und des BF3 sowie eines weiteren Sohnes namens XXXX , geb. XXXX . Die Identität der BF steht fest.
Sie sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, der Religionsgemeinschaft der Muslime und der Volksgruppe der Tschetschenen zugehörig. Sie sind ledig. Die BF1 spricht Tschetschenisch und Russisch, die BF2 Tschetschenisch und ein wenig Russisch, der BF3 spricht Tschetschenisch.
Die BF1 wurde in XXXX , Republik Tschetschenien, geboren, und ist dort zumindest teilweise aufgewachsen. Die BF2 wurde in Aserbaidschan und der BF3 in der Russischen Föderation geboren. Die BF haben zuletzt in der Republik Tschetschenien gelebt.
Die BF1 hat im Herkunftsstaat von XXXX die Grundschule besucht und hat als Marktverkäuferin gearbeitet. Die Eltern der BF1 sind verstorben. Ihre drei verheirateten Schwestern und ihr Bruder leben in der Republik Tschetschenien. Ihr Bruder und die Ehemänner ihrer Schwestern sind erwerbstätig. Die BF1 hat Kontakt zu ihren Angehörigen.
Die BF verfügen über russische Auslandsreisepässe. Die BF1 verfügt zudem mindestens seit XXXX über eine Wohnsitzmeldung in XXXX und einen am XXXX ausgestellten russischen Inlandspass. Die BF1 ist zwischen XXXX viermal für Aufenthalte von rund einer Woche bis hin zu etwa zwei Monaten – insgesamt rund 4 ½ Monate – in die Russische Föderation gereist, um dort ihren kranken Vater zu besuchen. Zuletzt waren die BF1 und der BF3 in etwa vom XXXX bis zum XXXX , die BF2 vom XXXX bis zum XXXX in der Russischen Föderation aufhältig, wobei jedenfalls die BF1 bei der versuchten Wiedereinreise in die EU am XXXX an der polnisch-belarussischen Grenze zurückgewiesen wurde und den BF schließlich aufgrund einer Grenzempfehlung der Österreichischen Botschaft XXXX die Wiedereinreise zu den genannten Daten gestattet wurde.
Die BF leiden an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Die BF1 leidet an chronischer Migräne, Sinusitis, Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie steht in psychotherapeutischer Behandlung. Die BF2 ist gesund. Der BF3 stand aufgrund eines Überrolltraumas und folgender Fehlstellung des rechten Beins im Herkunftsstaat nach seiner Einreise in Österreich in ärztlicher Behandlung und wurde mehrfach operiert. Er war bis ungefähr XXXX pflegebedürftig. Aktuell ist der BF3 eingeschränkt mobil. Es stehen unmittelbar keine weiteren medizinischen Eingriffe an. Er steht in psychotherapeutischer Betreuung.
1.2. Zu den Asylverfahren der BF und ihrer Situation im Falle einer Rückkehr
1.2.1. Die BF stellten nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom XXXX Zlen. XXXX , XXXX und XXXX , wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt, da der BF1 als alleinstehende Frau eine Rückkehr mit ihren drei Kleinkindern, darunter der gehbehinderte BF3, der noch medizinische Behandlung benötige, nicht zumutbar sei.
Mit Bescheiden vom XXXX wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung der BF zuletzt bis zum XXXX verlängert. Am XXXX stellten die BF zuletzt Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.
Mit gegenständlich angefochtenen Bescheiden des BFA wurde den BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten aberkannt, da zwei ihrer drei Kinder inzwischen erwachsen seien und der BF3 keine dauerhafte medizinische Behandlung mehr benötige. Zudem seien die BF zuletzt in der Russischen Föderation aufhältig gewesen.
1.2.2. Die persönlichen Umstände der BF haben sich seit Zuerkennung bzw. Verlängerung des Status der subsidiär Schutzberechtigten wesentlich geändert. Den BF ist die Rückkehr in den Herkunftsort der BF1 zumutbar.
Im Falle einer Rückkehr würden sie in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden. Sie laufen nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.
Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat sind die BF nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation
1.3.1. Sicherheitslage in Tschetschenien
Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).
Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).
Quellen:
? Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%
? Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019
? Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus
? Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus
? Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot
1.3.2. Allgemeine Menschenrechtslage in Tschetschenien
NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten (ÖB Moskau 12.2019). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 13.2.2019). Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird, und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. BAMF 11.2019).
In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten (ÖB Moskau 12.2019).
Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen (AA 13.2.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtinge (11.2019): Länderreport 21 Russische Föderation, LGBTI in Tschetschenien
• ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation
1.3.3. Frauen im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien
Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich zum Teil von der in anderen Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen sind laut NGOs nach wie vor ein Problem in Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019).
Die Realität in Tschetschenien ist, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Auch die Religion ist ein Rückschlag für die Frauen und stellt sie in eine den Männern untergeordnete Position (EASO 9.2014, vgl. Welt.de 14.2.2017).
Häusliche Gewalt, die überall in Russland ein großes Problem darstellt, gehört in den nordkaukasischen Republiken zum Alltag (Welt.de 14.2.2017). Zivilgesellschaftliche Initiativen widmen sich der Unterstützung nordkaukasischer Frauen und bieten etwa psychologische, rechtliche und medizinische Hilfe an: z.B. die Organisationen „Women for Development“ und „SINTEM“ in Tschetschenien und „Mat‘ i Ditja“ (Mutter und Kind) in Dagestan (ÖB Moskau 12.2019). Im Jahr 2019 eröffnete in Tschetschenien die Organisation Women for Development - eine der ältesten und angesehensten Organisationen in Tschetschenien - mit Unterstützung des Zuschussprogramms für NGOs ein Krisenzentrum für Frauen. Es gab auch Pläne, ein Frauenhaus zu eröffnen; aufgrund der engen familiären Bindungen, die in der Republik herrschen, wäre es aber schwierig gewesen, die Einrichtung vor Männern und ihren Familien geheim zu halten, darum scheiterte dieses Vorhaben. Beamte haben das hohe Maß an Scheidung und häuslicher Gewalt anerkannt und ein Komitee zur Verhütung von Familienkonflikten unter dem Spirituellen Ausschuss der Muslime der Republik Tschetschenien eingerichtet. Mehrere NGOs, die Teil der Koalition der Frauen-NGOs im Nordkaukasus sind, arbeiten an den Themen häusliche Gewalt und Unterstützung für Frauen. „Zulässige“ Themen müssen jedoch in die allgemeine Logik traditioneller, kultureller, spiritueller, religiöser und nationaler Bräuche und Werte passen. Es ist auch wichtig anzumerken, dass die Mehrheit der NGO-Direktoren und Mitarbeiter in Tschetschenien Frauen sind. Der Ausweg aus der humanitären Nachkriegskrise lag direkt auf den Schultern der Frauen, da sich die Mehrheit der männlichen Bevölkerung nicht frei bewegen konnte und ständigen Bedrohungen und Kontrollen ausgesetzt war. Da Frauen in Tschetschenien, als Folge der lokalen traditionellen Kultur, als verantwortlich für Empathie und Fürsorge angesehen werden, sind sie diejenigen, die die meisten gemeinnützigen und sozialen Projekte zusammenstellen, als Psychologinnen arbeiten, sich freiwillig für Kinder engagieren und sich mit den Themen von Familien mit niedrigem Einkommen und Menschen mit Behinderungen beschäftigen (CSIS 1.2020).
Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht als Vergewaltigung angesehen. Vergewaltigung ist in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet, sie passieren auch in Polizeistationen. Es handelt sich um ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an. Sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie würde isoliert und stigmatisiert werden, und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als an der Vergewaltigung schuld gesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
• CSIS – Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus
• EASO – European Asylum Support Office (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautenführung; Waisenhäuser)
• ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation
• Welt.de (14.2.2017): Immer ein echter Mann zu sein – das ist eine Last
1.3.4. Bewegungsfreiheit
In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 13.3.2019).
Quelle:
• US DOS – United States Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland
1.3.5. Grundversorgung im Nordkaukasus
Die nordkaukasischen Republiken stechen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 7.2020a; vgl. ÖB Moskau 12.2018), obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind. Dennoch hat sich die wirtschaftliche Lage im Nordkaukasus in den letzten Jahren einigermaßen stabilisiert. Wenngleich die föderalen Transferzahlungen wichtig bleiben, konnten in den vergangenen Jahren dank des massiven Engagements der Föderalen Behörden, insbesondere des Nordkaukasus-Ministeriums, signifikante Fortschritte bei der sozio-ökonomischen Entwicklung der Region erzielt werden (ÖB Moskau 12.2019). Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung. Die Bevölkerungspyramide ähnelt derjenigen eines klassischen Entwicklungslandes mit hohen Geburtenraten und niedrigem Durchschnittsalter, und unterscheidet sich damit stark von der gesamtrussischen Altersstruktur (AA 13.2.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat
• ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation
1.3.6. Sozialbeihilfen
Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab; eine finanzielle Beteiligung der Profitierenden ist nicht notwendig. Alle Leistungen stehen auch Rückkehrern offen (IOM 2018).
Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2020c).
Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017). Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:
• Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);
• Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);
• Familien mit geringem Einkommen;
• Studenten, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015).
Familienbeihilfe: Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.120 Rubel (ca. 44 €). Bei einem zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.131 Rubel (ca. 87 €). Der maximale Betrag liegt bei 22.120 Rubel (ca. 313 €) (IOM 2018). Seit 2018 gibt es für einkommensschwache Familien für Kleinkinder (bis 1,5 Jahre) monetäre Unterstützung in Höhe des regionalen Existenzminimums. Ab 2020 soll der Kreis der berechtigten Familien erweitert werden (Russland Analysen 21.2.2020a).
Behinderung: ArbeitnehmerInnen mit einem Behindertenstatus haben das Recht auf eine Behindertenrente. Dies gilt unabhängig von der Ursache der Behinderung. Diese wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Rentenalters (IOM 2018).
Arbeitslosenunterstützung: Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Die Mindesthöhe pro Monat beträgt 850 Rubel (12 €) und die Maximalhöhe 4.900 Rubel (70 €). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2018).
Quellen:
• BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft,
• IOM – International Organisation of Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation
• Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382
1.3.7. Medizinische Versorgung
Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert (GIZ 7.2020c; vgl. ÖB Moskau 12.2018). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land. Am Meldeamt nur temporär registrierte Personen haben Zugang zu notfallmäßiger medizinischer Versorgung, während eine permanente Registrierung stationäre medizinische Versorgung ermöglicht. Fälle von Diskriminierung auf Grund von Religion oder ethnischer Herkunft bezüglich der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen sind nicht bekannt (ÖB Moskau 12.2019).
Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. StaatsbürgerInnen haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM 2018; vgl. ÖB Moskau 12.2019). Jede/r russische Staatsbürger/in, egal ob er einer Arbeit nachgeht oder nicht, ist von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 12.2019).
Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Dienstleistungen gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten der öffentlichen und privaten Kliniken (IOM 2018; vgl. ÖB Moskau 12.2019), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 27.11.2018).
Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig (GIZ 7.2020c). Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 7.2020c; vgl. AA 13.2.2019). Kostenpflichtig sind einerseits Sonderleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind) (ÖB Moskau 12.2019).
Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 12.2019). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). In Notfällen sind Medikamente in Kliniken, wie auch an Ambulanzstationen, kostenfrei erhältlich. Gewöhnlich kaufen russische Staatsbürger ihre Medikamente jedoch selbst. Bürgerinnen mit speziellen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u.a. durch kostenfreie Medikamente, Behandlung und Transport. Die Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 2018). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann (ÖB Moskau 12.2019). Im Zuge der Lokalisierungspolitik der Russischen Föderation sinkt der Anteil an hochwertigen ausländischen Medikamenten. Es wurde über Fälle von Medikamenten ohne oder mit schädlichen Wirkstoffen berichtet. Als Gegenmaßnahme wurde 2018 ein neues System der Etikettierung eingeführt, sodass nun nachvollzogen werden kann, wo und wie die Arzneimittel hergestellt und bearbeitet wurden. Die Medikamentenversorgung ist zumindest in den Großstädten gewährleistet und teilweise kostenfrei (AA 13.2.2019).
Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (DIS 1.2015; vgl. AA 13.2.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft
• GTAI – German Trade and Invest (27.11.20186): Russlands Privatkliniken glänzen mit hohem Wachstum
• DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014
• IOM – International Organisation of Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation
• ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation
1.3.8. Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten
Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten (BMA 12248).
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar (BMA 12248). Dies gilt auch für Tschetschenien (BMA 11412). Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (Kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen [EMDR] und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 11184), gibt es in Tschetschenien eine begrenzte Anzahl von Psychiatern, die Psychotherapien wie kognitive Verhaltenstherapie und Narrative Expositionstherapie anbieten (BMA 11412). Diverse Antidepressiva sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 12132, BMA 11412).
Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien psychische Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischer Probleme zwischen 700-2.000 Rubel (ca. 8-24€). In diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).
Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (auch in Tschetschenien). Eine Auswahl von verfügbaren Antidepressiva in Tschetschenien und in der Russischen Föderation sind: Sertralin (BMA 12132, BMA 11412), Escitalopran (BMA 12248, BMA 11412), Trazodon (BMA 12248, BMA 11543), Citalopram (BMA 11933, BMA 11412), Fluoxetin (BMA 11933, BMA 11412).
Quellen:
• International SOS via MedCOI (3.4.2019): BMA 12248
• International SOS via MedCOI (8.8.2018): BMA 11412
• International SOS via MedCOI (25.2.2019): BMA 12132
• International SOS via MedCOI (3.9.2018): BMA 11543
• International SOS via MedCOI (21.12.2018): BMA 11933
• International SOS via MedCOI (31.5.2018): BMA 11184
• BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country
• Fact Sheet via MedCOI
1.3.9. Rückkehr
Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft etwa bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung von Problemen zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Im Normalfall sind Rückkehrer aber nicht immer mit Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert (ÖB Moskau 12.2019).
Es besteht keine allgemeine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit von Rückkehrern in den Nordkaukasus. Vereinzelt gibt es Fälle von Tschetschenen, die im Ausland einen negativen Asylbescheid erhalten haben, in ihre Heimat zurückgekehrt sind und nach ihrer Ankunft unrechtmäßig verfolgt worden sind. Das unabhängige Informationsportal Caucasian Knot schreibt in einem Bericht vom April 2016 von einigen wenigen Fällen, in denen Tschetschenen, denen im Ausland kein Asyl gewährt worden ist, nach ihrer Abschiebung drangsaliert worden wären (ÖB Moskau 12.2019). Nach einer aktuellen Auskunft eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für jene ergeben, die schon vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 12.2019).
Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Polizei gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 13.2.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
• ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation
1.4. Zur Situation der BF in Österreich
Die BF waren vom XXXX bis XXXX als Asylwerber und sind seither als subsidiär Schutzberechtigte legal in Österreich aufhältig.
Die BF1 ist seit XXXX bei einem Unternehmen zur Arbeitskräfteüberlassung als Hilfskraft erwerbsgemeldet. Sie hat im Jahr XXXX einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht und verfügt über genügend Deutschkenntnisse, um Alltagssituationen selbständig meistern zu können. Sie hat in Österreich Freunde und Bekannte sowie eine Halbschwester, mit der sie in Kontakt steht.
Die BF2 beendete nach Besuch einer Volksschule von XXXX und einer Neuen Mittelschule von XXXX ihre Schulpflicht. Am XXXX erwarb sie den „ECDL Base“ Computerführerschein. Vom XXXX besuchte sie das vom WAFF geförderte Ausbildungsprojekt „ XXXX “ zur Vorbereitung des Einstiegs in das Erwerbsleben und erhielt dafür ein Kursgeld. Vom XXXX und im XXXX erwarb sie berufspraktische Erfahrung im Berufsbild Rechtsanwaltsassistentin und vom XXXX im Berufsbild zahnärztliche Assistentin. Die BF war vom XXXX und ist seit XXXX als Arbeit suchend vorgemerkt. Sie bewirbt sich initiativ um einen Beruf.
Der BF3 beendete nach Besuch einer Volksschule von XXXX und einer Neuen Mittelschule von XXXX seine Schulpflicht. Seit XXXX besucht er das vom Sozialministerium geförderte, einjährige Ausbildungsprojekt „ XXXX “ zur Vorbereitung des Einstiegs in das Erwerbsleben und erhält dafür ein Kursgeld.
Die BF2 und der BF3 haben ausgezeichnete Deutschkenntnisse und weitreichende freundschaftliche Beziehungen in Österreich.
Die BF wohnen in XXXX in einer 77 m² großen Mietwohnung im gemeinsamen Haushalt.
Der ältere Sohn der BF1, XXXX , lebt in einer eigenen Mietwohnung in XXXX . Mit von ihm angefochtenen, beim Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren anhängigen Bescheid vom XXXX erkannte ihm das BFA den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab und erließ eine Rückkehrentscheidung mitsamt achtjährigem Einreiseverbot gegen ihn.
Die BF1 und die BF2 beziehen Leistungen aus der Grundversorgung, der BF3 ist seit XXXX aus der Grundversorgung abgemeldet.
Die BF sind strafgerichtlich unbescholten.
Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX wurde ein gegen den BF3 geführtes Strafverfahren wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB im Sinne einer Diversion gemäß §§ 203 Abs. 1, 199 StPO iVm § 7 JGG für eine Probezeit von zwei Jahren vorläufig eingestellt, wobei der Rücktritt davon abhängig ist, dass der BF3 sich durch einen Bewährungshelfer betreuen lässt, den entstandenen Schaden von EUR 180,- nach Kräften wiedergutmacht und die bereits begonnene Psychotherapie fortsetzt. Dem BF3 wurde vorgeworfen, im Zusammenwirken mit einem Mittäter einem anderen ein Mobiltelefon weggenommen bzw. abgenötigt zu haben, indem er am XXXX gemeinsam mit seinem Mittäter auf das Opfer zukam und ihm sagte, sie wären von der Kriminalpolizei und als das Opfer ihn daraufhin auslachte, zu ihm sagte, er werde ihn schlagen, wobei er ihn gleichzeitig aufforderte, sein Geld herauszugeben, und als ihm die vom Opfer ausgehändigten EUR 2,- zu wenig waren und das Opfer weggehen wollte, dieses am Arm packte und in Richtung in der Nähe stehender Mülltonnen zog und ihm damit drohte, ihn zu schlagen, wenn dieser ihm nicht sein Handy übergebe, woraufhin das Opfer ihm dieses aus Angst übergab. Das Strafgericht ging davon aus, dass aufgrund des bisherigen tadellosen Lebenswandels des BF3, der reumütigen Verantwortung, des sehr jungen Alters, der geringen Tatfolgen und der Bereitschaft zur Schadensgutmachung von keiner schweren Schuld auszugehen ist, weshalb die Voraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen vorlagen.
2. Beweiswürdigung
2.1. Zur Person der BF
Die Familienverhältnisse der BF folgen dem unstrittigen Akteninhalt. Die Identität der BF wurde bereits im Zuerkennungsverfahren festgestellt und steht zudem aufgrund der in den Akten befindlichen Kopien ihrer russischen Auslandsreisepässe fest.
Die Feststellungen zur Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit der BF (AS 3 und 117 in Akt I der BF1; AS 3 in Akt I der BF2 und des BF3; AS 26 in Akt II der BF1), ihren Familienstand (Verhandlungsprotokoll S. 10) und ihren Sprachkenntnissen (AS 24 in Akt II der BF1; Verhandlungsprotokoll S. 3) folgen ihren ebenso unbestrittenen und glaubhaften Angaben im Zuerkennungs- und Aberkennungsverfahren.
Die Feststellungen über die Geburts- und die Aufenthaltsorte der BF folgen ihren glaubhaften Angaben (AS 3 bis 11 in Akt I der BF1; AS 3 f und 21 in Akt I der BF2 und des BF3).
Die Feststellungen über die Schulbildung und Arbeitserfahrung der BF1, das Ableben ihrer Eltern (AS 3 bis 11 in Akt I der BF1; Verhandlungsprotokoll S. 6; Beilage ./5), den Aufenthalt sowie die Erwerbstätigkeit ihrer Geschwister (AS 28 in Akt II der BF1; Verhandlungsprotokoll S. 6) – obgleich sie hierzu einmal den Besitz eines Lebensmittelgeschäftes, dann aber eine Tätigkeit als Bauarbeiter angab, weshalb lediglich (aber auch ausreichend) deren Erwerbstätigkeit an sich festzustellen war – und den bestehenden Kontakt (AS 28 in Akt II der BF1) ergeben sich aus ihrem plausiblen Vorbringen im Zuerkennungs- und Aberkennungsverfahren bzw. hinsichtlich des Ablebens ihres Vaters auch einer vorgelegten Sterbeurkunde.
Die Feststellungen zu den russischen Auslandsreisepässen der BF, der Wohnsitzmeldung der BF1 in XXXX , ihrem russischen Inlandspass, zu den Aufenthalten der BF in der Russischen Föderation, der Zurückweisung und der Grenzempfehlung ergeben sich aus den Berichten der Österreichischen Botschaft in XXXX (OZ 2 der BF1 und des BF3; OZ 9 der BF2) und des PKZ XXXX (OZ 2 in XXXX ) sowie den dies nicht bestreitenden Angaben der BF1 in der mündlichen Verhandlung (Verhandlungsprotokoll S. 7, 9 f).
Auf den Angaben der BF und den vorgelegten ärztlichen Unterlagen beruht auch der festgestellte Gesundheitszustand der BF1 (AS 11, 25, 133 und 144 bis 154 in Akt II der BF1; Beilage ./1), der BF2 (Verhandlungsprotokoll S. 3) und des BF3 (AS 57 bis 185, 281 f, 303 bis 307, 337 bis 343, 361, 381 f, 409 bis 413, 457 und 461 in Akt I des BF3; AS 3 bis 19, 59, 65 und 121 in Akt II des BF3; Verhandlungsprotokoll S. 5; Beilage ./2).
2.2. Zu den Asylverfahren der BF und ihrer Situation im Falle einer Rückkehr
2.2.1. Die Feststellungen zu den den subsidiären Schutz zuerkennenden und aberkennenden Bescheiden des BFA (bzw. vormals des Bundesasylamtes) beruhen auf dem unstrittigen Akteninhalt.
2.2.2. Dass sich die persönlichen Umstände der BF seit der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten bzw. seit der letzten Verlängerung im XXXX wesentlich verändert (d.h. verbessert) haben, folgt im Wesentlichen aus den bereits oben gewürdigten Feststellungen. Die Kinder der BF1 sind inzwischen nicht mehr im kleinkindlichen Alter, sondern wurden ihr ältester Sohn im Jahr XXXX und die BF2 im Jahr XXXX volljährig und ist der BF3 nunmehr XXXX Jahre alt. Der BF3 ist nach den in Österreich durchgeführt Operationen nunmehr eingeschränkt mobil und ungefähr seit XXXX nicht mehr pflegebedürftig. Die BF1 hat somit nicht mehr auf sich allein gestellt für den Unterhalt der Familie zu sorgen, sondern sind ihre Kinder inzwischen aufgewachsen, gebildet und fähig, am Erwerbsleben teilzunehmen.
Wie bereits gewürdigt, hat die BF1 erwerbstätige Angehörige in Tschetschenien, mit denen sie in Kontakt steht. Auch aufgrund der mehrmaligen Besuche kann davon ausgegangen werden, dass die Familienbande weiterhin bestehen, zumal nichts anderes vorgebracht wurde. Es sind im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass die BF im Falle einer Rückkehr auf dieses soziale Netz und die damit verbundene Unterstützung nicht zurückgreifen könnten. Die BF könnten zudem staatliche Sozialleistungen wie Arbeitslosenunterstützung in Anspruch nehmen. Die BF sind darüber hinaus grundsätzlich arbeitsfähig – wenn auch bei der BF1 von einer geringeren Belastbarkeit auszugehen ist und beim BF3 gewisse Einschränkungen in der Mobilität zu bedenken sind – und verfügen über Schulbildung. Mit Tschetschenisch beherrschen die BF die Sprache ihrer Heimatregion; die BF1 spricht darüber hinaus Russisch und es ist der BF2 und dem BF3, auch vor dem Hintergrund ihres noch jungen Alters, zumutbar, diese Sprache ebenso zu erlernen. Somit ist die Existenzgrundlage der BF, gespeist durch die mögliche eigene Erwerbstätigkeit, die verwandtschaftliche sowie die staatliche Unterstützung, im Falle einer Rückkehr gesichert. Die BF1 behauptete zwar in der mündlichen Verhandlung, dass die BF2 und der BF3 mit der Kultur ihrer Herkunftsregion nicht vertraut seien (Verhandlungsprotokoll S. 8), doch kann dem angesichts des Umstandes, dass die für die Erziehung der BF2 und des BF3 verantwortliche BF1 selbst dort sozialisiert wurde, die BF2 und der BF3 ebenso zumindest im Kleinkindalter dort aufgewachsen sind und zuletzt – wenn auch offenkundig nicht gänzlich freiwillig – über rund XXXX dort aufhältig waren und die BF2 sich mitunter auch freiwillig entsprechend der tschetschenischen Sitten kleidet, nicht gefolgt werden. Wenn auch aufgrund des langjährigen Aufenthaltes in Österreich davon ausgegangen werden kann, dass die BF2 und der BF3 kaum Bezug zu Tschetschenien haben (insoweit auch glaubhaft in Verhandlungsprotokoll S. 13 f), ist aber doch davon auszugehen, dass die BF2 und der BF3 zumindest mit den Eckpfeilern der tschetschenischen Gewohnheiten und Werte vertraut sind. Im Übrigen leiden die BF an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung und sind die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auch in der Russischen Föderation behandelbar. Mag eine Rückkehr aufgrund des langjährigen Aufenthaltes im Ausland auch mit anfänglichen Schwierigkeiten verbunden sein, sind damit doch insgesamt keine Gründe (mehr) dafür hervorgekommen, dass die BF im Falle einer Rückkehr in den Heimatort in Tschetschenien in eine völlig ausweglose Lage geraten würden.
Dass im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat die BF in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären, ist anhand der Länderberichte nicht objektivierbar. Zwar wurden von der BF1 in der mündlichen Verhandlung ansatzweise die im Zuerkennungsverfahren behaupteten Fluchtgründe erneut vorgebracht, doch wurden diese nach Rücksprache mit ihrer rechtlichen Vertretung offenkundig wieder verworfen (Verhandlungsprotokoll S. 8 f) und stünde dem ohnehin die Rechtskraft des Bescheides des Zuerkennungsverfahrens, in welchem diese Gründe bereits (zu Recht) als unglaubhaft verworfen wurden, entgegen.
Sonstige außergewöhnliche Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen, haben die BF nicht angegeben und sind auch vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nicht hervorgekommen.
2.3. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus dem im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation vom XXXX wiedergegebenen und zitierten Länderberichten, die im entscheidungswesentlichen Umfang weiterhin aktuell sind. Diese gründen sich auf den jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter Punkt II.1.3. zitiert.
2.4. Zur Situation der BF in Österreich
Die Feststellung über die Aufenthaltsdauer der BF im Bundesgebiet ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.
Die Feststellungen über die Erwerbsmeldung der BF1 (Verhandlungsprotokoll S. 11; OZ 11 in Akt II der BF1), den Besuch eines Deutschkurses (AS 24 in Akt II der BF1), ihren praktischen Deutschkenntnissen (Verhandlungsprotokoll S. 13) sowie ihren freundschaftlichen (Verhandlungsprotokoll S. 14) und verwandtschaftlichen (Verhandlungsprotokoll S. 10) Anknüpfungspunkten in Österreich folgen ihrem Vorbringen und der vorgelegten Anmeldung als Dienstnehmerin bzw. konnte sich die erkennende Richterin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung selbst ein Bild von den Deutschkenntnissen der BF1 machen. Dass die BF1 freundschaftliche Beziehungen in Österreich eingegangen ist, ist im Übrigen aufgrund ihres langjährigen Aufenthaltes lebensnah.
Die Feststellungen über den abgeschlossenen Schulbesuch der BF2 (AS 79 in Akt II der BF2; Beilage ./4), den erworbenen Computerführerschein (AS 82 in Akt II der BF2), den Besuch des Ausbildungsprojekts „ XXXX “ (Beilage ./4), die Berufspraktika (AS 81 und 83 in Akt II der BF2; Beilage ./4), ihre Meldung als Arbeitssuchende (Beilage ./4) und, dass sie sich auch initiativ um einen Beruf bewirbt (Verhandlungsprotokoll S. 11 f) stützen sich ebenso auf ihre glaubhaften Ausführungen und die jeweils vorgelegten Bestätigungen.
Die Feststellungen über den abgeschlossenen Schulbesuch des BF3 (AS 149 in Akt II des BF3) und den Besuch des Ausbildungsprojekts „ XXXX “ (Beilage ./3) beruhen gleichfalls auf den glaubhaften Angaben des BF3 und den jeweiligen Bestätigungen.
Im Übrigen konnte sich die erkennende Richterin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung selbst von den ausgezeichneten Deutschkenntnissen der BF2 und des BF3 überzeugen (Verhandlungsprotokoll S. 12). Dass beide weitreichende freundschaftliche Anknüpfungspunkte in Österreich gefunden haben (Verhandlungsprotokoll S. 13 und 14), ist vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sie in Österreich aufgewachsen sind und hier seit vielen Jahren leben, glaubhaft und lebensnah.
Die Feststellung über die Wohnsituation der BF und den gemeinsamen Haushalt stützt sich auf ihr Vorbringen (Verhandlungsprotokoll S. 13), den vorgelegten Mietvertrag (OZ 11 in Akt II der BF1) und dies bestätigende Melderegisterabfragen.
Dass der ältere Sohn der BF1 nicht mehr im gemeinsamen Haushalt lebt, folgt aus ihrem Vorbringen (Verhandlungsprotokoll S. 11). Die Feststellung über den Verfahrensstand dieses älteren Sohnes ergibt sich aus dem Akteninhalt des beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Verfahrens zur Zahl XXXX .
Die Feststellungen über den Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung ergeben sich aus eingeholten Auszügen aus dem Grundversorgungssystem.
Dass die BF strafgerichtlich unbescholten sind, beruht wiederum auf einer Einsichtnahme in das österreichische Strafregister.
Die Feststellungen über das diversionell erledigte Strafverfahren gegen den BF3 gründen sich schließlich auf den im Akt einliegenden, festgestellten Beschluss des Landesgerichts XXXX (OZ 14 in Akt II des BF3).
3. Rechtliche Beurteilung
Zum Spruchteil A)
3.1. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide
3.1.1. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht (1. Fall) oder nicht mehr (2. Fall) vorliegen.
Gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 und 3 leg.cit. sind weitere Aberkennungsgründe, wenn der Fremde den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß Abs. 4 leg.cit. ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.
3.1.2. Zur richtlinienkonformen Interpretation
Artikel 16 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (in der Folge: Status-RL), über das Erlöschen des subsidiären Schutzes lauten:
„(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser hat keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist.
(2) Bei Anwendung des Absatzes 1 berücksichtigen die Mitgliedstaaten, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.“
Art. 19 Abs. 1 und 4 lauten:
„(1) Bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG gestellt wurden, erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannten subsidiären Schutzstatus ab, beenden diesen oder lehnen seine Verlängerung ab, wenn die betreffende Person gemäß Artikel 16 nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.
(4) Unbeschadet der Pflicht des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, gemäß Artikel 4 Absatz 1 alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen, weist der Mitgliedstaat, der ihm den subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat, in jedem Einzelfall nach, dass die betreffende Person gemäß den Absätzen 1 bis 3 dieses Artikels keinen oder nicht mehr Anspruch auf subsidiären Schutz hat.“
3.1.3. Die belangte Behörde bezog sich im angefochtenen Bescheid auf den Aberkennungstatbestand nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.
Im zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 leg.cit., in dem die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen, wird auf eine Änderung der Umstände abgestellt, die so wesentlich und nicht nur vorübergehend ist, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hatte, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Um die Voraussetzungen der Aberkennung objektiv zu erfüllen, muss eine entsprechende Nachhaltigkeit der positiven Veränderungen im Herkunftsland des Fremden gewährleistet sein. Dies erfordert im Regelfall eine längere Beobachtungsphase, anhand deren Verlaufs und den daraus zu ziehenden Schlussfolgeru