TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/21 W241 1426584-7

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.10.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

21.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §18 Abs1 Z5
BFA-VG §18 Abs1 Z6
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

Spruch


W241 1426582-7/8E

W241 1426584-7/8E

W241 1427884-7/3E

W241 2125135-5/3E

W241 2205755-4/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HAFNER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , 4.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , 5.) mj. XXXX , geb XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle StA. Armenien, alle vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.06.2021, Zahl 1.) 587715909-201071383, 2.) 587715800-201071448, 3.) 820749309-201071456, 4.) 1102267700-201071464 und 5.) 1164152504-201071472, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.09.2021 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6, 55 Abs. 1a FPG iVm 18 Abs. 1 Z 1, 2, 5 und 6 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind die Eltern der minderjährigen Dritt- (BF3), Viert- (BF4) und Fünftbeschwerdeführerinnen (BF5), alle sind Staatsangehörige der Republik Armenien.

Der BF1 und die BF2 brachten erstmals am 17.04.2012 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet Anträge auf internationalen Schutz ein. Zu den Fluchtgründen befragt gaben der BF1 und die BF2 im Wesentlichen zusammengefasst an, dass der BF1 Armenier und die BF2 Jesidin seien, sie ohne Zustimmung der Eltern der BF2 bzw. gegen deren ausdrücklichen Willen kirchlich geheiratet hätten und deshalb einer Bedrohung bzw. Verfolgung durch den Vater der BF2 ausgesetzt gewesen seien.

Diese ersten Anträge von BF1 und BF2 auf internationalen Schutz wurden vom damals zuständigen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BAA) jeweils mit Bescheid vom 04.05.2012 gemäß §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen und gleichzeitig gemäß § 10 AsylG eine Ausweisung aus dem Bundesgebiet Österreich nach Armenien – mit einem Ausweisungsaufschub bis 19.07.2012 aufgrund der Schwangerschaft der BF2 – erlassen.

2. Für die in Österreich am XXXX geborene BF3 wurde der am 20.06.2012 gestellte Asylantrag im Familienverfahren mit Bescheid des BAA vom 19.07.2012 abgewiesen und die Ausweisung nach Armenien entsprechend jener von BF1 und BF2 erlassen.

3. Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes (AsylGH) vom 20.03.2013, E11 426.582-1/2012/10E, E11 426.584-1/2012/8E und E11 427.884-1/2012/5E, wurden die gegen obgenannte Bescheide erhobenen Beschwerden gemäß §§ 3, 8 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen und erwuchsen diese Entscheidungen am 26.03.2013 in Rechtskraft.

Der gegen diese Erkenntnisse eingebrachten höchstgerichtlichen Beschwerde wurde zwar die aufschiebende Wirkung zuerkannt, allerdings wurde die Behandlung der Beschwerde vom VfGH mit Beschluss vom 16.09.2013 abgelehnt.

4. Am 22.10.2014 stellten die BF1-BF3 Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung“ gemäß § 55 Abs. 2 AsylG, welche mit Bescheiden vom 09.09.2016 des nunmehr zuständigen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) abgewiesen wurden. Gleichzeitig wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Armenien zulässig sei. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 03.05.2017 wurden die dagegen erhobenen Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

5. Für die in Österreich am XXXX geborene BF4 wurde ein am 14.01.2016 gestellter Asylantrag im Familienverfahren mit Bescheid des BFA abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung nach Armenien als zulässig festgestellt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 24.05.2016 als unbegründet abgewiesen.

6. Am 19.06.2017 brachten die BF1-BF4 weitere Anträge auf Erteilung eines humanitären Aufenthaltsrechts ein. Diese wurden mit 09.09.2016 in erster Instanz und mit 08.05.2017 in zweiter Instanz abgewiesen.

7. Am 20.08.2017 stellten die BF1 und BF2 für sich und ihre mittlerweile drei Kinder (die BF5 wurde am XXXX in Österreich geboren) wiederum Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des BFA vom 13.08.2018 abgewiesen wurden. Gleichzeitig wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Armenien zulässig sei, ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des BVwG vom 15.10.2018 abgewiesen, wobei das Einreiseverbot auf zwei Jahre befristet wurde. Diese Erkenntnisse erwuchsen mit 15.10.2018 in Rechtskraft.

8. Am 19.11.2018 stellten die BF Anträge auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs. 4 iVm Abs. 1 Z 3 FPG, welche vom BFA mit Bescheiden vom 31.07.2019 abgewiesen wurden. Diese Entscheidungen erwuchsen mangels Beschwerdeeinbringung mit 30.08.2019 in Rechtskraft.

9. Am 06.08.2019 stellten die BF1 und BF2 für sich und ihre Kinder die nunmehr dritten Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des BFA vom 28.08.2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Gleichzeitig wurden den BF gemäß § 15b Abs. 1 AsylG ab dem 07.08.2019 die Unterkunftnahme in St. Georgen im Attergau aufgetragen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des BVwG vom 09.10.2019 rechtskräftig abgewiesen.

10. Am 24.10.2019 brachten die BF Anträge auf Ausstellung einer Duldungskarte gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG ein, welche mit Bescheiden des BFA vom 12.11.2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG iVm § 46a Abs. 1 Z 3 FPG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des BVwG vom 17.02.2020 als unbegründet abgewiesen.

11. Die BF stellten am 30.10.2020 die gegenständlichen, vierten Anträge auf internationalen Schutz.

Der BF1 gab als Grund für die erneute Asylantragstellung an, dass in Armenien Krieg herrsche und er deshalb nicht dorthin zurückkehren könne. Zusätzlich sei seine jüngste Tochter beeinträchtigt.

Die BF2 bestätigte die Angaben des BF1.

12. In einer Einvernahme beim BFA am 28.04.2021 brachte der BF1 zusammengefasst vor, dass im September 2020 in Berg-Karabach Krieg ausgebrochen sei. Entgegen der Informationen des BFA sei der Krieg auch nicht zu Ende. Weiters leide seine jüngste Tochter an Autismus. Auch seine alten Fluchtgründe halte er aufrecht.

Die BF2 gab in ihrer Einvernahme im Wesentlichen an, dass der Grund für die neuerliche Antragstellung der Krieg in Armenien und die gesundheitlichen Probleme der BF5 seien. Die BF5 müssen einmal monatlich zur ärztlichen Kontrolle und erhalte Frühförderung.

Im Verfahren wurden diverse ärztliche Befunde betreffend die BF5 vorgelegt.

13. Mit den angefochtenen Bescheiden des BFA vom 28.06.2021 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und ihnen der Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat nicht zuerkannt (Spruchpunkte II.). Den BF wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkte III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Armenien zulässig sei (Spruchpunkte V.). Gegen den BF1 und die BF2 wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkte VI.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte VII./VI). Einer Beschwerde gegen diese Bescheide wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1, 2, 5 und 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkte VIII./VII.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF keine asylrelevanten Fluchtgründe glaubhaft gemacht hätten. In Armenien herrsche kein Krieg, der BF1 laufe daher auch nicht Gefahr, für den Kriegsdienst eingezogen zu werden. Eine medizinische Behandlung für die BF5 stehe in ausreichendem Umfang in Armenien zur Verfügung. Es könne nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall der Rückkehr einer realen Gefahr des Todes, der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder der Gefahr der Folter ausgesetzt wären.

Die BF erfüllten nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der der wiederholten Asylantragstellung und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen und es komme daher auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG nicht in Betracht. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen (bzw. subsidiären) Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF.

Das über den BF1 und die BF2 verhängte Einreiseverbot wurde damit begründet, dass die BF ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen seien und mehrere Folgeanträge gestellt hätten. Weiters seien sie nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften.

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde damit begründet, dass die BF aus einem sicheren Herkunftsland stammten, schwerwiegende Gründe für die Annahme vorliegen würden, dass die BF eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellten, das Vorbringen nicht den Tatsachen entspreche und es sich zudem um einen Folgeantrag handle.

14. Gegen diesen Bescheid erhoben die BF mit Schriftsatz vom 26.07.2021 Beschwerde.

15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 15.09.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, bei der der BF1 und die BF2 zu ihren Fluchtgründen sowie zum Gesundheitszustand der BF5 einvernommen wurden.

Die BF legten folgende Unterlagen vor:

-        Einstellungszusage für BF1

-        Schreiben betreffen die Frühförderung der BF5

-        Arztbriefe betreffend die BF5 vom 24.02.2021 und vom 20.07.2021

16. Am 28.09.2021 langte eine Stellungnahme zu der in der Verhandlung vorgelegten Anfragebeantwortung beim BVwG ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

?        Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragungen und der Einvernahmen vor dem BFA, die Beschwerde sowie die Unterlagen betreffen die Vorverfahren der BF

?        Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)

?        Einvernahme des BF1 und der BF2 im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 15.09.2021

?        Einsicht in die vom BF vorgelegten Schriftstücke

?        Einsichtnahme in folgende vom BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o        Anfragebeantwortung vom 17.07.2019 betreffend Vulnerabilität bestimmter Personen bzw. Familien in Armenien

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

1.1. Die BF sind armenische Staatsbürger. Die Muttersprache des BF1 ist Armenisch, die der BF2 Jesidisch, sie spricht aber auch Armenisch. Die BF2 gibt an, zur Volksgruppe der Jesiden zu gehören. Die Identität des BF1 und der BF2 steht nicht zweifelsfrei fest.

BF1 und BF2 leben in einer Lebensgemeinschaft. Sie sind die Eltern der minderjährigen BF3, BF4 und BF5.

In Armenien besuchten sowohl der BF1 als auch die BF2 die Grundschule und sie wurden dort auch sozialisiert. Der BF1 war im Herkunftsland als Landwirt tätig, er hielt Schafe. Nebenbei hat der BF1 auch auf Baustellen gearbeitet und Häuser renoviert. Die BF2 lebte vor ihrer Ausreise bei ihren Eltern, welche ebenfalls in der Viehzucht tätig sind. Die Eltern und Geschwister und weitere Verwandte der BF2 sowie ein Onkel und zwei Tanten des BF1 mit deren Familien leben nach wie vor in Armenien.

1.2. Der BF1 und die BF2 brachten erstmals am 17.04.2012 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet Anträge auf internationalen Schutz ein. Diese ersten Anträge wurden vom damals zuständigen BAA jeweils mit Bescheid vom 04.05.2012 gemäß §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen und gleichzeitig gemäß § 10 AsylG die Ausweisung aus dem Bundesgebiet Österreich nach Armenien mit einem Ausweisungsaufschub bis 19.07.2012 aufgrund der Schwangerschaft der BF2 erlassen.

Für die in Österreich am XXXX geborene BF3 wurde der am 20.06.2012 gestellte Asylantrag im Familienverfahren mit Bescheid des BAA vom 19.07.2012 abgewiesen und die Ausweisung nach Armenien entsprechend jener von BF1 und BF2 erlassen.

Mit Erkenntnissen des AsylGH vom 20.03.2013 wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

Am 22.10.2014 stellten die BF1, BF2 und BF3 Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung“ gemäß § 55 Abs. 2 AsylG, welche mit Bescheiden vom 09.09.2016 des BFA abgewiesen wurden. Gleichzeitig wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Armenien zulässig sei. Mit Erkenntnissen des BVwG vom 03.05.2017 wurden die dagegen erhobenen Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

Für die in Österreich am XXXX geborene BF4 wurde der am 14.01.2016 gestellte Asylantrag im Familienverfahren mit Bescheid des BFA abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung nach Armenien als zulässig festgestellt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 24.05.2016 als unbegründet abgewiesen.

Am 19.06.2017 brachten die BF1-BF4 weitere Anträge auf Erteilung eines humanitären Aufenthaltsrechts ein. Diese wurden mit 09.09.2016 in erster Instanz und mit 08.05.2017 in zweiter Instanz abgewiesen.

Am 20.08.2017 stellten die BF1 und BF2 für sich und ihre mittlerweile drei Kinder (die BF5 wurde am XXXX in Österreich geboren) wiederum Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des BFA vom 13.08.2018 abgewiesen wurden. Gleichzeitig wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Armenien zulässig sei, ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des BVwG vom 15.10.2018 abgewiesen, wobei das Einreiseverbot auf zwei Jahre befristet wurde. Dieses Erkenntnis erwuchs mit 15.10.2018 in Rechtskraft.

Am 19.11.2018 stellten die BF Anträge auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs. 4 iVm Abs. 1 Z 3 FPG, welche vom BFA mit Bescheiden vom 31.07.2019 abgewiesen wurden. Diese Entscheidungen erwuchsen mangels Beschwerdeeinbringung mit 30.08.2019 in Rechtskraft.

Am 06.08.2019 stellten die BF1 und BF2 für sich und ihre Kinder die nunmehr dritten Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des BFA vom 28.08.2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Gleichzeitig wurden den BF gemäß § 15b Abs. 1 AsylG ab dem 07.08.2019 die Unterkunftnahme in St. Georgen im Attergau aufgetragen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des BVwG vom 09.10.2019 rechtskräftig abgewiesen.

Am 24.10.2019 brachten die BF Anträge auf Ausstellung einer Duldungskarte gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG ein, welche mit Bescheiden des BFA vom 12.11.2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG iVm § 46a Abs. 1 Z 3 FPG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des BVwG vom 17.02.2020 als unbegründet abgewiesen.

Die BF stellten am 30.10.2020 die gegenständlichen, vierten Anträge auf internationalen Schutz.

1.3. Die BF verfügen über keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Sie leben als Kernfamilie zusammen in einer von der Caritas finanzierten Wohnung und bekommen staatliche Unterstützung.

Der BF1 und die BF2 sind gesund und arbeitsfähig, gehen in Österreich aber keiner Tätigkeit nach. Der BF1 verfügt über eine Einstellungszusage. BF1 und BF2 sind in keinem Verein Mitglied und sie sind weder ehrenamtlich noch gemeinnützig tätig. Der BF1 und die BF2 sprechen Deutsch auf dem ungefähren Niveau A2, der BF1 hat auch die entsprechende Prüfung abgelegt.

Die BF3 besucht die dritte Klasse der Volksschule, die BF4 besucht den Kindergarten. Die BF5 wird zuhause betreut.

1.4. Der BF1, die BF2, die BF3 und die BF4 befinden sich allesamt derzeit nicht in ärztlicher Behandlung bzw. medizinischer Betreuung und sind soweit gesund.

Bei BF3 wurden in der Vergangenheit ein logopädischer Betreuungsbedarf und eine neuromotorische Entwicklungsverzögerung diagnostiziert, letztere wurde mit mehrmaliger Physiotherapie erfolgreich behandelt. Außerdem befand sind die BF3 2014 wegen eines sogenannten Fieberkrampfes mehrere Tage in stationärer Behandlung.

Bei der BF5 wurde eine Autismusspektrumstörung Grad III diagnostiziert. Diese äußert sich bei der BF5 in auffälligem und schwierigem Sozialverhalten und verzögerter Sprachentwicklung. Derzeit erfolgt eine ärztliche Kontrolle alle drei Monate sowie einmal wöchentlich eine interdisziplinäre Frühförderung und Familienbetreuung in der Wohnung der BF. Eine medikamentöse Behandlung erhält die BF5 derzeit nicht.

1.5. Der BF1 und die BF2 haben Armenien nicht aufgrund einer glaubwürdigen, sie unmittelbar persönlich treffenden asylrelevanten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen.

Der BF1 und die BF2 wurden in Armenien nicht asylrelevant bedroht oder auf anderer Weise einer relevanten psychischen oder physischen Gewalt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt.

Die seitens des BF1 und der BF2 zu Protokoll gegebenen Gründe für das Verlassen Armeniens weisen keine Asylrelevanz auf bzw. haben die BF das Vorliegen einer asylrelevanten Bedrohung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer allfälligen Rückkehr nach Armenien insgesamt nicht glaubhaft machen können.

Für die BF3, BF4 und BF5 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

1.6. Bei einer Rückkehr der BF nach Armenien besteht für diese, auch unter besonderer Berücksichtigung der gegenwärtigen Lage aufgrund der Corona Pandemie, keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation bzw. laufen diese dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Im Falle einer Verbringung der BF in ihren Herkunftsstaat droht diesen kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK).

Aus dem in weiterer Folge auszugsweise angegebenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Armenien vom 16.03.2021 ergibt sich, dass die BF Zugang zu medizinischer Grundversorgung, zum öffentlichen Schulwesen sowie zum armenischen Sozialsystem haben.

Laut Anfragebeantwortung vom 17.07.2019 bestehen sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Programme zu insbesondere beruflichen Integration von Rückkehrern. Es existieren auch Sozialhilfeprogramme für Familien mit Kindern.

Die primäre medizinische Versorgung ist in Armenien grundsätzlich kostenfrei, in der sekundären und tertiären Ebene jedoch in den meisten Fällen kostenpflichtig. Im Basis-Leistungspaket wurden jedoch bestimmte Bevölkerungsgruppen festgehalten, die alle Leistungen kostenlos erhalten sollen. Auch private medizinische Einrichtungen, in denen das Niveau von Ausstattung und Personal besser ist als in öffentlichen Einrichtungen, müssen kostenlose Dienstleistungen für diese Personengruppen erbringen. Die BF5 fällt sowohl unter die Gruppe der Kinder unter sieben Jahren als auch unter die Gruppe der Menschen mit Behinderung, weshalb eine medizinische Behandlung in Armenien für sie auch über die Grundversorgung hinaus gewährleistet ist, sollte diese benötigt werden.

Aus der Anfragebeantwortung vom 17.07.2019 geht eine Liste von NGOs hervor, von denen sich mehrere auch um Kinder mit Autismus oder spezielle Bedürfnissen kümmern. Diese Leistungen sind kostenlos.

Zudem geht aus den Länderberichten hervor, dass in Armenien von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der armenische Staat gewillt und befähigt ist, auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritter wirksam zu schützen. Ebenso ist in Bezug auf die Lage der Menschenrechte davon auszugehen, dass sich hieraus in Bezug auf die BF ein im Wesentlichen unbedenkliches Bild ergibt. Darüber hinaus ist allgemein davon auszugehen, dass in der Republik Armenien die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden.

Armenien ist ein sicherer Herkunftsstaat iSd § 19 BFA-VG.

1.7. Zur Situation im Herkunftsland wird festgestellt:

Auszüge aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Armenien mit Gesamtaktualisierung am 13.11.2020, zuletzt aktualisiert am 02.06.2021 (gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht:

COVID-19

Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John HopkinsUniversität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Am 16.3.2020 rief die Regierung Armeniens den Ausnahmezustand aus, der fünf Mal verlängert wurde und am 11.9.2020 durch die Nationale Quarantäne ersetzt wurde, die nun bis 11.7.2021 gilt. Armenien ist das am stärksten betroffene Land im Südkaukasus. Trotz der Notsituation funktionieren fast alle Sektoren der armenischen Wirtschaft wieder, nachdem Unternehmen Anfang Mai 2020 wiedereröffnen durften, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch abzuwehren. Das Einreiseverbot in die Republik Armenien für nicht-armenische Staatsbürger vom 17.3.2020 wurde am 12. August 2020 aufgehoben. Somit können Personen per Flug und per Landweg nach Armenien mit einem negativen PCR-Testergebnis, das max. 72 Stunden vor der Einreise gemacht wurde, einreisen (WKO 5.5.2021; vgl. AA 20.5.2021).

Alle Einreisenden, die ohne ein dokumentiertes PCR-Testergebnis einreisen, müssen sich auf eigene Kosten einem PCR-Test im Labor an der Grenze unterziehen und sich dort in Quarantäne begeben bis das Ergebnis bekannt wird. Die Ergebnisse dieser PCR-Tests werden im ARMED-System registriert und der getesteten Person innerhalb von 48 Stunden zur Verfügung gestellt. Es gibt keine Einreiseerleichterungen für Geimpfte oder Genesene. Am 19. März 2020 haben die armenischen Behörden ein vorübergehendes Ausfuhr-Verbot für bestimmte medizinische Waren erlassen, um die Versorgung des Landes sicherzustellen. Das betrifft solche Güter wie medizinische Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte, COVID-19-Test Kits, Atemschutzmasken, medizinische Masken, Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis und andere Artikel (WKO 5.5.2021).

Anfang Mai 2020 wurden die Ausgangsbeschränkungen und Reisebeschränkungen innerhalb Armeniens aufgehoben. Seit Anfang Juni 2020 gilt in Armenien eine allgemeine Masken-Pflicht für alle Personen und Kinder ab 6 Jahren an öffentlichen Orten inklusive Geschäften, Einkaufszentren, öffentliche Verkehrsmitteln sowie Taxis. Die einzige Ausnahme von der Masken-Pflicht gilt für Gäste in Cafés und Restaurants. Die Regierung hat verschiedene finanzielle Hilfspakete für sozial gefährdete Haushalte und Privatpersonen und wirtschaftlich betroffene KMUs, Freizeit- und Tourismusunternehmen, landwirtschaftliche Betriebe, etc. bereitgestellt. Dazu zählen zinsfreie Kredite und staatliche Garantien, Stundungen für Kreditrückzahlungen, Subventionen für Gas- und Stromkosten (WKO 5.5.2021).

Es bestehen aufgrund der Pandemie keine besonderen Beschränkungen innerhalb des Landes (AA 20.5.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.5.2021): Armenien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/armeniensicherheit/201872, Zugriff 20.5.2021

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich](5.5.2021): Coronavirus: Situation in Armenien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-armenien.html, Zugriff 20.5.2021

Politische Lage

Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 findet in Armenien ein umfangreicher Reformprozess auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene hin zu einem demokratisch und marktwirtschaftlich strukturierten Staat statt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen am 9.12.2018 konnten nach übereinstimmender Meinung aller Wahlbeobachter als frei und fair bezeichnet werden. Die im Dezember 2015 per Referendum gebilligte Verfassungsreform zielt auf den Umbau von einer semi-präsidialen in eine parlamentarische Demokratie ab (USDOS 30.3.201; vgl. FH 3.3.2021). Die Änderungen betreffen u.a. eine Ausweitung des Grundrechtekatalogs sowie die weitere Stärkung des Parlaments (auch der Opposition). Das Amt des Staatspräsidenten wurde im Wesentlichen auf repräsentative Aufgaben reduziert, gleichzeitig die Rolle des Premierministers und des Parlaments gestärkt (AA 27.4.2020). Der Premierminister und der Präsident werden vom Parlament gewählt. Der Premierminister steht an der Spitze der Regierung, während der Präsident vorwiegend zeremonielle Funktionen ausübt (USDOS 30.3.2021).

Die Nationalversammlung besteht aus mindestens 101 Mitgliedern, die für eine fünfjährige Amtszeit durch eine Kombination aus nationalem und bezirksbezogenem Verhältniswahlrecht gewählt werden. Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert, und weitere Sitze können hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten (FH 3.3.2021).

Oppositionsführer Nikol Paschinjan wurde im Mai 2018 vom Parlament zum Premierminister gewählt, nachdem er wochenlange Massenproteste gegen die Regierungspartei angeführt und damit die politische Landschaft des Landes verändert hatte. Er hatte Druck auf die regierende Republikanische Partei durch eine beispiellose Kampagne des zivilen Ungehorsams ausgeübt, was zum schockartigen Rücktritt Serzh Sargsyans führte, der kurz zuvor das verfassungsmäßig gestärkte Amt des Premierministers übernommen hatte, nachdem er zehn Jahre lang als Präsident gedient hatte (BBC 20.12.2018; vgl. AA 27.4.2020). Bei den als „Samtene Revolution“ bezeichneten Demonstrationen im April/Mai 2018 verhielten sich die Sicherheitskräfte zurückhaltend. Auch die Demonstranten waren bedacht, keinerlei Anlass zum Eingreifen der Sicherheitskräfte zu bieten (AA 27.4.2020).

Am 9.12.2018 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt, welche unter Achtung der Grundfreiheiten ein breites öffentliches Vertrauen genossen. Die offene politische Debatte, auch in den Medien, trug zu einem lebhaften Wahlkampf bei. Das generelle Fehlen von Verstößen gegen die Wahlordnung, einschließlich des Kaufs von Stimmen und des Drucks auf die Wähler, ermöglichte einen unverfälschten Wettbewerb (OSCE/ODIHR 10.12.2018). Die Allianz des amtierenden Premierministers Nikol Paschinjan unter dem Namen „Mein Schritt“ erzielte einen Erdrutschsieg und erreichte 70,4% der Stimmen. Die ehemalige mit absoluter Mehrheit regierende Republikanische Partei (HHK) erreichte nur 4,7% und verpasste die 5-Prozent-Marke, um in die 101-Sitze umfassende Nationalversammlung einzuziehen. Die Partei „Blühendes Armenien“ (BHK) des Geschäftsmannes Gagik Tsarukyan gewann 8,3%. An dritter Stelle lag die liberale, pro-westliche Partei „Leuchtendes Armenien“ unter Führung Edmon Maruyian, des einstigen Verbündeten von Paschinjan, mit 6,4% (RFE/RL 10.12.2018; vgl. ARMENPRESS 10.12.2018).

Die HHK und ihre Verbündeten nutzten in der Vergangenheit Stimmenkauf, Wählereinschüchterung und den Missbrauch von Verwaltungsressourcen, um den Volkswillen zu verzerren, aber das Parlament verabschiedete 2018 ein Gesetz, das verschiedene Handlungen im Zusammenhang mit dem Stimmenkauf unter Strafe stellte. Bei den vorgezogenen Wahlen und den Kommunalwahlen 2018 und 2019 gingen diese Praktiken zurück (FH 3.3.2021).

Armenien befindet sich nach den Massenprotesten gegen die Regierung und den Wahlen im Jahr 2018, die eine etablierte politische Elite vertrieben, inmitten eines bedeutenden Übergangs. Die neue Regierung hat versprochen, sich mit langjährigen Problemen wie systemischer Korruption, undurchsichtiger Politikgestaltung, einem fehlerhaften Wahlsystem und schwacher Rechtsstaatlichkeit zu befassen. Die Politik des Landes wurde ernsthaft destabilisiert und mehr als 2.400 Soldaten wurden 2020 getötet, als Kämpfe mit Aserbaidschan über die Kontrolle des Territoriums von Berg-Karabach ausbrachen (FH 3.3.2021).

Seit Paschinjans Machtübernahme hat sich das innenpolitische Klima deutlich verbessert und dessen Regierung geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an, auch wenn immer noch Defizite bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze bestehen (AA 27.4.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020

?        ARMENPRESS – Armenian News Agency (10.12.2018): My Step – 70.44%, Prosperous Armenia – 8.27%, Bright Armenia – 6.37%: CEC approves protocol of preliminary results of snap elections, https://armenpress.am/eng/news/957626.html, Zugriff 21.3.2019

?        BBC News (20.12.2018):Armenia country profile, https://www.bbc.com/news/world-europe-17398605, Zugriff 21.3.2019

?        CIA - Central Intelligence Agency (30.4.2.2019): The World Factbook, Armenia; https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html, Zugriff 7.5.2019

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048576.html, Zugriff 13.4.2021

?        OSCE/ODIHR – Organization for Security and Cooperation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights et alia (10.12.2018): Armenia, Parliamentary Elections, 2 April 2017: Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/armenia/405890?download=true, Zugriff 21.3.2019

?        RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (10.12.2018): Monitors Hail Armenian Vote, Call For Further Electoral Reforms, https://www.rferl.org/a/monitors-hail-armenia-s-snap-polls-call-for-further-electoral-reforms/29647816.html, 21.3.2019

?        RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (14.1.2019): Pashinian Reappointed Armenian PM After Securing Parliament Majority, https://www.rferl.org/a/pashinian-reappointed-armenian-pm-after-securing-parliament-majority/29708811.html, Zugriff 21.3.2019

?        USDOS – U.S. Department of State (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html, Zugriff 7.4.2021

Sicherheitslage

Im Ende September 2020 aufgeflammten Konflikt um die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gelang es, unter Vermittlung Russlands, einen Waffenstillstand zu erreichen. Armenien, das als Schutzmacht für Bergkarabach agiert, stimmte unter massivem Druck der Neun-Punkte-Erklärung zu. In der Erklärung verpflichteten sich die Parteien zu einem vollständigen Einstellen aller Kampfhandlungen auf den zuletzt gehaltenen Positionen. Darüber hinaus werden die von Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre eroberten sieben aserbaidschanische Bezirke rund um Bergkarabach schrittweise an Baku zurückgegeben. Vier davon gingen bereits im Zuge der Kampfhandlungen seit September weitgehend an Aserbaidschan verloren. Mit der Erklärung wurde ebenso eine russische Friedensmission etabliert, die den Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie auf Seiten Bergkarabachs sichern soll. Neben den Peacekeepern soll auch ein außerhalb Karabachs befindliches Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe entstehen. Ebenso vereinbart wurde ein Austausch der Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten. Der letzte Punkt der Vereinbarung weist auf die Öffnung aller Wirtschafts- und Transportwege in der Region hin. Demzufolge muss Armenien Verkehrsverbindungen zwischen den westlichen Regionen der Republik Aserbaidschan und der südwestlich von Armenien gelegenen und an die Türkei grenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan sicherstellen. Der Status von Bergkarabach wurde in der Erklärung offen gelassen (IFK 11.2020).

In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Russlands Präsident Wladimir Putin, sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Alijew und der armenische Regierungschef Nikol Paschinian auf eine neue Grenzziehung und die Stationierung eines russischen Militärkontingents zur Sicherung des neuen Status quo im Konflikt um Berg-Karabach geeinigt. Aserbaidschan übernimmt rund die Hälfte des abtrünnigen Gebiets, darunter die zweitgrößte Stadt Schuscha, die strategisch von immenser Bedeutung ist (DerStandard 10.11.2020).

Unter Vermittlung von Russlands Präsident Wladimir Putin haben die verfeindeten Nachbarn Aserbaidschan und Armenien bei einem ersten gemeinsamen Treffen in Moskau am 11.01.21 neue Schritte für einen Wiederaufbau der umkämpften Südkaukasusregion Berg-Karabach vereinbart. Rund zwei Monate nach dem Ende der Kampfhandlungen um Berg-Karabach betonten die drei Spitzenpolitiker im Kreml, dass das Waffenstillstandsabkommen weitgehend eingehalten werde. Es seien aber noch nicht alle Punkte umgesetzt, so Paschinian. Zugleich betonte er, dass der Konflikt um Berg-Karabach nicht endgültig beigelegt sei. Insbesondere sei der politische Status ungeklärt. Die nun getroffenen Vereinbarungen für eine Entwicklung der Wirtschaft und Infrastruktur Berg-Karabachs sollen zu noch verlässlicheren Sicherheitsgarantien für beide Seiten führen. Die Vize-Regierungschefs von Aserbaidschan und Armenien sowie Russlands würden nun eine Arbeitsgruppe bilden, um konkrete Projekte bei der Wiederherstellung der Wirtschafts- und Verkehrsverbindungen umzusetzen (BAMF 18.1.2021).

Die militärische Niederlage löste eine scharfe politische Krise in Armenien aus, in der die Opposition gegen Premierminister Nikol Pashinian seinen Rücktritt forderte (HRW 13.1.2021; vgl. DerStandard 10.11.2020). Tausende Menschen demonstrierten in Jerewan gegen die Waffenruhe. Sie beschimpften Paschinian als „Verräter“ und forderten seinen Rücktritt. Hunderte der Demonstranten stürmten den Regierungssitz und das Parlamentsgebäude (Krone 10.11.2020). Die Polizei ging mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Es gab dutzende Festnahmen. Unter den Festgenommenen waren auch mehrere Parlamentsabgeordnete (DerStandard 11.11.2020 vgl. ZeitOnline 11.11.2020).

Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan hat zugestimmt, vorgezogene Parlamentswahlen am 20.06.2021 abzuhalten, um die innenpolitische Krise zu entschärfen, die durch den Krieg mit Aserbaidschan um die Region
Berg-Karabach ausgelöst wurde. Nach zahlreichen Treffen mit Oppositionsvertretern und Gesprächen mit Präsident Armen Sarkissjan ibezeichnete Paschinjan am 18.03.2021 die vereinbarten Neuwahlen des Parlaments als besten Ausweg aus der derzeitigen Krise des Landes. Seit dem verlorenen Krieg um Berg-Karabach und dem von Russland vermittelten Waffenstillstandsabkommen versuchen die Opposition und Nationalisten bei regelmäßigen Demonstrationen den Rücktritt von Ministerpräsident Paschinjan zu erzwingen (BAMF 22.3.2021).

Nikol Paschinjan hat für April seinen Rücktritt angekündigt (Krone 28.3.2021; vgl BAMF 29.3.2021). Er werde aber bis zur vorgezogenen Wahl des Parlaments geschäftsführend im Amt bleiben. Um das armenische Parlament aufzulösen, wie z.B. vor Neuwahlen, muss der Regierungschef laut Verfassung zunächst zurücktreten. Die Abstimmung ist für den 20.06.21 angesetzt. Paschinjan sicherte im Fall einer Niederlage zu, das Wahlergebnis zu akzeptieren und für einen geregelten Übergang zu sorgen. Paschinjan gilt nach seinem überwältigenden Wahlsieg bei den letzten Parlamentswahlen vom Dezember 2018 jedoch nicht als chancenlos bei den geplanten Neuwahlen. Gerade in ländlichen Regionen gilt er nach wie vor als sehr beliebt. Am 28.03.21 gab es in der Hauptstadt Jerewan neue Proteste der Opposition, die erneut Paschinjans Rückzug aus der Politik forderte (BAMF 29.3.2021).

Ministerpräsident Nikol Paschinjan hat, wie im März 2021 angekündigt, am 25.04.21 seinen Rücktritt erklärt. Bis zu den vorgezogenen Parlamentswahlen am 20.06.21 werde er geschäftsführend im Amt bleiben. Um das armenische Parlament aufzulösen, muss der Ministerpräsident zurücktreten. Paschinjan will am 20.06.21 erneut für das Amt kandidieren. Die Neuwahlen sollen das Land aus einer innenpolitischen Krise führen (BAMF 26.4.2021).

Menschenrechts-Nichtregierungsorganisationen (NGOs) äußerten weiterhin ihre Besorgnis über Todesfälle außerhalb von Kampfhandlungen in der Armee und das Versagen der Strafverfolgungsbehörden, glaubwürdige Untersuchungen dieser Todesfälle durchzuführen. Laut zivilgesellschaftlichen Organisationen und Familien der Opfer machte die Praxis, viele Todesfälle außerhalb von Kampfhandlungen zu Beginn der Ermittlungen als Selbstmord zu qualifizieren, es unwahrscheinlicher, dass Missbräuche aufgedeckt und untersucht werden würden. Laut Menschenrechtsanwälten war das größte Hindernis bei der Untersuchung militärischer Todesfälle die Zerstörung oder Nichtaufbewahrung wichtiger Beweise, sowohl durch die militärische Führung als auch durch die spezielle Untersuchungsstelle, die an einem Fall arbeitete (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (26.4.2021): Briefing Notes, Armenien, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw17-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 27.4.2021

?        BAMF - Bundeamt für Migration und Flüchtlinge (29.3.2021): Briefing Notes, Armenien, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw13-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 30.3.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (22.3.2021): Briefing Notes, Armenien, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw12-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 24.3.2021

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (1.3.2021): Briefing Notes, Armenien, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw09-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2, Zugriff 3.3.2021

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (18.1.2021): Briefing Notes, Armenien, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw03-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 22.1.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (22.2.2021): Briefing Notes, Armenien, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw08-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 24.2.2021

?        DerStandard (20.2.2021): Proteste in Armenien gegen Regierungschef Paschinian, https://www.derstandard.at/story/2000124347798/proteste-in-armenien-gegen-regierungschef-paschinian, Zugriff 22.2.2021

?        DerStandard (10.11.2020): Umstrittener Waffenstillstand in Bergkarabach, https://www.derstandard.at/story/2000121604696/umstrittener-waffenstillstand-in-bergkarabach, Zugriff 12.11.2020

?        DerStandard (11.11.2020): Erdogan verkündet Einigung auf Überwachung der Feuerpause in Bergkarabach, https://www.derstandard.at/story/2000121627117/erdogan-verkuendet-vereinbarung-zur-ueberwachung-der-waffenruhe-massenproteste-in-armenien, Zugriff 12.11.2020

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048576.html, Zugriff 13.4.2021

?        HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043515.html, Zugriff 22.1.2021

?        IFK – Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement [Österreich] (11.2020): Bergkarabach: Neuordnung der regionalen Machtverhältnisse, https://www.bundesheer.at/php_docs/download_file.php?adresse=/pdf_pool/publikationen/ifk_monitor_65_lampalzer_bergkarabach_nov_20_web.pdf, Zugriff 27.11.2020

?        Krone (28.3.2021): Armeniens Ministerpräsident tritt im April zurück, https://www.krone.at/2376845, Zugriff 29.3.2021

?        Krone (10.11.2020): Einigung auf Waffenruhe in Berg-Karabach, https://www.krone.at/2272372, Zugriff 12.11.2020

?        USDOS - U.S.Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html, Zugriff 9.4.2021

?        ZeitOnline (11.11.2020): Tausende Armenier protestieren gegen Abkommen mit Aserbaidschan, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-11/bergkarabach-konflikt-armenien-aserbaidschan-abkommen-massenproteste-nikol-paschinjan, Zugriff 12.11.2020

Regionale Problemzone: Berg-Karabach (Nagorny Karabach)

Die sogenannte Republik Berg-Karabach ('RBK', russ.: Nagorny Karabach; in Armenien auch Arzach genannt) wird von keinem Staat völkerrechtlich anerkannt. Auch Armenien erkennt die 'Republik Berg-Karabach' offiziell nicht an, praktisch sind beide aber wirtschaftlich und rechtlich stark verflochten. Die Bewohner von Berg-Karabach erhalten neben ihrem RBK-Pass auch armenische Pässe (AA 27.4.2020). Armenien finanziert 55% des Budgets der Republik Arzach (ChH 4.6.2020). Nach der Verfassung ist der Präsident sowohl Staats- als auch Regierungschef und hat die volle Autorität, Kabinettsmitglieder zu ernennen und zu entlassen. Im September 2017 wurde das Amt des Premierministers abgeschafft (FH 4.3.2020k). Am 31.3.2020 fanden in Berg-Karabach - international nicht anerkannte - Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt (HBS 2.4.2020). Die Partei des Freien Vaterlandes von Harutjunyan gewann bei den Parlamentswahlen mehr als 40% der Stimmen und wird 16 der 33 Sitze kontrollieren, während die größte Oppositionskraft, die Partei der Vereinigten Heimat von Samvel Babajan, neun Sitze erhielt (CW 16.4.2020).

Armenische Wahlbeobachter berichten von weitverbreiteten Verletzungen des Wahlgeheimnisses (EN 1.4.2020). Kritisiert wurde weiters, dass wegen COVID-19 kein Wahlkampf geführt werden konnte wie in „normalen“ Zeiten – und zudem der Urnengang selbst das Risiko einer weiteren Ausbreitung des Virus deutlich erhöht habe (HBS 2.4.2020; vgl. EN 1.4.2020). Der im zweiten Wahlgang unterlegene Präsidentschaftskandidat Masis Mailjan forderte die Wähler auf, wegen der Pandemie nicht an den Wahlen teilzunehmen und weigerte sich auch, an Fernsehdebatten teilzunehmen (CW 16.4.2020).

Die Republik Arzach wurde bis zu den Wahlen von Verbündeten der 2018 von Paschinjan gestürzten armenischen Regierung regiert. Die Führer des ehemaligen armenischen Regimes, darunter die ehemaligen Präsidenten Serzh Sargsyan und Robert Kocharyan, unternahmen einige vage Anstrengungen, um über Berg-Karabach als letzte Bastion die Macht in Armenien wiederzugewinnen. Ihr favorisierter Kandidat, Vitaliy Balasanyan, versäumte bei den Präsidentenwahlen am 31.3.2020 den Einzug in den zweiten Wahlgang (EN 1.4.2020).

Die Justiz ist in der Praxis nicht unabhängig und die Gerichte werden von der Exekutive sowie von mächtigen politischen, wirtschaftlichen und kriminellen Gruppen beeinflusst. Die Verfassung garantiert grundlegende Verfahrensrechte, aber Polizei und Gerichte halten diese in der Praxis nicht immer ein. Die Regierung kontrolliert viele der Medien. Im Jahr 2019 wurden Veränderungen durch die politische Öffnung in Armenien im Jahr 2018 mitbewirkt. Politische Kritiker der Führung, denen zuvor selbst kurze Auftritte verboten waren, wurden zu regelmäßigen Gästen in Sendungen zu aktuellen Themen. Darüber hinaus werden nun regelmäßig Debatten organisiert, um wichtige Themen des lokalen öffentlichen Lebens anzusprechen. Oppositionspolitiker haben auch gute Verbindungen zu unabhängigen Medien in Armenien, wodurch deren Ansichten auch in Berg-Karabach vermittelt werden. Dennoch praktizieren viele Journalisten Selbstzensur, insbesondere bei Themen im Zusammenhang mit dem Friedensprozess. Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit, lässt aber Einschränkungen im Namen der Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und anderer staatlicher Interessen zu. In der Verfassung ist die Armenische Apostolische Kirche als 'nationale Kirche' des armenischen Volkes verankert. Die Religionsfreiheit anderer Gruppen wird in der Praxis eingeschränkt. Proteste sind in der Praxis relativ selten. Die Behörden blockieren Versammlungen und Demonstrationen, wenn sie diese als Bedrohung der öffentlichen Ordnung wahrnehmen (FH 4.3.2020).

Es gibt keine Erkenntnisse, wonach Personen bei Bekanntwerden einer (auch) aserbaidschanischen Herkunft mit staatlichen Übergriffen zu rechnen hätten. In Berg-Karabach gelten den armenischen Regelungen vergleichbare Vorschriften zur kostenlosen medizinischen Behandlung. Im Sozialwesen gibt es 'behördliche' Unterstützung (AA 27.4.2020).

Ein gemeinsames türkisch-russisches Beobachtungszentrum zur Überwachung des Waffenstillstands zwischen Armenien und Aserbaidschan in der Region Berg-Karabach hat am 30.1.2021 seinen Betrieb aufgenommen. Der aserbaidschanische Verteidigungsminister Zakir Hasanov und die stellvertretenden Verteidigungsminister der Regionalmächte Türkei und Russland waren anwesend, um das Zentrum in der Region Agdam zu eröffnen. Die Türkei und Russland einigten sich darauf, ein gemeinsames Beobachtungszentrum zu bilden, kurz nachdem Moskau im November ein Waffenstillstandsabkommen vermittelte, das die heftigen Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan um die abtrünnige Region Berg-Karabach beendete. Die Türkei war einer der Hauptunterstützer Aserbaidschans in dem Konflikt. Im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens wurden ein Teil des aserbaidschanischen Territoriums von Berg-Karabach und alle umliegenden sieben Bezirke unter aserbaidschanische Verwaltung gestellt, nachdem sie fast 30 Jahre lang von ethnischen Armeniern kontrolliert wurden. Rund 2.000 russische Friedenssoldaten sind auch entlang der Frontlinie und zum Schutz einer Landverbindung zwischen Berg-Karabach und Armenien im Einsatz (RFE/RL 30.1.2021).

Fünf Monate nach dem Ende der Kämpfe in der Kaukasusregion Berg-Karabach hat Armenien das Kriegsrecht aufgehoben. Das Parlament in Eriwan stimmte mit überwältigender Mehrheit für den Schritt, auf den sich im Vorfeld Ministerpräsident Nikol Paschinjan und die Opposition geeinigt hatten. Paschinjans Regierung hatte das Kriegsrecht am 27. September verhängt, dem Beginn der heftigen Kämpfe zwischen Armenien und dem Nachbarland Aserbaidschan um die umstrittene Region Berg-Karabach (N-TV 24.3.2021; vgl NZZ 21.3.2021).

Zu den bedeutenden Menschenrechtsproblemen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Berg-Karabach gehörten ungesetzliche Tötungen und zivile Opfer (USDOS 30.3.2021).

Aserbaidschanische (AI 7.4.2021) und armenische Streitkräfte verübten in Bergkarabach Kriegsverbrechen. Mehrere Videos, deren Echtheit überprüft wurde, zeigten die Misshandlung von Kriegsgefangenen und anderen Gefangenen sowie die Schändung von Leichnamen feindlicher Soldaten durch die armenische Seite. Dazu zählte auch ein Video, auf dem der Mord an einem aserbaidschanischen Grenzschutzbeamten zu sehen war, dem die Kehle durchgeschnitten wurde (AI 7.4.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020

?        AI - Amnesty International (7.4.2021): Armenien 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048848.html, Zugriff 9.4.2021

?        AI - Amnesty International (7.4.2021): Aserbaidschan 2020, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/aserbaidschan-2020, Zugriff 25.5.2021

?        ChH – Chatham House (4.6.2020): South Caucasus States Set to Diverge Further due to COVID-19, https://www.chathamhouse.org/expert/comment/south-caucasus-states-set-diverge-further-due-covid-19, Zugriff 5.6.2020

?        CW – Caucasus Watch (16.4.2020): Zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Bergkarabach wurde trotz des erklärten Ausnahmezustands abgehalten, https://caucasuswatch.de/news/2623.html, Zugriff 23.4.2020

?        EN – Eurasianet (1.4.2020): Karabakh elections to go to a second round, https://eurasianet.org/karabakh-elections-to-go-to-a-second-round, Zugriff 23.4.2020

?        FH-Freedom House (4.3.2020k): Freedom in the World 2020 – Nagorno Karabakh, https://freedomhouse.org/country/nagorno-karabakh/freedom-world/2020, Zugriff 5.6.2020

?        HBS – Henirich-Böll-Stiftung / Stefan Meister (2.4.2020): Covid-19 im Südkaukasus – Schnelle Reaktionen und autoritäre Reflexe, https://www.boell.de/de/2020/04/02/covid-19-im-suedkaukasus-schnelle-reaktionen-und-autoritaere-reflexe, Zugriff 23.4.2020

?        NKR – President of the Artsakh Republic (o.D.): NKR, General information, http://www.president.nkr.am/en/nkr/generalInformation/, Zugriff 24.6.2020

?        N-TV - Nachrichten TV (24.3.2021): Armenien hebt Kriegsrecht nach Kämpfen um Bergkarabach auf, https://www.n-tv.de/der_tag/Armenien-hebt-Kriegsrecht-nach-Kaempfen-um-Bergkarabach-auf-article22447409.html, Zugriff 25.3.2021

?        NZZ - Neue Zürcher Zeitung (21.3.2021): Konflikt um Nagorni Karabach: Armenien hebt den Kriegszustand auf, https://www.nzz.ch/international/nagorni-karabach-der-lange-armenisch-aserbaidschanische-konflikt-ld.1579039?reduced=true, Zugriff 25.3.2021

?        RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (30.1.2021): Turkish-Russian Center Begins Monitoring Nagorno-Karabakh Truce, https://www.ecoi.net/de/dokument/2044432.html, Zugriff 15.2.2021

?        USDOS - US Department of State (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html, Zugriff 7.4.2021

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter ist in Art. 162 und 164 der Verfassung verankert. Die Verfassung von 2015 hat die bisher weitreichenden Kompetenzen des Staatspräsidenten bei der Ernennung von Richtern reduziert. Das Vertrauen in das Justizsystem ist allerdings weiterhin schwach, da die Mehrzahl der Richter ihre Ämter unter der Vorgängerregierung erlangt hat. Die im Oktober 2019 verabschiedete Reform zur Justizstrategie zielt auf einen personellen Wechsel im Justizapparat ab. Verfahrensgrundrechte, wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt. In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es in den letzten Jahren bereits Fortschritte, die Zahl der Pflichtverteidiger wurde erhöht und kostenlose Rechtshilfe kommt einer breiteren Bevölkerung zugute. Die Einflussnahme durch Machthaber auf laufende Verfahren war in der Vergangenheit in politisch heiklen Fällen verbreitet. Die derzeitige Regierung unter Premierminister Paschinjan hat sich von solchen Praktiken distanziert (AA 27.4.2020; vgl. USDOS 30.3.2021).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und sehen das Recht jeder Person vor, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme oder Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Nach Angaben von Rechtsexperten hatten Verdächtige keine praktischen Möglichkeiten, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme anzufechten (USDOS 30.3.2021).

Nach dem Gesetz muss eine Ermittlungsbehörde Personen innerhalb von drei Stunden nach der Ingewahrsamnahme entweder festnehmen oder freilassen. Innerhalb von 72 Stunden muss die Ermittlungsbehörde die festgenommene Person freilassen oder Anklage erheben und einen Haftbefehl von einem Richter einholen. Das Gesetz schreibt vor, dass die Polizei die Festgenommenen über die Gründe für ihre Festnahme oder Inhaftierung sowie über ihre Rechte zu schweigen, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen und ein Telefonat zu führen, informieren muss. Nach Angaben von Menschenrechtsbeobachtern waren sich nur wenige Inhaftierte ihres Rechts auf rechtliche Vertretung bewusst. Beobachter wiesen darauf hin, dass die Polizei es manchmal vermied, Personen ihr Recht auf ein ordentliches Verfahren zu gewähren, indem sie sie unter dem Vorwand, sie seien keine Verdächtigen, sondern wichtige Zeugen, vorlud und festhielt, anstatt sie formell zu verhaften. Auf diese Weise war die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne ihnen einen Verteidiger zur Seite zu stellen (USDOS 30.3.2021).

Langwierige Untersuchungshaft blieb ein Problem (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Einige Beobachter sahen in der exzessiven Untersuchungshaft ein Mittel der Ermittler, um Angeklagte zu Geständnissen oder zur Offenlegung von selbstbelastenden Beweisen zu bewegen. Obwohl das Gesetz von den Staatsanwälten verlangt, alle zwei Monate eine gut begründete Begründung für die Verlängerung der Untersuchungshaft vorzulegen, verlängerten Richter routinemäßig die Haft aus unklaren Gründen. Die Behörden hielten sich in der Regel an die Sechs-Monats-Grenze in gewöhnlichen Fällen und eine 12-Monats-Grenze für schwere Verbrechen als Gesamtdauer der Untersuchungshaft. (USDOS 30.3.2021).

Die Gerichte sind einer systemischen politischen Einflussnahme ausgesetzt, und die gerichtlichen Instit

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten