TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/14 W202 2234261-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.10.2021
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Entscheidungsdatum

14.10.2021

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs5
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z7
FPG §55 Abs4

Spruch


W202 2234261-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard Schlaffer als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2021, Zl. 164919801-190954655, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Verständigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 30.04.2020 wurde der Beschwerdeführer darüber informiert, dass gegen ihn die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes geplant sei.

2. In der Folge brachte der Beschwerdeführer mit eigenhändig verfasstem Schreiben vom 11.05.2020 eine Stellungnahme ein.

3. Mit Bescheid des BFA vom 20.07.2020 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung festgestellt, gegen ihn ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen, ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt.

4. In Erledigung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde dieser mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.08.2020, W192 2234261-1/2E, aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides ans BFA zurückverwiesen.

5. Am 23.02.2021 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch das BFA statt, in welcher der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes zu Protokoll gab: Er leide an Hepatitis C und mache eine Therapie wegen seiner langjährigen Drogensucht. Er sei in Wien geboren und habe hier sein gesamtes Leben verbracht, sei zur Schule gegangen und habe hier gearbeitet. Er verfüge über den unbefristeten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“. Er sei geschieden und habe eine zwanzigjährige Tochter, zu der er ein enges Verhältnis und viel Kontakt habe, sie lebe auch in Wien. Er wohne nunmehr im zehnten Wiener Gemeindebezirk gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin XXXX , sie würden sich seit ungefähr fünf Jahren kennen. In Wien würden auch zwei Brüder des Beschwerdeführers leben, seine Eltern seien bereits verstorben. In Serbien sei er zuletzt vor zehn Jahren gewesen, dort habe er aber niemanden mehr.

6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 30.04.2021 hat das BFA gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig ist (Spruchpunkt II.), gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf acht Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunk IV.) und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

7. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner rechtlichen Vertretung vom 18.06.2021 rechtzeitig und in vollem Umfang das Rechtsmittel der Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht. Angefügt wurden der Beschwerde Schreiben der Tochter und der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers.

8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.2021, W202 2234261-2/2Z, wurde der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG i.d.g.F. die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

9. Am 29.09.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der der Beschwerdeführer mit seiner Vertretung erschien. Das BFA blieb der Beschwerdeverhandlung fern. Im Zuge der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinem Leben in Österreich und seinen strafgerichtlichen Verurteilungen befragt. Weiters wurden die Lebensgefährtin und die Tochter des Beschwerdeführers als Zeugen einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer trägt den Namen XXXX , ist serbischer Staatsangehöriger und am XXXX in Wien geboren. Seitdem hielt er sich aufgrund ihm erteilter Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Zuletzt war er Inhaber des unbefristeten Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“, welcher zuletzt mit einer Gültigkeit bis zum 23.08.2016 ausgestellt wurde.

In Österreich besuchte der Beschwerdeführer die Pflichtschule und ging in einigen Jahren verschiedenen Erwerbstätigkeiten - zumeist als Staplerfahrer - nach. Er ist geschieden und seine (volljährige) Tochter lebt in Wien, zu ihr besteht enger Kontakt. Der Beschwerdeführer befindet sich seit ungefähr fünf Jahren in einer Lebensgemeinschaft mit XXXX , einer österreichischen Staatsbürgerin, und sie leben im gemeinsamen Haushalt. Zum Sohn seiner Lebensgefährtin besteht ebenso ein enger Kontakt, für den er eine Vaterfigur ist, da er schon seit seiner Geburt mit der Mutter in einer Beziehung steht. Der Beschwerdeführer lebte sein ganzes Leben in Österreich und befand sich lediglich zu Urlaubsaufenthalten in Serbien, wo er keine Angehörigen mehr hat, zu denen Kontakt besteht. Er spricht die serbische Sprache, kann darin aber nur schlecht lesen und schreiben.

Der Beschwerdeführer leidet an Hepatitis C und ist drogensüchtig. Er absolvierte bereits eine Therapie und ist weiter betreffend die Drogensucht in Behandlung.

1.2. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich insgesamt 16 Mal strafgerichtlich verurteilt.

1.2.1. Mit Urteil des nunmehr nicht mehr bestehenden Jugendgerichtshofs Wien vom 22.05.1992 wurde der Beschwerdeführer zu GZ 17 B U 570/91 wegen der Begehung des Vergehens der Sachbeschädigung unter Vorbehalt der Strafe schuldig gesprochen.

1.2.2. Mit weiterem Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 09.09.1992 zu GZ 3 A VR 1133/91 HV 27/92 wurde der Beschwerdeführer wegen der Begehung eines versuchten schweren Raubes gemäß §§ 15, 142 Abs. 1, 143 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.

1.2.3. Am 14.11.1996 wurde der Beschwerdeführer vom Strafbezirksgericht Wien zu GZ 7 U 422/96 wegen eines Deliktes nach dem damals geltenden Suchtgiftgesetz zu einer Geldstrafe verurteilt.

1.2.4. Mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt vom 28.04.1998 zu GZ 17 U 1001/97p wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt.

1.2.5. Mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt vom 06.08.1999 zu GZ 17 U 693/98w gemäß § 27 Abs. 1 SMG zu einer Geldstrafe verurteilt.

1.2.6. Mit Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 04.12.2001 zu GZ 29 U 290/2001l wurde der Beschwerdeführers wurde wegen des Delikts des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt.

1.2.7. Mit Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 20.10.2004 zu GZ 10 U 848/2003z wurde der Beschwerdeführer gemäß § 27 Abs. 1 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Wochen verurteilt.

1.2.8. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11.06.2007 zu GZ 62 HV 67/2007m wurde der Beschwerdeführer gemäß §§ 27 Abs. 1, Abs. 2 Z 2, 27 Abs. 1 SMG iVm § 15 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

1.2.9. Mit weiterem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13.12.2011 zu GZ 64 HV 89/2011t wurde der Beschwerdeführer gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 9.Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

1.2.10. Am 28.09.2012 wurde der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Innere Stadt zu GZ 18 U 263/2012s wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

1.2.11. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17.01.2012 zu GZ 45 HV 63/2012f wurde der Beschwerdeführer wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2.Fall, Abs. 2, 27 Abs. 1 Z 1 8.Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt.

1.2.12. Mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt vom 10.01.2013 zu GZ 17 U 396/2012t wurde der Beschwerdeführer wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs. 1 Z 1, 27 Abs. 2 SMG verurteilt, aber keine Zusatzstrafe verhängt.

1.2.13. Mit Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 28.07.2016 zu GZ 9 U 25/2016v wurde der Beschwerdeführer wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2.Fall, 27 Abs. 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

1.2.14. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28.03.2017 zu GZ 142 HV 73/2016w wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs. 1 Z 1 1.Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2.Fall, Abs. 2, 27 Abs. 1 Z 1 8.Fall, 27 Abs. 2a, 27 Abs. 3, 27 Abs. 5 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.

1.2.15. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29.03.2018 zu GZ 43 HV 19/2018d wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs. 2a SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt.

1.2.16. Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 08.11.2019 zu GZ 63 HV 163/19d wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt.

Er hat am 18.09.2019 im Bereich einer U-Bahn-Station in Anwesenheit von zumindest 15 weiteren Personen, die die Handlung wahrnehmen konnten, vorschriftswidrig 1,2 Gramm Marihuana zu einem Preis von 20 Euro an eine Person verkauft. Das Strafgericht zog als mildernd das reumütige Geständnis des Beschwerdeführers in die Strafbemessung ein, als erschwerend wurden die 15 Vorstrafen (elf davon einschlägig) gewertet.

1.3. Der Beschwerdeführer hat nicht vorgebracht, dass ihm in Serbien eine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit droht.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat Serbien wird festgestellt:

Sicherheitslage

Die politische Lage ist stabil. In der Grenzregion zu Kosovo kann es zu Spannungen kommen (AA 1.6.2021b). Das Land kann als stabil bezeichnet werden. Das Risiko von terroristischen Anschlägen kann auch in Serbien nicht ausgeschlossen werden (EDA 1.6.2021).

Die im Norden der Republik Serbien gelegene Provinz Vojvodina zeichnet sich durch eine eigenständige, durch jahrhundertealte Koexistenz der Serben mit verschiedenen nationalen Minderheiten (u. a. Ungarn, Rumänen, Ruthenen, Kroaten, Deutschen) geprägte Tradition aus. In der mehrheitlich von ethnischen Albanern bewohnten Grenzregion Südserbiens zu Kosovo und Nordmazedonien (Gebiet der Gemeinden Bujanovac, Preševo, Medvedja) ist die Lage stabil. Die albanische Bevölkerung Südserbiens orientiert sich teils stark nach Kosovo. Mitunter wird über etwaige Grenzanpassungen spekuliert, die das Gebiet betreffen würden (AA 19.11.2020).

Serbien hat ein gewisses Maß an Vorbereitung bei der Umsetzung des Rechtsbestands im Bereich Sicherheit erreicht. Bei der Umsetzung der Empfehlungen des letzten Jahres wurden einige Fortschritte erzielt, insbesondere bei der Annahme der Strategie und des Aktionsplans für die Kontrolle von leichten und kleinkalibrigen Waffen. Serbien trägt als Transitland weiterhin erheblich zur Steuerung der gemischten Migrationsströme in die EU bei, indem Serbien eine aktive und konstruktive Rolle spielt und effektiv mit seinen Nachbarn und EU-Mitgliedstaaten zusammenarbeitet. Auch die integrierte Grenzverwaltungsstrategie und der dazugehörige Aktionsplan wurden weiterhin wirksam umgesetzt (EK 6.10.2020).

Zwischen Serbien und dem Kosovo besteht seit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung ein offener Grenzkonflikt. Zwischen Serbien und Kroatien gab es gleichfalls ungelöste Grenzfragen. Serbien beanspruchte zwei kleine Inseln in der Donau, während die kroatische Grenze teilweise durch serbische Dörfer verläuft. Nach kontinuierlicher Verbesserung der Beziehung zwischen den beiden Ländern konnte im Juni 2016 ein als historisch bezeichneter Pakt beschlossen werden, durch den die Grenzkonflikte beigelegt wurden und den jeweiligen Minderheiten in den Ländern mehr Rechte zugesprochen werden sollen. Die Beziehung gilt jedoch weiterhin als angespannt und die langfristige Anerkennung der Einigung als ungewiss. Bosnien-Herzegowina und Serbien streiten sich ebenfalls über ungelöste Grenz- und Territorialfragen entlang der Flüsse Drina und Lim. Nach vier Jahren Stillstand haben beide Staaten im Mai 2010 wieder diplomatische Verhandlungen aufgenommen. Serbien hat einen Landtausch vorgeschlagen, eine Einigung konnte aber noch nicht gefunden werden. Die Beziehungen Serbiens zu seinen Nachbarn sind nach wie vor angespannt. Im Zusammenhang mit den immensen Flüchtlingsströmen in Europa kam es vermehrt auch zu Spannungen zwischen Ungarn und Serbien. Im Juli 2016 trat in Ungarn ein Gesetz in Kraft, nach dem Personen ohne gültige Einreisedokumente innerhalb eines acht Kilometer breiten Streifens hinter der serbisch-ungarischen Grenze in Transitzonen zurückgebracht werden können. Somit wird die Verantwortung faktisch wieder auf Serbien übertragen. Serbien hält dieses Gesetz für völkerrechtswidrig (BICC 1.2021).

Kroatische Truppen im Kosovo sorgen für Irritation in Belgrad; der kroatische Präsident versicherte am 8.5.2021, dass die Verstärkung der kroatischen Truppen im Kosovo nicht gegen Serbien gerichtet, sondern ausschließlich der Tatsache der Reduktion der Truppen in Afghanistan und dem Bedarf im Kosovo geschuldet ist. Der serbische Präsident verurteilte zuvor diesen Schritt als weitere Demütigung Serbiens (VB xx.6.2021).

Allgemeine Menschenrechtslage

Seit den Parlamentswahlen 2016 und der Machtübernahme von Aleksandar Vucic in Folge der Präsidentschaftswahlen 2017 hat sich die Menschenrechtslage in Serbien verschlechtert. Immer wieder werden Berichte über korruptes Verhalten der Polizei oder über rechtswidrige Verhaftungen veröffentlicht. Auch Übergriffe durch die Polizei und die Androhung von Gewalt sind verbreitet. Die Rechtsstaatlichkeit wird von der Regierung zunehmend untergraben. Jüngste von der Regierung verabschiedete Gesetze machen die Judikative abhängiger von der Regierung und weniger widerstandsfähig gegenüber politischem Druck. Es bestehen weitere Defizite im Bereich Menschenrechte, etwa in Bezug auf den Minderheitenschutz und den Kampf gegen Diskriminierung. Beim Minderheitenschutz gibt es keine ausreichenden gesetzlichen Grundlagen und in der Praxis sehen sich die betroffenen Gruppen, wie z. B. die Roma und die Rumänen, häufig sozialer Exklusion und ärmlichen Lebensumständen ausgesetzt (BICC 1.2021).

Die rechtlichen und institutionellen Rahmen für die Wahrung der Grundrechte sind weitgehend vorhanden. Eine konsequente und effiziente Umsetzung der Rechtsvorschriften und der politischen Maßnahmen muss jedoch sichergestellt werden. Menschenrechtsinstitutionen müssen gestärkt und ihre Unabhängigkeit garantiert werden, auch durch die Bereitstellung der notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen (EK 6.10.2020).

Die Lage der Menschenrechte in Serbien ist insgesamt gut. Serbien hat die wichtigsten internationalen Menschenrechtskonventionen in nationales Recht übernommen. 2013 hat die serbische Regierung eine Anti-Diskriminierungsstrategie verabschiedet. Ein effektiver gesetzlicher Rahmen zum Schutz von Serbiens zahlreichen ethnischen Minderheiten existiert. Trotzdem existieren verschiedene Schwächen im Menschenrechts- und Minderheitenschutz. Probleme in der Verwirklichung der Menschenrechte bestehen etwa durch die Schwäche des Rechtsstaats und die noch immer unzureichende juristische Aufarbeitung der Kriegszeit. Ethnische Minderheiten beklagen Diskriminierungen in Bereichen wie Bildung und Sprache (GIZ 12.2020).

In Serbien gibt es entsprechende Stellen auf Republiksebene (Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte, Staatsverwaltung und lokale Selbstverwaltungs-Abteilung für Menschen- und Minderheitenrechte), als auch auf der lokalen Ebene (Stadtgemeinden-Ombudsmann), an die sich Bürger im Falle erlittenen Unrechts wenden können. Weiters bestehen auch zahlreiche NGOs, welche sich mit Rechten der nationalen Gemeinschaften befassen, u.a. Helsinki Committee for Human Rights, The Humanitarian Law Centre, The Lawyers Committee for Human Rights, Belgrade Centre for Human Rights, als auch zahlreiche Roma Organisationen in ganz Serbien (VB 29.6.2021).

Grundversorgung / Wirtschaft

Die gute Entwicklung der serbischen Wirtschaft in den letzten Jahren wurde durch die Pandemie abrupt beendet. Mit einem Rückgang von 1,1% am Ende des Jahres kam Serbien jedoch besser durch die Krise als viele vergleichbare Länder. Die serbische Industrieproduktion entwickelt sich konstant aufwärts und profitiert vor allem durch die Exportwirtschaft. Durch das anhaltende Interesse ausländischer Investoren an der Gründung von Produktionsniederlassungen wächst die Nachfrage nach Maschinen und Anlagen, die den Anforderungen westeuropäischer Industriestandards entsprechen. Bedingt durch die große Bedeutung, die die Landwirtschaft in Serbien einnimmt, hat sich eine vergleichsweise sehr starke einheimische Lebensmittelverarbeitungsindustrie entwickelt. Noch ist die Kaufkraft der Bevölkerung relativ schwach, sodass der Markt sehr preissensitiv ist. Ein Drittel der Bevölkerung kauft lieber billigere Handelsmarkenprodukte als namhafte Markenartikel (WKO 29.4.2021).

Die wirtschaftliche Lage in Serbien ist weiterhin schwierig, durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert sie sich weiter. Kaufkraft und Nettodurchschnittseinkommen (2019: 465 Euro) waren 2019 weiterhin vergleichsweise niedrig. Es gibt gravierende Unterschiede zwischen (Haupt-)Stadt und Land. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist jedoch uneingeschränkt gewährleistet. Die wirtschaftliche und soziale Lage eines Großteils der Bevölkerung ist nach wie vor schwierig. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage Serbiens ist die Versorgung mit Lebensmitteln gesichert. Nach Angaben der serbischen Regierung lebten 7,2% der Bevölkerung Serbiens (rund 500.000 Personen) 2017 unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Der Trend hat sich in den letzten fünf Jahren auf rund 7,5% stabilisiert. Das deutet auf einen „festen“ Kern der Armen, auf den Armutsbekämpfungsmaßnahmen keine Wirkung zeigen. Flüchtlinge und Rückkehrer sowie Roma sind stärker von Armut betroffen als die serbische Durchschnittsbevölkerung (AA 19.11.2020).

Im Jahr 2020 betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Serbien geschätzt rund 7.636 US-Dollar. Für das Jahr 2021 wird das BIP pro Kopf Serbiens auf rund 8.748 US-Dollar prognostiziert (Statista 20.4.2021). Im Jahr 2020 lag die Arbeitslosenquote in Serbien bei rund 13,3%. Für das Jahr 2021 wird die Arbeitslosenquote in Serbien auf rund 13% prognostiziert (Statista 4.5.2021). Unter Jugendlichen ist die Arbeitslosenquote mit 27,5% (2019) aber weiterhin hoch (AA 19.11.2020).

Das für März 2021 berechnete Durchschnittsgehalt (Brutto) betrug 89.894 RSD (ca. EUR 764), während das Durchschnittsgehalt ohne Steuern und Beiträge (Netto) 65.289 RSD (ca. EUR 555) betrug (Republi?ki 25.5.2021).

Die durchschnittliche Pensionshöhe betrug im Mai 2021 29.391,00 RSD (ca. EUR 250,00) (PIO RS 24.6.2021).

Sozialbeihilfen

Ein Sozialamt ist in allen Gemeinden Serbiens zu finden. Das Angebot der Sozialämter beinhaltet Unterstützung für folgende Personengruppen: Individuen oder Familien ohne Einkommen, Menschen mit körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen oder ältere Menschen, die nicht in der Lage sind, für sich selber zu sorgen, Waisen, Drogen- oder Alkoholabhängige, Verurteilte, die sich im Gefängnis aufhalten, minderjährige Eltern sowie Familien mit drei oder mehr Kindern. Das Sozialsystem ist für jeden serbischen Staatsbürger zugänglich. Die betroffene Person muss ein gültiges Ausweisdokument besitzen und bei der nationalen Arbeitsagentur im jeweiligen Wohnort als arbeitslos registriert sein, bzw. lediglich auf Mindestlohn-Basis angestellt sein. Neben den Zentren für Soziale Arbeit leisten auch einige NGOs Hilfe (IOM CFS 13.3.2021).

Anspruch auf Sozialhilfe haben in Serbien Bürgerinnen und Bürger, die arbeitsunfähig sind und auch sonst keine Mittel zum Unterhalt haben. Außerdem sind Bürger sozialhilfeberechtigt, die ihren Unterhalt durch ihre Arbeit allein, durch Unterhaltspflichten von Verwandten, durch ihr Vermögen oder auf andere Art und Weise nicht sichern können. Neben der Sozialhilfe wird als weitere staatliche Unterstützungsmaßnahme an Bedürftige monatlich Kindergeld. Sozialhilfeempfänger, die ausreisen und in der Folge vereinbarte Termine beim Arbeitsamt NES verpassen, verlieren für sechs Monate das Recht, sich arbeitslos zu melden und damit die Grundlage für Sozialhilfe und weitere Sozialleistungen (u. a. Krankenversicherung). Sozialwohnungen sind meist belegt, für Neubauten sind kaum Mittel vorhanden. Familiäre und nachbarschaftliche Solidaritätsnetzwerke sind in Serbien noch relativ funktionsfähig. Sofern nachweislich keine private Unterkunftsmöglichkeit besteht, sind die örtlich zuständigen „Zentren für Sozialarbeit“ im Einzelfall bereit, bescheidene Quartiere auf kommunale Kosten anzumieten (AA 19.11.2020).

Seit dem 1. April 2021 beträgt die Sozialhilfe für Einzelperson bzw. für den sogenannten Rechtsinhaber in der Familie 8.781 RSD (EUR 74,41). Für jede weitere erwachsene Person in der Familie beträgt diese Leistung 4.391 RSD (EUR 37,21). Das Kindergeld für das anspruchsberechtigte Kind beträgt 3.000 RSD (EUR 24,42). Dies erhöht sich weiter um 30% für alleinerziehende Eltern bzw. Erziehungsberechtigte und beträgt 3.900 RSD (EUR 33,05). Das Kindergeld für pflegebedürftige Kinder erhöht sich auf 4.500 bis 5.400 RSD (EUR 38,13/45,77) (VB 29.6.2021).

Rückkehr

Durch das StarthilfePlus - Level D Programm, bietet IOM Serbien konkrete Unterstützung bei der Reintegration von Rückkehrenden an. Außerdem stellt das DIMAK Beratungszentrum (Deutsches Informationszentrum für Migration, Ausbildung und Karriere in Serbien) durch sein 'Build Your Future'-Programm immaterielle Unterstützung bei der Reintegration zur Verfügung. Das Programm klärt darüber auf, welche Möglichkeiten es für die Betroffenen in Serbien gibt (inklusive Weiterbildungsmöglichkeiten) und unterstützt bei der Jobbewerbung. Zusätzlich organisiert DIMAK in Zusammenarbeit mit Firmen, die neues Personal suchen, regelmäßig Berufsmessen in Serbien. Nach der Rückkehr sollte die rückkehrende Person sich bei relevanten Behörden und Stellen (wieder) anmelden; dazu ist unbedingt der Personalausweis erforderlich - dieser kann, falls nötig, bei einer lokalen Polizeistelle beantragt werden; sich für die (staatliche) Krankenversicherung/Rentenversicherung anmelden; Sozialhilfe beantragen; Stellen kontaktieren, die bei der Arbeits- und Wohnungssuche unterstützen; die Anmeldung bei Kinderbetreuung, Schule und weitere Bildungsinstitutionen in die Wege leiten (IOM 13.3.2021).

Serbische Staatsangehörige, die zurückgeführt wurden, können nach ihrer Ankunft unbehelligt in ihre Heimatstädte fahren. Eine Befragung durch die Polizei u.ä. findet nicht statt, sofern nicht in Serbien aus anderen Gründen Strafverfahren anhängig sind. Sanktionen wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland gibt es weder de iure noch de facto. Als erste Anlaufstelle für Rückkehrer dient ein Wiederaufnahmezentrum für Rückgeführte am Flughafen Belgrad, das eine Informationsbroschüre auf Deutsch, Serbisch und Romanes bereithält, die u.a. Fragen zur Registrierung und den dafür erforderlichen Unterlagen sowie Kontakttelefonnummern enthält. Rückkehrende Personen können, wie alle anderen Bürger, frei über ihren Wohnort entscheiden und einen Wohnsitz anmelden. Der Verbleib von rückkehrenden Personen wird weder erfasst noch in sonstiger Weise kontrolliert. Erfahrungsgemäß kehren sie oftmals an ihren letzten Wohnsitz zurück. Das Meldegesetz, das seit Ende 2011 in Kraft ist, enthält eine Regelung, die Personen ohne Personalausweis die Anmeldung erleichtert. Es sind Einzelfälle bekannt, in denen Rückkehrern trotzdem die Anmeldung verweigert wurde (u. a. Bewohnern informeller Siedlungen, aus Kosovo stammende Rückkehrer). Serbische Behörden stellen kosovarischen Staatsangehörigen weiterhin serbische Reisedokumente aus, die dann für Rückführungen nach Serbien genutzt werden. In diesem Zusammenhang sollte bei Rückführungen darauf geachtet werden, dass kosovarische Staatsangehörige mit kosovarischen Reisedokumenten ins Kosovo rückgeführt werden. Informationen über die Rechte und Pflichten von Rückkehrern enthält eine online verfügbare mehrsprachige Broschüre des serbischen Flüchtlingskommissariats (http://www.kirs.gov.rs/wb-page.php?kat_id=222) (AA 19.11.2020).

Ein- und auch Durchreisebestimmungen können aufgrund von Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 derzeit abweichen. Die Ausbreitung von COVID-19 kann weiterhin zu Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens führen (AA 1.6.2021).

Medizinische Versorgung

Serbien wurde zwischen März 2020 und April 2021 stark von der Pandemie betroffen. Der Einsatz des medizinischen Personals wurde im Laufe der Pandemie wegen der hohen Anzahl der infizierten Personen verstärkt. Viele Krankenhäuser wurden zu Corona-Spitälern, was die medizinische Versorgung für Patienten mit anderen Krankheiten verschlechterte. Zahlreiche Operationen mussten wegen Platzmangels verschoben werden. Ein Mangel an medizinischem Personal war besonders in den medizinischen Versorgungszentren festzustellen, weil diese ständig als Covid-Zentren genutzt wurden. Allerdings verbessert sich die Situation mit April 2021 zusehends, zumal viele Krankenhäuser langsam aus dem Covid-System austraten. Seit Mai 2021 werden Patienten mit anderen Krankheiten wieder in den klinischen Zentren in „Zvezdara“ und „Dr Dragisa Misovic“ behandelt, da sich diese nicht mehr im Covid-System befinden (VB 29.6.2021).

Eine medizinische Versorgung nach deutschem Standard ist in Serbien nicht landesweit gewährleistet. Auch Krankenhäuser verfügen nicht immer über eine adäquate Ausstattung und sind mitunter nicht in der Lage, Patienten mit bestimmten Krankheitsbildern angemessen medizinisch zu versorgen. Die hygienischen Rahmenbedingungen sind oft unzureichend. Vorwiegend in Belgrad existieren - oft private - Kliniken und Arztpraxen mit Ausstattungen, die europäischen Standards entsprechen (AA 1.6.2021; vgl. EDA).

Das Gesundheits- und Krankenversicherungssystem ist in zwei Gruppen aufgeteilt: Öffentlich (kostenlos) und privat. Behandlungen und Medikamente sind gänzlich kostenlos für alle Bürger, die im öffentlichen Krankenversicherungssystem registriert sind. Für folgende Bürger sind Kosten und Leistungen von der Krankenversicherung abgedeckt: Neugeborene und Kinder bis zu sechs Jahren, einschließlich präventive und regelmäßige Check-Ups, Impfungen und spezielle Gesundheitspflege, Schulkinder und junge Erwachsene bis zu 19 Jahren wie Kinder bis sechs; Frauen: volle medizinische Leistungen abgedeckt; Erwachsene: volle medizinische Leistungen abgedeckt. Einfache medizinische Einrichtungen können in ganz Serbien in fast jedem Ort gefunden werden. Die größten Krankenhäuser in Serbien befinden sich in Novi Sad, Belgrad, Kragujevac und Nis. Um kostenlos behandelt zu werden, muss der Patient im Besitz einer staatlichen Krankenversicherung sein. Alle Medikamente sind erhältlich und die meisten Arzneimittel haben ähnliche Preise wie in anderen europäischen Ländern. Abhängig von der Art der Krankenversicherung sowie der Anspruchsberechtigung, kann die Behandlung entweder kostenlos oder nur teilweise gedeckt sein. Der öffentliche Krankenversicherungsfond wird durch Pflichtbeiträge aller erwerbstätigen Bürger oder Arbeitgeber im privaten Sektor finanziert. Arbeitslose Bürger besitzen eine Krankenversicherung auf Kosten des Staates. Sollte einer der Familienmitglieder eine Krankenversicherung besitzen, sind Familienmitglieder unter 26 Jahren automatisch versichert. Rückkehrer müssen ein Anmeldeformular ausfüllen und gültige Ausweisdokumente (serbische Ausweisdokumente, Geburtsurkunde und serbische Staatsbürgerschaft) beim öffentlichen Krankenversicherungsfond einreichen um im öffentlichen Krankenversicherungssystem registriert werden zu können (IOM 13.3.2021).

Es gibt nur sehr wenige Erkrankungen, die in Serbien nicht oder nur schlecht behandelt werden können. Gut ausgebildetes medizinisches Personal ist trotz Personalengpässen grundsätzlich vorhanden. Überlebensnotwendige Operationen sind in der Regel durchführbar, auch können z.B. in Belgrad Bypassoperationen vorgenommen werden. Einsatz, Kontrolle und Wartung von Herzschrittmachern ist in Belgrad grundsätzlich möglich (nicht jedes Modell). Herz- und sonstige Organtransplantationen (mit Ausnahme der relativ häufigen Nierentransplantationen) werden gelegentlich durchgeführt, sind aber noch keine Routineoperationen. Im Juli 2018 wurde in Serbien ein Transplantationsgesetz und ein Gesetz über eine Organspenderdatenbank, welche jedoch bis heute nicht funktionsfähig ist, verabschiedet. Mehr als 1.000 Patienten warten auf eine Organtransplantation, während die Zahl der potentiellen Spender sehr gering ist (AA 19.11.2020).

Behandelbar sind in Serbien (keine abschließende Aufzählung): Diabetes mellitus (die Versorgung mit allen Arten von gängigen Insulinpräparaten ist regelmäßig und sicher), orthopädische Erkrankungen (auch kranken-gymnastische u.ä. Therapien), psychische Erkrankungen, u.a. Depressionen, Traumata, Schizophrenie, posttraumatische Belastungsstörungen (medikamentöse und psychologische Behandlung), Atemwegserkrankungen (u.a. Asthma bronchiale), Hepatitis B und C (abhängig von der Verfügbarkeit antiviraler Medikamente, die teilweise selbst gekauft werden müssen), Epilepsie, ein Großteil der Krebsformen, Nachsorge für Herzoperationen, Krebsoperationen, orthopädische Operationen etc. Dialyse wird bei Verfügbarkeit eines Platzes durchgeführt. Es gibt auch in Belgrad und Novi Sad private Zentren zur Dialyse. Diese beiden Kliniken haben Verträge mit der staatlichen Krankenversicherung abgeschlossen, wonach sie auch bei Bedarf auf Kosten der staatlichen Krankenversicherung Dialysen durchführen können (AA 19.11.2020).

Psychische Krankheiten werden in Serbien vorwiegend medikamentös behandelt. Es besteht jedoch (wenn auch in begrenztem Umfang) auch die Möglichkeit anderer Therapieformen, so gibt es z. B. für die Teilnahme an Gruppenpsychotherapie Wartelisten. Neben dem Therapiezentrum in der Wojwodina existieren mittlerweile weitere Therapiezentren in Vranje, Leskovac und Bujanovac (Südserbien). Es gibt Kliniken für die Behandlung von Suchtkrankheiten. Schulen für Schüler mit Gehör- und Sprachschädigung sind in Serbien vorhanden. Die Grundversorgung mit häufig verwendeten, zunehmend auch mit selteneren Medikamenten, ist gewährleistet. Spezielle (insbesondere ausländische, in Einzelfällen auch in Serbien hergestellte) Präparate sind jedoch in staatlichen Apotheken nicht immer verfügbar, können aber innerhalb weniger Tage auch aus dem Ausland bestellt werden, wenn sie für Serbien zugelassen sind. Für den Patienten fällt bei Vorlage eines vom Allgemeinarzt ausgestellten Rezeptes lediglich eine Beteiligungsgebühr von 50,00 RSD an. (ca. 0,43 EUR). Es gibt jedoch auch Medikamente, für die von Patienten eine Beteiligungsgebühr von 10 bis 90% des Anschaffungspreises gezahlt werden muss (AA 19.11.2020).

COVID-19

Seit 21.12.2020 müssen alle, die nach Serbien einreisen, einen Nachweis eines negativen PCR-Tests, nicht älter als 48 Stunden, mit sich führen. Serbische Staatsangehörige und Personen mit serbischem Aufenthaltstitel können ohne Test einreisen, müssen sich aber in eine 10-tägige Quarantäne begeben und müssen ihre Einreise innerhalb von 24 Stunden online registrieren oder bei der örtlich zuständigen COVID-19-Ambulanz melden. Die Homepage der serbischen Regierung bietet Informationen zu den Einreisebestimmungen und aktuellen Zahlen (BMEIA 4.6.2021).

Serbien wurde zwischen März 2020 und April 2021 stark von der Pandemie betroffen. Der Einsatz des medizinischen Personals wurde im Laufe der Pandemie wegen der hohen Anzahl der infizierten Personen verstärkt. Viele Krankenhäuser wurden zu Corona-Spitälern, was die medizinische Versorgung für Patienten mit anderen Krankheiten verschlechterte. Zahlreiche Operationen mussten wegen Platzmangels verschoben werden. Ein Mangel an medizinischem Personal war besonders in den medizinischen Versorgungszentren festzustellen, weil diese ständig als Covid-Zentren genutzt wurden. Allerdings verbessert sich die Situation mit April 2021 zusehends, zumal viele Krankenhäuser langsam aus dem Covid-System austraten. Seit Mai 2021 werden Patienten mit anderen Krankheiten wieder in den klinischen Zentren in „Zvezdara“ und „Dr Dragisa Misovic“ behandelt, da sich diese nicht mehr im Covid-System befinden (VB 29.6.2021).

Die Covid-19-Pandemie hat in allen Staaten der Westbalkan-Region, einschließlich Serbien, die bestehenden Probleme im Gesundheitssystem und die Probleme großer Teile der Bevölkerung beim Zugang zu Gesundheitsversorgung verschärft. Im Rahmen der „Zweiten Welle“ der Covid-19-Pandemie erreichten die Infektionszahlen in allen Ländern der Balkan-Region neue Höchststände. Dies stellt die Gesundheitssysteme dieser Länder vor massive Probleme und führt dazu, dass lebensnotwendige Gesundheitsversorgungsleistungen nicht oder nur gegen Bezahlung beträchtlicher Kosten erhältlich sind. Die tatsächliche Todeszahl während der „ersten Welle“ von März bis Juni 2020 war mehr als doppelt so hoch wie die offizielle Zahl. Auch bei der Anzahl der gemeldeten Infektionen wurden erhebliche Differenzen festgestellt. Bis zum 18. Januar 2021 sind mindestens 80 Beschäftigte im serbischen Gesundheitswesen an Covid-19 gestorben. Die Gewerkschaft des Gesundheitssektors weist darauf hin, dass die tatsächliche Zahl noch höher sein, weil diese Zahl nicht KrankenpflegerInnen und medizinische Fachangestellte umfasst (FBW 8.2.2021).

Von 15.3.2020 bis 7.5.2020 galt in Serbien aufgrund der Pandemie ein Ausnahmezustand mit Ausgangssperre. Dieser trug dazu bei, dass sich die Ansteckung verlangsamte und die Anzahl der Infizierten sank. Die Zahl erhöhte sich im Dezember 2020 auf bis zu 8.000 Infektionsfälle, was zur Gründung und Eröffnung eines neuen Covid-Krankenhauses in Batajnica, einem Vorort von Belgrad führte, dessen Kapazität 1.000 Patienten beträgt. Ab Januar 2021 begann eine Impfkampagne in Serbien, wobei schon im Februar mehr als 550.000 Menschen geimpft wurden. Folgende vier Impfstoffe wurden zugelassen: BionTech - Pfizer, AstraZeneca, Sputnik V und Sinopharm. Mit Stand 29.5.2021 wurden insgesamt 4.527.079 Impfdosen verabreicht, wovon die erste Dosis 2.507.302 und die zweite Dosis 2.019.777 Personen verabreicht bekamen. Diese erfolgreiche Immunisierung trug zur Senkung der Anzahl von Infizierten wesentlich bei, wodurch Serbien am 27.6.2021 nur 63 erkrankte Fälle (die Statistik der letzten 24 Stunden) verzeichnete. Insgesamt hatte Serbien mit Stand 17.6.2021 715.442 Erkrankungsfälle und 6.985 Todesfälle (VB 29.6.2021).

In den letzten Mai Wochen kam es zu einem erheblichen Rückgang der stationären Behandlungen um über 5.000 (!) Personen. Befanden sich am 23.4.2021 noch 5.897 Patienten in Krankenhausbehandlung, waren es am 10.5.2021 noch 3.827 und am 28.5.2021 nur noch 878 Personen. Mit Stand 31.5.2021 wurden 712.224 Erkrankungsfälle und damit verbunden 6.854 Todesfälle festgestellt. Ab dem 1.6.2021 können Personen, welche sich impfen lassen, eine Unterstützung in Höhe von RSD 3.000,00 (ca. EUR 25,00) beantragen (VB 29.6.2021).

Auf dem Portal www.covid19.rs werden täglich Informationen zur Ausbreitung des Coronavirus aktualisiert, Empfehlungen zum Umgang gegeben, sowie eine Hotline-Nummer veröffentlicht. Am 11.2.2021 hat die serbische Regierung das dritte Unterstützungspaket für die Wirtschaft im Wert von 249 Mrd. Serbischer Dinar [ein Dinar = 0,0085 EUR; Anm.] verabschiedet. Die neuen Maßnahmen umfassen eine direkte Unterstützung von Unternehmern, Kleinst-, Klein-, Mittel- und diesmal auch Großunternehmen, das Gastgewerbe, Hotels, Reisebüros, Personen- und Straßenverkehr (WKO 7.5.2021).

In Bezug auf COVID-19 bestehen seit 7.5.2020 keine Bewegungseinschränkungen mehr, weder am Tag noch in der Nacht. Ab dem 1.6.2021 wurden allen Gastgewerbebetrieben die Arbeitszeiten bis Mitternacht verlängert. Weiters wird der Kauf an den Kiosken durchgehend (00:00 - 24:00 Uhr) wieder möglich und die letzte Filmvorführung in Kinos darf ab 23:00 Uhr starten. An wissenschaftlichen und beruflichen Kongressen in geschlossenen Räumen, dürfen sich höchstens 200 Personen versammeln (VB 29.6.2021).

Serbien beginnt mit der Produktion des russischen Impfstoffs „Sputnik V“ gegen das Coronavirus. Die Produktion startete am 3.6.2021 im Torlak-Institut für Virologie. Binnen sechs Monaten sollen dort in russischer Lizenz vier Millionen Impfdosen hergestellt werden. Serbien ist damit nach Belarus das zweite europäische Land außerhalb Russlands, das „Sputnik“-Impfstoff herstellt. „Sputnik“ sowie der chinesische Impfstoff Sinopharm werden in Serbien bereits seit Monaten geimpft, ebenso wie die in der EU zugelassenen Vakzine von Biontech und Pfizer sowie AstraZeneca. Mehr als 30 % der etwa sieben Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Serbiens haben bereits mindestens eine Impfdosis erhalten. Belgrad hat zudem den ärmeren ex-jugoslawischen Nachbarstaaten Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien, aber auch Tschechien Vakzine gespendet (ORF.at 4.6.2021).

Der serbische Präsident VUCIC erklärte am Abend des 11.3.2021, im Rahmen eines Treffens mit dem Kronprinzen von Abu Dhabi, Muhammad BIN ZAYED AL NAHAYN, dass sein Land mit Hilfe der Vereinigten Arabischen Emirate in die Produktion des chinesischen COVID?19 Impfstoffs Sinopharm einsteigen werde. Der Beginn der Produktion wurde mit 15. Oktober 2021 festgelegt (VB 29.6.2021).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen auf den Inhalt des Verwaltungsaktes, in welchem dokumentiert ist, dass der Beschwerdeführer zuletzt Inhaber eines serbischen Reisepasses sowie eines österreichischen Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ gewesen ist.

Die Feststellungen zu den familiären Beziehungen in Österreich und seinen Anknüpfungspunkten zu Serbien und seinen Sprachkenntnissen beruhen auf den umfassenden Aussagen des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie den Angaben der vor dem Bundesverwaltungsgericht als Zeugen einvernommenen Lebensgefährtin und Tochter. Deren Angaben waren allesamt als glaubhaft einzuordnen.

2.2. Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers beruhen einerseits auf einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich und andererseits auf den im Akt einliegenden Strafurteilsausfertigungen.

2.3. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren keine konkreten Rückkehrbefürchtungen bezogen auf Serbien, einen sicheren Herkunftsstaat im Sinne der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV), geäußert. Da es sich beim Beschwerdeführer um einen grundsätzlich arbeitsfähigen und volljährigen Mann handelt, können keine exzeptionellen Umstände erkannt werden, vor deren Hintergrund anzunehmen wäre, dass er onkret gefährdet sein würde, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

2.4. Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum Herkunftsstaat Serbien vom 30.07.2021 und auf die darin zitierten Quellen, welche nicht in Zweifel gezogen wurden. Der Beschwerdeführer ist den Feststellungen, demzufolge in Serbien eine unbedenkliche Sicherheitslage sowie eine ausreichende Grundversorgung besteht, nicht konkret entgegengetreten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Serbien um einen Staat handelt, der weder von bürgerkriegsähnlichen Zuständen noch Kampfhandlungen betroffen ist, und auch sonst nicht - etwa im Vergleich zu Krisenregionen wie Afghanistan, Irak, Somalia, Syrien, u.a. - als Staat mit sich rasch ändernder Sicherheitslage auffällig wurde. Letztlich ist abermals darauf hinzuweisen, dass Serbien aufgrund der Ermächtigung nach § 19 Abs. 5 Z 2 BFA-VG laut § 1 Z 6 der Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden (Herkunftsstaaten-Verordnung - HStV), BGBl. II Nr. 177/2009 idgF, als sicherer Herkunftsstaat gilt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Zu A)

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids - Erlassung einer Rückkehrentscheidung:

3.1.1. Gemäß § 52 Abs. 5 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet, zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat - unter anderem - im Sinne des § 53 Abs. 3 Z 1 erster Fall FPG zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Serbiens und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Er verfügte zuletzt über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" und war vor Verwirklichung des mit der gegenständlichen Entscheidung festgestellten maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen.

Personen, die über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" verfügen, kommt nach § 20 Abs. 3 NAG 2005 in Österreich - unbeschadet der befristeten Gültigkeitsdauer des diesem Aufenthaltstitel entsprechenden Dokumentes - ein unbefristetes Niederlassungsrecht zu (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0024). Die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist in diesem Fall am Maßstab des § 52 Abs. 5 FPG zu prüfen, wobei sich Einschränkungen der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung auch noch aus § 9 BFA-VG ergeben (VwGH 29.5.2018, Ra 2018/21/0067; 30.11.2020, Ra 2020/21/0355). Es ist daher nicht auf die Gültigkeitsdauer des für diesen Aufenthaltstitel auszustellenden Dokumentes (von fünf Jahren) abzustellen, sondern es ist der Beurteilung ein unbefristetes Niederlassungsrecht zugrunde zu legen (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0024).

Im gegenständlichen Fall ist es daher irrelevant, dass der Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers zuletzt mit Gültigkeit bis 23.08.2016 ausgestellt wurde, da ihm ein unbefristetes Niederlassungsrecht zukommt. Die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist daher am Maßstab des § 52 Abs. 5 FPG zu beurteilen. Demnach ist gegen einen Drittstaatsangehörigen im Besitz eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EU" eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

Bei der Stellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 3 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. VwGH 19.2.2013, 2012/18/0230).

Der Beschwerdeführer wurde insgesamt 16 Mal strafgerichtlich verurteilt. Die höchste jemals gegen ihn ausgesprochene Freiheitsstrafe beträgt zwölf Monate, diese Höhe wurde drei Mal ausgesprochen. Weiters wurde der Beschwerdeführer einmal zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten und einmal zu einer von zehn Monaten verurteilt. Aufgrund dieser fünf Verurteilungen ist entsprechend der Ansicht der belangten Behörde der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG dem Grunde nach verwirklicht. Die sonstigen, gegen den Beschwerdeführer ausgesprochenen Strafen waren entweder Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von unter sechs Monaten.

Bei der Stellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose kommt es nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrundeliegenden Fehlverhalten, die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230).

Der Beschwerdeführer wurde über einen Zeitraum von ungefähr 27 Jahren insgesamt 16 Mal strafgerichtlich verurteilt. Allein schon aufgrund dieser Vielzahl von Verurteilungen und kontinuierlichen Verstöße über einen sehr langen Zeitraum ist schon zu sehen, dass der Beschwerdeführer seine schädlichen Neigungen nicht unter Kontrolle hat und somit eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, auch wenn sich der Beschwerdeführer in der Verhandlung reuig zeigte, er auch Therapien im Hinblick auf seine Drogensucht absolvierte. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtmitteldelinquenz auch wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556; 20.12.2012, 2011/23/0554; 30.08.2017, Ra 2017/18/0155; 01.04.2019, Ra 2018/19/0643).

Insofern ist die Annahme gerechtfertigt, dass der Beschwerdeführer bei einem weiteren Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

3.1.2. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist laut ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen und es kann grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (vgl. etwa VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0340, mwN). Diese Rechtsprechungslinie betraf allerdings nur Konstellationen, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0054; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001). In Fällen gravierender Kriminalität und daraus ableitbarer hoher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht die Zulässigkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch gegen langjährig in Österreich befindliche Fremde, selbst wenn sie - anders als im vorliegenden Fall - Ehegatten österreichischer Staatsbürger sind, nicht in Frage (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249 mwN).

§ 9 Abs. 4 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 70/2015 lautete:

„Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1.       ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2.       er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.“

§ 9 Abs. 4 BFA-VG wurde durch das FrÄG 2018 mit Ablauf des 31. August 2018 aufgehoben. Dazu hielt der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien (RV 189 BlgNR 26. GP 27 f) ausdrücklich fest, § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG erweise sich "lediglich als Konkretisierung bzw. Klarstellung dessen, was sich unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur ohnehin bereits aus Abs. 1 iVm Abs. 2 ergibt". Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof schon zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet des Außerkrafttretens des § 9 Abs. 4 BFA-VG die Wertungen dieser ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestände im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG weiter beachtlich seien (vgl. VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0121, Rn. 9, mit dem Hinweis auf VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0152, Rn. 20), ohne dass es aber einer ins Detail gehenden Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung des ehemaligen § 9 Abs. 4 BFA-VG bedürfe (siehe neuerlich VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0152, Rn. 20). Es ist also weiterhin darauf Bedacht zu nehmen, dass für die Fälle des bisherigen § 9 Abs. 4 BFA-VG allgemein unterstellt wurde, diesfalls habe die Interessenabwägung - trotz einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung - regelmäßig zu seinen Gunsten auszugehen und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme dürfe in diesen Konstellationen grundsätzlich nicht erlassen werden. Durch die Aufhebung dieser Bestimmung wollte der Gesetzgeber erkennbar nur bei Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen einen fallbezogenen Spielraum einräumen (vgl. dazu noch einmal RV 189 BlgNR 26. GP 27, wo diesbezüglich von "gravierender Straffälligkeit" bzw. "schwerer Straffälligkeit" gesprochen wird). Dazu zählen jedenfalls die schon bisher in § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG normierten Ausnahmen bei Erfüllung der Einreiseverbotstatbestände nach den Z 6, 7 und 8 des § 53 Abs. 3 FPG, aber auch andere Formen gravierender Straffälligkeit (siehe zu solchen Fällen der Sache nach zuletzt VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, betreffend Vergewaltigung, und VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0207, betreffend grenzüberschreitenden Kokainschmuggel; vgl. auch VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0238; siehe zuletzt auch VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0276-8).

Im vorliegenden Fall hält sich der Beschwerdeführer seit seiner Geburt im Bundesgebiet auf, sodass die Interessenabwägung nach der oben dargestellten Rechtsprechung - trotz einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung - regelmäßig zu seinen Gunsten auszugehen und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in diesen Konstellationen grundsätzlich nicht erlassen werden darf, sofern nicht eine „gravierende“ Straffälligkeit im Sinn der oben dargestellten Rechtsprechung vorliegt. Die vom Beschwerdeführer gesetzten Straftaten sind selbst bei Berücksichtigung der raschen einschlägigen Rückfälligkeit sowohl angesichts der Tathandlungen als auch der Sanktionen - wenn auch zweifelsfrei schwerwiegend - noch nicht als Fälle „gravierender Straffälligkeit“ anzusehen, zumal auch die in § 9 Abs. 4 BFA-VG idF vor Inkrafttreten des FrÄG 2018 angeführten § 53 Abs. 3 Z 6, 7 und 8 FPG 2005, aber auch die in der Rechtsprechung dazu dort genannten anderen Formen gravierender Straffälligkeit, nicht verwirklicht wurden. So wurde der Beschwerdeführer niemals wegen der von ihm begangenen Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 12 Monaten verurteilt, weshalb insgesamt kein Fall einer „gravierenden Straffälligkeit“ erkannt werden kann. Auch in Kombination ergibt sich aus den begangenen Straftaten und den Tatumständen keine aus besonders verwerflichen Straftaten abzuleitende spezifische Gefährdung, die es erlauben würde, gegen den in Österreich geborenen 44-jährigen Beschwerdeführer, der sein ganzes Leben im Bundesgebiet verbracht hat und hier über familiäre Bindungen verfügt, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu erlassen (vgl. VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0246).

Eine gewichtende Abwägung aller Umstände des Einzelfalls

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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