TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/3 W185 2154578-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.11.2021
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Entscheidungsdatum

03.11.2021

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W185 2154578-2/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger aus Serbien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 02.06.2021, Zl. 1126824809 – 200209565, zu Recht:

A)       

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geboren am XXXX , StA Serbien, wird gemäß §§ 54 und 55 Abs 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)       

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Am 12.08.2016 stellte der Beschwerdeführer (in der Folge auch: BF) beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder BFA) einen (ersten) Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK (Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens).

Am 18.11.2016 kam es zur Einvernahme des BF vor dem Bundesamt. Mit Schreiben des Bundesamtes vom 03.01.2017 wurde der BF davon in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, den Antrag abzuweisen und eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Ein Antrag des BF bei der MA 35 sei mangels ausreichender Existenzmittel abgewiesen worden. Am 12.01.2017 erstattete der BF durch seinen gewillkürten Vertreter eine Stellungnahme.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 13.04.2017 wurden gemäß § 55 AsylG der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK vom 12.08.2016 abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt sowie gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt I.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt II.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt III.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 21.04.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.06.2017 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Entgegen der Behauptung in der Stellungnahme vom 12.01.2017 habe der BF bislang bei der MA 35 keinen Aufenthaltstitel nach dem NAG beantragt. Eine solche Möglichkeit bestünde gegenständlich für den BF; dies auch im Falle einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung, wenn der Fremde freiwillig ausgereist sei.

Am 17.07.2017 reiste der BF nachweislich nach Serbien aus (AS 419).

Am 20.12.2017 wies die MA 35 den Antrag des BF vom 11.09.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger von Österreicher“ nach dem NAG wegen unzulässiger Inlandsantragstellung ab. Der BF habe sich nicht 90 Tage innerhalb der letzten 180 Tage in Serbien aufgehalten; auch hätte er den Ausgang des Verfahrens im Heimatland abwarten müssen.

Am 13.04.2018 reiste der BF erneut nach Serbien aus und wurde an der Adresse seiner Gattin in Wien abgemeldet.

Am 06.11.2018 wies die MA 35 den Antrag des BF vom 03.04.2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger von Österreicher“ nach dem NAG ab, da dessen Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könne.

Am 24.02.2020 stellte der BF den gegenständlichen (zweiten) Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 Abs 1 AsylG (Aufenthaltsberechtigung plus; AS 447).

Im Akt erliegt eine „Benachrichtigung von der Einstellung des Verfahrens“ der Staatsanwaltschaft Wien vom 17.06.2020 betreffend den Vorwurf der gefährlichen Drohung des BF gegenüber seiner Gattin am 22.03.2020 (AS 466f).

Mit Schreiben des Bundesamts vom 16.03.2021 wurde dem BF mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK abzuweisen und eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

Am 30.03.2021 wurden der BF und seine Gattin (getrennt voneinander) hiezu vor dem Bundesamt einvernommen (AS 484ff). Der BF wurde dabei hinsichtlich einer Abänderung seines Antrages manuduziert; davon machte der BF auch Gebrauch (AS 539).

Am 13.04.2021 erstattete der BF eine handschriftliche Stellungnahme und erklärte, sich nicht illegal in Österreich zu befinden und bestritt weiters, jemals gesagt zu haben, Schwarzarbeit zu verrichten. Er wolle hier ein normales Familienleben mit seiner Frau und seinen beiden Kindern führen, welche sämtlich österreichische Staatsangehörige seien. Einen Titel nach dem NAG habe er nicht erhalten (AS 503f).

Mit Stellungnahme vom 11.05.2021 teilte der gewillkürte Rechtsvertreter mit, dass der BF den erforderlichen Wertekurs nicht habe besuchen können, zumal die Anbieter aufgrund der Covid-19-Lage nicht geöffnet gehabt hätten. Ab Mai 2021 sei es wieder möglich, einen solchen Kurs in Präsenz zu absolvieren, was der BF auch beabsichtige.

Mit Bescheid vom 02.06.2021 wurde gemäß § 55 AsylG der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK vom 24.02.2020 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht am 24.06.2021 Beschwerde ein. Im handschriftlich verfassten Beschwerdeschreiben führte er u.a. aus, sich seit seiner Hochzeit im Jahre 2016 in Österreich aufzuhalten und stets im gemeinsamen Haushalt mit seiner Gattin (und in der Folge mit den gemeinsamen Kindern) gelebt zu haben. Im Juli 2019 habe die MA 35 seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mangels Unterkunft und fehlenden Lebensunterhalts abgewiesen, weshalb er den vorliegenden Antrag beim Bundesamt gestellt habe. Sein älterer Sohn habe erst mit vier Jahren einen Kindergartenplatz bekommen, der jüngere Sohn sei im Kindergarten nicht genommen worden, weshalb seine Gattin keiner Beschäftigung nachgehen könne. Die Anzeige der Polizei wegen gefährlicher Drohung habe auf einem Missverständnis beruht; die Sache sei bereinigt. Mit seinem in Serbien lebenden Bruder habe der BF aus persönlichen/familiären Gründen keinen Kontakt mehr. Seine Mutter melde sich ab und zu beim BF, damit dieser wisse, dass es ihr gut gehe. Der BF wolle in Österreich mit seiner Familie ein „normales Leben“ führen.

Die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt am 08.07.2021 übermittelt.

Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.07.2021 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG nicht von Amts wegen zuerkannt.

Am 20.09.2021 legte der BF einen (aufschiebend bedingten) Dienstvertrag als Maurer mit einer österreichischen Firma vor.

Am 22.09.2021 fand im Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an der der BF sowie dessen Rechtsvertreterin persönlich teilnahmen; die Gattin des BF wurde als Zeugin einvernommen. Vertreter des Bundesamtes waren nicht anwesend.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF wurde in Serbien geboren, ist dort aufgewachsen, besuchte dort 8 Jahre die Grundschule und 3 Jahre eine Berufsschule (Automechanikerlehre) und spricht die Landessprache. Er ist Staatsangehöriger von Serbien, einem sicheren Herkunftsstaat.

In Serbien befinden sich noch die Mutter des BF, mit welcher regelmäßiger Kontakt besteht sowie ein Bruder des BF samt Familie, mit dem kein gutes Einvernehmen besteht. Über relevante Ersparnisse oder ein sonstiges Vermögen verfügt der BF (und seine Angehörigen) in Serbien nicht.

Der BF hält sich seit seiner standesamtlichen Hochzeit mit der österreichischen Staatsangehörigen XXXX , geborene XXXX , am 30.01.2016 (mit einigen kürzeren Unterbrechungen) durchgehend in Österreich auf. Es besteht seit 18.01.2016 ein gemeinsamer Haushalt mit seiner Gattin in XXXX Wien, XXXX ; seit 10.07.2020 sind die Genannten an der XXXX Wien gemeldet. Am 17.07.2017 reiste der BF nach einer Entscheidung des BVwG freiwillig nach Serbien aus.

Am XXXX kam der gemeinsame eheliche Sohn, XXXX , in Wien zur Welt; er ist österreichischer Staatsangehöriger und besucht seit September 2020 (halbtägig) den Kindergarten.

Am XXXX wurde der zweite gemeinsame Sohn, XXXX , in Wien geboren. Auch er ist österreichischer Staatsangehöriger. Ein Betreuungsplatz konnte für diese noch nicht gefunden werden.

Die angeführten mj Kinder, für die eine gemeinsame Obsorge besteht, leben mit ihren Eltern im gemeinsamen Haushalt. Beide Kinder sind gesund. Der ältere Sohn war aufgrund der öfteren Abwesenheit des BF (Serbien) aufgrund Verlustängsten bei einem Psychologen.

Der BF, der eine Deutschprüfung auf Niveau A2 abgelegt hat, ging in Österreich nie einer legalen Erwerbstätigkeit nach; eigenen Angaben zufolge hat er für Bekannte gelegentlich kleinere handwerkliche Arbeiten übernommen. Die Gattin des BF ist gelernte Zahnarztassistentin und hat seit dem Jahr 2005 auch in diesem Bereich (später auch in anderen Bereichen) gearbeitet bzw bezog sie Leistungen aus der Kranken- und der Arbeitslosenversicherung. Seit der Geburt des ersten Kindes bezieht sie bedarfsorientierte Mindestsicherung und bestreitet den Lebensunterhalt für die Familie. Die Gattin lernt die serbische Sprache und beherrscht sie diese, wie auch die beiden Kinder, auf niedrigem Niveau.

Der BF ist mit seiner Gattin mitversichert und strafgerichtlich unbescholten. Am 17.06.2020 wurde ein Verfahren gegen den BF wegen gefährlicher Drohung seine Gattin betreffend von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Der BF ist gesund, arbeitsfähig und arbeitswillig. Der BF verfügt seit 20.09.2021 über eine Einstellungszusage einer inländischen Firma für den Fall, dass er eine Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung erhält.

Zuletzt im November 2018 wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger“ nach dem NAG von der MA 35 mit der Begründung abgewiesen, dass der Aufenthalt des BF zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte; der erste Antrag wurde aufgrund Inlandsantragstellung abgewiesen.

Am 24.02.2020 stellte der BF den gegenständlichen (in weiterer Folge von Abs 1 leg cit auf Abs 2 leg cit abgeänderten) Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 Abs 2AsylG.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des Verwaltungsaktes und des Gerichtsaktes.

Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten und Abhaltung einer mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Soweit gegenständlich Feststellungen zu Identität, Staatsagehörigkeit, zur schulischen und beruflichen Ausbildung in der Heimat, zu seinem Gesundheitszustand sowie zum Verhältnis zu den Angehörigen des BF im Herkunftsstaat getroffen wurden, beruhen diese auf den Feststellungen des angefochtenen Bescheides und seinen eigenen, nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben. Gegenteiliges ist weder der Beschwerde noch den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung zu entnehmen.

Die Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen im Jänner 2016 und die Geburt der ehelichen Söhne in den Jahren 2016 und 2018, konnten durch eine Heiratsurkunde bzw durch die Geburtsurkunden der Kinder unzweifelhaft nachgewiesen worden; dokumentiert wurde auch deren österreichische Staatsangehörigkeit. Deren Gesundheitszustand ergibt sich aus den Angaben der Gattin des BF in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung der strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug. Die Einstellung des Verfahrens gegen den BF wegen gefährlicher Drohung gegenüber seiner Gattin am 17.06.2020 ist einem entsprechenden Bericht der Staatsanwaltschaft Wien zu entnehmen.

Das Bestehen eines gemeinsamen Haushalts mit seiner Gattin seit Jänner 2016 – und in der Folge auch mit den ehelichen Kindern – ist dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu entnehmen und wurde auch von der Gattin des BF im Rahmen ihrer Zeugenbefragung glaubhaft bestätigt. Demnach sei der BF nie aus der gemeinsamen Wohnung in Wien ausgezogen. Mehrere, kürzere (freiwillige und unfreiwillige) Aufenthalte des BF in Serbien ergeben sich aus der Abfrage des Zentralen Melderegisters und wurden vom BF auch ausdrücklich bestätigt. Während der Aufenthalte in der Heimat konnte der BF seinen nicht anzuzweifelnden Angaben zufolge bei seiner Mutter Unterkunft nehmen.

Dem vorgelegten Mietvertrag mit Wiener Wohnen ist zu entnehmen, dass die Mietwohnung eine Größe von 75 m² aufweist und sich die monatliche Miete inkl BK auf € 711,56 beläuft.

Die Feststellungen zur beruflichen Ausbildung und zu beruflichen Tätigkeiten der Gattin des BF (bzw Krankengeld- und Arbeitslosengeldbezug) im Zeitraum von 2004 bis 2021 beruhen auf einem eigeholten Versicherungsdatenauszug. Die Mitversicherung des BF bei seiner Gattin ergibt sich aus einem entsprechenden behördlichen Schreiben, worin dies ausdrücklich bestätigt wird. Dass die Gattin den Lebensunterhalt der Familie alleine bestreitet (derzeit mittels bedarfsorientierter Mindestsicherung, Kinderbeihilfe und Kindergeld) hat diese in der mündlichen Verhandlung plausibel ausgeführt und wurde dies vom BF auch gar nicht bestritten.

Im Akt erliegen zwei abweisende Bescheide der MA 35 hinsichtlich der Erteilung von Aufenthaltstitel nach dem NAG (Zweck „Familienangehöriger“) vom 20.12.2017 bzw vom 06.11.2018.

Dass der BF eine Deutschprüfung auf Niveau A2 absolviert hat ergibt sich aus einem vorgelegten Zertifikat eines Instituts im Wien, datiert mit 26.05.2017. Davon, dass die deutschen Sprachkenntnisse des BF ausreichen, um sich im Alltag verständigen zu können, konnte sich das BVwG in der mündlichen Verhandlung selbst überzeugen. Dass die Gattin des BF und dessen Kinder die serbische Sprache erlernen, verstehen und teils auch bereits selbst sprechen, gab die Gattin des BF als Zeugin in der mündlichen Verhandlung über Befragen an.

Der BF (und auch dessen Gattin als Zeugin) vermittelten in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG einen durchaus glaubwürdigen Eindruck. Beide waren in der Lage, die gestellten Fragen konkret zu beantworten. Der Großteil der getätigten Angaben konnte durch die Vorlage von Beweismitteln belegt bzw durch Abfragen behördlicher Datenbanken bestätigt werden. Divergierende Angaben gab es lediglich zur (nicht entscheidungswesentlichen) Herkunft der Eltern der Gattin des BF. Die Gattin des BF legte eindringlich und empathisch die Probleme für die gesamte Familie aufgrund des unsicheren Aufenthalts des BF dar und gab plausibel an, dass dies für alle Familienmitglieder eine große Belastung sei, das Verhältnis des BF zu ihr und den Kindern mittlerweile jedoch wieder ein sehr inniges sei.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt, und gemäß Abs. 4 Z 10 leg cit, jeder Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist, als Drittstaatsangehöriger.

Der BF als Staatsangehöriger von Serbien ist sohin Drittstaatsangehöriger iSd. § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

Staatsangehörige der Republik Serbien, die Inhaber eines biometrischen Reisepasses sind, sind seit 15.12.2010 nach Art. 1 Abs. 2 iVm Anlage II der Verordnung (EG) Nr. 539/2011 vom 15.03.2001, idF VO (EU) 109/2010 vom 24.11.2010 von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit.

Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), oder sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2).

Die BF fällt nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

Der BF hält sich seit seiner standesamtlichen Hochzeit mit einer österreichischen Staatsangehörigen im Jänner 2016 – von mehreren Aufenthalten im Herkunftsstaat abgesehen – durchgehend in Österreich auf. Am 12.08.2016 stellte er den ersten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG, welcher in der Folge rechtskräftig abgewiesen wurde. In den Jahren 2017 und 2018 stellte der BF (erfolglos) Anträge nach dem NAG (Familienangehöriger von Österreicher). Den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG brachte der BF am 24.02.2020 ein.

Ein Antrag iSd § 55 AsylG vermittelt gemäß § 58 Abs 13 AsylG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht, weshalb sich sein aktueller Aufenthalt als unrechtmäßig erweist.

Der mit „Rückkehrentscheidung“ betitelte § 52 FPG lautet:

„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1.       nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Liegt ein Fall des § 55a vor, so wird die Rückkehrentscheidung mit dem Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise durchsetzbar. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“

§ 54 Abs 1 und 2 AsylG lauten:

(1)      Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen werden Drittstaatsangehörigen erteilt als:

1.       „Aufenthaltsberechtigung plus“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl Nr 218/1975 berechtigt.

2.       „Aufenthaltsberechtigung“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

3.       „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

(2)      Aufenthaltsberechtigungen gemäß Abs 1 sind für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Abs 1 Z 1 und 2 sind nicht verlängerbar.

Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK“ betitelte § 55 AsylG lautet:

„§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1.       dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2.       der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere die gegenständlichen Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101).

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. „legitimate family“ bzw. „famille légitime“) oder einer unehelichen Familie („illegitimate family“ bzw. „famille naturelle“), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, ?erife Yi?it, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

•        die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

•        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

•        die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

•        den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

•        die Bindungen zum Heimatstaat,

•        die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

•        auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens iSd Art. 8 MRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101). (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120)

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2015/22/0025; E 19. November 2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. E 16. Dezember 2014, 2012/22/0169; E 9. September 2014, 2013/22/0247; E 30. Juli 2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120)

Dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, können Ausweisungen ausnahmsweise auch nach über zehn Jahre andauernden Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (Vgl. VwGH 10.12.2013, 2012/22/0129)

Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120

„Es trifft zwar zu, dass im Rahmen einer Interessenabwägung nach Art. 8 MRK bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist (vgl. VwGH 1.2.2019, Ra 2019/01/0027, mwN). Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab. Die "Zehn-Jahres-Grenze" spielte in der bisherigen Judikatur nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen war (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001, mwN).“ (VwGH 28.02.2019, Ra 2018/01/0409)

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

„Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nehmen die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001)“ (vgl. VwGH 08.11.2018, Ro 2016/22/0120).

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm Art 8 EMRK zulässig ist, ist eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.

Im Jänner 2016 heiratete der BF eine österreichische Staatsangehörige, mit welcher er seit diesem Zeitpunkt (mit kurzen Unterbrechungen aufgrund Aufenthalten in Serbien) im gemeinsamen Haushalt lebt. In den Jahren 2016 und 2018 kamen die gemeinsamen, ehelichen Kinder des BF und seiner Gattin in Österreich zur Welt, für die eine gemeinsame Obsorge besteht und die mit Mutter und Vater im gemeinsamen Haushalt leben. Die Gattin des BF bezieht bedarfsorientierte Mindestsicherung, Kinderbeihilfe und Kindergeld und bestreitet damit den Lebensunterhalt der gesamten Familie. Der BF ist finanziell von seiner Gattin abhängig. Der BF weist somit zweifellos ein (schützenswertes) Familienleben iSd. Art 8 EMRK in Österreich auf.

Es waren auch die privaten Bindungen des BF in Österreich zu würdigen. Der BF hat in Österreich eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgelegt und ist in der Lage, sich im Alltag auf Deutsch zu unterhalten. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten, weshalb im Falle des Verbleibs im Bundesgebiet auch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erkennen ist. Besondere Integrationsschritte hat der BF während seines nunmehr bereits etwa sechs Jahre dauernden Aufenthalts in Österreich zwar nicht gesetzt, jedoch mehrfach (wenn auch erfolglos) versucht, seinen Aufenthalt in Österreich zu legalisieren (Anträge nach dem NAG). In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG hat der BF eindrücklich und glaubhaft versichert, einer legalen Beschäftigung nachgehen und damit zum Unterhalt der Familie beitragen zu wollen. Untermauet wurde dies noch durch die Vorlage einer Einstellungszusage im Falle der Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung. Die Klärung des Aufenthaltsstatus des BF wird auch zur psychischen Entlastung bzw Stabilisierung der Familienangehörigen, va des vierjährigen Sohnes, des BF beitragen, die besonders unter der regelmäßigen Trennung aufgrund der Ausreiseverpflichtungen des BF gelitten haben.

In einer Gesamtabwägung aller maßgeblichen Umstände sowie nach erfolgter Abwägung sich widerstreitender öffentlicher und privater Interessen iSd. Art 8 EMRK, ist im konkreten Fall davon auszugehen, dass durch die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels an den BF und die angeordnete Rückkehrentscheidung ein unverhältnismäßiger Eingriff in das bestehende Familienleben des BF mit seiner Gattin und seinen mj Kindern erfolgen würde, weshalb dem Verblieb des BF in Österreich auch unmittelbare Bedeutung für die Wahrung des Rechts auf Familienleben zukommt.

Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften im Rahmen einer Güterabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das Interesse an der – nicht nur vorübergehenden – Fortführung des Privat- und Familienlebens des BF in Österreich dennoch höher zu bewerten, als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Die Anordnung einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) würde demnach eine Verletzung der Rechte des BF nach Art. 8 EMRK nach sich ziehen, und erweist sich eine solche sohin aufgrund des nicht nur vorübergehenden Wesens der dieser Verletzung zugrundeliegenden Umstände, als iSd. § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig.

Insofern liegen die Voraussetzungen für die Erteilungen eines Aufenthaltstitels an den BF gemäß §§ 58 Abs. 2 iVm. 55 AsylG vor (vgl. Szymanski, AsylG § 55 Anm. 1, in Schrefler-König/Szymanski (Hrsg) Fremdenpolizei- und Asylrecht Teil II: wonach § 55 AsylG das Bleiberecht iSd. der Judikatur des VfGH umsetzt, und hierfür Bedingung sei, dass eine Aufenthaltsbeendigung im Hinblick auf Art 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist).

Was die Erteilung des konkreten Aufenthaltstitels an den BF anbelangt, ist festzuhalten, dass auch das BVwG – in jeder Verfahrenskonstellation – über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG absprechen darf. Die Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels ist vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst, weshalb in einem zu entscheiden ist (siehe ErläutRV 582 BlgNr 25. GP).

Da der BF keinen Nachweis hinsichtlich der Erfüllung des Modul 1 der Integrationsvereinbarung iSd. § 81 Abs. 36 NAG iVm. § 14a Abs. 4 letzter Satz iVm. 14b Abs. 2 Z 5 NAG idF. BGBl. I Nr. 38/2011 erbracht hat, noch zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs 2 ASVG erreicht wird, war dem BF gemäß § 55 Abs. 2 iVm. § 54 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten zu erteilen. Ausschlussgründe iSd. § 60 AsylG liegen nicht vor.

Aufgrund erfolgter – die Aufhebung der von der belangten Behörde ausgesprochenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme bewirkender – Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG an den BF, fällt auch die Voraussetzung für einen Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung (siehe § 52 Abs. 9 FPG) samt Nichtgewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise (§ 55 FPG) aufgrund der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde weg, weshalb auch die entsprechenden Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides (III. bis V.) – im Zuge der Stattgabe der Beschwerde – als aufgehoben gelten.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen vor dem Hintergrund der in der rechtlichen Beurteilung angeführten Rechtsprechung des VwGH keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind wurden weder in der Beschwerde vorgebracht, noch sind solche im Verfahren vor dem Bundeverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.


Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltsdauer Familienleben Interessenabwägung Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W185.2154578.2.01

Im RIS seit

05.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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