Entscheidungsdatum
29.10.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W287 2213375-1/23E
Schriftliche Ausfertigung des am 20.07.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Dr. Julia KUSZNIER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , staatenlos, vertreten durch RA Dr. Gerhard MORY, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.12.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.07.2021 zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
II. Es wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte nach Einreise in das Bundesgebiet am 03.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 04.08.2017 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seinen Fluchtgründen erstbefragt.
2. Am 23.08.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich zu seinen Fluchtgründen und seinen persönlichen Umständen einvernommen.
3. Mit im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 04.12.2018, Zl. XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.). Ferner wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage beträgt (Spruchpunkt VI.).
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich gegenständliche Beschwerde des Beschwerdeführers vom 09.01.2019, in der die Rechtswidrigkeit des Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie mangelhafte Beweiswürdigung behauptet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt wurde.
5. Die Beschwerdevorlage des BFA ist am 21.01.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt. Per 01.03.2021 wurde gegenständliche Rechtssache der Geschäftsabteilung W287 neu zugewiesen.
6. Mit Schriftsätzen vom 07.07.2021, 08.07.2021 und 19.07.2021 übermittelte der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung ergänzende Stellungnahmen zu seinem Vorbringen.
7. Am 12.07.2021 sowie am 20.07.2021 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses erfolgte.
8. Am 22.07.2021 ersuchte das Bundesamt um eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zum (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich
Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführten Personalien. Er ist irakischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Araber an. Er war bis Oktober 2013 sunnitischer Moslem und ist seitdem Christ. Seine Muttersprache ist arabisch. Er ist ledig und kinderlos.
Der Beschwerde wurde in Bagdad geboren und wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen 5 Brüdern auf. Der Beschwerdeführer besuchte die Grundschule in Bagdad und absolvierte eine Ausbildung zum Mechaniker und arbeitete danach zumindest zeitweise als Mechaniker im Irak.
Der Beschwerdeführer ist gesund. Er gehört keiner Covid-19-Risikogruppe an.
Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit 03.08.2017 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 03.08.2017 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.
Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse auf Niveau A2. Der Beschwerdeführer besuchte einen Werte- und Orientierungskurs.
Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung, er ist am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert. Er hat Versuche unternommen, eine Beschäftigung zu finden, es wurde jedoch die Beschäftigungsbewilligung nicht erteilt.
Der Beschwerdeführer bietet regelmäßig im Freundes- und Bekanntenkreis unentgeltlich seine Hilfeleistungen an.
Der Beschwerdeführer konnte in Österreich Freundschaften mit Österreichern sowie mit Mitgliedern seiner Kirchengemeinde knüpfen. Er verfügt jedoch weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen, wie Ehefrau oder Kinder, in Österreich.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers / Zur Situation im Falle einer Rückkehr
Der Beschwerdeführer interessierte sich erstmals in den 1980er Jahren für das Christentum, als er im Krieg in Irak zwei Soldaten, die sich zum Christentum bekannten, kennenlernte. Im Jahr 2013 reiste der Beschwerdeführer aus dem Irak vorwiegend wegen der allgemeinen Sicherheitslage aus. Aufgrund der Erfahrungen im Kampf von Schiiten gegen Sunniten sowie seiner Erfahrungen mit Christen in Georgien nach seiner Ausreise wandte sich der Beschwerdeführer dem Christentum zu und wurde am 29.10.2013 in Georgien getauft. Er bekennt sich seitdem zum orthodoxen Christentum.
Im Jahr 2014 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten in Luxemburg zuerkannt. Dort besuchte der Beschwerdeführer regelmäßig den Gottesdienst. Im Dezember 2016 reiste der Beschwerdeführer unüberlegt freiwillig von Luxemburg in den Irak aus. Er wollte aufgrund von ihm empfundener Diskriminierungen nicht in Luxemburg bleiben, hatte jedoch nur die Wahl, dort zu bleiben oder in den Irak zurückzukehren. Er wurde sodann von seinem jüngeren Bruder motiviert, in den Irak zurückzukehren. Im Irak blieb er nur für knapp vier Monate, weil sich die Lage im Herkunftsland anders darstellte, als er angenommen hatte. Während dieser Zeit im Irak ging er aus Furcht vor Bedrohungen nicht außer Haus und praktizierte das Christentum nicht nach außen hin. Er betete allein zuhause. Die Familie des Beschwerdeführers akzeptiert seine Konversion zum Christentum nicht, hatte Angst vor Bedrohungen aufgrund seiner Konversion und forderte ihn mehrfach auf, sich wieder dem Islam zuzuwenden. Der Beschwerdeführer hat aktuell keinen Kontakt zu seiner Familie.
Am 03.05.20117 reiste der Beschwerdeführer aus Furcht vor Bedrohungen wegen seiner Konversion zum Christentum neuerlich aus dem Irak aus. Seit der Beschwerdeführer in Österreich ist, besucht er regelmäßig den Gottesdienst in Österreich, dies zunächst in Salzburg St Blasius, dann später nach seiner Übersiedlung in Köstendorf. Der Beschwerdeführer hat den Entschluss gefasst, nach christlichem Glauben zu leben.
Der christliche Glaube ist wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden. Der Beschwerdeführer würde seinen christlichen Glauben im Falle einer Rückkehr in den Irak weiter praktizieren wollen. Der Beschwerdeführer lebt seine religiöse Überzeugung offen und es ist nicht anzunehmen, dass er seine innere Überzeugung in seinem Herkunftsstaat Irak dauerhaft verleugnen würde. Es ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak wegen seiner Konversion zum Christentum und dem Leben im christlichen Glauben einer physischen und/oder psychischen Gewalt ausgesetzt wären – dies durch Privatpersonen, aber auch durch staatliche oder semi-staatliche Akteure.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsland:
Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Herkunftsstaat Irak vom 14.05.2020; ACCORD-Anfragebeantwortung vom 26.07.2019, Irak, Rechtliche Folgen bei Konversion eines Sunniten zu christlicher Gemeinschaft; Verhalten schiitischer Milizen oder anderer Personengruppen (abseits der Gruppe Islamischer Staat) gegenüber zum Christentum konvertierten Personen; Auswirkungen einer Konversion zum Christentum auf den Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt [a-11036]; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK, Lage der Christen im Irak; assyrische Christen vom 23.07.2019; EASO Country Guidance Iraq vom Jänner 2021; UNHCR Schutzerwägungen vom Mai 2019; samt den angeführten Quellen auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben.
1.3.1. Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation Irak aus dem COI-CMS vom 14. Mai 2020:
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 14.05.2020
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Sicherheitslage Bagdad
Letzte Änderung: 14.05.2020
Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).
Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).
Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020)
Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).
Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.
[Anm.: Weiterführende Informationen zu den Demonstrationen können dem Kapitel 11.1.1 Protestbewegung entnommen werden.]
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 14.05.2020
[…]
Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 12.1.2019). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den „erwiesenen Bestimmungen des Islams“ widerspricht. In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 21.6.2019).
Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 12.1.2019; vgl. ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 12.1.2019; vgl. ROI 15.10.2005).
Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 21.6.2019).
Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 21.6.2019; vgl. UNHCR 5.2019).
Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiös-konfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen (AA 12.1.2019). Die Religionen, die auf dem Antrag für den nationalen Personalausweis angegeben werden können, sind christlich, sabäisch-mandäisch, jesidisch, jüdisch und muslimisch. Dabei wird zwischen den verschiedenen Konfessionen des Islams (Shi‘a-Sunni) bzw. den unterschiedlichen Denominationen des Christentums nicht unterschieden. Personen, die anderen Glaubensrichtungen angehören, können nur dann einen Ausweis erhalten, wenn sie sich selbst als Muslim, Jeside, Sabäer-Mandäer, Jude oder Christ deklarieren (USDOS 21.6.2019) Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 12.1.2019). Es wird berichtet, dass das Gesetz faktisch zu Zwangskonvertierungen führt, indem Kinder mit nur einem muslimischen Elternteil als Muslime angeführt werden müssen. Christen, die formell als Muslims registriert sind, aber den christlichen oder einen anderen Glauben praktizieren, berichten auch, dass sie gezwungen sind, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (USDOS 21.6.2019; vgl. USCIRF 4.2019).
Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Schabak und Faili Kurden). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 12.1.2019).
Institutionelle und gesellschaftliche Einschränkungen der Religionsfreiheit sowie Gewalt gegen Minderheitengruppen sind nach Ansicht von Religionsführern und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich auf Religionsfreiheit konzentrieren, nach wie vor weit verbreitet. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 21.6.2019). Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen in Kirkuk, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch Volksmobilisierungskräfte (PMF) (USDOS 11.3.2020).
Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren (USDOS 11.3.2020).
Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikane und Restriktionen durch lokale Behörden (USDOS 21.6.2019).
Vertreter religiöser Minderheiten berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 21.6.2019) Die Kurdische Region im Irak (KRI) war für viele religiöse und ethnische Minderheiten im Nordirak ein wichtiger Zufluchtsort, während der Phase der konfessionellen Gewalt nach 2003 und während der IS-Krise (USCIRF4.2019). Einige jesidische und christliche Führer berichten über Schikanen und Misshandlungen durch Peshmerga und Asayesh im von der kurdischen Regionalregierung (KRG) kontrollierten Teil von Ninewa, jedoch sagen einige dieser Führer, dass die Mehrheit dieser Fälle eher politisch als religiös motiviert seien (USDOS 21.6.2019).
Konversion und Apostasie
Letzte Änderung: 14.05.2020
Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z.B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z.B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht (AA 12.1.2019). Das Zivilgesetz sieht einen einfachen Prozess für die Konversion eines Nicht-Muslims zum Islam vor. Die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion ist jedoch gesetzlich verboten (USDOS 21.6.2019; vgl. EASO 3.2019). Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, müssen ihre Kinder daher weiterhin als Muslime registrieren (DIS/Landinfo 9.11.2018). Muslimische Männer dürfen eine nicht-muslimische Frau heiraten, muslimische Frauen dürfen jedoch keine Nicht-Muslime heiraten (RoI 30.12.1959).
Personen, die vom Islam zum Christentum konvertieren, können auf Schwierigkeiten mit den Behörden stoßen. Hauptursache für Probleme stellen in der Regel jedoch die Gesellschaft und die Familie dar (EASO 6.2019; vgl. Open Doors 4.2019). Es wird nur selten über Fälle offener Konversion vom Islam zum Christentum berichtet. Personen halten eine Konversion geheim, da Feindseligkeit gegenüber Konvertiten aus der islamischen irakischen Gesellschaft weit verbreitet sind. Familien und Stämme können die Konversion eines ihrer Angehörigen als einen Affront gegen ihre kollektive „Ehre“ interpretieren, weswegen eine offene Konversion Ächtung und/oder Gewalt durch die Gesellschaft, den Stamm, die Familie oder bewaffnete Gruppen nach sich ziehen kann (UNHCR 5.2019).
Es gibt keine gemeldeten Fälle von Personen, die in der Kurdischen Region im Irak (KRI) wegen eines Religionswechsels vor Gericht gestellt wurden. Die Zahl der zum Christentum konvertierten Personen in der KRI wird auf wenige hundert geschätzt (EASO 6.2019). Personen, die vom Islam zu Christentum konvertieren, sind in der KRI in Gefahr Opfer von (auch tödlicher) Gewalt zu werden (DIS/Landinfo 9.11.2018).
Atheismus, Agnostizismus, Kritik an konfessioneller Politik
Letzte Änderung: 14.05.2020
Das irakische Strafgesetzbuch enthält keine Artikel, die eine direkte Bestrafung für Atheismus vorsehen. Es gibt auch keine speziellen Gesetze, die Strafen für Atheisten vorsehen. (Al-Monitor 1.4.2018). Atheismus ist im Irak zwar nicht illegal (NBC 5.4.2019), aber die irakische Verfassung garantiert Atheisten nicht die freie Glaubensausübung (USDOS 21.6.2019; vgl. EASO 3.2019).
Staatliche Akteure setzen Atheismus typischerweise mit Blasphemie gleich (UKHO 10.2019). Atheisten wurden Berichten zufolge wegen „Schändung von Religionen“ und damit zusammenhängenden Anklagen verfolgt (UNHCR 5.2019; vgl. Al Monitor 1.4.2018). Im März 2018 wurden in Dhi Qar Haftbefehle gegen vier Iraker aufgrund von Atheismus-Vorwürfen erlassen. Einer wurde verhaftet, während die übrigen drei geflohen sind (Al-Monitor 1.4.2018; vgl. USCIRF 4.2019). Ende 2018 wurde ein atheistischer Buchhändler im südirakischen Gouvernement Nasriyah verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen Atheismus verbreiten zu wollen (AW 20.7.2019; vgl. NBC 5.4.2019).
Atheisten im Irak sind eine wachsende Minderheit (AW 20.7.2019). Berichten zufolge gibt es auch eine kleine, wachsende Bewegung von Agnostikern im Irak (NBC 5.4.2019).
Offener Atheismus ist im Irak äußerst selten, da die gesellschaftliche Toleranz gegenüber Atheisten sehr begrenzt ist, wie die öffentliche Rhetorik einiger Politiker und religiöser Führer zeigt. Atheisten halten ihre Ansichten oft geheim, aus Furcht vor Diskriminierung und Gewalt durch die eigene Familie, Milizen oder auch religiös-konservative Gruppen (UKHO 10.2019). Milizen sollen Mittel haben, um die Personen hinter Social Media-Einträgen ausfindig zu machen. Angeblich werden Atheisten ins Visier genommen (NBC 5.4.2019).
Personen, die gegen die strenge Auslegungen der islamischen Regeln in Bezug auf Kleidung, soziales Verhalten und Berufe verstoßen, einschließlich Atheisten und säkular gesinnte Personen, Frauen und Angehörige religiöser Minderheitsgruppen, sind Berichten zufolge mit Entführungen, Schikanen und körperlichen Angriffen durch verschiedene extremistische bewaffnete Gruppen und Milizen konfrontiert (UNHCR 5.2019).
Obwohl in der Bevölkerung verschiedene Grade der Religiosität vertreten sind, und ein Segment der Iraker eine säkulare Weltanschauung vertritt, ist es dennoch selten, dass sich jemand öffentlich zum Atheismus bekennt. Die meisten Atheisten verstecken ihre Identität und behaupten Muslime zu sein (EASO 3.2019).
Viele Geistliche, die islamischen politischen Parteien nahe stehen, haben missverständliche Vorstellungen zu dem Thema und bezeichnen z.B. oft den Säkularismus als Atheismus (Al-Monitor 1.4.2018).
An den Wahlen von 2018 nahm auch eine Reihe eher sekulärer Parteien teil (FH 4.3.2020).
Minderheiten
Letzte Änderung: 14.05.2020
Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten faktisch unter weitreichender Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.1.2019). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 4.3.2020). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch PMF-Milizen, in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 11.3.2020).
Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20%) (AA 12.1.2019). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).
Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI), oft benachteiligt. Zudem ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen – eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.1.2019).
Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer-Sabäern, Kaka‘i, Schabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.1.2019).
In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.1.2019; vgl. KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der KRI durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017). Es gibt auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Schabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 13.3.2019). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.1.2019).
Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in dem ethnisch-konfessionell sehr heterogenen Gouvernement Diyala (AA 12.1.2019). Im Gouvernement Ninewa wurden alle Distriktverwaltungen angeordnet, dem Bundesgesetz von 2017 folge zu leisten und den Familien von PMF-Märtyrern, die im Kampf gegen den IS gefallen sind (zumeist Schiiten), Land zuzuweisen. Diese Anordnung schloss auch Distrikte mit sunnitischer und nicht-muslimischer Mehrheit ein. Es kam zu Widerstand unter Verweis auf das in der Verfassung verankerte Verbot eines erzwungenen demografischen Wandels, insbesondere im mehrheitlich christlichen Distrikt Hamdaniya (USDOS 21.6.2019).
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Die territoriale Niederlage des IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Viele Schiiten und religiöse Minderheiten, die vom IS vertrieben wurden, sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Rückkehr irakischer Streitkräfte in Gebiete, die seit 2014 von kurdischen Streitkräften gehalten wurden, führte Ende 2017 zu einer weiteren Runde demografischer Veränderungen, wobei manche kurdische Bewohner auszogen, und Araber zurückkehrten. In Gebieten, die von schiitischen Milizen befreit wurden, gab es wiederum Berichte von der Vertreibung sunnitischer Araber (FH 4.3.2020). Aufgrund der konfliktbedingten internen Vertreibungen und Rückkehrbewegungen hat sich seit 2014 die Demographie einiger Gebiete von mehrheitlich sunnitisch zu mehrheitlich schiitisch bzw. zu konfessionell gemischt entwickelt, insbesondere in den Gouvernements Bagdad, Basra und Diyala. Im Distrikt Khanaqin in Diyala ist die Anzahl der Orte mit einer sunnitischen Mehrheit von 81 auf 73 gesunken, jene mit einer kurdisch-sunnitischen Mehrheit von 20 auf 17. Im Gouvernement Babil sind vormals arabisch-sunnitisch-schiitische Mischstädte wie Jurf al-Sakhr und Musayab vollständig schiitisch geworden. In der KRI hat die Präsenz sunnitischer Araber zugenommen, sodass die Anzahl der Orte mit einer sunnitisch-arabischen Mehrheit seit 2014 von 2 auf 25 angewachsen ist (IOM 2019).
Ebenso wurde ein Rückgang von assyrischen Christen in vormals gemischt-konfessionellen Regionen im Gouvernement Ninewa verzeichnet, sowie von vormals ethnisch-konfessionell gemischten Orten in den Distrikten Mossul, Sinjar und Telfar, in denen die Zahl der kurdischen Sunniten, Jesiden und Schabak zurückging. Im Gouvernement Diyala sind turkmenisch-sunnitische Mischgebiete verschwunden, während sich die turkmenische Präsenz in der Region um Kirkuk verstärkt zu haben scheint (IOM 2019).
Christen
Letzte Änderung: 14.05.2020
Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 200.000 bis 400.000 Christen im Irak leben (zum Vergleich 2003: 1,5 Mio.) (AA 12.1.2019). Nach Angaben christlicher Führer sind weniger als 250.000 Christen im Irak verblieben (USCIRF 4.2019; vgl. USDOS 21.6.2019). Kernland der christlichen Gemeinschaften im Irak ist der Nordwesten des Landes, die Ninewa-Ebene (USCIRF 4.2019). Ca. 67% der irakischen Christen sind chaldäische Katholiken, fast 20% Mitglieder der Assyrischen Kirche des Ostens. Der Rest sind syrisch-orthodoxe, syrisch-katholische, armenisch-katholische, armenisch-apostolische, anglikanische Christen und andere Protestanten. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) gibt es etwa 3.000 evangelikale Christen (Angehörige protestantischer Freikirchen) (USDOS 21.6.2019).
Das Christentum ist per Personenstandsgesetz anerkannt und kann auf den nationalen Identitätsausweisen ausgewiesen werden. Religiöse Angelegenheiten der Christen werden durch das Amt (Diwan) für Religiöse Stiftungen für Christen, Jesiden und Mandäer/Sabäer verwaltet (USDOS 21.6.2019).
Die Situation der Christen (v. a. assyrische sowie mit Rom unierte chaldäische Christen) hat sich kirchlichen Quellen zufolge seit Ende der Diktatur 2003 stark verschlechtert. Viele Christen sehen für sich keine Zukunft im Irak. In den vergangenen Jahren sind daher hunderttausende irakische Christen ins Ausland geflohen (AA 12.1.2019). Nach dem Vormarsch des IS auf Mossul und das umliegende christliche Kernland ergriffen im Sommer 2014 zehntausende Christen die Flucht in die Kurdische Region im Irak (KRI) und vereinzelt auch nach Bagdad (AA 12.1.2019). Eine begrenzte Anzahl assyrischer und chaldäischer Christen kehrte in ihre Heimat in der Ninewa-Ebene zurück, wie z.B. nach Qaraqosh (USCIRF 4.2019). Viele warten aber noch darauf, dass die mittlerweile befreiten christlichen Städte um Mossul für eine Rückkehr sicher genug und zumindest teilweise wieder aufgebaut sind (AA 12.1.2019). Es mangelt aber an wiederhergestellter Infrastruktur, und es besteht die Gefahr von IS-Sprengfallen und Blindgängern (USCIRF 4.2019).
Es kommt immer wieder zu Angriffen auf Priester, Bombenanschlägen auf Kirchen und christliche Einrichtungen sowie Übergriffen auf von Christen geführte Lebensmittelgeschäfte, in denen gegebenenfalls auch alkoholhaltige Getränke angeboten werden (AA 12.1.2019).
Christen in den von der PMF kontrollierten Städten, insbesondere im mehrheitlich christlichen Distrikt Hamdaniya in Ninewa berichten über Belästigung christlicher Frauen durch PMF-Mitglieder. Christen berichten auch über Versuche von Teilen der Zentralregierung in Bagdad, einen demographischen Wandel zu erleichtern, indem in traditionell christlichen Gebieten Land und Wohnungen für schiitische und sunnitische Muslime zur Verfügung gestellt werden (USDOS 21.6.2019). Die irakische Regierung hat Beschwerden assyrischer und chaldäischer Christen über eine illegale Enteignung ihres Landes im Anschluss an ihre vorübergehende Vertreibung durch den IS im Gouvernement Ninewa weitgehend ignoriert. Heimkehrende christliche Familien sehen sich mit einem Besitzanspruch sunnitischer Araber oder Kurden konfrontiert (USCIRF 4.2019).
Christen werden von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung bei von muslimischen Moralvorstellungen abweichendem Verhalten, wie z.B. Alkoholverkauf, unter Druck gesetzt, manchmal auch durch PMF (DIS/Landinfo 5.11.2018).
In der KRI haben seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung. Viele Christen haben bereits seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein in der KRI Zuflucht gefunden. Es gibt christliche Städte oder auch große christliche Viertel in Großstädten wie beispielsweise Ankawa in Erbil, in denen Christen in Frieden leben können (AA 12.1.2019). Die kurdischen Regionalregierung (KRG) hat zusätzlich zu den durch die Zentralregierung anerkannten Religionsgemeinschaften elf evangelikale und andere protestantische Kirchen registriert: die Nahda al-Qadassa Kirche in Erbil und Dohuk, die evangelische Nasari Kirche in Dohuk, die kurdisch-zamanische Kirche in Erbil, die evangelische Ashti Kirche in Sulaymaniyah, die evangelische Freikirche in Dohuk, die Baptistenkirche des Guten Hirten in Erbil, die internationale evangelische al-Tasbih Kirche in Dohuk, die Rasolia Kirche in Erbil, die Vereinigte evangelische Kirche in Erbil, die Assemblies of God in Erbil und die Kirche der Siebenten-Tages-Adventisten in Erbil. Die KRG gestattet die Registrierung neuer christlicher Kirchen ab mindestens 50 Gläubigen. Außerdem können sich christliche Gruppen beim Rat der irakischen christlichen Kirchenführer registrieren, was ihnen Zugang zu Leistungen des kurdischen Ministeriums für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (MERA) und christlichen Stiftung gewährt (USDOS 21.6.2019).
Es gibt 56 syriakische Schulen in der KRI und die syriakische Sprache ist in jenen Verwaltungseinheiten, in denen Christen in großer Dichte auftreten, als Amtssprache anerkannt (USDOS 21.6.2019).
1.3.2. ACCORD-Anfragebeantwortung vom 26.07.2019, Irak, Rechtliche Folgen bei Konversion eines Sunniten zu christlicher Gemeinschaft; Verhalten schiitischer Milizen oder anderer Personengruppen (abseits der Gruppe Islamischer Staat) gegenüber zum Christentum konvertierten Personen; Auswirkungen einer Konversion zum Christentum auf den Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt [a-11036]:
Rechtliche Folgen bei einer Konversion eines Sunniten zu einer christlichen Gemeinschaft
Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo, ein unabhängiges Organ der norwegischen Migrationsbehörden, das verschiedenen AkteurInnen innerhalb der Migrationsbehörden Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellt, schreibt in einer Anfragebeantwortung zu Apostasie und Atheismus im Irak vom August 2018, dass ein gesetzlicher Widerspruch zwischen den garantierten Rechten einerseits und dem Islam als Rahmen für die Gesetzgebung andererseits bestehe, der bei der Anwendung des Gesetzes Spielraum für unterschiedliche Auslegungen ermögliche. Auf der einen Seite sei es erlaubt, seinen Glauben frei zu wählen, da andererseits aber Apostasie als unvereinbar mit dem islamischen Gesetz gelte, könne dies theoretisch eine Strafverfolgung nach sich ziehen. Apostasie und Konversion vom Islam zu einer anderen Religion würden daher als illegal und aus Sicht der islamischen Gesetze als strafbar eingestuft, sie seien jedoch nicht als Straftatbestände im Strafgesetzbuch angeführt. Daher sei der rechtliche Status von ApostatInnen und KonvertitInnen im Irak derzeit unklar. RechtsexpertInnen, die 2010 vom NGO-Netzwerk Institute for War and Peace Reporting (IWPR) interviewt worden seien, hätten erklärt, dass Richter das Gesetz frei nach ihren religiösen Überzeugungen interpretieren könnten. Dies bedeute, dass der Richter sich in Fällen, in denen das Gesetz nicht explizit das Erlaubte und das Verbotene definiere, auf islamisches Recht stützen könne. Ein irakischer Richter und Angestellter im Justizministerium habe IWPR gegenüber angegeben, dass es kein Gesetz gebe, das bestimme, wie mit einem Konvertiten zu verfahren sei, in solchen Fällen müsse man auf islamische Regelungen zurückgreifen, da der Islam die Hauptquelle der Gesetzgebung sei:
[…]
Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union zur Förderung der praktischen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich, veröffentlicht im Juni 2019 einen Bericht zum Irak mit Herkunftsländerinformationen und Handlungsempfehlungen für Asylentscheider. Laut dem Bericht sei der Abfall vom Glauben im Irak ungewöhnlich und werde generell als unnatürlich angesehen. Trotz der Anerkennung religiöser Diversität würden Personenstandsgesetze die Konversion von MuslimInnen zu anderen Religionen verbieten. Artikel 26 des Gesetzes zur Nationalen Identifikationskarte bestätige das Recht für NichtmuslimInnen, zum Islam zu konvertieren, räume aber umgekehrt MuslimInnen nicht das Recht auf Konversion ein. MuslimInnen, die eine andere Religion annehmen würden, könnten ihre Religionszugehörikeit auf ihrem Personalausweis (national identity card) nicht ändern und seien weiterhin als MuslimInnen registriert. Ein 2015 erlassenes Gesetz nur national identity card bekräftige die Einschränkung, der zufolge ein Muslim nach Konversion zu einer anderen Religion seine Religionszugehörigkeit auf seinem Personalausweis nicht ändern könne. Ein neues elektronisches und biometrisches Personalausweissystem werde derzeit im Irak eingeführt, bei dem Informationen zur Religionszugehörigkeit des Ausweisinhabers auf dem Chip gespeichert würden, jedoch nicht auf der Karte selbst erkennbar seien:
[…]
Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Religionsfreiheit vom Juni 2019 (Berichtszeitraum 2018), dass es in der Autonomen Region Kurdistan (ARK) etwa 2.000 registrierte Mitglieder evangelikaler Kirchen gebe, während eine unbekannte Anzahl, zumeist vom Islam zum Christentum Konvertierte, ihre Religion im Geheimen ausüben würden. Personenstandsgesetze und gesetzliche Bestimmungen würden die Konversion von MuslimInnen zu anderen Religionen verbieten. Während das Zivilgesetz einem Nichtmuslimen in einem einfachen Prozess ermögliche, zum Islam überzutreten, verbiete das Gesetz die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion. Der USDOS-Bericht merkt ferner an, dass der neue irakische Personalausweis (national identity card) nicht mehr die Religionszugehörigkeit des Ausweisinhabers angebe. Das Online-Antragsformular verlange aber trotzdem die Angabe dieser Information:
[…]
In seinen im Mai 2019 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus dem Irak geht das Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) unter Berufung auf verschiedene Quellen auf die Lage von KonvertitInnen ein. Das Strafgesetz verbiete die Konversion vom Islam zum Christentum (oder jeglicher anderen Religion) nicht, das Gesetz sehe jedoch auch keine rechtliche Anerkennung einer Änderung der Religionszugehörigkeit vor. Aus diesem Grund weise ein Personalausweis einen Konvertiten weiterhin als Muslim aus. Es gebe nur sehr selten Berichte von Fällen, in denen Personen offen vom Islam zum Christentum übergetreten seien. Berichten zufolge würden KonvertitInnen ihre Konversion geheim halten, da in der irakischen Gesellschaft die Feindseligkeit gegenüber KonvertitInnen weit verbreitet sei und Familien und Stämme die Konversion eines ihrer Mitglieder wahrscheinlich als Verletzung ihrer kollektiven „Ehre“ ansehen würden. Eine öffentliche Konversion würde wahrscheinlich zu Ausgrenzung und/oder Gewalt durch die Gemeinschaft, den Stamm oder die Familie des Betreffenden sowie durch islamistische bewaffnete Gruppen führen:
[…]
Das britische Innenministerium (UK Home Office) schreibt in seinem Bericht zu Herkunftsländerinformationen und Handlungsempfehlungen für britische Asylentscheider vom August 2016 zusammenfassend, dass die rechtliche Situation bezüglich der Konversion vom Islam zu einer anderen Religion unklar sei. Das Strafrecht verbiete die Konversion vom Islam nicht, das Personenstandsgesetz erkenne eine solche Konversion jedoch rechtlich nicht an. Eine Konversion könne Schwierigkeiten mit sich bringen, unter anderem, was die Beantragung von Dokumenten, Eheschließungen und die Anmeldung von Kindern an bestimmten Schulen anbelange:
[…]
Die Website Hathalyoum, die Nachrichten anderer irakischer Onlinemedien sammelt und nach Regionen und Themen sortiert anbietet, veröffentlicht im Februar 2017 einen ursprünglich bei Zaman Press erschienenen Artikel zur gesetzlichen Lage bei einer Ablegung des muslimischen Glaubens im Irak. Ein Richter für Personenstandsrecht habe angegeben, dass das irakische Gesetz einer Person, die den muslimischen Glauben abgelegt habe, keine Strafe auferlege. Es gebe jedoch einige rechtliche Auswirkungen, die wichtigsten darunter seien die Auflösung des Ehevertrags mit einer muslimischen Frau und der Ausschluss vom Erbe. Irakische Gerichte hätten generell nur selten mit Fällen von Religionsänderung zu tun. Ein weiterer Richter im Bereich Personenstandsrecht habe hingegen erklärt, dass das irakische Gesetz einem Muslim nicht erlaube, eine andere Religion anzunehmen. Anträge auf Änderung der muslimischen Religionszugehörigkeit zu einer anderen Religion würden von den Gerichten mit der Begründung zurückgewiesen, dass dies rechtlich nicht zulässig und der Antragsteller ein Abtrünniger sei. (Hathalyoum, 1. Februar 2017)
[…]
Verhalten schiitischer Milizen oder anderer Personengruppen (abseits der Gruppe Islamischer Staat) gegenüber zum Christentum konvertierten Personen; Fälle von Verfolgungshandlungen gegenüber zum Christentum Konvertierten
Es konnten nur wenige Informationen zu gegen KonvertitInnen gerichteten Verfolgungshandlungen gefunden werden. Informationen zur allgemeinen Lage von ChristInnen wurden nicht in diese Anfragebeantwortung einbezogen.
UNHCR erwähnt in seiner bereits oben angeführten, im Mai 2019 veröffentlichten Feststellung des internationalen Schutzbedarfs, dass Berichten zufolge KonvertitInnen ihre Konversion geheim halten würden, da in der irakischen Gesellschaft die Feindseligkeit gegenüber KonvertitInnen weit verbreitet sei und Familien und Stämme die Konversion eines ihrer Mitglieder wahrscheinlich als Verletzung ihrer kollektiven „Ehre“ ansehen würden. Eine öffentliche Konversion würde wahrscheinlich zu Ausgrenzung und/oder Gewalt durch die Gemeinschaft, den Stamm oder die Familie des Betreffenden sowie durch islamistische bewaffnete Gruppen führen: […]
Das EASO zitiert in einer im Juli 2017 veröffentlichten Niederschrift zu einem Herkunftsländerinformationstreffen im April 2017 den Leiter der Organisation Ceasefire Centre for Civilian Rights, Mark Lattimer. Laut dessen Aussage gehe man im Irak davon aus, dass eine Person in eine Religion hineingeboren werde und diese bis zu seinem Tod behalte. Nicht nur im Islam, sondern auch in anderen Religionsgemeinschaften im Irak werde der Abfall vom Glauben nicht nur als Beleidigung empfunden, sondern auch als unnatürlich angesehen: […]
Open Doors, ein überkonfessionelles christliches Hilfswerk mit evangelikaler Ausrichtung, das sich in über 50 Ländern der Welt für ChristInnen einsetzt, schildert in seiner Länderübersicht zum Irak (Stand: 2019), dass Christen mit muslimischem Hintergrund vor allem dem Druck der Großfamilie ausgesetzt seien. Sie würden ihren Glauben oft geheim halten, um Bedrohungen durch Familienmitglieder, Clan-Führer und die Gesellschaft in ihrem Umkreis zu vermeiden. KonvertitInnen würden riskieren, ihre Erbschaftsrechte zu verlieren sowie das Recht auf und die Mittel für eine Eheschließung. Es wird weiters angeführt, dass im September 2018 ein Konvertit zum Christentum von seinem Schwiegervater getötet worden sei, nachdem dieser von seiner Konversion Kenntnis erlangt hatte: […]
[…]
1.3.3. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK, Lage der Christen im Irak; assyrische Christen vom 23.07.2019:
Wie stellt sich aktuelle die Lage für assyrische Christen im Irak, insbesondere in Bagdad, dar?
[…]
Das Strafgesetzbuch des Irak verbietet die Konversion vom Islam zum Christentum (oder einer anderen Religion) nicht, das Gesetz sieht jedoch keine rechtliche Anerkennung einer Änderung des konfessionellen Status vor. Infolgedessen würde der nationale Personalausweis eines Konvertiten seinen Inhaber immer noch als „muslimisch“ identifizieren.
Über Fälle einer offenen Konversion vom Islam zum Christentum wird im Irak sehr selten berichtet. Konvertiten halten ihren Glauben geheim, da es in der irakischen Gesellschaft eine weit verbreitete Feindseligkeit gegenüber vom Islam konvertieren Personen gibt und Familien und Stämme die Konversion eines ihrer Angehörigen wahrscheinlich als Affront gegen ihre kollektive "Ehre" interpretieren würden.
[…]
[…] Over the years, there have been reports of instances of killings and kidnapping for ransom targeting members of religious minorities, including Christians and Sabaean-Mandaeans, by government-affiliated groups, criminal groups and armed groups for sectarian or criminal motives (on account of their perceived wealth), or a combination of the two.
[…] The Penal Law does not prohibit conversion from Islam to Christianity (or any other religion); however, the law does not provide for the legal recognition of a change in one’s religious status. As a result, a convert’s national identity card would still identify its holder as “Muslim”. Instances of open conversion from Islam to Christianity in Iraq are very rarely reported. Converts are reported to keep their faith secret given the widespread animosity towards converts from Islam in Iraqi society and the fact that families and tribes would likely interpret conversion by one of their members as an affront to their collective “honour”. Open conversion would likely result in ostracism and/or violence at the hands of the individual’s community, tribe or family as well as Islamist armed groups. […]
[…]
Bestehen Einschränkungen in der Religionsausübung (faktisch und rechtlich)? Wenn ja, inwiefern?
[…]
Zusammenfassung:
Nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die irakische Verfassung das Recht jeder einzelnen Person auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend anerkannt und die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak festlegt. Das Gesetz verpflichtet die Regierung, die Heiligkeit von heiligen Schreinen und religiösen Stätten aufrechtzuerhalten und die freie Ausübung von Ritualen für die anerkannten religiösen Gruppen zu garantieren. Eine Störung oder Behinderung religiöser Zeremonien und die Entweihung religiöser Stätten wird strafrechtlich geahndet. Auch die meisten politischen Führer des Irak unterstützten nach der Niederlage des Islamischen Staates (IS) den religiösen Pluralismus im Land.
Anerkannte Religionsgemeinschaften sind der Islam, Chaldäer, Assyrer, Assyrische Katholiken, Syrisch (aramäisch) Orthodoxe, Syrische (aramäische) Katholiken, Apostolische Armenier, Armenische Katholiken, Römische Katholiken, Nationale Protestanten, Anglikaner, Assyrisch-Evangelikale Protestanten, Siebenten-Tags-Adventisten, Koptisch Orthodoxe, Jesiden, Mandäer-Sabäer und Juden. Alle anerkannten Religionsgemeinschaften haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind.
Es existieren drei Diwans (Ämter), die, unter der Aufsicht des Büros des Premierministers, Angelegenheiten für die anerkannten religiösen Gruppen, darunter staatliche Gelder für den Erhalt und Schutz religiöser Einrichtungen, verwalten: das Diwan für sunnitische Stiftungen, das Diwan für schiitische Stiftungen und das Diwan für Stiftungen der Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer.
Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Eine Quelle berichtet aber, dass viele Iraker aufgrund ihrer religiösen Identität Gewalt und Vertreibung ausgesetzt sind und Gotteshäuser oft Ziel von Terroranschlägen wurden.
Ein 2015 erlassenes Gesetz zur Konversion diskriminiert Nicht-Muslime, indem Kinder eines Elternteils, der zum Islam konvertiert ist, automatisch als Muslime deklariert werden – auch im Fall einer Vergewaltigung. Das Zivilstandsgesetz erlaubt es nicht-muslimischen Frauen, muslimische Männer zu heiraten, aber es verbietet muslimischen Frauen, Nicht-Muslime zu heiraten.
[…]
Wie stellt sich die aktuelle Sicherheitslage für assyrische Christen im Irak, insbesondere in Bagdad, dar?
[…]
Open Doors berichtet in seinem Länderprofil für den Irak, mit Berichtszeitraum vom 1.11.2017 nis 31.10.2018 folgendes:
[…]Von wem geht die Verfolgung aus?
Gewalttätige religiöse Gruppen wie der Islamische Staat (IS) sind bekannt dafür, gezielt religiöse Minderheiten durch Entführungen und Morde anzugreifen. Obwohl der IS sein Territorium im Irak verloren hat, ist seine Ideologie weiterhin einflussreich und zahlreiche IS-Kämpfer sollen in der Bevölkerung untergetaucht sein. Eine weitere Quelle der gewaltsamen Verfolgung von Christen sind die schiitischen Milizen, die vom Iran unterstützt werden. Verfolgung geht auch von islamischen Leitern auf jeder Ebene aus, meist in Form von Hassreden in Moscheen. Regierungsbeamte auf allen Ebenen bedrohen Berichten zufolge Christen und „ermutigen“ sie auszuwandern. Indem sie es versäumen, eine pluralistische Gesellschaft zu fördern, tragen auch politische Parteien zur Verfolgung von Christen bei. Clanführer, die (Groß-)Familie und „gewöhnliche Bürger“ üben Druck und Gewalt gegenüber Christen muslimischer Herkunft aus, um sie dazu zu bringen, wieder zum Islam zurückzukehren. Leiter von historischen Kirchen haben manchmal die offizielle Anerkennung jüngerer christlicher Konfessionen verhindert und sie auf auch andere Weise behindert. Schließlich ist die Entführung von Christen durch organisierte Kriminalität aus finanziellen und religiösen Motiven bekannt.
Wie äußert sich die Verfolgung?
Die Assyrische Kirche des Ostens, die Syrisch-Orthodoxe Kirche, die Chaldäisch-Katholische Kirche und die Armenisch-Orthodoxe Kirche sind alle stark von Verfolgung betroffen, besonders durch extremistische islamische Bewegungen und nichtchristliche Leiter. Sie werden auch von den Behörden diskriminiert. Im Zentral- und Südirak zeigen Christen oft keine christlichen Symbole (wie z. B. ein Kreuz), da dies zu Belästigungen oder Diskriminierungen an Checkpoints, in der Universität oder am Arbeitsplatz sowie in Regierungsgebäuden führen kann. Sogar Christen in den Kurdengebieten des Irak haben Berichten zufolge das Kreuz aus ihren Autos entfernt, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen. Bereits vor einigen Jahren konnte das katholische Seminar in Bagdad aufgrund von Androhungen von Entführungen und Angriffen durch islamische Extremisten nicht mehr weiterarbeiten und war gezwungen, in die Kurdengebiete umzuziehen. Evangelikale Gemeinden und Pfingstgemeinden, etwa in Bagdad und Basra, sind ebenfalls erheblich von der Verfolgung durch extremistische islamische Bewegungen und nichtchristliche Leiter betroffen und erleben regelmäßig Diskriminierungen durch die Behörden. Bekennende Christen sind immer wieder zu Zielscheiben im Zentral- und Südirak geworden. Auch Blasphemiegesetze können gegen sie angewendet werden, wenn sie im Verdacht stehen, missionarisch unter Muslimen zu arbeiten.
Christen muslimischer Herkunft erfahren den größten Druck durch die (Groß-)Familie und halten ihren Glauben oft geheim, da sie in der Gefahr stehen, von Familienmitgliedern, Clanführern und der Gesellschaft um sie herum bedroht zu werden. Als Konvertiten zum christlichen Glauben riskieren sie, Erbrechte zu verlieren, sowie das Recht und die Möglichkeit zu heiraten. Offen den Islam zu verlassen führt im ganzen Land zu schwierigen Situationen. Die Denomination zu wechseln (z. B. aus einer orthodoxen Kirche zu einer freikirchlich-protestantischen Gemeinde) hat ebenfalls häufig Benachteiligungen zur Folge, wie den Verlust des Arbeitsplatzes. Es ist bekannt, dass Leiter orthodoxer und katholischer Kirchen sich weigern, Eheschließungen für Mitglieder durchzuführen, die evangelikale Kirchen besuchen.
Beispiele aus dem aktuellen Berichtszeitraum
Fünf Christen wurden aufgrund ihres Glaubens im Berichtszeitraum des WVI 2019 getötet. Eine Familie von drei Christen (ein christlicher Arzt, seine Frau und seine Mutter), wurden am 8. März bei einem Raubüberfall in ihrem Haus in Bagdad erstochen. Im gleichen Monat wurde ein Christ vor seinem Haus in der Hauptstadt erschossen. Auf ersten Blick sieht dieser Fall vielleicht schlicht kriminell aus, aber die Christen vor Ort und führende Politiker des Landes interpretieren diese Morde als gezielt christenfeindlich. Im Nahen Osten sind die Motive oft gemischt. Schließlich wurde ein Christ muslimischer Herkunft von seinem Schwiegervater umgebracht, nachdem dieser im September 2018 von seinem Glaubenswechsel erfuhr.
Mehr als zehn Christen wurden verhaftet und festgehalten, während sie evangelisierten. Aus Sicherheitsgründen können keine genaueren Informationen weitergegeben werden.
48 Christen werden immer noch auf Grund von Verfolgung vermisst: Von 60 vermissten Christen, viele davon Frauen aus Karakosch, die von IS-Kämpfern verschleppt wurden, sind nur 12 zurückgekehrt. Christliche Frauen in Karakosch wurden von Kämpfern schiitischer Milizen, die nach der Befreiung der Stadt dort stationiert waren, sexuell missbraucht und angegriffen. Mehrere Christen, teils mit muslimischem Hintergrund, wurden entweder k