Entscheidungsdatum
12.10.2021Norm
AsylG 2005 §8 Abs4Spruch
W136 1411904-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, Zl. 791179310/180332407, zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides ersatzlos behoben.
II. Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass XXXX gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum XXXX erteilt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 28.09.2009 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz in Österreich.
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.02.2010, Zl. 09 11.793-BAG, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet für zulässig erklärt (Spruchpunkt III.).
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 03.03.2010 fristgerecht Beschwerde. Am 11.08.2021 zog der Beschwerdeführer die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 24.02.2021 zurück.
4. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.10.2011, Zl. C6 411.904-1/2010/8E, wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.10.2012 erteilt. Begründend wurde diesbezüglich ausgeführt, dass in den Länderfeststellungen zu Afghanistan begründete Anhaltspunkte zu finden seien, aus welchen hervorgehe, dass durch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan Art. 2 oder 3 MRK oder das Protokoll Nr. 6 zur MRK verletzt würde. Aus den Länderfeststellungen gehe hervor, dass die Sicherheits- und die Versorgungslage im ganzen Land prekär sei. Der Asylgerichtshof teile nicht die Ansicht des Bundesasylamtes, das aus seinen eigenen Feststellungen einen gegenteiligen Schluss ziehe. Diese Einschätzung des Asylgerichtshofes entspreche seiner überwiegenden Spruchpraxis. Daher könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan eine Gefahr iSd Art. 3 MRK drohe und eine Rückführung im Widerspruch zu Art. 3 MRK stehe.
5. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer mehrere Anträge (zuletzt am 29.09.2016) auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, welchen allesamt stattgegeben wurde.
6. Dem letzten Antrag vom 29.09.2016 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 11.10.2016 stattgegeben und dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 24.10.2018 erteilt. Begründend wurde darin ausgeführt, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers iVm seinem Vorbringen bzw. seinem Antrag das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet werden würde.
7. Daraufhin wurde der Beschwerdeführer vom BFA am 20.10.2017 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari einvernommen und insbesondere hinsichtlich seiner Familienverhältnisse sowie seiner mehrmaligen Ausreise in den Iran (2013 und 2017 befragt). Dabei brachte er im Wesentlichen vor, dass er eine Ehefrau habe, die nunmehr im Iran aufhältig und zum damaligen Zeitpunkt schwanger gewesen sei.
8. Am 29.01.2018 wurde der Beschwerdeführer zur DNA-Analyse geladen, welche mit einer 99,999 %-igen Wahrscheinlichkeit eine Vaterschaft zu dem am XXXX im Iran geborenen XXXX ergab.
9. Am 06.04.2018 wurde der Beschwerdeführer über die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens informiert und ihm dazu eine Stellungnahmefrist von 14 Tagen eingeräumt.
10. Am 23.04.2018 langte die Stellungnahme des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers ein, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer bereits seit August 2017 einen Aufenthaltstitel in Österreich „Daueraufenthalt EU“ besitzen würde.
11. Daraufhin wurde am 04.05.2018 das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 31.07.2017, Zl. VGW-151/084/6028/2017-5, betreffend die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“ für den Beschwerdeführer übermittelt.
12. Am 14.05.2018 wurde das BFA von der LPD Niederösterreich über die Reisebewegung des Beschwerdeführers in den Iran vom 24.04.2018 bis zum 10.05.2018 verständigt.
13. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 18.05.2018 wurde der dem Beschwerdeführer mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.10.2011 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die mit diesem Erkenntnis vom 25.10.2011 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.).
Der bekämpfte Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten lediglich aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt herrschenden Sicherheitslage in Afghanistan sowie aufgrund des mangelnden sozialen Netzes und der fehlenden Erfahrung in Kabul sowie aufgrund seiner Unbescholtenheit zuerkannt bekommen habe. Selbst wenn die Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz Maidan Wardak noch nicht ganz sicher sei, so sei dennoch festzuhalten, dass es dem Beschwerdeführer laut aktueller Rechtsprechung nunmehr aus heutiger Sicht zumutbar sei nach Afghanistan, entweder nach Kabul, nach Mazar-e-Sharif oder Herat zurückzukehren und er dort für seinen Lebensunterhalt aufkommen bzw. Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen könne. Zudem werde festgestellt, dass es der Mutter des Sohnes des Beschwerdeführers ohne Probleme möglich gewesen sei von ihrem Aufenthaltsort im Iran im Jahr 2017 als damals hochschwangere Frau alleine nach Kabul zu reisen und sich dort die notwendigen Dokumente für ihren Einreiseantrag zu besorgen, wie der Beschwerdeführer selbst bei der Einvernahme am 20.10.2017 angegeben habe. Es habe nicht festgestellt werden können, dass dem Beschwerdeführer zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt in Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten, bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt habe keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in Afghanistan festgestellt werden können. Es habe ebensowenig festgestellt werden können, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan die notdürftige Lebensgrundlage entzogen wäre. Ebenfalls nicht festgestellt werden habe können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen sein würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.
Ferner werde jedoch festgestellt, dass im gegenständlichen Verfahren nicht über die Rückkehrentscheidung aus dem österreichischen Bundesgebiet entscheiden werde, zumal dem Beschwerdeführer am 31.07.2017 ein Aufenthalt nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (DA-EU) erteilt worden sei.
14. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtswidrig erfolgt sei, da mit Blick auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers zu erkennen sei, dass der Beschwerdeführer von der prekären Sicherheitslage in Afghanistan im Falle einer Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit individuell betroffen sei und dass es ihm nicht möglich sei, sich ohne reale Gefährdung insbesondere seiner durch Art. 2 und Art 3 EMRK geschützten Güter nach Afghanistan zu begeben. Zudem ergebe sich fallbezogen bereits aus der in ganz Afghanistan herrschenden prekären Sicherheits- und Versorgungslage, dass dem Beschwerdeführer der Aufenthalt in einem anderen Landesteil nicht gefahrlos möglich bzw. zumutbar sei. Die belangte Behörde hätte bei rechtskonformer Betrachten zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit einer ausweglosen Lage konfrontiert sei und aufgrund der derzeit schlechten Sicherheits- sowie Versorgungslage im Herkunftsland bei einer Rückkehr jedenfalls eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bestehen würde. Auch wenn mangels eines rechtswidrigen Aufenthaltes keine Rückkehrentscheidung erfolgt sei, seien diese Umstände zu den Länderberichten zu würdigen und ergebe sich dadurch die Unzulässigkeit der Aberkennung des subsidiären Schutzes.
15. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom BFA vorgelegt und sind am 25.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu Person und Rückkehrmöglichkeit des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Weiters spricht er gut Deutsch.
Er wurde am XXXX in Afghanistan (Maydan Wardak) geboren und hat bis zu seiner Ausreise im Jahr 2008 dort seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Von dort ist er zunächst in den Iran und dann mittels Schlepper weiter illegal nach Österreich gereist.
Der Beschwerdeführer ist seit 25.10.2011 subsidiär schutzberechtigt. Seit 31.07.2017 besitzt er den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“.
Er ist im Jahr 2013, 2017 und 2018 jeweils in den Iran gereist, wo er die von ihm als seine Ehefrau bezeichnete XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , besucht hat. Mit ihr hat er einen dort am XXXX geborenen mj. Sohn, XXXX .
Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig und geht in Österreich einer selbstständigen Arbeit (Gewerbe „Güterbeförderung“) nach.
Er ist gesund und leidet nicht an lebensbedrohenden Krankheiten.
Der Beschwerdeführer ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafrechtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer verfügt über kein familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan, zumal nicht festgestellt werden konnte, ob die Eltern des Beschwerdeführers noch in Afghanistan bzw. am Leben sind und bejahendenfalls in der Lage und willens sind, den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu unterstützen. Von der im Iran lebenden Mutter seines Kindes bzw seinem mj. Sohn kann keine finanzielle Unterstützung erwartet werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 18.05.2018 wurde dem Beschwerdeführer der mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.10.2011 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt und ihm die zuletzt mit Bescheid vom 11.10.2016 bis zum 24.10.2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen.
Wie sich aus den aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan ergibt, hat sich die Sicherheitslage in dem Land in der jüngeren Vergangenheit massiv verschlechtert. Die im angefochtenen Bescheid als innerstaatliche Fluchtalternative angenommene Hauptstadt Kabul wurde am 15.08.2021 von den Taliban eingenommen (vgl. https://www.bbc.com/news/world-58232525; https://orf.at/stories/3225011/; jeweils eingesehen am 11.10.2021). Beinahe sämtliche Distrikte Afghanistans werden mit Stand 11.10.2021 von den Taliban kontrolliert, die übrigen Distrikte sind umkämpft (vgl. https://www.longwarjournal.org/mapping-taliban-control-in-afghanistan, eingesehen am 11.10.2021).
Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan (einschließlich der urbanen Gebiete, insbesondere Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif) konnte nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.10.2011 derart wesentlich und nachhaltig verändert haben, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen.
1.2. Zur Lage in Afghanistan
1.2.1. Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS (Version 5 vom 16.09.2021, generiert am 11.10.2021).
Sicherheitslage
Jüngste Entwicklungen - Machtübernahme der Taliban
Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu (RFE/RL 12.5.2021; vgl. SIGAR 30.4.2021, BAMF 31.5.2021, UNGASC 2.9.2021), aber auch schon zuvor galt die Sicherheitslage in Afghanistan als volatil (UNGASC 17.3.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Laut Berichten war der Juni 2021 der bis dahin tödlichste Monat mit den meisten militärischen und zivilen Opfern seit 20 Jahren in Afghanistan (TN 1.7.2021; vgl. AJ 2.7.2021). Gemäß einer Quelle veränderte sich die Lage seit der Einnahme der ersten Provinzhauptstadt durch die Taliban - Zaranj in Nimruz - am 6.8.2021 in "halsbrecherischer Geschwindigkeit" (AAN 15.8.2021), innerhalb von zehn Tagen eroberten sie 33 der 34 afghanischen Provinzhauptstädte (UNGASC 2.9.2021). Auch eroberten die Taliban mehrere Grenzübergänge und Kontrollpunkte, was der finanziell eingeschränkten Regierung dringend benötigte Zolleinnahmen entzog (BBC 13.8.2021). Am 15.8.2021 floh Präsident Ashraf Ghani ins Ausland und die Taliban zogen kampflos in Kabul ein (ORF 16.8.2021; vgl. TAG 15.8.2021). Zuvor waren schon Jalalabad im Osten an der Grenze zu Pakistan gefallen, ebenso wie die nordafghanische Metropole Mazar-e Scharif (TAG 15.8.2021; vgl. BBC 15.8.2021). Ein Bericht führt den Vormarsch der Taliban in erster Linie auf die Schwächung der Moral und des Zusammenhalts der Sicherheitskräfte und der politischen Führung der Regierung zurück (ICG 14.8.2021; vgl. BBC 13.8.2021, AAN 15.8.2021). Die Kapitulation so vieler Distrikte und städtischer Zentren ist nicht unbedingt ein Zeichen für die Unterstützung der Taliban durch die Bevölkerung, sondern unterstreicht vielmehr die tiefe Entfremdung vieler lokaler Gemeinschaften von einer stark zentralisierten Regierung, die häufig von den Prioritäten ihrer ausländischen Geber beeinflusst wird (ICG 14.8.2021), auch wurde die weit verbreitete Korruption, beispielsweise unter den Sicherheitskräften, als ein Problem genannt (BBC 13.8.2021).
Im Panjshir-Tal, rund 55 km von Kabul entfernt (TD 20.8.2021), formierte sich nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul Mitte August 2021 Widerstand in Form der National Resistance Front (NRF), welche von Amrullah Saleh, dem ehemaligen Vizepräsidenten Afghanistans und Chef des National Directorate of Security [Anm.: NDS, afghan. Geheimdienst], sowie Ahmad Massoud, dem Sohn des verstorbenen Anführers der Nordallianz gegen die Taliban in den 1990ern, angeführt wird. Ihr schlossen sich Mitglieder der inzwischen aufgelösten Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) an, um im Panjshir-Tal und umliegenden Distrikten in Parwan und Baghlan Widerstand gegen die Taliban zu leisten (LWJ 6.9.2021; vgl. ANI 6.9.2021). Sowohl die Taliban, als auch die NRF betonten zu Beginn, ihre Differenzen mittels Dialog überwinden zu wollen (TN 30.8.2021; vgl. WZ 22.8.2021). Nachdem die US-Streitkräfte ihren Truppenabzug aus Afghanistan am 30.8.2021 abgeschlossen hatten, griffen die Taliban das Pansjhir-Tal jedoch an. Es kam zu schweren Kämpfen und nach sieben Tagen nahmen die Taliban das Tal nach eigenen Angaben ein (LWJ 6.9.2021; vgl. ANI 6.9.2021), während die NRF am 6.9.2021 bestritt, dass dies geschehen sei (ANI 6.9.2021). Mit Stand 6.9.2021 war der Aufenthaltsort von Saleh und Massoud unklar, jedoch verkündete Massoud, in Sicherheit zu sein (AJ 6.9.2021) sowie nach Absprachen mit anderen Politikern eine Parallelregierung zu der von ihm als illegitim bezeichneten Talibanregierung bilden zu wollen (IT 8.9.2021).
Weitere Kampfhandlungen gab es im August 2021 beispielsweise im Distrikt Behsud in der Provinz Maidan Wardak (AAN 1.9.2021; vgl. AWM 22.8.2021, ALM 15.8.2021) und in Khedir in Daikundi, wo es zu Scharmützeln kam, als die Taliban versuchten, lokale oder ehemalige Regierungskräfte zu entwaffnen (AAN 1.9.2021). [Anm.: zum Widerstand im Distrikt Behsud s. auch Abschnitt 6.5]
Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften ist die Zahl der zivilen Opfer deutlich zurückgegangen (PAJ 15.8.2021; vgl PAJ 21.8.2021).
Vorfälle am Flughafen Kabul
Nachdem sich die Nachricht verbreitete, dass Präsident Ashraf Ghani das Land verlassen hatte, machten sich viele Menschen auf den Weg zum Flughafen, um aus dem Land zu fliehen (NLM 26.8.2021; BBC 8.9.2021c, UNGASC 2.9.2021). Im Zuge der Evakuierungsmissionen von Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan (ORF 18.8.2021) kam es in der Menschenmenge zu Todesopfern, nachdem tausende Menschen aus Angst vor den Taliban zum Flughafen gekommen waren (TN 16.8.2021). Unter anderem fand auch eine Schießerei mit einem Todesopfer statt (PAJ 23.8.2021).
Am 26.8.2021 wurde bei einem der Flughafeneingänge ein Selbstmordanschlag auf eine Menschenmenge verübt, bei dem mindestens 170 afghanische Zivilisten sowie 28 Talibankämpfer und 13 US-Soldaten, die das Gelände sichern sollten, getötet wurden. Der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) bekannte sich zu dem Anschlag (MEE 27.8.2021; vgl. AAN 1.9.2021). Die USA führten als Vergeltungsschläge daraufhin zwei Drohnenangriffe in Jalalabad und Kabul durch, wobei nach US-Angaben ein Drahtzieher des ISKP sowie ein Auto mit zukünftigen Selbstmordattentätern getroffen wurden (AAN 1.9.2021; vgl. BBC 30.8.2021). Berichten zufolge soll es bei dem Drohnenangriff in Kabul jedoch zu zehn zivilen Todesopfern gekommen sein (AAN 1.9.2021; vgl. NZZ 12.9.2021; BBC 30.8.2021).
Verfolgung von Zivilisten und ehemaligen Mitgliedern der Streitkräfte
Bereits vor der Machtübernahme intensivierten die Taliban gezielte Tötungen von wichtigen Regierungsvertretern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten (BBC 13.8.2021; vgl. AN 4.10.2020). Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme an, dass sie keine Vergeltung an Anhängern der früheren Regierung oder an Verfechtern verfassungsmäßig garantierter Rechte wie der Gleichberechtigung von Frauen, der Redefreiheit und der Achtung der Menschenrechte üben werden (FP 23.8.2021; vgl. BBC 31.8.2021, UNGASC 2.9.2021). Es gibt jedoch glaubwürdige Berichte über schwerwiegende Übergriffe von Taliban-Kämpfern, die von der Durchsetzung strenger sozialer Einschränkungen bis hin zu Verhaftungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und Entführungen junger, unverheirateter Frauen reichen. Einige dieser Taten scheinen auf lokale Streitigkeiten zurückzuführen oder durch Rache motiviert zu sein; andere scheinen je nach den lokalen Befehlshabern und ihren Beziehungen zu den Führern der Gemeinschaft zu variieren. Es ist nicht klar, ob die Taliban-Führung ihre eigenen Mitglieder für Verbrechen und Übergriffe zur Rechenschaft ziehen wird (ICG 14.8.2021). Auch wird berichtet, dass es eine neue Strategie der Taliban sei, die Beteiligung an gezielten Tötungen zu leugnen, während sie ihren Kämpfern im Geheimen derartige Tötungen befehlen (GN 10.9.2021). Einem Bericht zufolge kann derzeit jeder, der eine Waffe und traditionelle Kleidung trägt, behaupten, ein Talib zu sein, und Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchführen (AAN 1.9.2021; vgl. BAMF 6.9.2021). Die Taliban-Kämpfer auf der Straße kontrollieren die Bevölkerung nach eigenen Regeln und entscheiden selbst, was unangemessenes Verhalten, Frisur oder Kleidung ist (BAMF 6.9.2021; vgl. NLM 26.8.2021). Frühere Angehörige der Sicherheitskräfte berichten, dass sie sich weniger vor der Taliban-Führung als vor den einfachen Kämpfern fürchten würden (AAN 1.9.2021; vgl. BAMF 6.9.2021).
Es wurde von Hinrichtungen von Zivilisten und Zivilistinnen sowie ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte (ORF 24.8.2021; vgl. FP 23.8.2021, BBC 31.8.2021, GN 10.9.2021, Times 12.9.2021, ICG 14.8.2021) und Personen, die vor kurzem Anti-Taliban-Milizen beigetreten waren, berichtet (FP 23.8.2021). In der Provinz Ghazni soll es zur gezielten Tötung von neun Hazara-Männern gekommen sein (AI 19.8.2021). Während die Nachrichten aus weiten Teilen des Landes aufgrund der Schließung von Medienzweigstellen und der Einschüchterung von Journalisten durch die Taliban spärlich sind, gibt es Berichte über die Verfolgung von Journalisten (RTE 28.8.2021; vgl. FP 23.8.2021) und die Entführung einer Menschenrechtsanwältin (FP 23.8.2021). Die Taliban haben in den Tagen nach ihrer Machtübernahme systematisch in den von ihnen neu eroberten Gebieten Häftlinge aus den Gefägnissen entlassen (UNGASC 2.9.2021): Eine Richterin (REU 3.9.2021) wie auch eine Polizistin (GN 10.9.2021) gaben an, von ehemaligen Häftlingen verfolgt (REU 3.9.2021) bzw. von diesen identifiziert und daraufhin von den Taliban verfolgt worden zu sein (GN 10.9.2021).
Vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021
Die Sicherheitslage im Jahr 2020
Die Sicherheitslage verschlechterte sich im Jahr 2020, in dem die Vereinten Nationen 25.180 sicherheitsrelevante Vorfälle registrierten, ein Anstieg von 10% gegenüber den 22.832 Vorfällen im Jahr 2019 (UNASC 12.3.2021). Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielte nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, sodass es sich fast ausschließlich um einen afghanischen Krieg handelt, in dem sich Landsleute gegenseitig bekämpfen, wenn auch mit erheblicher ausländischer Unterstützung für beide Seiten. Seit der Vereinbarung vom 29.2.2020 haben die Taliban und die afghanische Regierung ihre Aktionen eher heruntergespielt als übertrieben, und die USA haben die Veröffentlichung von Daten zu Luftangriffen eingestellt (AAN 16.8.2020). Während die Zahl der Luftangriffe im Jahr 2020 um 43,6 % zurückging, stieg die Zahl der bewaffneten Zusammenstöße um 18,4 % (UNGASC 12.3.2021).
Zivile Opfer vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021
Zwischen dem 1.1.2021 und dem 30.6.2021 dokumentierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 5.183 zivile Opfer (1.659 Tote und 3.524 Verletzte). In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 und im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres dokumentierte UNAMA fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen (IEDs) durch regierungsfeindliche Kräfte (UNAMA 26.7.2021). Im gesamten Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das war ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (UNAMA 2.2021a; AIHRC 28.1.2021) und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021a).
Obwohl ein Rückgang von durch regierungsfeindliche Elemente verletzte Zivilisten im Jahr 2020 festgestellt werden konnte, der hauptsächlich auf den Mangel an zivilen Opfern durch wahlbezogene Gewalt und den starken Rückgang der zivilen Opfer durch Selbstmordattentate im Vergleich zu 2019 zurückzuführen ist, so gab es einen Anstieg an zivilen Opfer durch gezielte Tötungen, durch Opfern von aktivierte Druckplatten-IEDs und durch fahrzeuggetragene Nicht-Selbstmord-IEDs (VBIEDs) (UNAMA 2.2021a; vgl. ACCORD 6.5.2021b).
Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffen waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (AIHRC 28.1.2021). Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch haben aufständische Gruppen in Afghanistan ihre gezielten Tötungen von Frauen und religiösen Minderheiten erhöht (HRW 16.3.2021). Auch im Jahr 2021 kommt es weiterhin zu Angriffen und gezielten Tötungen von Zivilisten. So wurden beispielsweise im Juni fünf Mitarbeiter eines Polio-Impf-Teams (AP 15.6.2021; vgl. VOA 15.6.2021) und zehn Minenräumer getötet (AI 16.6.2021; vgl. AJ 16.6.2021).
Die von den Konfliktparteien eingesetzten Methoden, die die meisten zivilen Opfer verursacht haben, sind in der jeweiligen Reihenfolge folgende: IEDs und Straßenminen, gezielte Tötungen, Raketenbeschuss, komplexe Selbstmordanschläge, Bodenkämpfe und Luftangriffe (AIHRC 28.1.2021).
[…]
High Profile Attacks (HPAs) vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021
Vor der Übernahme der Großstädte durch die Taliban kam es landesweit zu aufsehenerregenden Anschlägen (sog. High Profile-Angriffe, HPAs) durch regierungsfeindliche Elemente. Zwischen dem 16.5. und dem 31.7.2021 wurden 18 Selbstmordanschläge dokumentiert, verglichen mit 11 im vorangegangenen Zeitraum, darunter 16 Selbstmordattentate mit improvisierten Sprengsätzen in Fahrzeugen (UNGASC 2.9.2021), die in erster Linie auf Stellungen der afghanischen Streitkräfte (ANDSF) erfolgten (UNGASC 2.9.2021; vgl. USDOD 12.2020). Darüber hinaus gab es 68 Angriffe mit magnetischen improvisierten Sprengsätzen (IEDs), darunter 14 in Kabul (UNGASC 2.9.2021).
Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten 'green-on-blue-attack': der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020). Seit Februar 2020 hatten die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermieden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 1.7.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein (UNGASC 17.3.2020).
Angriffe, die vom Islamischen Staat Khorasan Provinz (ISKP) beansprucht oder ihm zugeschrieben werden, haben zugenommen. Zwischen dem 16.5. und dem 18.8.2021 verzeichneten die Vereinten Nationen 88 Angriffe, verglichen mit 15 im gleichen Zeitraum des Jahres 2020. Die Bewegung zielte mit asymmetrischen Taktiken auf Zivilisten in städtischen Gebieten ab (UNGASC 2.9.2021).
Anschläge gegen Gläubige, Kultstätten und religiöse Minderheiten vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021
Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (TN 26.3.2020; vgl. BBC 25.3.2020, USDOD 1.7.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 26.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.5.2020, USDOD 1.7.2020). Auch 2021 kam es zu einer Reihe von Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen gegen religiöse Minderheiten, darunter eine Hazara-Versammlung in der Stadt Kunduz am 13.5.2021 und eine Sufi-Moschee in Kabul am 14.5.2021 sowie mehrere Personenkraftwagen, die entweder schiitische Hazara beförderten oder zwischen dem 1. und 12.6.2021 durch überwiegend von schiitischen Hazara bewohnte Gebiete in der Provinz Parwan und Kabul fuhren (UNGASC 2.9.2021). Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger waren im Jahr 2020 ein häufiges Ziel gezielter Anschläge (AIHRC 28.1.2021).
[…]
1.2.2. ACCORD: ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Überblick über die Sicherheitslage in Afghanistan, 30.08.2021 (Auszug)
Aktuelle sicherheitsrelevante Entwicklungen [Stand 30. August 2021]:
Am 28. August wurde berichtet, dass es zu einem Bombenanschlag auf den Kabuler Flughafen gekommen ist. Einem Artikel von BBC zufolge kamen dabei mindestens 95 Personen ums Leben, darunter 13 US-SoldatInnen. Über 150 Personen wurden verletzt. Der Anschlag ereignete sich Stunden nachdem westliche Regierungen ihre BürgerInnen gewarnt hatten, sich vom Flughafen fernzuhalten, da ein Angriff der Gruppe Islamischer Staat in der Provinz Khorasan (ISKP) drohe. (BBC, 28. August 2021) Wenige Tage später, am 29. August, kam es zu einem weiteren Angriff nahe des Kabuler Flughafens. Die USA erklärten, dass es sich dabei um einen US-Drohnenangriff handelte, der einen weiteren tödlichen Selbstmordanschlag auf den Flughafen verhinderte. Der Angriff zielte auf ein Fahrzeug, in dem sich mindestens eine mit dem IS-KP assoziierte Person befand, so US-Quellen. Die USA räumten ein, dass man über Berichte von zivilen Opfern in Folge des Drohnenangriffs informiert worden sei und diesen nachgehen werde. (BBC, 30. August 2021)
Am 28. August berichtet Al Jazeera, dass die Taliban den Kabuler Flughafen für die meisten AfghanInnen, die auf eine Evakuierung hoffen, abgeriegelten. Westliche Staats- und Regierungschefs räumten ein, dass sie einige ihrer BürgerInnen und Ortskräfte zurücklassen werden müssten. (Al Jazeera, 28. August 2021)
In einem in der Washington Post veröffentlichten Kommentar führt Barnett R. Rubin, ein ehemaliger leitender Berater des US-Außenministeriums, an, dass die afghanische Bevölkerung vor einer humanitären Katastrophe erschreckenden Ausmaßes stehe. (Washington Post, 24. August 2021) Laut einem BBC-Artikel vom 24. August habe ein Sprecher der Taliban Frauen dazu aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Dies sei eine vorübergehende Maßnahme bis ein für Frauen sicheres System eingeführt sei, so der Taliban-Sprecher weiters. (BBC, 24. August 2021) In einem aktuellen Artikel der International Crisis Group heißt es, dass Berichte über die momentane Situation in Afghanistan und über etwaige politische Pläne der Taliban sehr widersprüchlich seien. Zwar sind die vagen offiziellen Ankündigungen der Taliban bisweilen verhältnismäßig beruhigend, jedoch wird auch von Repressalien und Einschüchterungen derer, die mit der früheren Regierung und ihren ausländischen Unterstützern in Verbindung stehen, berichtet. So würden die uneinheitlichen und widersprüchlichen Signale noch keine klaren Tendenzen zur Zukunft des Landes erkennen lassen, so der ICG-Bericht. (ICG, 24. August 2021)
1.2.3. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Kurzinformation der Staatendokumentation – Aktuelle Entwicklungen und Informationen in Afghanistan, 20.08.2021 (Auszug, Grafiken nicht darstellbar)
Aktuelle Lage
Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (bbc.com o.D.a).
Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (orf.at o.D.a).
Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt
werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (bbc.com o.D.b).
Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (orf.at o.D.c).
Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (bbc.com o.D.d).
Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen auftraten. Dazu kamen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (zdf.de 18.8.2021).
Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SR-Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021 (VN 18.8.2021).
Exkurs:
Die Anführer der Taliban
Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen Taliban-Führer auch nach außen auf.
Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des Scharia-Gerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird.
Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die Taliban-Einsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht.
Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der Taliban-Regierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an.
Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (orf.at o.D.b; vgl. bbc.com o.D.c).
Stärke der Taliban-Kampftruppen
Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (orf.at o.D.b).
[…]
1.2.4. UNHCR-POSITION ZUR RÜCKKEHR NACH AFGHANISTAN, August 2021
Einleitung
1. Als Folge des Rückzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan hat sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage in großen Teilen des Landes rapide verschlechtert. Die Taliban haben in einer schnell wachsenden Anzahl an Provinzen die Kontrolle übernommen, wobei sich ihr Vormarsch im August 2021 nochmals beschleunigte, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen und schließlich den Präsidentenpalast in Kabul unter ihre Kontrolle brachten. Die stark zunehmende Gewalt hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern. UNHCR ist besorgt über die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern, sowie an Afghan*innen, bei denen die Taliban davon ausgehen, dass sie mit der afghanischen Regierung oder den internationalen Streitkräften in Afghanistan oder mit internationalen Organisationen im Land in Verbindung stehen oder standen.
2. Aufgrund des Konflikts sind seit Anfang 2021 Schätzungen zufolge über 550.000 Afghan*innen innerhalb des Landes neu vertrieben worden, davon 126.000 neue Binnenvertriebene allein zwischen 7. Juli und 9. August 2021.5 Während es bis dato noch keine genauen Zahlen gibt, wie viele Afghan*innen das Land aufgrund der Kampfhandlungen und Menschenrechtsverletzungen verlassen haben, haben Berichten zufolge zehntausende Afghan*innen in den letzten Wochen die Landesgrenzen überschritten.
Zugang zum Staatsgebiet und zu internationalem Schutz
3. Da die Situation in Afghanistan instabil und unsicher bleibt, fordert UNHCR alle Länder dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes durchgehend sicherzustellen. UNHCR weist auf die Notwendigkeit hin zu gewährleisten, dass das Recht, Asyl zu beantragen, nicht eingeschränkt wird, dass Grenzen offengehalten werden und dass Personen, die internationalen Schutzbedarf haben, nicht in Gebiete innerhalb ihres Herkunftslands zurückgedrängt werden, die möglicherweise gefährlich sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu berücksichtigen, dass Staaten auch gemäß Völkergewohnheitsrecht verpflichtet sind, die Grenzen für die vor dem Konflikt fliehende Zivilbevölkerung offen zu halten und Flüchtlinge nicht zwangsweise zurückzuführen. Der Non-Refoulement-Grundsatz beinhaltet auch die Nicht-Zurückweisung an der Grenze.
4. Alle Anträge auf internationalen Schutz von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan sollten in fairen und effizienten Verfahren im Einklang mit internationalem und regionalem Flüchtlingsrecht behandelt werden. UNHCR ist besorgt, dass die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan zu einem Anstieg des internationalen Schutzbedarfs von Personen, die aus Afghanistan fliehen, führen – sei es als Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention oder regionalen Flüchtlingsabkommen, sei es als anderweitig international Schutzberechtigte. Das gleiche gilt für diejenigen, die sich bereits vor der jüngsten Eskalation der Gewalt in Afghanistan in Aufnahmeländern befanden. Vor dem Hintergrund der volatilen Situation in Afghanistan begrüßt UNHCR den Schritt einiger Aufnahmeländer, Entscheidungen über den internationalen Schutzbedarf von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan auszusetzen, bis sich die Situation im Land stabilisiert hat und zuverlässige Informationen über die Sicherheits- und Menschenrechtslage verfügbar sind, um den internationalen Schutzbedarf der einzelnen Antragsteller*innen zu prüfen. Aufgrund der Unbeständigkeit der Situation in Afghanistan hält UNHCR es nicht für angemessen, afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan internationalen Schutz mit der Begründung einer internen Flucht- oder Neuansiedlungsperspektive zu verwehren.
5. Bei Personen, deren Asylgesuch vor den jüngsten Geschehnissen abgelehnt wurde, kann die aktuelle Situation in Afghanistan zu einer Änderung der Umstände führen, die im Rahmen eines Folgeantrags zu berücksichtigen sind.
6. Es kann Personen geben, die mit Taten in Verbindung stehen, aufgrund derer sie unter die Ausschlussklauseln von Artikel 1 F der Genfer Flüchtlingskonvention fallen. In diesen Fällen wird es notwendig sein, Fragen betreffend die persönliche Verantwortung für Verbrechen, die einen Ausschluss vom Flüchtlingsschutz begründen können, sorgfältig zu prüfen. Um den zivilen Charakter von Asyl zu bewahren, sollten Staaten zudem die Situation der Ankommenden sorgfältig prüfen, um bewaffnete Elemente zu identifizieren und diese von der geflüchteten Zivilbevölkerung zu trennen.
Empfehlung eines Abschiebestopps
7. Aufgrund der volatilen Situation in Afghanistan, die noch für einige Zeit unsicher bleiben kann, sowie der sich abzeichnenden humanitären Notlage fordert UNHCR die Staaten dazu auf, zwangsweise Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan auszusetzen – auch für jene, deren Asylanträge abgelehnt wurden. Ein Moratorium für zwangsweise Rückführungen nach Afghanistan sollte bestehen bleiben, bis sich die Situation im Land stabilisiert hat und geprüft wurde, wann die geänderten Umstände im Land eine Rückkehr in Sicherheit und Würde erlauben würden. Die Hemmung von zwangsweisen Rückführungen stellt eine Mindestanforderung dar, die bestehen bleiben muss, bis sich die Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtslage in Afghanistan signifikant verbessert haben, sodass eine Rückkehr in Sicherheit und Würde von Personen, bei denen kein internationaler Schutzbedarf festgestellt wurde, gewährleistet werden kann.
8. In Übereinstimmung mit den Zusagen der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen im Rahmen des Globalen Flüchtlingsforums, die Verantwortung für den internationalen Flüchtlingsschutz gerecht aufzuteilen, hält UNHCR es nicht für angemessen, afghanische Staatsangehörige und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan zwangsweise in Länder in der Region zurückzuführen, auch in Anbetracht der Tatsache, dass Länder wie der Iran und Pakistan jahrzehntelang großzügig die überwiegende Mehrheit der Gesamtzahl afghanischer Flüchtlinge weltweit aufgenommen haben.
UNHCR wird die Situation in Afghanistan weiterhin beobachten, um den internationalen Schutzbedarf, der sich aus der aktuellen Situation ergibt, zu prüfen.
2. Beweiswürdigung
2.1. Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Namensführung, Geburtsdatum, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache, Herkunftsprovinz, familiären Verhältnissen, Gesundheitszustand und beruflicher Tätigkeit ergeben sich aus dem diesbezüglich widerspruchsfreien und glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren.
Dass der Beschwerdeführer über ein familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan verfügt wird auch von der belangten Behörde nicht behauptet. Diese Annahme überzeugt im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens einheitlich getroffenen Ausführungen, wonach er zu seinen Eltern in Afghanistan kaum Kontakt habe und seine angebliche Ehefrau im Iran leben würde. Das Bundesverwaltungsgericht konnte auch nicht feststellen, dass die Eltern des Beschwerdeführers in der Lage und willens sind, den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell zu unterstützen, zumal diese sich lediglich mit Arbeiten in der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdient haben.
Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers ist schlüssig und nachvollziehbar und wurde auch im angefochtenen Bescheid vom 18.05.2018 nicht in Zweifel gezogen.
Nachdem die belangte Behörde und der Asylgerichtshof in ihren bisher ergangenen Entscheidungen bereits davon ausgegangen sind, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan kein tragfähiges Netzwerk zur Unterstützung vorfinden wird, kann ohne gegenteilige Ermittlungsergebnisse auch derzeit nicht davon ausgegangen werden.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher – ebenso wie die belangte Behörde - weiterhin davon aus, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan über kein familiäres oder soziales Netzwerk verfügt.
Insoweit die belangte Behörde, davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer vor Ort von einer Rückkehrhilfe unterstützt werden könnte, ist darauf zu verweisen, dass dies keine (nachträgliche) Änderung des Sachverhalts begründet, sondern das BFA damit eine andere Beweiswürdigung vornimmt bzw. andere (rechtliche) Schlüsse, aus dem auch im Zeitpunkt des Erkenntnisses vom 25.10.2011 vorliegenden Sachverhalt zieht.
Dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden ist, ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Strafregister.
Eine Feststellung des Inhalts, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.10.2011 wesentlich und nachhaltig verändert haben, konnte im Lichte eines Vergleichs der individuellen Situation des Beschwerdeführers sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Zuerkennung subsidiären Schutzes einerseits und zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides bzw. der vorliegenden Entscheidung andererseits nicht getroffen werden (vgl. dazu näher die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen). Dabei erfolgte insbesondere eine Gegenüberstellung des Inhalts der dem Erkenntnis vom 25.10.2011 zugrunde gelegten Länderberichte mit jener Berichtslage, die das BFA bei Erlassung des angefochtenen Bescheides vom 18.05.2018 herangezogen hat, sowie auch mit der zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung bestehenden Lage im Herkunftsstaat.
Dass der Beschwerdeführer mittlerweile einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ erhalten hat, ergibt sich aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 31.07.2017, Zl. VGW-151/084/6028/2017-5.
2.2. Die Feststellungen zur aktuellen Lage in Afghanistan (vgl. Pkt. II.1.2.) beruhen auf den oben angeführten Quellen. Das Bundesverwaltungsgericht bediente sich hierbei einer ausgewogenen Auswahl verschiedener – im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zitierter – Quellen staatlichen und nichtstaatlichen Ursprungs, um sich so ein möglichst umfassendes Bild über die Lage in Afghanistan machen zu können. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Zuverlässigkeit und Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Den Verfahrensparteien ist das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, welches das BFA seinen Bescheiden regelmäßig zugrunde legt und auch im angefochtenen Bescheid (in der Fassung vom 30.01.2018) herangezogen hat, bekannt.
Die Feststellung zur Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan beruht auf den herangezogenen Länderinformationen zu Afghanistan. Die Einnahme der Stadt Kabul sowie die Kontrolle fast sämtlicher Distrikte durch die Taliban ergibt sich aus den jeweils in Klammerausdrücken angeführten Berichten, welche mit den aktuellen Meldungen anderer österreichischer sowie internationaler Medien übereinstimmen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann – soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist – das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Im vorliegenden Beschwerdefall ergibt sich, dass aus dem Akteninhalt des Verwaltungsaktes in Verbindung mit der Beschwerde der maßgebliche Sachverhalt als geklärt anzusehen ist.
Zu A)
3.1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der §§ 8, 9 AsylG 2005 idgF lauten (auszugsweise) wie folgt:
„Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
...
(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
...
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.
(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen."
3.2. Vorauszuschicken ist, dass sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausdrücklich auf den Aberkennungstatbestand nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 bezog. Die Frage, ob die Aberkennung des Schutzstatus auf den ersten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, dem zufolge die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten "nicht vorliegen", oder auf den zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, dem zufolge die Vo