TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/21 L516 2151736-1

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Veröffentlicht am 21.10.2021
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Entscheidungsdatum

21.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L516 2151736-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Pakistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2017, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.11.2020 und 07.10.2021 zu Recht:

A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs 1, § 8 Abs 1, § 57, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9 sowie § 46 FPG und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen

B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 22.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom 30.01.2017 (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 11.11.2020 und am 07.10.2021 eine mündliche Verhandlung durch an welcher der Beschwerdeführer mit seiner Vertreterin teilnahmen; in der Verhandlung am 11.11.2020 nahm auch ein Vertreter der belangten Behörde teil.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Paschtunen, dem Stamm der Turi sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest. (NS EB 23.05.2015, AS 23; NS EV 08.03.2016, AS 65)

Der Beschwerdeführer stammt „ XXXX “, einem Ortsteil in der Ortschaft XXXX , in der Nähe von Parachinar in der Kurram Agency, Provinz Khyber Pakhtukhwa (bis 2018 Gebiet der FATA). Das letzte Jahr in Pakistan vor seiner Ausreise verbrachte er in Peschawar. Er hat in Pakistan zwei Jahre lang die Schule besucht und konnte in Pakistan weder lesen und schreiben, er arbeitete als Elektriker, als Chauffeur und als Maurer. Der Familie ging es wirtschaftlich sehr gut, sie ist im Besitz von sehr viel Ackerland. (NS 08.03.2016 S 4, 7, 8)

Der Beschwerdeführer ist traditionell verheiratet und Vater von zwei minderjährigen Kindern. Er lebte bis ein Jahr vor seiner Ausreise mit seiner Ehefrau, seinen beiden Kindern, seiner Mutter und seinem älteren – im Jahr 2016 ungefähr vierzigjährigen – Bruder XXXX zusammen. Sein Vater verstarb bereits im Jahr 2000 eines natürlichen Todes, sein zweiter Bruder XXXX verstarb 2005 oder 2006 als Folge einer Krankheit. Seine drei Schwestern sind verheiratet und leben bei deren Ehemännern in Pakistan. Sein Bruder XXXX , seine Mutter sowie seine Ehefrau und seine Kinder leben nach wie vor im Heimatort des Beschwerdeführers. Seine Familie besitzt eigene Grundstücke, die sein Bruder bewirtschaftet, indem dieser mit zwei oder drei Landarbeitern Reis, Weizen und Gemüse anbaut. Der Bruder erhält auch etwas Geld aus der Vermietung eines Geschäftes, das der Familie gehört. Die Kinder des Beschwerdeführers besuchen die Schule. Die Familie fährt auch manchmal nach Parachinar City, die Hauptstadt der Kurram Agency. (NS EB 23.05.2015 S 1, 3; NS EV 08.03.20216 S 4; VS 11.11.2020, S 8, 13, 18; VS 07.10.2021 S 4, 6 f)

Der Beschwerdeführer verließ Pakistan im Jahr 2014 oder ungefähr im März 2015 und reiste über verschiedene Länder nach Österreich. (NS EB 23.05.2015 S 3; VS 11.11.2020, S 16)

1.2 Zu seiner Lebenssituation in Österreich

Im Mai 2015 reiste der Beschwerdeführer nach Österreich ein, wo er sich gestützt auf das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz seit nunmehr rund sechs Jahren und sechs Monaten ununterbrochen aufhält. Er ist nach wie vor auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde angewiesen. Für den Beschwerdeführer wurde zwar für den Zeitraum 21.07.2020 bis 31.10.2020 eine Beschäftigungsbewilligung (Branchenkontigent) für eine Tätigkeit als Küchenhilfe erteilt, die er jedoch aufgrund seiner damaligen gesundheitlichen Situation nicht antreten konnte. Aktuell verfügt er über zwei aktuelle Arbeitsvorverträge für den Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Erwerbsmöglichkeit, eine Vollzeitstelle als Küchenhilfe, die zweite als Verkäufer von Lebensmittel. Er ist arbeitswillig und aktuell wieder arbeitsfähig. (IZR; GVS; VS 11.11.2020 S 7; VS 11.11.2020 Beilage Beschäftigungsbewilligung; VS 07.10.2021 S 4; VS 07.10.2021 Beilagen Arbeitsvorverträge)

Der Beschwerdeführer hat zwischen März 2016 und Jänner 2018 mehrere Alphabetisierungskurse und einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht. Er ist am 01.10.2021 zu einer Deutschprüfung für das Sprachdiplom ÖSD A1 angetreten, die er zwar mündlich, jedoch nicht schriftlich bestanden hat. In den mündlichen Verhandlungen am 11.11.2020 und 07.10.2021 konnte er nur ganz einfache Worte und Sätze verstehen und mit Zeit- und Satzstellungsfehlern verwenden. (Sprachkursteilnahmezertifikate (OZ 6); VS 11.11.2020 S 6, 7; VS 07.10.2021 S 5; Bestätigung Volkshochschule XXXX über die mündlich bestandene, schriftlich jedoch nicht bestandene Sprachprüfung ÖSD A1 (OZ 21))

Der Beschwerdeführer hat in Österreich Freunde gefunden, mit denen er seine Zeit verbringt, gemeinsam Kaffee trinkt und Sport betreibt. (VS 11.11.2020 S 7)

Er ist strafrechtlich unbescholten. (Strafregister der Republik Österreich)

1.3 Zum Gesundheitszustand

Der Beschwerdeführer wurde 2015 aufgrund eines Sturzes am Handgelenk operiert wobei eine Knochenentnahme am Oberschenkel erforderlich war, welche chronische Knieschmerzen verursachte. Des Weiteren wurde 2015 eine Hernienoperation (Leistenoperation) beim Beschwerdeführer durchgeführt. Das Sesambein eines Fußes war gebrochen, der Beschwerdeführer weist eine Arthrose in einem Sprunggelenk sowie einen Fersensporn auf. Der Beschwerdeführer weist eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion sowie Migräne mit visueller Aura auf. Der Beschwerdeführer ist laut eigenen Angaben ganztätig arbeitsfähig und betreibt Sport. (Befunde, AS 45-49 und OZ 6; VS 11.11.2020, S 5-7; VS 11.11.2020, Beilagen (Arztbestätigung vom 09.11.2020, Befunde; Radiologischer Befund 12.11.2020, Sonografie der linken Leiste; Fachärztlicher Befundbericht 07.01.2021, Diagnose: Chronische Migräne ohne Aura (OZ 13); Arztbrief 22.01.2021, Diagnose: bek. Längsfraktur lat. Sesambein rechts, incip OSG und USG Arthrose rechts, Senkspreizfuß bds (OZ 13); Neurologische Notfallambulanz, Befundbericht 29.05.2021, Diagnose: Migräne ohne Aura (OZ 14); VS 07.10.2021 S 4, 5)

Der Beschwerdeführer leidet damit an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Es besteht im Falle des Beschwerdeführers keine reale Gefahr, dass ihm in Pakistan eine schwere, rapide und irreversible Gesundheitsverschlechterung droht, die mit intensivem Leiden oder mit einer signifikanten Verkürzung der Lebenserwartung verbunden ist.

1.4 Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz

Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz zusammengefasst im Wesentlichen vor:

Bei der Erstbefragung am 23.05.2015 begründete der Beschwerdeführer seine Ausreise aus Pakistan damit, dass er Schiit sei und von den Taliban wegen seiner Glaubensrichtung verfolgt werde; des Weiteren sei die Sicherheitslage in seiner Region sehr schlecht und er wolle hier in Österreich ein neues Leben beginnen. Dies sei sein Asylgrund. (NS EB 23.05.2015 S 5)

Bei der Einvernahme vor dem BFA am 08.03.2016 führte der Beschwerdeführer in der Sprache Urdu zusammengefasst aus, dass ab 2007 in Parachinar viele Menschen von den Taliban umgebracht worden seien. Der Beschwerdeführer sowie sein Vater seien Schiiten gewesen. Seine Mutter sei ursprünglich sunnitischen Glaubens gewesen, aber da sie nicht mitansehen habe können, wie die Sunniten mit den Schiiten umgegangen seien, sei sie nach Beginn der Kämpfe zur schiitischen Glaubensrichtung übergetreten. Seine Mutter habe den Glaubensübertritt in XXXX vor den Dorfältesten trotz der Warnungen der Dorfältesten kundgetan und es sei festgehalten worden, dass sie konvertiert sei. Deshalb sei die gesamte Familie von den Taliban eingeschüchtert worden, doch der Beschwerdeführer sei das primäre Ziel der Einschüchterung gewesen. Die Taliban hätten den Beschwerdeführer mehr als zwei Jahre vor der Einvernahme vor dem BFA einmal entführen wollen, in der Ortschaft Sadda (andere Schreibeweise im Verfahren auch: Sada). Es sei jedoch beim Versuch geblieben, der Beschwerdeführer habe fliehen können. Er sei damals in einem Auto gesessen, als sie von den Taliban angehalten worden seien. Sie hätten alle aussteigen müssen und die Taliban hätten immer wieder seinen Namen genannt. Sie hätten sich alle in einer Reihe aufstellen müssen, aber dann habe er davonlaufen können. Er habe davonlaufen können, weil es dort sehr gebirgig gewesen sei; er habe nicht gefasst werden können und sei daraufhin nach Peshawar geflohen. Sein Bruder habe ihm dann gesagt, dass die Taliban Bescheid wüssten, dass er in Peshawar sei und es besser für den Beschwerdeführer sei, ins Ausland zu flüchten. Sein Bruder sei deshalb nicht von den Taliban bedroht worden, weil der Bruder der älteste der Geschwister sei und deswegen nicht bedroht worden sei. Die Taliban hätten geglaubt, dass der Beschwerdeführer seine Mutter beeinflusst hätte. Die Lage in der Region Parachinar habe sich seit 2007 sehr verschlechtert, seit 2007 gebe es Krieg mit den Taliban. (NS EV 08.03.2016 S 4, 5)

In der Beschwerde vom 12.01.2017 wurde in wenigen Absätzen das Verfahren und die Beurteilung des BFA gerügt, ohne jedoch irgendwelche konkrete und individuelle Angaben zum Vorbringen des Beschwerdeführers zu machen. (Beschwerde 12.01.2017 (AS 319 ff)

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 11.11.2020 führte der Beschwerdeführer in der Sprache Pashto zusammengefasst aus, dass die Kämpfe in seiner Heimatregion 2007 begonnen hätten und seine Mutter 2009 konvertiert sei. Als die Mutter den Entschluss zur Konversion gefasst gehabt habe, sei eine Jirga einberufen worden. Der ältere Bruder des Beschwerdeführers habe die Dorfältesten, welche alle Schiiten seien, in das Haus der Familie eingeladen und es sei ein Schriftstück auf Paschtu und Urdu verfasst worden, in dem stehe, dass die Mutter die sunnitische Glaubensrichtung verlassen habe. Der Beschwerdeführer vermute, ein oder mehrere Mitglieder der Jirga hätten den Taliban erzählt, dass die Mutter Schiitin geworden sei und es sei angenommen worden, dass der Beschwerdeführer dafür verantwortlich sei. Es sei richtig, dass alle Jirga-Teilnehmer Schiiten gewesen seien und kein Problem mit dem Glaubenswechsel der Mutter gehabt hätten, aber zwei Personen aus der Versammlung hätten den Beschwerdeführer verraten. Dadurch, dass die Jirga-Teilnehmer über den Glaubenswechsel gesprochen hätten, habe sich diese Nachricht verbreitet. Der Beschwerdeführer könne sich nicht erklären, weshalb er für den Glaubenswechsel seiner Mutter verantwortlich gemacht werde und er wisse auch nicht, wieso nicht sein Bruder beschuldigt werde. Der Entführungsversuch der Taliban sei 2010 gewesen. Vor der Ortschaft Sadda habe der Fahrer angehalten, weil man in der Entfernung Taliban gesehen habe. Der Beschwerdeführer sei aus dem Auto ausgestiegen und sei zu Fuß nach Peshawar geflohen. Zudem werde er von den Cousins mütterlicherseits des verfolgt, da auch jene der Meinung seien, dass er dafür verantwortlich sei, dass seine Mutter nicht mehr Sunnitin sei. Die Cousins hätten den Bruder des Beschwerdeführers angerufen und jenem gesagt, dass über den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Peshawar Bescheid wüssten und ihn töten würden, wenn sie ihn sehen würden. Der Beschwerdeführer habe dann seine Cousins in Begleitung von Taliban in Peshawar gesehen. Dies sei 2014 gewesen, weshalb er 2014 Pakistan verlassen habe. Er sei weder angegriffen noch geschlagen worden, seine Handverletzung komme von einem Sturz. Seine Reise bis nach Österreich habe sehr lange gedauert. Inzwischen sei es dem Bruder und der restlichen Familie nicht mehr möglich, das Haus zu verlassen. Die Familie habe sogar jemanden engagieren müssen, der die Grundstücke bewirtschaftet. (VS 11.11.2020, S 10-17)

In der am 07.10.2021 fortgesetzten mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer vor, dass er zu seinen Angaben bei der Verhandlung vom 11.11.2020 nichts ergänzen und nichts richtigstellen wolle und alles passe. Er wisse auch nicht von irgendwelchen Neuigkeiten, die sich seit der letzten Verhandlung ereignet hätten. Er telefoniere ab und zu mit seiner Familie, mit seiner Mutter und seinem Bruder. Es habe im letzten Jahr keine Probleme gegeben. Außerdem wisse er nicht, ob etwas passiert sei oder nicht. Er habe keine neuen Informationen. Seine Familie in Pakistan habe eigene Grundstücke, die sein Bruder bewirtschafte, indem dieser mit zwei oder drei Landarbeitern Reis, Weizen und Gemüse anbaue. Der Bruder erhalte auch etwas Geld aus der Vermietung eines Geschäftes, das der Familie gehöre. Die Kinder des Beschwerdeführers besuchen die Schule. Die Familie fahre auch manchmal nach Parachinar City. (VS 07.10.2021 S 4, 6 f)

1.5 Zur Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Antragsgründe und Rückkehrbefürchtung

Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu der vor seiner Ausreise in seiner Herkunftsregion allgemein vorherrschenden schlechten Sicherheitslage ist glaubhaft. Nicht glaubhaft ist jedoch die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung und Bedrohung seiner Person aufgrund der Konversion seiner Mutter und der vorgebrachte Entführungsversuch durch Taliban. Der Beschwerdeführer hat deshalb nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Pakistan einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre.

1.6 Zur Lage in Pakistan:

Politische Lage in Pakistan (LIB)

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 25.9.2020). Die vormaligen FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite Kaschmirs (AA 25.9.2020).

Pakistan ist gemäß seiner Verfassung eine parlamentarische Demokratie. Seit der Unabhängigkeit wurde die demokratische Entwicklung jedoch mehrfach von längeren Phasen der Militärherrschaft unterbrochen. Zuletzt kehrte Pakistan 2008 zur Demokratie zurück. Bei den Parlamentswahlen am 25.7.2018 gewann die bisherige Oppositionspartei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI). Seit August 2018 führt PTI-Chef Imran Khan als Premierminister eine Koalitionsregierung an (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Sicherheitslage allgemein (LIB)

Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020).

Sicherheitslage - Punjab und Islamabad (LIB)

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d; vgl. EASO 10.2020). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Beim einzigen 2019 aus Islamabad gemeldeten Terroranschlag wurden zwei Polizisten getötet und ein weiterer bei einem Angriff auf einen Sicherheitsposten verletzt (PIPS 2020).

Im südlichen Punjab sind militante Netzwerke und Extremisten präsent, Lashkar-e Taiba (LeT) und JeM haben dort ihre Hauptquartiere und unterhalten religiösen Einrichtungen. Die Abteilung für Terrorismusbekämpfung im Punjab (CTD) hat 2019 und im ersten Halbjahr 2020 ihre Operationen gegen Militante fortgesetzt. Es kam dabei zu Festnahmen und zur Tötung von (mutmaßlichen) Kämpfern der TTP, HuA, LeJ und ISKP. Vom 1. Jänner bis 31. Juli 2020 zählte PIPS neun Vorfälle im Punjab, fünf davon wurden als Terroranschläge erfasst (EASO 10.2020; vgl. PIPS 2020).

Sicherheitslage Khyber-Pakhtunkhwa (LIB)

Die Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) ist in 25 Bezirke (PBS 2017d) und sieben Tribal Districts unterteilt (Dawn 31.5.2018). Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) wurden Ende Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert (EASO 10.2020; vgl. AA 29.9.2020). Laut Zensus 2017 hat die Provinz [im Gebietsstand ab 1.6.2018] ca. 35,5 Millionen Einwohner, wovon ca. fünf Millionen auf dem Gebiet der ehemaligen FATA leben. Die Hauptstadt Peschawar hat 4,3 Millionen Einwohner (PBS 2017d).

Die Sicherheitslage in den Khyber Pakhtunkhwa Tribal Districts (KPTDs) hat sich im Jahr 2019 erheblich verbessert. Mit Ausnahme der Bezirke in Süd-Waziristan war in den übrigen sechs Bezirken der ehemaligen FATA ein erheblicher Rückgang an terroristischen Vorfällen und der daraus resultierenden Zahl an Opfern zu beobachten. Insgesamt wurde 2019 im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang der terroristischen Vorfälle um 16 Prozent und der Anzahl der Opfer um rund ein Viertel verzeichnet. Um andererseits die operative Kapazität terroristischer Gruppen in den ehemaligen FATA zu verringern, führten die pakistanischen Sicherheitskräfte im Rahmen der laufenden Militäroperationen im Jahr 2019 unter dem Code-Namen Radd-ul-Fasad nachrichtendienstlich gestützte Operationen (IBOs) durch. 2019 wurden insgesamt 54 solcher IBOs gemeldet, gegenüber 137 im Jahr 2018. Obwohl IBOs in allen Stammesbezirken von KP durchgeführt wurden, blieben Nord-Waziristan, Süd-Waziristan und Bajaur der Hauptschwerpunkt der Operationen. Am anfälligsten für terroristische Anschläge blieb, trotz eines Rückgangs derselben um 22 Prozent, die Provinz Nord-Waziristan (FRC 13.1.2020).

Die Operationen der Armee zur Aufstandsbekämpfung in KP (einschließlich der ehemaligen FATA) trugen langfristig zu einem höheren Sicherheitsniveau in der Provinz bei, und führten zu einer Verringerung des Einflusses der Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP - Pakistan Movement of Taliban) auf den größten Teil des Stammesgürtels. Diese Militäraktionen bewirkten jedoch auch die Vertreibung von Millionen von Bewohnern aus diesem Gebiet. Insgesamt hat sich die Sicherheit in diesen Gebieten verbessert, ist aber weiterhin fragil. Die Netzwerke der TTP bleiben sowohl auf afghanischer Seite als auch in einigen pakistanischen Bezirken entlang der Grenze aktiv (EASO 10.2020; vgl. FRC 13.1.2020). Die Bedrohung durch Gewalttaten der TTP bleibt aufrecht. Zahlreiche Taliban-Fraktionen konnten ihre Netzwerke auf afghanischer Seite der Grenze wieder herstellen und sind in der Lage, terroristische Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten in den KPTDs Nord- und Süd-Waziristan durchzuführen (FRC 13.1.2020; vgl. EASO 10.2020). Die militanten Gruppen haben ihre Taktiken, Strategien und Aussichten geändert, um sich an das veränderte Umfeld anzupassen. Anstelle von Selbstmordattentaten, die früher die bevorzugte und wirksamste Taktik waren, wenden die Militanten jetzt hauptsächlich gezielte Tötungsaktionen gegen Mitarbeiter von Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, politische Vertreter, Stammesälteste und Mitglieder von Anti-Taliban-Stammesmilizen der KPTD an (FRC 13.1.2020).

Die Pak Institute for Peace Studies (PIPS) dokumentierte im Jahr 2019 insgesamt 170 Gewaltvorfälle in der Provinz. Dies ist ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2018 (183). PIPS zählte 125 Terroranschläge im Jahr 2019. Gemäß der Beobachtung von PIPS, setzten Militante im Jahr 2019 Taktiken wie Selbstmordattentate, Schusswaffen, Sprengsätze sowie Handgranaten und Raketen ein. Der Trend, dass Militante Zivilisten, Regierungsbeamte und -institutionen, Stammesälteste und Sicherheitspersonal angreifen, setzte sich im Jahr 2019 fort. Zu den Bezirken in KP, in denen 2019 die meisten Terroranschläge stattfanden, gehören Nord-Waziristan (53 Anschläge), Dera Ismael Khan (14 Anschläge) und Bajaur (11 Anschläge) (PIPS 2020; vgl. EASO 10.2020). In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 beobachtete PIPS insgesamt 100 Vorfälle, von denen 49 als terroristische Anschläge in der Provinz genannt wurden. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 fanden in folgenden Bezirken von KP die meisten terroristischen Angriffe statt: Nord-Waziristan, Bajaur und Peshawar (EASO 10.2020).

[Beweisquelle: LIB Februar 2021 mwN]

Stammesbezirk Kurram (EASO)

Im Jahr 2019 wurde von FRC (Fata Research Center) in diesem Stammesbezirk ein Rückgang der gewalttätigen Vorfälle im Vergleich zu 2018 beobachtet. Insgesamt zählte FRC einen gewaltsamen Zwischenfall im Jahr 2019 im Vergleich zu drei Vorfällen im Jahr 2018. Derselbe Abwärtstrend wurde bei der Zahl der Verletzten im Jahr 2019 festgestellt. FRC zählte 2019 zwei Verletzte (zwei Verletzte) gegenüber 21 Verletzten (8 Tote, 13 Verletzte) im Jahr 2018. Das PIPS (Pak Institute for Peace Studies) erwähnte 2019 in Kurram keinen einzigen ‘terroristischen Angriff’.

Vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Juli 2020 dokumentierte der FRC drei gewalttätige Vorfälle in Kurram, bei denen es 19 Opfer (1 Tote und 18 Verletzte) gab. Vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2020 zählte PIPS drei „terroristische Angriffe“ im Stammesbezirk Kurram, in denen eine Person getötet und achtzehn verletzt wurde. Die Angriffe wurden rivalisierenden Sektengruppen und unbekannten Militanten zugeschrieben.

Im Mai 2020 ereignete sich eine Bombenexplosion in einer Imambargah im Stammesviertel Kurram. Mindestens eine Person wurde verletzt. Ende Juni 2020 brach ein Stammeskonflikt zwischen zwei Stämmen aus und entwickelte sich laut Nation zu einem sektiererischen Zusammenstoß. Mindestens fünf Menschen wurden getötet und über 20 verletzt. Laut Berichten von TNN am 2. Juli 2020 wurden 14 bei diesem Stammeskonflikt getötet und 40 verletzt. Am 23. Juli 2020 ereignete sich auf einem lokalen Markt in Parachinar eine Bombenexplosion, bei der 18 Menschen verletzt wurden. Nach diesem Vorfall protestierten die Menschen und gaben den Sicherheitskräften die Schuld für die Gewalt in der Region.

[Beweisquelle: EASO, Country of Origin Information Report: Pakistan Security Situation, Oktober 2020]

Paschtunen (DFAT)

Gemäß Volkszählung 2017 stellen paschtunische Muttersprachler mit 15,4 % der Bevölkerung (ca. 32 Millionen Menschen) die zweitgrößte Sprachgruppe Pakistans. Von ihnen leben ca. 22,6 Millionen in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa [inkl. ehem. FATA], wo sie ca. 77,7 % der Bevölkerung ausmachen; sowie ca. 3,7 Millionen in der Provinz Belutschistan, wo sie ca. 29,6 % der Bevölkerung ausmachen. Etwa zwei Millionen Paschtunen leben im Sindh, 1,3 Millionen im Punjab und 0,2 Millionen im Hauptstadtterritorium Islamabad (aggregiert aus PBS 2017a und PBS 2017c).

Viele Pakistanis assoziieren die Aktivitäten von Aufständischen im Land mit Paschtunen, die auf beiden Seiten der pakistanisch-afghanischen Grenze leben (DW 20.3.2017). Weil die pakistanische Taliban-Bewegung vornehmlich eine paschtunische Bewegung ist, sind viele Paschtunen durch eine Art Sippenhaft als "Islamisten" oder "militante Kämpfer" gebrandmarkt worden (EASO 10.2018). Zudem hegen Teile der pakistanischen Elite Ressentiments gegen die Paschtunen, weil diese zur Gründungszeit Pakistans separatistischen Bestrebungen anhingen. Dabei hat die Idee einer Vereinigung der paschtunisch besiedelten Gebiete zu einem "Groß-Paschtunistan" unter den pakistanischen Paschtunen aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in Afghanistan kaum noch Anhänger (DW 20.3.2017).

Im Zuge des Kampfes gegen islamistische Aufständische kam es seitens der Sicherheitskräfte zu einem ethnischen Profiling von Paschtunen, insbesondere von Angehörigen einkommensschwacher Gruppen (DW 20.3.2017). Im Rahmen des "Kriegs gegen den Terrorismus" kam es zu Übergriffen an sowie zu Verschleppungen und außergerichtlichen Tötungen von Paschtunen (EASO 10.2018).

Im Jahr 2018 erlebte Pakistan den Aufstieg des Pashtun Tahafuz Movement (Pashtun Protection Movement / PTM). Diese Bürgerrechtsbewegung fordert Schutz und Rechte für die paschtunische Minderheit im Land. Hierzu gehören etwa die Aufklärung von außergerichtlichen Tötungen, ein Ende willkürlicher Angriffe und Misshandlungen, die Rückkehr verschwundener Personen und die Räumung von Landminen in den ehemaligen Stammesgebieten (EASO 10.2019; vgl. HRCP 3.2019).

Die Behörden versuchen, Sympathisanten durch Verhaftungen, Einschüchterungen und Schikanen an der Teilnahme friedlicher Veranstaltungen zu hindern (HRCP 3.2019). Seit Bestehen der PTM wurden hunderte ihrer Aktivisten verhaftet (Euronews 7.2.2019). Ab Frühjahr 2019 haben die pakistanischen Behörden ihr Vorgehen gegen die PTM intensiviert (AI 27.5.2019). Die Behörden setzen ihre Maßnahmen gegen Mitglieder der PTM fort. Es kam mitunter zur Folterung und zur Tötung von Führungsmitgliedern der PTM. In einem Fall, namentlich am 26.5.2019 in Nord-Waziristan, kam es bei einer Demonstration auch zur Tötung von 13 PTM-Demonstranten. Nach diesem Ereignis ging die Regierung hart gegen die PTM vor und verhaftete viele Führungskräfte der Gruppe sowie Unterstützer der Basis. PTM-Aktivisten konnten zwar viele dieser Verhaftungen vor Gericht erfolgreich anfechten; allerdings werden einige der danach Freigelassenen seither vermisst (USDOS 11.3.2020).

Grundsätzlich anerkennt die Regierung, dass einige der von der PTM gemachten Vorwürfe legitim sind. Gleichzeitig behauptet sie aber, dass externe Kräfte die PTM als Instrument zur Schürung ethnischer Spaltungen im Land einsetzen (USDOS 11.3.2020). [Beweisquelle: LIB Februar 2021 mwN]

Geschätzt 15,4 % der Bevölkerung Pakistans sind Paschtunen, womit sie nach den Punjabis die zweitgrößte ethnische Gruppe des Landes bilden. Paschtunen leben traditionell unter sich in ihren eigenen Stämmen und Unterstämmen in Khyber Pakhtunkhwa und der ehemaligen FATA, auch wenn viele Paschtunen in städtische Gebiete migriert sind. Die größten Paschtunen-Gemeinschaften leben in Karatschi, wo sich die größte Paschtunenpopulation in der Welt befindet, gefolgt von Peschawar. Paschtunen leben auch in Belutschistan, Islamabad, Lahore und anderen städtischen Gebieten.

Paschtunen sind in allen Gesellschaftsschichten in Pakistan vertreten. Historisch gesehen haben Paschtunen die Beschäftigung im Verkehrssektor in Pakistan und Afghanistan bestimmt. Paschtunen sind gut in den pakistanischen Sicherheitskräften vertreten. Die PTI hat eine starke Unterstützungsbasis in der von den Paschtunen bestimmten Provinz Khyber Pakhtunkhwa.

Die Sicherheitslage hat sich in ganz Pakistan, für alle Pakistani, die Pashtunen eingeschlossen, verbessert. Paschtunen, die innerhalb Pakistans umziehen, vor allem nach Karachi und Lahore, berichten über „ethnic profiling“ und Belästigungen durch Sicherheitsbeamte, auch Bestechung sei ein Thema. Paschtunen wird auch oft ihre National Identity Card (CNIC) gesperrt, wenn sie umziehen, was den Zugriff auf Vermögenswerte und Eigentum behindert. Als Ergebnis der Schwierigkeiten bevorzugen es Paschtunen sich dort wiederanzusiedeln, wo sie familiäre Verbindungen habe, also in Khyber Pakhtunkhwa oder im Sindh (ausgenommen Karachi), und vermeiden, sich im Punjab niederzulassen.

Nach der Bewertung von DFAT sind Paschtunen einem mittleren Risiko ausgesetzt, Diskriminierungen durch offizielle Stellen in Form von terror-bezogenem und „racial profiling“ durch Sicherheitskräfte in Gebieten, in denen sie die Minderheit darstellen, insbesondere im Punjab, zu erleiden. Paschtunen in Gebieten, in denen die Paschtunen die Mehrheit bilden oder wo familiäre oder andere soziale Verbindungen bestehen, sind einem niedrigen Risiko ausgesetzt, durch offizielle Stellen diskriminiert zu werden.

[Beweisquelle: Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Pakistan 20.02.2019].

Paschtunen (LIB)

Gemäß Volkszählung 2017 stellen paschtunische Muttersprachler mit 15,4 % der Bevölkerung (ca. 32 Millionen Menschen) die zweitgrößte Sprachgruppe Pakistans. Von ihnen leben ca. 22,6 Millionen in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa [inkl. ehem. FATA], wo sie ca. 77,7 % der Bevölkerung ausmachen; sowie ca. 3,7 Millionen in der Provinz Belutschistan, wo sie ca. 29,6 % der Bevölkerung ausmachen. Etwa zwei Millionen Paschtunen leben im Sindh, 1,3 Millionen im Punjab und 0,2 Millionen im Hauptstadtterritorium Islamabad (aggregiert aus PBS 2017a und PBS 2017c).

Viele Pakistanis assoziieren die Aktivitäten von Aufständischen im Land mit Paschtunen, die auf beiden Seiten der pakistanisch-afghanischen Grenze leben (DW 20.3.2017). Weil die pakistanische Taliban-Bewegung vornehmlich eine paschtunische Bewegung ist, sind viele Paschtunen durch eine Art Sippenhaft als "Islamisten" oder "militante Kämpfer" gebrandmarkt worden (EASO 10.2018). Zudem hegen Teile der pakistanischen Elite Ressentiments gegen die Paschtunen, weil diese zur Gründungszeit Pakistans separatistischen Bestrebungen anhingen. Dabei hat die Idee einer Vereinigung der paschtunisch besiedelten Gebiete zu einem "Groß-Paschtunistan" unter den pakistanischen Paschtunen aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in Afghanistan kaum noch Anhänger (DW 20.3.2017).

Im Zuge des Kampfes gegen islamistische Aufständische kam es seitens der Sicherheitskräfte zu einem ethnischen Profiling von Paschtunen, insbesondere von Angehörigen einkommensschwacher Gruppen (DW 20.3.2017). Im Rahmen des "Kriegs gegen den Terrorismus" kam es zu Übergriffen an sowie zu Verschleppungen und außergerichtlichen Tötungen von Paschtunen (EASO 10.2018).

Im Jahr 2018 erlebte Pakistan den Aufstieg des Pashtun Tahafuz Movement (Pashtun Protection Movement / PTM). Diese Bürgerrechtsbewegung fordert Schutz und Rechte für die paschtunische Minderheit im Land. Hierzu gehören etwa die Aufklärung von außergerichtlichen Tötungen, ein Ende willkürlicher Angriffe und Misshandlungen, die Rückkehr verschwundener Personen und die Räumung von Landminen in den ehemaligen Stammesgebieten (EASO 10.2019; vgl. HRCP 3.2019).

Die Behörden versuchen, Sympathisanten durch Verhaftungen, Einschüchterungen und Schikanen an der Teilnahme friedlicher Veranstaltungen zu hindern (HRCP 3.2019). Seit Bestehen der PTM wurden hunderte ihrer Aktivisten verhaftet (Euronews 7.2.2019). Ab Frühjahr 2019 haben die pakistanischen Behörden ihr Vorgehen gegen die PTM intensiviert (AI 27.5.2019). Die Behörden setzen ihre Maßnahmen gegen Mitglieder der PTM fort. Es kam mitunter zur Folterung und zur Tötung von Führungsmitgliedern der PTM. In einem Fall, namentlich am 26.5.2019 in Nord-Waziristan, kam es bei einer Demonstration auch zur Tötung von 13 PTM-Demonstranten. Nach diesem Ereignis ging die Regierung hart gegen die PTM vor und verhaftete viele Führungskräfte der Gruppe sowie Unterstützer der Basis. PTM-Aktivisten konnten zwar viele dieser Verhaftungen vor Gericht erfolgreich anfechten; allerdings werden einige der danach Freigelassenen seither vermisst (USDOS 11.3.2020).

Grundsätzlich anerkennt die Regierung, dass einige der von der PTM gemachten Vorwürfe legitim sind. Gleichzeitig behauptet sie aber, dass externe Kräfte die PTM als Instrument zur Schürung ethnischer Spaltungen im Land einsetzen (USDOS 11.3.2020).

[Beweisquelle: LIB Februar 2021 mwN]

Muslimische Denominationen, insbesondere Schiiten (LIB)

Die beiden Hauptzweige des Islams, das Schiitentum und das Sunnitentum, teilen sich in Pakistan in mehrere Untergruppen auf. Bei den Sunniten sind dies die Barelvis [auch Ahle Sunnat wal Jama'at] mit ungefähr 60 % Anteil; die Deobandis mit ungefähr 35 % und mit ca. 5 % die Ahl-e Hadith (Salafi). Religiöse Intoleranz und Gewalt findet auch zwischen den muslimischen Denominationen und innerhalb der sunnitischen Konfession statt, z. B. zwischen der Barelvi-Sekte, die erheblichen Sufi-Einfluss aufweist und der Deobandi-Sekte, die islamistisch geprägt ist (BFA 10.2014).

Die schiitische Bevölkerung Pakistans wird auf 20 bis 50 Millionen Menschen geschätzt. Die Mehrheit der Schiiten in Pakistan gehört den Zwölfer-Schiiten an, andere Subsekten sind Nizari-Ismailiten, Daudi Bohras und Sulemani Bohras. Die Schiiten sind im ganzen Land verteilt und stellen in der semi-autonomen Region Gilgit-Baltistan die Bevölkerungsmehrheit. Viele urbane Zentren in Pakistan beheimaten große Schia-Gemeinden. Manche Schiiten leben in Enklaven in den Großstädten, sind aber ansonsten gut integriert (UKHO 1.2019). Mitglieder der schiitischen Bevölkerungsgruppen, insbesondere der ethnischen Hazara, werden durch die mit den Sicherheitsmaßnahmen einhergehenden Einschränkungen, die wegen der auf sie verübten Übergriffe getroffen worden sind, erheblich in ihrem Alltagsleben eingeschränkt. In Quetta, der Hauptstadt der Provinz Belutschistan, leben Hazara in „Hazara Town“ genannten Enklaven. Aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen und der damit einhergehenden faktischen Abgeschiedenheit herrschen dort prekäre Verhältnisse, die zusätzlich von ökonomischer Ausbeutung gekennzeichnet sind (BAMF 5.2020). Abgesehen von den Hazara unterscheiden sich Schiiten weder körperlich noch sprachlich von den Sunniten. Schiitische Muslime dürfen ihren Glauben frei ausüben. Es gibt keine Berichte über systematische staatliche Diskriminierung gegen Schiiten. Schiiten sind in der Regierung und im öffentlichen Dienst gut vertreten (UKHO 1.2019). Die öffentliche Wahrnehmung von Schiiten in Pakistan ist tendenziell besser als in manchen Ländern des Mittleren Ostens und des Maghreb mit mehrheitlich sunnitischer Bevölkerung. Allerdings werden Schiiten von einem nicht unerheblichen Bevölkerungsanteil - tendenziell Deobandis - und radikal-islamistischen sunnitischen Gruppierungen als Glaubensabtrünnige bzw. Ungläubige angesehen (BAMF 5.2020).

Obwohl der Terrorismus in den letzten Jahren zurückgegangen ist, bleibt Pakistan eine Basis für extremistische Gruppen wie die pakistanischen Taliban und Lashkar-e-Jhangvi. Diese Gruppen haben neben Nicht-Muslimen oft auch schiitische und sufische Muslime im Visier (USCIRF 4.2020). Religiös/konfessionell motivierte bzw. intrakonfessionelle Gewalt führen weiterhin zu zahlreichen Todesfällen. Die meisten Opfer finden sich unter schiitischen und sunnitischen Muslimen, die von radikalen sunnitischen oder anderen islamistischen Terrororganisationen attackiert werden. Zu vielen Anschlägen auf Schiiten bekennt sich die radikal-sunnitische, anti-schiitische Terrororganisation Lashkar-e-Jhangvi (AA 29.9.2020; vgl. UKHO 1.2019; NCHR 2.2018).

Es gibt zwar keine Berichte über eine systematische Diskriminierung schiitischer Muslime durch den Staat, aber es gibt Berichte über willkürliche Verhaftungen während der Muharram (islamische religiöse Feier) im Zusammenhang mit Verstößen gegen die öffentliche Ordnung (UKHO 1.2019). Einige Bundes- und Provinzbehörden schränken rund um das schiitische Muharram-Fest die Bewegungsfreiheit von Klerikern, die dafür bekannt sind, konfessionelle Gewalt zu propagieren, ein (USDOS 10.6.2020; vgl. HRCP 3.2019). Rund um schiitische Prozessionen in größeren Städten in den Provinzen Punjab, Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan kommen zusätzliche Sicherheitskräfte zum Einsatz - darunter etwa auch für schiitische Hazara-Gemeinschaften in Quetta (USDOS 10.6.2020; vgl. Dawn 10.9.2019).

[Beweisquelle: LIB Februar 2021 mwN]

Turi (DFAT)

Die Turi sind Angehörige eines schiitischen Stammes mit etwa 500.000 Mitgliedern. Turis sind optisch nicht generell von anderen Paschtunen unterscheidbar, aber identifizierbar durch Stammesnamen, ihre Akzente bzw. ihre Wohnorte, die als Turi-Gebiete bekannt sind. Die meisten Turis leben in Parachinar, Kurram Agency, Orakzai, DI Khan, Kohat, and Hangu. Durch die Konzentration von Turis in kleinen geografischen Gebieten, insbesondere in und um Parachinar und der Kurram Agency, sind diese der Gefahr von Angriffen ausgesetzt.

Im Zeitraum zwischen 2008 und 2014 waren Turis von weitreichender Gewalt betroffen. Die TTP etwa griffen Turis aufgrund deren schiitischer Glaubensausrichtung an. Turis die gerade auf Straßen unterwegs waren, wurden oft vom Militär getötet. Die meisten Tötungen auf der Straße fanden zwischen 2009 und 2014 entlang der Thall-Parachinar Straße, die Kurram Agency und Peschawar verbindet, statt.

Im Jahr 2017 nahmen terroristische Angriffe in der Kurram Agency signifikant zu: Bei drei Attacken im ersten Halbjahr 2017 wurden über 120 Menschen getötet. Jedoch nahmen aufgrund der Operationen Zarb-eAzb, Radd ul Fasaad und anderer damit verbundener Aktivitäten die Häufigkeit und die Schwere von Attacken gegen die Turis signifikant ab. Im ersten Quartal 2018 gab es lediglich zwei Attacken, während im Jahr 2017 geschätzt 200 Turis getötet und 1000 verletzt wurden. Auch Attacken auf den Straßen gingen im Jahr 2018 signifikant zurück. Innerhalb der Turi-Gemeinschaft wurde dadurch das Vertrauen wiederhergestellt, die Thall-Parachinar-Straße zu benutzen, wenn auch nur bei Tag und nicht in großen Gruppen.

Durch die Verbesserung der Sicherheitssituation in Parachinar und Kurram Agency kam es jedoch zu Bewegungs- und Freiheitseinschränkungen sowie zu Limitierungen betreffend den Zugang der Gemeinschaft zu Handelsmöglichkeiten und essentiellen Dienstleistungen. Militärische Operationen haben auch viele Turis vertrieben und jene, die inzwischen in ihre Häuser zurückgekehrt sind, haben erhebliche Schäden an Eigentum und Ernten erlitten.

Voranschreitende Sicherheitsmaßnahmen und engmaschigere Grenzkontrollen an der Grenze zu Afghanistan beschränken die Bewegungsmöglichkeiten. Turis beraten das Militär auch bei der Umsetzung einer 20 bis 30 Quadratkilometer großen roten Zone in Parachinar und einer zweiten, kleineren roten Zone innerhalb der äußeren roten Zone, in der sich Märkte und Schulen befinden. Die Sicherheitskräfte stellen Karten für den Zugang zu den roten Zonen aus, die von den Bewohnern gegen Vorlage von Identitätsdokumenten erlangt werden können.

Während sich Minderheiten geschützter fühlen, bleiben nach Angaben der Medien Diskriminierung und Gewalt gegen schiitische Stämme, insbesondere Turi, in der Agency Kurram aufgrund staatlicher Bedenken bezüglich des iranischen Einflusses und einer stärkeren Präsenz der Taliban und Al-Kaida weiterhin von Bedeutung. Turis sind auf Pilgerfahrten in den Iran und in den Irak bei Benutzung der Straßen einem gewissen Gewaltrisiko ausgesetzt, obwohl die Regierung Sicherheitsdienste für solche Reisen zur Verfügung stellt. Turis äußern auch die Besorgnis, dass der Bürgerkrieg in Syrien nach Kurram überschwappt und ISIL mit seiner Basis in Nangarhar, stärker wird.

Turis, die ihren Wohnort aus Parachinar und der Kurram Agency verlagern, um Zugang zu angemessenen Dienstleistungen zu erhalten, haben aufgrund ihres ethnischen und religiösen Hintergrundes Schwierigkeiten, eine Beschäftigung außerhalb Parachinars zu finden und werden im Allgemeinen im Bewerbungsverfahren diskriminiert. Nichtsdestotrotz bietet das globale Netzwerk der Turis und Spendenorganisationen Hilfe für Turis an, die sich in anderen Städten Pakistans ansiedeln wollen. Eine solche Unterstützung hängt oft von einem älteren männlichen Befürworter ab, was den Zugang für ärmere Mitglieder der Gemeinschaft, speziell für Frauen und Kinder beschränkt. Turis, welche die Kurram Agency verlassen, siedeln sich tendenziell in anderen schiitischen Regionen an, ohne Rücksicht auf Sprachbarrieren, wie etwa Wah Kant, Islamabad, Rawalpindi, Lahore und Karachi.

Die Regierung von Parachinar stellt 3 Millionen pakistanische Rupien (PKR) für Familien von Regierungsbeamten oder Angehörigen der Streitkräfte, die in Ausübung ihres Dienstes getötet wurden, und 300,000 PKR für Zivilpersonen, die im Laufe von Militäroperationen getötet wurden, zur Verfügung. Die Mitglieder des Parlaments der ehemaligen FATA können einem erheblichen kulturellen Druck ausgesetzt sein, um finanzielle Unterstützung für die Wähler zu leisten. Vor Ort sind fünf Waisenhäuser in Parachinar für Turis und andere ethnische und religiöse Minderheiten zugänglich.

Turis, welche die Kurram Agency verlassen, siedeln sich tendenziell in anderen schiitischen Regionen an, ohne Rücksicht auf Sprachbarrieren, wie etwa Wah Kant, Islamabad, Rawalpindi, Lahore und Karachi. Eine Wiederansiedlung in Khyber Pakhtunkhwa ist nicht durchführbar, da Turis dort diskriminiert werden, ihre Sicherheit gefährdet ist, sie keinen angemessenen Zugang zu Dienstleistungen habe und es wahrscheinlich ist, dass die gezwungen werden, Vermögenswerte zu verkaufen.

DFAT gelangt zu der Einschätzung, dass die Turis aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit einem ähnlichen Risiko offizieller Diskriminierung ausgesetzt sind, wie andere Paschtunen und kein zusätzliches Risiko einer offiziellen Diskriminierung aufgrund ihrer Religion besteht.

Turis leben in der Regel untereinander in Enklaven, wodurch gesellschaftliche Diskriminierungen eingedämmt werden. Außerhalb dieser Gebiete sind die Turis einem gemäßigten Risiko ausgesetzt, aufgrund ihrer schiitischen Religion und historisch bestehenden Feindseligkeiten gegenüber dem Stamm der Bangash gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt zu sein.

DFAT weist darauf hin, dass aufgrund der verbesserten Sicherheitslage in Parachinar und Kurram Agency die Zahl der Berichte über Angriffe gegen Turis im Jahr 2018 zurückgegangen ist. Obwohl sich dieser Trend voraussichtlich 2019 fortsetzen wird, kann und wird es möglicherweise weiterhin zu Angriffen und Gewalt gegen die Turis kommen. DFAT gelangt daher zu der Bewertung, dass Turis in der Kurram Agency wegen ihres schiitischen Glaubens nach wie vor einem gemäßigten Risiko, religiöse Gewalt durch militante Gruppen zu erleiden, ausgesetzt sind. Turis in anderen Teilen des Landes sind in der Regel mit einem ähnlichen Risiko konfrontiert wie andere schiitische Gruppen, die keine Hazara sind.

[Beweisquelle: Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Pakistan 20.02.2019].

Rechtsschutz, Justizwesen

Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020). Nach der Verfassung ist die politische Gewalt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative aufgeteilt. In der Praxis wird diese Aufteilung in Pakistan jedoch nicht strikt eingehalten (BS 2020). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 5.2020).

Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gemäß Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es eigene Justizsysteme (ÖB 5.2020).

Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings als glaubwürdig eingestuft (USDOS 11.3.2020).

Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden (USDOS 11.3.2020). Das National Accountability Bureau (Antikorruptionsbehörde) kann Verdächtige 15 Tage lang ohne Anklageerhebung festhalten (mit gerichtlicher Zustimmung verlängerbar) und ihnen vor der Anklageerhebung den Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigern. Für Straftaten im Rahmen dieser Behörde kann keine Kaution hinterlegt werden, und nur dessen Vorsitzender ist befugt, über die Freilassung von Gefangenen zu entscheiden (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020).

Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020). Zudem ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen beeinträchtigt: Korruption, Einschüchterung und Unsicherheit; einem großen Rückstau an Fällen und niedrigen Verurteilungsquoten bei schweren Straftaten; von Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRCP/FIDH 10.2019; HRW 14.3.2020). Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben für Korruption und den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren anfällig. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 11.3.2020). Zivile Streitigkeiten, insbesondere wegen Eigentum und Geld, sind ein häufiger Grund für Mordfälle in Pakistan. Die oftmals Jahrzehnte dauernden Verzögerungen bei Urteilen durch Zivilgerichte können zu außergerichtlicher Gewaltanwendung zwischen den Streitparteien führen (JPP 4.10.2018). De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem bisher dargestellten staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020).

Polizei

Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 11.3.2020). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 29.9.2020). Zum geringen Ansehen der Polizei tragen Korruptionsanfälligkeit, unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen ebenso bei (AA 29.9.2020; vgl. HRCP 4.2020).

Mangelnde Bestrafung von Übergriffen, begangen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei. Interne Ermittlungen und Strafen können bei Übergriffen bzw. Misshandlungen vom Generalinspektor, den Bezirkspolizeioffizieren, den District Nazims, Provinzinnenministern oder Provinzministerpräsidenten, dem Innenminister, dem Premierminister und den Gerichten angeordnet werden. Die Exekutive und Polizeibeamte sind ebenfalls dazu befugt, in solchen Fällen eine strafrechtliche Verfolgung zu empfehlen, die gerichtlich angeordnet werden muss. Das Gerichtssystem bleibt das einzige Mittel, um Missbrauch durch Sicherheitskräfte zu untersuchen (USDOS 11.3.2020).

Grundversorgung und Wirtschaft

Derzeit macht der landwirtschaftliche Sektor ca. ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, der industrielle Sektor trägt zu einem Viertel des BIP bei und der größte Sektor für Handel und Dienstleistung trägt bis zu über 50 % des BIP bei. Trotz des geringsten Anteils am BIP ist der landwirtschaftliche Sektor immer noch sehr wichtig, weil mehr als 40 % der Bevölkerung in diesem Sektor direkt beschäftigt sind und die Existenz von mehr als 60 % der ländlichen Bevölkerung direkt oder indirekt von diesem Sektor abhängt. Neben den verheerenden Wettereinflüssen, wie Flut auf der einen und Dürre auf der anderen Seite, führt u.a. der Mangel an modern-technologischem Feldmanagement und Weiterverarbeitungsmöglichkeiten zu einer verhältnismäßig niedrigen Produktivität in diesem Sektor. Gepaart mit anderen soziopolitischen Faktoren führt dies zudem zu einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung im Land (GIZ 9.2020).

Die Arbeitslosigkeit lag mit Stand 2017 offiziell bei etwa 7,8 % (CIA 24.9.2020). Kritisch ist vor allem die Situation von jungen erwerbslosen/arbeitslosen Männern zwischen 15 und 30 Jahren. Eine hohe Arbeitslosigkeit gepaart mit einer Verknappung natürlicher Ressourcen - vor allem auf dem Land - führte zur verstärkten Arbeitsmigration in große Städte und traditionell auch in die Golfstaaten. Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten und Gastarbeitern nach Pakistan belaufen sich gegenwärtig auf ca. 5 % des BIP (GIZ 9.2020).

Das Tameer-e-Pakistan-Programm ist eine Armutsbekämpfungsmaßnahme, um Einkommensquellen für Arme zu verbessern und Arbeitsplätze im Land zu schaffen (IOM 2019). Das Kamyab Jawan Programm, eine Kooperation des Jugendprogramms des Premierministers und der Small and Medium Enterprises Development Authority (SMEDA), soll durch Bildungsprogramme für junge Menschen im Alter zwischen 15 und 29 die Chancen am Arbeitsmarkt verbessern (Dawn 11.2.2019).

Sozialbeihilfen

Es gibt keine Arbeitslosenunterstützung (ILO 2017). Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern bezahlen das Gehalt der letzten 30 Tage des Dienstverhältnisses multipliziert mit der Dauer des Dienstverhältnisses in Jahren als Abfindung (USSSA 3.2019; vgl. ILO 2017).

Der staatliche Wohlfahrtsverband überprüft anhand spezifischer Kriterien, ob eine Person für den Eintritt in das Sozialversicherungssystem geeignet ist. Die Sozialversicherung ist mit einer Beschäftigung im privaten oder öffentlichen Sektor verknüpft (IOM 2019).

Das Benazir Income Support Program und das Pakistan Bait-ul-Mal vergeben ebenfalls Unterstützungsleistungen (USSSA 3.2019). Pakistan Bait-ul-Mal ist eine autonome Behörde, die finanzielle Unterstützung an Notleidende, Witwen, Waisen, Invalide, Kranke und andere Bedürftige vergibt. Dabei liegt der Fokus auf Rehabilitation, Bildungsunterstützung, Unterkunft und Verpflegung für Bedürftige, medizinische Versorgung für mittellose kranke Menschen, Aufbau kostenloser medizinischer Einrichtungen, berufliche Weiterbildung sowie finanzielle Unterstützung für den Aufbau von selbständigen Unternehmen (PBM o.D).

Das Benazir Income Support Programme zielt auf verarmte Haushalte insbesondere in abgelegenen Regionen ab. Durch Vergabe von zinsfreien Krediten an Frauen zur Unternehmensgründung, freie Berufsausbildung, Versicherungen zur Kompensation des Verdienstausfalles bei Tod oder Krankheit des Haupternährers und Kinderunterstützungsgeld sollen insbesondere Frauen sozial und ökonomisch gestärkt werden (ILO 2017).

Die Edhi Foundation ist - nach eigenen Angaben - die größte Wohlfahrtstiftung Pakistans. Sie gewährt u.a. Unterkunft für Waisen und Behinderte, eine kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, sowie Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe, Dienstleistungen für Behinderte sowie Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Naturkatastrophen (Edhi o.D.).

Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Bezirken der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden (NRSP o.D).

[Beweisquelle: LIB Februar 2021 mwN]

Medizinische Versorgung

Der Gesundheitssektor des Landes ist gleichermaßen durch ein Stadt-Land-Gefälle in der Gesundheitsversorgung und ein Ungleichgewicht bei den Arbeitskräften im Gesundheitswesen gekennzeichnet, mit einem Mangel an medizinischen Fachkräften, Krankenschwestern, Sanitätern und qualifiziertem Gesundheitspersonal, insbesondere in den Randgebieten (TSOP 2020). Generell wurde ein mehrstufiges System öffentlicher Gesundheitseinrichtungen eingerichtet. Dieses soll eine grundlegende Gesundheitsversorgung zu minimalen Kosten auf ambulanter Basis bieten. Die Gesundheitsversorgung liegt in erster Linie in der Verantwortung der Provinzregierungen. Generell sollen die Leistungen in den Notfallzentren der Krankenhäuser kostenlos sein. Die Bundesregierung betreibt außerdem ein kostenloses Impfprogramm im ganzen Land und stellt ein Netzwerk von Lady Health Workers (LHWs) zur Verfügung. Diese Fachkräfte für die medizinische Grundversorgung arbeiten auf Gemeindeebene und bieten Beratung und grundlegende Dienstleistungen in den Bereichen medizinische Grundversorgung, Familienplanung und Krankheitsprävention an. Während die offizielle Politik zur Gesundheitsversorgung in Pakistan bekräftigt, dass alle diese Leistungen verfügbar sein müssen, sind die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen in der Praxis eher schlecht ausgestattet. Die Personalausstattung - insbesondere die Anwesenheit von Ärzten - ist in vielen Einrichtungen unsicher. Eine dringende Herausforderung ist der schlechte Zustand von Ausrüstung und Test- bzw. Analysemöglichkeiten (ILO 2019).

Insgesamt basiert das System der Gesundheitsversorgung in Pakistan auf zwei Hauptsäulen, zu denen öffentliche und private Gesundheitseinrichtungen gehören - wobei in den privaten, anders als in den öffentlichen, entsprechende Kosten für die Behandlung anfallen. Die von der Regierung neu ins Leben gerufene "Sehat Insaaf Card"-Initiative bietet der allgemeinen Bevölkerung aus dem unteren sozioökonomischen Sektor die Möglichkeit, ihre privaten Krankenhauskosten von der Regierung übernehmen zu lassen. Die "Sehat Insaaf Card" ist für jeden erhältlich, der unterhalb der Armutsgrenze lebt (d.h. mit einem Einkommen von weniger als 2 US-Dollar (1,68 Euro) pro Tag) und ist ein Jahr gültig. Die Karte deckt die kostenlose Behandlung von fast allen wichtigen Krankheiten ab und bietet auch eine individuelle Finanzhilfe für Personen mit schweren Krankheiten/Behinderungen, Witwen und Invaliden mit unterhaltsberechtigten Kindern, Waisen, Studenten mit nachgewiesenen und beständigen akademischen Leistungen und mittellose Personen. COVID-19-Tests in ausgewiesenen Testeinrichtungen des öffentlichen Sektors werden kostenlos angeboten, in privaten Testeinrichtungen sind sie jedoch kostenpflichtig (IOM 30.3.2021).

Trotz gegebener Verbesserungen (HRCP 3.2019) führt der Großteil der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen keine zufriedenstellende Behandlung durch. Etwa 73% der Bevölkerung sind ohne staatliche Krankenversicherung; 57% in den Städten und 83% am Land (ILO 2017). Die Menschen tendieren dazu, private Einrichtungen aufzusuchen (Kurji et al 2016; vgl. HRCP 3.2019). Zugänglichkeit und Leistbarkeit für Gesundheitsdienste sind insbesondere für die ländliche Bevölkerung problematisch, da es einen ernsten Mangel an qualifiziertem Gesundheitspersonal und unzureichende Finanzierung der primären Versorgungsebene gibt (IJARP 10.2017).

Als Reaktion auf die schlechte Qualität der Dienstleistungen in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen hat die Regierung Systeme der Sozialversicherung eingeführt, um die Bereitstellung der grundlegenden Gesundheitsversorgung zu unterstützen. Das jüngste Beispiel ist das Prime Minister's National Health Programme (PM-NHP), das 2018 in 23 Bezirken in Betrieb genommen wurde und auf 40 Bezirke ausgeweitet werden soll. Das Programm, das zwei Arten von Versicherungsschutz bietet, wird von der pakistanischen Provinzregierung und der Bundesregierung gemeinsam finanziert. Bis heute hat das Programm 1,5 Millionen Familien eingeschrieben. Das PM-NHP deckt Familien ab, die unter eine bestimmte Armutsgrenze im Haushaltsregister fallen. Letzteres wird von der wichtigsten Sozialschutzinitiative der Regierung, dem Benazir Income Support Programme, geführt. Die Programme zur Armutsbekämpfung - wie die Zakat-Initiative und Pakistan Bait-ul-Maal - bieten auch Unterstützung für die grundlegende Gesundheitsversorgung. Sie tun dies in Form von Mitteln, die den Krankenhäusern zur Verfügung gestellt werden; die Krankenhäuser entscheiden dann ihrerseits, welche Patienten für die Versorgung in Frage kommen (ILO 2019).

In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen. Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt (AA 29.9.2020). In Punjab wurde im Februar 2019 mit der Verteilung von Krankenversicherungskarten in 36 Bezirken der Provinz begonnen. Die Krankenversicherung umfasst die Behandlung von acht Krankheiten (z.B. Kardiologie, Neurologie usw.) bis zu einem Grenzwert von 720.000 PKR (ca. 3.800 Euro). Die Krankenversicherung gilt sowohl für die öffentlichen als auch privaten Krankenhäuser (HRCP 4.2020).

Es gibt staatliche Sozialleistungen für Angestellte in Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeitern und bis zu einem Gehalt von 18.000 PKR (ca. 96 Euro) pro Monat (22.000 PKR/ca. 116 Euro in Punjab) sowie für von ihnen abhängige Personen. Ausgenommen von den Sozialleistungen sind Mitarbeiter in Familienbetrieben und Selbständige. Für Mitarbeiter im öff

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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