TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/4 W196 2205634-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.11.2021
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Entscheidungsdatum

04.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W196 2205633-1/15E

W196 2205634-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1) XXXX , geb. XXXX , und 2) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.09.2018, ZIn. 1) XXXX und 2) XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen.

1. Vorverfahren:

1.1. Die Erstbeschwerdeführerin reiste (erstmals) im Besitz eines italienischen Schengenvisums (gültig von 16.01.2016 bis 16.07.2016) ins Bundesgebiet ein und stellte am 25.07.2016 ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, erklärte sie, ihre Heimat verlassen zu haben, da sie auf der Arbeit einen Mann kennengelernt habe, welcher ein höherer Beamter gewesen sei. Dieser sei etwa fünfzig Jahre alt gewesen und habe eine Frau mit Kindern gehabt. Der Mann habe sie nach tschetschenischer Tradition als seine Zweitfrau ehelichen wollen. Weil sie dies abgelehnt habe, sei sie von ihm bedroht worden.

1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.12.2016 wurde dieser Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art 12 Abs. 4 iVm Art. 25 Abs. 2 (richtig: Art. 22 Abs. 7) Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG wurde gegen die Erstbeschwerdeführerin die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Italien zulässig sei. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.01.2017 zu W239 2143541-1/4E als unbegründet abgewiesen.

Die Erstbeschwerdeführerin verblieb daraufhin zunächst illegal im Bundesgebiet. Um ihrer Abschiebung nach Italien zu entgehen, reiste sie sodann weiter nach Deutschland, wo sie am 08.05.2017 ebenso einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Gegenständliches Verfahren:

2.1. Am 29.03.2018 stellte die zum damaligen Zeitpunkt hochschwangere Erstbeschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag).

2.2. Am selben Tag erfolgte ihre (Erst-)Befragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Dabei erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass ihr Ehemann in Österreich arbeite und lebe; er sei in Besitz einer Rot-Weiß-Rot-Karte. Sie habe ihn, nachdem sie (erstmals) nach Österreich gekommen sei, auf einer tschetschenischen Hochzeit kennengelernt und sich daraufhin in ihn verliebt. Am 19.11.2016 hätten die beiden in einer Moschee in Wien geheiratet und am 03.03.2017 am Standesamt XXXX in Österreich. Sie erwarte von ihm ein Kind.

2.3. Am XXXX wurde die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich geboren. In der Folge stellte die Erstbeschwerdeführerin, als gesetzliche Vertreterin, für sie einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005.

2.4. Am 30.07.2018 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen, wobei sie zunächst erklärte, dass sie und ihre Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, gesund seien, und, dass ihre früher gemachten Angaben der Wahrheit entsprochen hätten. Zu den Beweggründen für das Verlassen ihres Herkunftslandes führte sie sodann näher aus, dass sie nach ihrem Studienabschluss im Jahr 2013 in einem Tochterunternehmen des tschetschenischen Wirtschaftsministeriums eingestellt worden sei, wo sie zunächst problemlos gearbeitet habe. Im Jahr 2016 sei jedoch ein neuer Wirtschaftsminister an die Macht gekommen, dessen Stellvertreter im Zuge routinemäßig angeordneter Betriebsüberprüfungen an ihrer Arbeitsstelle auf sie aufmerksam geworden sei. Der besagte Mann habe in der Folge vom Vorgesetzten der Erstbeschwerdeführerin ihre Nummer erhalten und ihr per Telefon mitgeteilt, zu wissen, dass sie ledig sei. Sie habe ihm gefallen und er habe beabsichtigt, sie kennenzulernen. Er sei daraufhin auch mehrmals in den Betrieb sowie zu ihr ins Büro gekommen. Aus Angst habe sie für etwa drei Monate lang Kontakt zu ihm gehabt. Der Mann sei immer mit einer Pistole bewaffnet und in Begleitung eines Bodyguards gewesen. Mitte Juni sei dann eine Frau zu ihr ins Büro gekommen, welche angefangen habe, sie zu beschimpfen. Sie habe erklärt, die Ehefrau des Stellvertreters zu sein und mit diesem gemeinsame Kinder im Alter der Erstbeschwerdeführerin zu haben. Die Erstbeschwerdeführerin sei daraufhin zu ihrem Vorgesetzten gegangen, um ihm davon zu berichten. Dieser habe ihr jedoch nur empfohlen, den Stellvertreter als Zweitfrau zu ehelichen. In der Folge habe sie auch mit dem Stellvertreter gesprochen, und ihm gesagt, dass sie es nicht verdient habe, von seiner Frau beschimpft zu werden und von ihm angelogen worden zu sein; er habe ihr nicht gesagt, verheiratet zu sein. Sie habe ihm auch all seine Geschenke zurückgegeben. Der Stellvertreter des tschetschenischen Wirtschaftsministers habe dann verstanden, dass sie keinen Kontakt mehr mit ihm haben wollte, woraufhin er wütend geworden sei. Er habe ihr erklärt, wenn sie glaube, in Ruhe weiterleben zu können, dies falsch sei, und dass er ihrer Familie Probleme bereiten werde. Mit dieser Drohung habe er sie zwingen wollen, sie zu heiraten. Sie sei daraufhin zwei Tage von der Arbeit zuhause geblieben und sie habe ihre Telefonnummer gewechselt. Sie habe ihrem Vorgesetzten jedoch ihre neue Nummer bekanntgeben müssen, und es habe dieser ihre Nummer abermals weitergegeben. Da sie die Anrufe des Stellvertreters des tschetschenischen Wirtschaftsministers zu ignorieren versucht habe, sei dieser ständig zu ihr ins Büro gekommen, wo er sie bedroht habe. Sie habe gewusst, dass er sie nicht in Ruhe lassen werde, da er ihre Absage als Ehrenverletzung wahrgenommen habe. Ende Juni 2016 habe sie dann gekündigt. Sie habe daraufhin erneut ihre Nummer gewechselt und zwei Wochen bei Bekannten verbracht. Der Stellvertreter des tschetschenischen Wirtschaftsministers habe ihre Wohnadresse gekannt, weshalb sie Angst, gehabt habe, sich dort aufzuhalten. Da er sie überall in Russland finden hätte können, sei sie schließlich schlepperunterstützt nach Europa geflohen; ihr italienisches Visum sei zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen. Eine Rückkehr in andere Teil ihres Heimatlandes, zb. nach Moskau oder St. Petersburg sei nicht möglich. Für eine alleinstehende junge Frau sei dies gefährlich. Auch habe sie dort weder eine Wohnung noch eine Arbeit. Im österreichischen Bundesgebiet lebe sie gemeinsam mit ihrer Familie. Sie wolle ihr Kind glücklich großziehen und in Sicherheit leben. Sie möchte sich in Österreich weiterbilden und arbeiten. Sie würde nicht freiwillig, zurückkehren.

Für die Zweitbeschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

2.5. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.09.2018, 1) ZI. XXXX und 2) ZI XXXX wurden die von den Beschwerdeführerinnen gestellten Anträge auf internationalen Schutz jeweils gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) abgewiesen, gemäß § 57 AsylG wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Republik Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG wurde die Frist für ihre freiwillige Ausreise mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin keine asylrelevante Bedrohung dargelegt habe. Da sich ihre Gründe zur Ausreise als gänzlich unglaubhaft erwiesen hätten, könne auch nicht festgestellt werden, dass sie in Tschetschenien einer wie auch immer gearteten Bedrohung ausgesetzt wäre. Eine über ihr als nicht glaubhaft festgestelltes Fluchtvorbringen hinausgehende Gefährdungslage im Heimatland sei von ihr nicht vorgebracht worden und es sei dies auch aus den behördlichen Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsland nicht ersichtlich. Zudem habe Die Erstbeschwerdeführerin in Tschetschenien familiäre Anknüpfungspunkte und sie hätte dort aufgrund ihrer Schulbildung und ihrer beruflichen Tätigkeit auch gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Im Übrigen bestünde für sie die Möglichkeit, gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Kind, nach Tschetschenien zurückzukehren. Die Beschwerdeführerin habe ihren Aufenthalt in Österreich durch illegale Einreise und anschließender Stellung eines ungerechtfertigten Asylantrages begründet und es werde der Eingriff in ihr Privat- und Familienleben auch dadurch relativiert, ihr gesamtes bisheriges Leben in Tschetschenien verbracht zu haben. Es werde somit ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts festgestellt.

Da keinem Elternteil der Zweitbeschwerdeführerin ein Schutzstatus zuerkannt worden sei, komme für sie ebenso keine Statuszuerkennung in Betracht. Die gemeinsame Rückkehr mit ihrer Mutter sei möglich.

2.6. Am 13.09.2018 erhoben die Beschwerdeführerinnen fristgerecht Beschwerde im Rahmen des Familienverfahrens und es wurden in dieser die verwaltungsbehördlichen Bescheide wegen unrichtiger und rechtlicher Beurteilung aufgrund Feststellung- und Begründungsmängeln im vollen Umfang angefochten. Zusammengefasst wurde vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin ihre Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor geschlechtsspezifischer Verfolgung vonseiten privater Akteure und mangels der Fähigkeit ihres Heimatstaates sie vor diesen Übergriffen zu schützen, verlassen habe, und dass sie, da die russischen Sicherheitsbehörden nicht imstande seien, ihr den erforderlichen Schutz zu bieten, Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei. Sollte dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin dennoch keine Asylrelevanz zugebilligt werden, so seien jedenfalls die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfüllt, da eine Abschiebung in die Russische Föderation eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK bzw. der Zusatzprotokolle zur Konvention bedeuten würde. Die Behörde habe es unterlassen, sich näher mit der Thematik der prekären Lage der Frauen in der islamisch geprägten tschetschenischen Gesellschaft sowie mit der Thematik der bestehenden Gefahr der drohenden Blutrache gegen Personen, die sich der traditionellen Gesellschaftsordnung Tschetscheniens widersetzen, auseinanderzusetzen, und sie wäre im Sinne einer Prognoseentscheidung dazu verpflichtet gewesen, zu überprüfen, ob der Erstbeschwerdeführerin in ihrem Heimatstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit weitere Verfolgungshandlungen vonseiten nichtstaatlicher Akteure drohen würden. Im Übrigen wäre auch, die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin betreffend, zu prüfen gewesen, ob diese ebenso einer drohenden Zwangsverheiratung ausgesetzt sei. Fakt sei, dass Frauen in der tschetschenischen Gesellschaft stark diskriminiert und massiv unterdrückt würden, was sich aus den in der Beschwerde näher genannten Berichten entnehmen ließe. Hätte sich die belangte Behörde ausreichend mit dem individuellen Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin sowie mit den aktuellen Länderfeststellungen auseinandergesetzt, so wäre sie zu einem anderen Ergebnis gekommen bzw. hätte sie den Beschwerdeführerinnen einen Schutzstatus zuerkannt. Die Behörde habe es ferner unterlassen, hinreichende Feststellungen hinsichtlich der Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu treffen und sie sei auch diesbezüglich ihrer Ermittlungspflicht nicht im ausreichenden Maße nachgekommen. Die Behörde wäre verpflichtet gewesen, das Bestehen eines Familien- und Soziallebens zu überprüfen und dies bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung –insbesondere aus Sicht des Kindeswohles – zu berücksichtigen. Im Falle einer Rückkehr der Beschwerdeführerinnen in ihre Heimat würde es zu einer Trennung von Familienangehörigen kommen, weshalb ihr Aufenthalt in Österreich notwendig sei, um ihre familiären und sozialen Beziehungen aufrecht zu erhalten; eine Rückkehrentscheidung hätte daher jedenfalls dauerhaft für unzulässig erklärt werden müssen.

2.7. Die Beschwerdevorlage langte am 19.09.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde der Gerichtsabteilung W196 zugewiesen.

2.8. Am 03.08.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin und ihrer Rechtsvertretung statt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich mit Schreiben vom 16.07.2021 entschuldigt. Der Einvernahme wurde ein Dolmetscher für die russische Sprache beigezogen und als Zeuge wurde XXXX , der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. der Vater der Zweitbeschwerdeführerin, geladen und einvernommen.

Die Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:
„Eröffnung der Verhandlung

R: Verstehen Sie ein bisschen Deutsch?

BF1: Ja, ich habe schon ein B1 Deutschkurs absolviert.

R: Sie haben Grosny verlassen, weil Sie sich vor einem Mann der Sie heiraten wolle, gefürchtet haben?

BF1: Ja.

R: Können Sie mir das noch einmal erzählen, bzw. was hat der Mann gemacht, dass Sie sich gefürchtet haben?

BF1: Dieser Mann (Umfeld des Wirtschaftsministers) nachdem ich sein Angebot abgelehnt habe, hat er begonnen mich zu bedrohen und mich zu verfolgen. Er sagte, dass er mich nicht in Ruhe arbeiten und leben lassen wird.

R: Warum wollte er Sie unbedingt heiraten, haben Sie ihm gefallen?

BF1: Ja, ich habe ihm gefallen.

R: aber er hatte ja schon eine Frau?

BF1: Ja, er hatte eine Frau und erwachsene Kinder. Nachgefragt: Er wollte eine jüngere Frau. Bei uns in Tschetschenien ist es nichts Schlimmes. Für die Leute dort gehört das dazu. Wenn jemanden eine Frau gefällt, dann geht man davon aus, dass sie einverstanden ist. Für sie ist eine Ablehnung gleichzusetzten wie eine Beleidigung.

R: Was hat er noch gemacht?

BF1: Ich habe sein Angebot abgelehnt und habe alle seine Geschenke zurückgegeben. Dann hat er mich am Arm ergriffen und ich hatte dann blaue Flecken davon, er hat beginnen zu schreien und mich zu beleidigen. Das ist ein gefährlicher Mann, er geht immer mit einer Waffe. Wenn er mir irgendwas angedroht hätte, dann hätte er das auch gemacht –davon bin ich überzeugt.

R: Wo war das?

BF1: In der Arbeit. Er ist oft zu uns ins Büro gekommen. Er war ein Freund von unserem Chef, deswegen ist er so oft gekommen.

R: Sie wollten das nicht und haben die Geschenke zurückgegeben. Was ist dann passiert?

BF1: Nach seinen Drohungen bin ich in das Arbeitszimmer meines Chefs gegangen, ich habe gesagt, dass ich mit dem Mann nichts zu tun haben möchte und er mich in Ruhe lassen sollte. Aber mein Chef hat gesagt, dass das sein bester Freund ist und er mir nicht helfen kann in diesem Fall.

R: Was haben Sie dann gemacht?

BF1: Dann habe ich aufgehört dort zu arbeiten, aber er hat mich nicht in Ruhe gelassen. Er hat dort gewartet, wo ich gelebt habe. Ich musste dann zu Bekannten ins Dorf fahren und mich dort verstecken. Ich weiß nicht, wie er mich dort im Dorf gefunden hat, aber er hat meine Adresse in Erfahrung gebracht. Ich habe verstanden, dass er mich nicht in Ruhe lassen wird deswegen musste ich wegfahren.

R: Ihre Eltern haben Ihnen nicht helfen können?

BF1: Ich habe zu Hause nur meine Schwester und meine Mutter.

R: Was ist mit Ihrem Vater?

BF1: Er ist 2014 gestorben

BF weint.

R an RV: Haben Sie Fragen an die BF1?

RV: Wie geht es Ihrer Mutter und Ihrer Schwester finanziell?

BF1: Meine Schwester ist verheiratet, ihr Mann arbeitet aber sie sind ständig unterwegs, weil ihr Mann an verschiedenen Stellen arbeitet. Meine Mutter wohnt in einer Mietwohnung in Grosny.

RV: Wie geht es Ihrer Mutter gesundheitlich?

BF1: Meine Mutter ist schon älter – wie soll ich das sagen. Manchmal geht es ihr besser und manchmal schlechter. Sie hatte auch eine Coronaerkrankung, das hat sich auch auf ihren Gesundheitszustand ausgewirkt.

R: Wie alt ist Ihre Mutter?

BF1: Sie ist 62 Jahre alt.

RV: Haben Sie abgesehen von Ihrer Mutter und Ihrer Schwestern noch Verwandte in Tschetschenien oder in der russischen Föderation?

BF1: Nein, niemanden.

RV: Könnten Ihre Mutter und Ihre Schwester Sie finanziell unterstützen, im Falle einer Rückkehr?

BF1: Nein, sie sind selbst in einer angespannten finanziellen Situation.

RV: Könnten Ihre Mutter oder Ihre Schwester, Ihnen Schutz vor der Verfolgung, von diesem Mann der Sie verfolgt schützen?

BF1: Nein, auch wenn wir in der Familie mehrere Männer hätten, wäre es kompliziert mich zu beschützen, weil dieser Mann viele Beziehungen hat und viel macht. Meine Mutter und meine Schwester sind nur Frauen – das Wort „Frauen“ steht dort an der letzten Stelle.

RV: Wo haben Sie sich aufgehalten, zwischen dem körperlichen Übergriff und der Ausreise?

BF1: Nach seinen Drohungen habe ich gekündigt und bin zu Hause geblieben, dann bin ich in ein Dorf übersiedelt, weil er mich weiterhin bedroht und verfolgt hat.

RV: Wie haben Sie diese Zeitspanne verbracht, haben Sie sich auch versteckt gehalten?

BF1: Ja. Ich habe mich bei Bekannten versteckt gehalten, ich habe sogar Angst gehabt zum Fenster zu gehen, weil ich große Angst hatte. Meine Nachbarn haben mich benachrichtigt, dass er mich sucht.

RV: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr, bezogen auf diesen Mann?

BF1: So wie ich schon gesagt habe, hat dieser Mann sehr viele Verbindungen.

R: Sie sind jetzt aber verheiratet?

BF: Wenn ich zurückkomme werde ich dazu gezwungen, mein Kind den Verwandten meines Mannes zu geben.

R: Der der draußen ist?

BF: Ja, weil bei uns in Tschetschenien alle familiären Fragen der „Muftirat“ sprich das tschetschenische Zentrum regelt.

R: Auch in Österreich?

BF1: Nein, ich meine nur, wenn ich zurück nach Tschetschenien fahre.

R: Ja, aber Ihr Mann ist ja hier? Halte er sich vielleicht nicht an österreichische Gesetze?

BF1: Ich meine, dass der Muftirat dem untergeordnet ist, der die Macht hat. Man wird versuchen dort, etwas Schlechtes zu machen, meine Ehe zu zerstören und mir das Kind wegnehmen. Es kann auch alles Mögliche mit mir passieren, man könnte mich auch holen.

RV: Können Sie das näher ausführen, was konkret befürchten Sie?

BF1: Ich habe Angst, dass man mich mitnehmen und foltern könnte –dass man mir und meiner Familie irgendetwas antun könnte. BF weint.

R: Und Ihr Mann kann Sie nicht beschützen?

BF1: Dort ist die Lage so, dass wenn ein Oppositioneller etwas schriebt und das nicht gefällt und man seine Publikation liked, dann wird derjenige mitgenommen und gefoltert. Nachgefragt: Er kann mich nicht beschützen, ich habe Angst, dass meinetwegen etwas passieren wird. Dass meinen Mann etwas passieren wird, wegen meinen Problemen.

R: Sie haben Angst um Ihren Mann?

BF1: Ja.

RV: Warum, kann Ihr Mann Sie nicht beschützen?

BF1: Weil die Obrigkeit viel Geld hat.

R: Und hier in Österreich, haben Sie keine Angst?

BF1: Nein, so lange ich schweige und nichts sage bin ich in Sicherheit.

R: Was soll das heißen?

BF1: Wenn ich die Situation nicht bekannt gebe, wenn ich nicht darüber schreibe in den sozialen Netzwerken, solange wird meine Familie zu Hause in Sicherheit sein.

R: Wenn dieser Mann so viel Einfluss hat, dann kann er Sie ganz leicht in Österreich finden?

BF1: In Österreich kann ich in Ruhe zur Polizei gehen. In Tschetschenien und in der russischen Föderation ist es anders, dort hör man einem nicht zu.

R: Der Mann hat aber noch nicht versucht Sie hier zu finden?

BF1: So wie ich es weiß, nein. Ich mache ja nichts und ich versuche mich nirgendwo zu zeigen.

R an RV: Haben Sie noch Fragen an die BF1?

RV: Keine Fragen.

R: Ich gehe davon aus, das Russland eine inländische Fluchtalternative für die BF1 darstellt.

RV: Ich werde dazu später eine Stellungnahme abgeben.

Zur Integration in Österreich:

R: Haben Sie noch Unterlagen die Sie heute vorlegen möchten?

RV legt vor: Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau B1, ÖSD Zertifikat A2 vom 02.10.2019.

Diese werden in Kopie als (Beilage./A) zum Akt genommen.

R: Haben Sie Freunde in Österreich?

RV: Die BF1 hat eine österreichische Freundin in Vorarlberg. Sie heißt Gertrud KAUFMANN, die beiden haben häufig Kontakt übers Telefon. Sie hat auch engen Kontakt zu den Verwandten ihres Mannes, weil sie in Österreich leben. Der Bruder ihres Mannes wohnt in St. Pölten hat vier Töchter und einen Sohn. Mit den zwei Töchtern ist die BF sehr eng befreundet, da sie auch im selben Alter sind. Die BF hat sich beim BFI erkundigt über Fortbildungsmöglichkeiten und möchte im Falle eines Aufenthaltstitels, eine Lehre als Soziarbeiterin beginnen und Kurse im Sozialbereich absolvieren die vom AMS gefördert werden. In fernerer Zukunft wünscht sich die BF eine Stelle als Buchhalterin. Sie und ihr Mann haben ein sehr gutes Verhältnis zueinander und er ist ihre wichtigste Stütze. Die beiden leben gemeinsam in ihrer Wohnung mit ihrer Tochter.

Beginn der Befragung des Zeugen (Z) XXXX um 12:44 Uhr:

RV: Beschrieben Sie bitte das Familienleben mit Ihrer Frau und Ihrem Kind?

Z: Also, bis heute ist unserer Situation von meiner Frau unklar. Deswegen sind wir dar. Sie haben schon Informationen, ich habe eine Rot-Weiss-Rot Karte und bin derzeit arbeitslos. Ich habe als Lagermitarbeiter gearbeitet und vom AMS habe ich einmal einen sechswöchigen Kurs bekommen und der ist schon fertig und der zweite ist auch mit sechs Wochen und ist auch bald fertig. Ich habe eine Woche ein Praktikum in einem Seniorenheim und hätte auch heute dort sein müssen, aber bin wegen dem Termin von meiner Frau hierhergekommen.

Meine Frau und ich wohnen zusammen, wir haben uns in St. Pölten kennengelernt und dann haben wir geheiratet. Die Polizei hat regelmäßig an die Tür geklopft, das war auch ziemlich stressig und schlimm für uns, dann habe ich meine Frau nach Deutschland geschickt um sie zu legalisieren und das ist nicht gegangen. Drei Monate lang hat es nicht geklappt mit den Papieren dann sind wir zusammen nach Bregenz gekommen, dann musste sie nach Traiskirchen fahren und probieren ob es funktioniert. Die Organisation Menschenrechte haben uns auch geholfen.

Wir haben geheitratet, ich liebe meine Frau –wir haben eine Tochter zusammen. Mit dem österreichischen Gesetz, haben wir auch eine Heiratsurkunde gemacht. Wir haben alles probiert um uns zu integrieren.

R: Was machen Sie mit ihrer Tochter?

Z: Ja, wir gehen zusammen auf den Spielplatz –jeden Tag. Wir gehen fast jeden Tag spazieren zusammen.

R: Haben Sie auch österreichische Freunde?

Z: Jaja, natürlich. In Vorarlberg, Dornbirn und Bregenz. In Salzburg wo ich derzeit wohne habe ich auch Österreicher Freunde.

RV: Beschreiben Sie eine typische Woche mit Ihrer Frau und Ihrer Tochter?

Z: Ich habe kein Auto, leider. Ich habe ein Führerschein. Aber, wenn ich ein stabiles Einkommen wieder habe dann kaufe ich eines. Wir gehen immer zusammen Einkaufen. Die letzte Woche bin ich am Morgen aufgestanden und fahre mit dem Fahrrad zum Seniorenhaus um ein Praktikum/Schnupperwoche zu machen. Dort habe ich Leute kennengelernt, die mir erklären wie das alles funktioniert. Wenn wir zusammen Pause machen, dann fragen sie mich ob das für mich ist der Job oder nicht?

R: Ist der Job was für Sie?

Z: Also mit alten Leuten .. arbeiten, leider ich habe genug und lange Zeit in Österreich verschwendet. Mit kranken Leuten arbeiten, sie sind hilflos und krank –das ist momentan für mich sehr sehr schwer. Ich habe derzeit zwei Angebote bekommen, als Pflegeassistent oder Metallhelfer bekommen. Ich habe mich dann für Pflegeassistent genommen.

RV: Was machen Sie zusammen mit Ihrer Frau und Ihrer Tochter?

Z: Wir essen, schlafen zusammen. Gehen gemeinsam Einkaufen. Leider haben wir kein Auto um nach Freilassing zu fahren, dort sind die Lebensmittel etwas billiger.

RV: Wie wäre das für Sie wenn man Sie von Ihrer Frau und Tochter trennen würden, wenn sie keinen Aufenthaltstitel bekommen würden?

Z: Ich persönlich finde diese Frage .. wir sind zusammen und einfach so getrennt machen, unsere Familie –das kann ich mir nicht vorstellen. Tochter mit Frau und irgendwo in Russland, ich plane nicht Österreich zu verlassen. Mächtige, kräftige Leute .. diese Regierung hat Macht bekommen und sie machen alles was sie wollen.

RV wiederholt die Frage.

Z: Das kann ich mir nicht vorstellen, wir sind zu dritt und wir sind zusammen. Ich rede mit meiner Frau regelmäßig, wenn sie von der österreichischen Regierung einen positiven Bescheid bekommen würde, ich frage sie dann, was sie machen wollen würde. So wie ich ein Pflegeassistent oder Buchhalterin. Wenn wir einen Aufenthaltstitel bekommen Halleluja, wenn nicht das wäre schlimm. Mehr oder weniger, die Geschichte kenne ich und für meine persönliche Sicherheit kann alles passieren. Ein Beispiel: Hier eine Kopftuchträgerin, in Österreich Polizei und Regierung. Die Fragen nicht, warum tragen sie ein Kopftuch oder warum tragen sie eines? Leute kommen einfach wählen welche Richtung sie wollen, Kopftuch ohne Bart, mit Bart. Solche Sachen gibt es dort nicht. Jeden Tag was wir hören aus Tschetschenien das ist nicht für uns – das sagt auch meine Frau.

RV: Sehen Sie sich als Gleichberechtigt an, im Bezug auf die Beziehung auf Ihre Tochter?

Z: Wer mehr Rolle spielt unsere Tochter zu erziehen? Mehr –meine Frau, weil ich Momentan mehr draußen bin und wenn ich zu Hause bin dann machen wir das zusammen.

R an RV: Haben Sie noch Fragen an den Z?

RV: Keine Fragen.

Ende der Befragung von Z um 13:07 Uhr.

Die Verhandlung wird von 13:10 Uhr bis 13:21 Uhr für die Rückübersetzung unterbrochen.

R an RV: Möchten Sie noch eine Stellungnahme abgeben?

Stellungnahme:

(…)

Schluss der Verhandlung“

In der im Rahmen der Verhandlung eingebrachten Stellungnahme wurde (erneut) vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr asylrelevanter geschlechtsspezifischer Verfolgung von Seiten des Stellvertreters des tschetschenischen Wirtschaftsministers drohe, welchem sie sich widersetzt habe, ihn als Zweitfrau zu ehelichen; die mangelnde staatliche Schutzwilligkeit bzw. Schutzfähigkeit vor dieser privaten Verfolgung ergebe sich zweifelsfrei aus den Länderberichten. Dass sie ihr Verfolger auch in anderen Teilen der Russischen Föderation auffinden könnte, ergebe sich schon aufgrund seiner hohen Position und damit verbundenen weitreichenden Kontakten. Die Erstbeschwerdeführerin verfüge zudem über keine finanziellen Mittel und es würden nur noch ihre schon ältere Mutter und ihre Schwester in Tschetschenien leben, von welchen sie keine (finanzielle) Unterstützung erwarten könne. Nach der Berichtslage zur Russischen Föderation und zu Tschetschenien, hier im Speziellen zur Situation von rückkehrenden Frauen ohne Familienanschluss und ohne jegliche Unterstützung eines männlichen Verwandten, könne nicht mit der erforderlichen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Beschwerdeführerinnen die Möglichkeit hätten, sich außerhalb von Tschetschenien ohne Familienanschluss in der Russischen Föderation niederzulassen, ohne dabei in eine Notlage zu geraten; wobei auch auf die Judikatur des BVwG (konkret W226 214 7603-1 vom 12.12.2017 und W231 2009584-1/11E vom 8.7.2016) verwiesen werde. Die Erstbeschwerdeführerin sei ferner sehr gut in Österreich integriert und sie und ihr Ehemann führen ein intensives, inniges und glückliches Familienleben gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter, der Zweitbeschwerdeführerin. Ein Eingriff in ihr Privat- und Familienleben sei daher nicht durch die in Art 8 Abs. 2 EMRK angeführten Interessen gerechtfertigt und eine Trennung der Zweitbeschwerdeführerin von ihrem Vater würde jedenfalls dem Kindeswohl widersprechen.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Identität und den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerinnen:

Die Identität der Beschwerdeführerinnen steht fest. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Beide sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen. Sie bekennen sich zum islamischen Glauben.

Die Erstbeschwerdeführerin ist in XXXX , Tschetschenien geboren. Sie hat dort elf Jahre die Schule und sechs Jahre die Universität besucht. Vor ihrer Ausreise übte sie den Beruf der Buchhalterin aus. Der Vater der Erstbeschwerdeführerin ist bereits verstorben. Ihre Mutter, und ihre Schwester leben nach wie vor in Tschetschenien.

In Österreich lernte die Erstbeschwerdeführerin ihren späteren Ehemann kennen, den sie am 19.11.2016 nach traditionellem Ritus in einer Moschee XXXX und sodann am 03.03.2017 am Standesamt XXXX ehelichte. Am XXXX kam die gemeinsame Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, zur Welt.

Die Beschwerdeführerinnen leiden an keinerlei schwerwiegenden Erkrankungen und befinden sich auch in keiner medizinischen Behandlung; sie sind beide gesund.

1.2.    Zu den Fluchtgründen sowie zu einer möglichen Rückkehr in den Herkunftsstaat:

Die Beschwerdeführerinnen haben in ihrer Heimat keine wohlbegründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung (mehr) zu befürchten und es steht ihnen allenfalls eine mögliche und zumutbare innerstaatlichen Fluchtalternative in anderen Teilen Russlands, etwa in Moskau zur Verfügung.

Sonstige wie auch immer geartete Bedrohungslagen in der Russischen Föderation konnten weder die Erstbeschwerdeführerin noch die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin betreffend festgestellt werden.

1.3.    Zum Privat- und Familienleben in Österreich:

Die Erstbeschwerdeführerin reiste im Juli 2016 in das Bundesgebiet ein und stellte am 25.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.12.2016 wurde dieser Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 13.01.2017 rechtskräftig abgewiesen.

Daraufhin verblieb die Beschwerdeführerin zunächst illegal im Bundesgebiet und von 08.05.2017 bis 27.03.2018 hielt sie sich in Deutschland auf, wo sie ebenfalls einen Asylantrag stellte. Am 29.03.2018 erfolgte die gegenständliche Antragstellung (Folgeantrag) auf internationalen Schutz in Österreich.

Im österreichischen Bundesgebiet befindet sich der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. der Vater der Zweitbeschwerdeführerin, mit welchem sie im selben Haushalt leben. Der Ehemann bzw. Vater der Erst- bzw. Zweitbeschwerdeführerin ist ebenfalls russischer Staatsangehöriger und Tschetschene. Er befindet sich seit 2006 in Österreich und verfügt über eine Rot-Weiß-Rot-Plus Karte.

Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über einen Sprachnachweis für die deutsche Sprache auf dem Niveau B1; sie spricht gut Deutsch. Sie hat eine österreichische Freundin und ferner engen Kontakt zu den in Österreich aufhältigen Verwandten ihres Mannes. Im Falle eines Aufenthaltstitels möchte sie, eine Lehre als Sozialarbeiterin beginnen bzw. Kurse im Sozialbereich absolvieren, die vom AMS gefördert werden. In fernerer Zukunft wünscht sie sich eine Stelle als Buchhalterin.

Die Erstbeschwerdeführerin ist nicht Mitglied in einem Verein. Sie ist auch nicht ehrenamtlich bzw. gemeinnützig tätig.

Derzeit beziehen sie und ihre Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin die Grundversorgung.

Die Erziehung der Zweitbeschwerdeführerin übernimmt hauptsächlich ihre Mutter, die Erstbeschwerdeführerin.

1.4. Zur maßgeblichen Lage im Herkunftsland:


„Covid-19-Situation

Letzte Änderung: 18.05.2021  

Russland ist von Covid-19 landesweit stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind Moskau und St. Petersburg (AA 15.2.2021). Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die Weltgesundheitsorganisation WHO (https://covid19.who.int/region/euro/country/ru). Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 zuständig, beispielsweise betreffend Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vgl. CHRR 12.3.2021). Die Maßnahmen der Regionen sind unterschiedlich, richten sich nach der epidemiologischen Situation in der jeweiligen Region und ändern sich laufend (WKO 9.3.2021; vgl. AA 15.2.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 9.3.2021).

Die regierungseigene Covid-19-Homepage gibt Auskunft über die vom russischen Gesundheitsministerium empfohlenen Covid-19-Medikamente, nämlich Favipiravir, Hydroxychloroquin, Mefloquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritonavir, rekombinantes Interferon-beta-1b und Interferon-alpha, Umifenovir, Tocilizumab, Sarilumab, Olokizumab, Canakinumab, Baricitinib und Tofacitinib. Der in Moskau entwickelte Covid-19-Krankenhausbehandlungsstandard umfasst folgende vier Komponenten: Antivirale Therapie, Antithrombose-Medikation, Sauerstoffmangelbehebung und Prävention/Behandlung von Komplikationen. Auf Anordnung des Arztes wird Patienten ein Pulsoxymeter ausgehändigt (Gerät zur Messung des Blutsauerstoffsättigungsgrades). Die medizinische Covid-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CHRR o.D.a).

Folgende Impfstoffe wurden in der Russischen Föderation entwickelt: Gam-COVID-Vac ('Sputnik V'), EpiVacCorona, CoviVac und Ad5-nCoV (CHRR o.D.b). Mittlerweile sind in der Russischen Föderation drei heimische Impfstoffe zugelassen (Sputnik V, EpiVacCorona und CoviVac). Groß angelegte klinische Studien gibt es bisher nicht (DS 20.2.2021; vgl. RFE/RL 21.2.2021). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.). In Moskau wurden bisher mehr als 700.000 Personen geimpft (Mos.ru 8.3.2021). Obwohl Russland als weltweit erstes Land seinen Covid-Impfstoff Sputnik V registrierte, haben die Impfungen effizient gerade erst begonnen (DS 12.2.2021). Bisher wurden in der Russischen Föderation in etwa 2,2 Millionen Personen (ca. 1,5% der Bevölkerung) geimpft bzw. erhielten zumindest eine der zwei Teilimpfungen (RFE/RL 21.2.2021).

Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei der Grenzkontrolle keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, die nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Die Ausreise aus Russland ist bis auf unbestimmte Zeiteingeschränkt und nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Die internationalen Flugverbindungen wurden teilweise wieder aufgenommen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden derzeit ein- bis zweimal wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Pandemiezeit aufrecht erhalten (WKO 9.3.2021). Der internationale Zugverkehr – mit Ausnahme der Strecke zwischen Russland und Belarus - und der Fährverkehr sind eingestellt (AA 15.2.2021).

Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Sozialabgabenreduktion sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse dazu. Viele der Maßnahmen sind nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und haben einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 9.3.2021). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen usw. (CHRR o.D.c). Jänner bis Oktober 2020 ist die Industrieproduktion pandemiebedingt um 3,1% zurückgegangen. Besonders die Rohstoffproduktion ist um 6,6% gefallen, während die verarbeitende Industrie mit 0,3% praktisch stagnierte. Die im Jahr 2020 sehr stark fallenden Ölpreise waren unter anderem eine Auswirkung der Covid-19-Pandemie und mit einem globalen Nachfragerückgang verbunden und führten zu einer Rubelabwertung von 25%. Nach leichter Erholung verlor der Rubel unter anderem wegen der anhaltenden geringen Rohstoffnachfrage Mitte 2020 erneut an Wert und lag Anfang Dezember bei ca. 90 Rubel je Euro (WKO 12.2020). Das Realwachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug im Jahr 2020 -3,1%. Im Vergleich dazu betrug der entsprechende Wert im Jahr 2019 2%. Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2020 17,8% des Bruttoinlandsprodukts (2019: 12,4%) (WIIW o.D.).

Moskau:

In Moskau herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Das Tragen von Masken auf Straßen wird empfohlen. Kultur- und Bildungsveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 50% der Zuschauerplätze belegt sind. Bürgern über 65 Jahren und chronisch Kranken wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021; vgl. WKO 9.3.2021, AA 15.2.2021). Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Am Arbeitsplatz sind vorgeschriebene Hygienevorschriften (unter anderem Temperaturmessungen, Mund- und Handschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 9.3.2021). Gemäß dem Moskauer Bürgermeister verbessert sich die Pandemielage in Moskau. Ein Großteil der Einschränkungen wurde aufgehoben. Gastronomiebetriebe sind wieder geöffnet. Für Schüler höherer Klassen und Studierende findet nun wieder Präsenzunterricht statt (Mos.ru 7.3.2021; vgl. Mos.ru 8.3.2021, LM 8.2.2021, Russland Analysen 19.2.2021). In der Oblast [Gebiet] Moskau wurde die Mehrzahl der wegen Covid geltenden Einschränkungen zurückgenommen. Einzig Massenveranstaltungen bleiben fast ausnahmslos verboten (Russland Analysen 19.2.2021).

St. Petersburg:

Auch in St. Petersburg herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Die für gastronomische Betriebe geltenden Beschränkungen der Öffnungszeiten wurden aufgehoben. Kulturveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 75% der Zuschauerplätze belegt sind. Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke sind Selbstisolierung und Fernarbeit verpflichtend (CHRR 12.3.2021; vgl. Gov.spb 5.3.2021, WKO 9.3.2021, Russland Analysen 8.2.2021).

Tschetschenien:

An öffentlichen Orten wird das Tragen von Masken empfohlen. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke ist Selbstisolierung vorgesehen (CHRR 12.3.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, Ria.ru 10.2.2021, KMS 10.2.2021). Bisher wurden mehr als 19.000 Personen geimpft (Chechnya.gov 26.2.2021). Mitarbeitern staatlich finanzierter Organisationen in Tschetschenien wurde mit Entlassung gedroht, sollten sie die Covid-Impfung verweigern. Bewohner in Tschetschenien berichten, ihnen seien Sanktionen angedroht worden, sollten sie sich nicht impfen lassen (CK 23.1.2021). Reisebeschränkungen wurden aufgehoben (Ria.ru 10.2.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, KMS 10.2.2021).

Dagestan:

An öffentlichen Orten herrscht Maskenpflicht. Einstweilen dürfen keine Massenveranstaltungen stattfinden. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021). Es finden Massenimpfungen statt, und verwendet wird der Impfstoff Sputnik V (E-dag.ru 23.2.2021). Bisher wurden mehr als 18.000 Personen (2,4%) geimpft (E-dag.ru 12.3.2021).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (15.2.2021): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536, Zugriff 16.3.2021

-        Chechnya.gov – ????? ????????? ?????????? [Oberhaupt der Tschetschenischen Republik] [Russische Föderation] (10.2.2021): ? ???????: «?? ??????? ? ????????? ?????????? ???????????? ??????? ????? ? ???????????? ??????» [R Kadyrow: „Wir heben die Maskenpflicht an öffentlichen Orten in der Tschetschenischen Republik auf“], http://chechnya.gov.ru/novosti/r-kadyrov-my-snimaem-v-chechenskoj-respublike-obyazatelnoe-noshenie-masok-v-obshhestvennyh-mestah/, Zugriff 12.3.2021

-        Chechnya.gov – ????? ????????? ?????????? [Oberhaupt der Tschetschenischen Republik] [Russische Föderation] (26.2.2021): ?????? ????????????? ????????? ?????? ? ????????? ?????????? ?? ?????????????? ????? ????? ?????????? [Aufhebung der Maskenpflicht in der Tschetschenischen Republik provozierte nicht steigende Krankheitszahlen], http://chechnya.gov.ru/novosti/otmena-obyazatelnogo-masochnogo-rezhima-v-chechenskoj-respublike-ne-sprovotsirovala-rosta-chisla-zabolevshih/, Zugriff 12.3.2021

-        CHRR – Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (12.3.2021): ????? ??????????? ??????????? ? ????? ? COVID-19 [Landkarte bzgl. geltender Einschränkungen in Verbindung mit Covid-19], https://???????????????.??/information/, Zugriff 12.3.2021

-        CHRR – Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.a): ????? ?????????? ??????? [FAQ], https://???????????????.??/faq/, Zugriff 12.3.2021

-        CHRR – Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.b): ??? ? ?????????? ?????? COVID-19 [Alles über die Covid-19-Impfung], https://???????.???????????????.??/, Zugriff 12.3.2021

-        CHRR – Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.c): ???? ????????? ??????? [Unternehmensunterstützungsmaßnahmen], https://???????????????.??/what-to-do/business/, Zugriff 24.3.2021

-        CK – Caucasian Knot (23.1.2021): Budget-funded Chechen employees complain about enforcement to vaccination, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53468, Zugriff 12.3.2021

-        DS – Der Standard (12.2.2021): Russland könnte sich der Herdenimmunität nähern, https://www.derstandard.at/story/2000124129778/russland-waehnt-sich-nahe-an-der-herdenimmunitaet, Zugriff 12.3.2021

-        DS – Der Standard (20.2.2021): Russland bringt dritten Covid-Impfstoff auf den Markt, https://www.derstandard.at/jetzt/livebericht/2000124341360/redcontent/1000220229?responsive=false, Zugriff 12.3.2021

-        E-dag.ru – Moj Dagestan [Mein Dagestan] / Offizielle Website Dagestans [Russische Föderation] (23.2.2021): ? ????????? ??????? ?? ?????? ????? ?????? 50 ???????, ?????????? ????????????? ?? ????? [In Dagestan zum ersten Mal seit langer Zeit weniger als 50 am Coronavirus erkrankte Personen innerhalb 24 Stunden], https://mydagestan.e-dag.ru/coronavirus/v-dagestane-vpervye-za-dolgoe-vremya-menshe-50-chelovek-zabolevshikh-koronavirusom-za-sutki/, Zugriff 12.3.2021

-        E-dag.ru – Moj Dagestan [Mein Dagestan] / Offizielle Website Dagestans [Russische Föderation] (12.3.2021): ?????????? ? ?????????? ?????????? ????????? ?????????? ???????? ?????? COVID-19 [Information über COVID-19-Impfung der Bevölkerung der Republik Dagestan], https://mydagestan.e-dag.ru/vaccination-against-covid-19/, Zugriff 12.3.2021

-        Gov.spb – ????????????? ?????-?????????? [St. Petersburger Verwaltung] [Russische Föderation] (5.3.2021): ????????? ??????????? ???????????? ?? 28 ????? [Einzelne Einschränkungen bis 28.3. verlängert], https://www.gov.spb.ru/press/governor/208547/, Zugriff 12.3.2021

-        KMS – Kommersant (10.2.2021): ??????? ??????? ???????????? ???????? ????? ? ????? [Kadyrow hob die Maskenpflicht in Tschetschenien auf], https://www.kommersant.ru/doc/4683493, Zugriff 15.3.2021

-         LM – Le Monde (8.2.2021): En Russie, le Covid-19 a alimenté une hausse brutale de la mortalité en 2020 [In Russland hat Covid-19 für einen brutalen Anstieg der Sterberaten im Jahr 2020 gesorgt], https://www.lemonde.fr/international/article/2021/02/08/en-russie-le-covid-19-a-alimente-une-hausse-brutale-de-la-mortalite-en-2020_6069228_3210.html, Zugriff 12.3.2021

-        Mos.ru – Offizielle Webseite des Moskauer Bürgermeisters [Russische Föderation] (7.3.2021): ?????? ??????? ????????? ? ???????? ? ????????????? ? ?????? [Sergei Sobjanin sprach über die Coronavirussituation in Moskau], https://www.mos.ru/mayor/themes/18299/7190050/?onsite_molding=2, Zugriff 15.3.2021

-        Mos.ru – Offizielle Webseite des Moskauer Bürgermeisters [Russische Föderation] (8.3.2021): ????? 700 ????? ??????? ??? ??????? ???????? ?? ???????????? ? ?????? [Schon mehr als 700.000 Personen wurden in Moskau gegen Coronavirus geimpft], https://www.mos.ru/news/item/87519073/, Zugriff 12.3.2021

-        Mos.ru – Offizielle Webseite des Moskauer Bürgermeisters [Russische Föderation] (o.D.): ?????????? ?????????? [Gratis-Impfung], https://www.mos.ru/city/projects/covid-19/privivka/, Zugriff 12.3.2021

-        Russland Analysen (8.2.2021): Covid-19-Chronik (11.-31.1.2021), (Nr. 397), https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/397/RusslandAnalysen397.pdf, Zugriff 12.3.2021

-        Russland Analysen (19.2.2021): Covid-19-Chronik (1.-14.2.2021), (Nr. 398), https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/398/RusslandAnalysen398.pdf, Zugriff 16.3.2021

-        RAD – Russian Analytical Digest / Anna Tarasenko (Nr. 263) (15.2.2021): Mitigating the Social Consequences of the COVID-19 Pandemic: Russia’s Social Policy Response, https://css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/RAD263.pdf#page=12, Zugriff 16.3.2021

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (21.2.2021): Russia Approves CoviVac, Its Third Coronavirus Vaccine, https://www.rferl.org/a/russia-coronavirus-vaccine-covivac/31113697.html, Zugriff 12.3.2021

-        Ria.ru – ??? ??????? [RIA Nowosti] (10.2.2021): ??????? ??????? ???????????? ??????? ????? ? ????? [Kadyrow hob die Maskenpflicht in Tschetschenien auf], https://ria.ru/20210210/maski-1596846521.html, Zugriff 12.3.2021

-        WIIW – Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (o.D.): Russia – Overview, https://wiiw.ac.at/russia-overview-ce-10.html, Zugriff 24.3.2021

-        WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (12.2020): Wirtschaftsbericht Russische Föderation, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/russische-foederation-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 24.3.2021

-        WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (9.3.2021): Coronavirus: Situation in Russland, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-russland.html, Zugriff 16.3.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 26.05.2021

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020). Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016, FH 3.3.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 1.1.2021).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneutenUnterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 1.2021a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürgersollten Jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.2.2021).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.10.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 16.2.2021

-    

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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