TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/10 W208 2220776-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.11.2021
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Entscheidungsdatum

10.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W208 2220776-1/38E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Iran, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Niederösterreich (BFA-N) vom 31.05.2019, Zl. 1221121607-190209475, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) verließ im Jahr 2019 den Iran, stellte am 28.02.2019 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt (AS 15). Am 04.03.2019 (AS 55) und 25.04.2019 (AS 105) wurde der BF von der nunmehr belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu seinen Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.

Er gab dabei im Wesentlichen an im Iran Schwierigkeiten mit seinem Vater gehabt, nicht an den Islam geglaubt zu haben und nun zum Christentum konvertiert zu sein.

Er bestätigte jeweils, dass die Niederschriften rückübersetzt wurden und es keine Verständigungsprobleme gab.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 06.06.2019) wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, sondern gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Iran zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Das BFA stellte dem BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

3. Mit Schriftsatz vom 26.06.2019 erhob der BF durch seine Rechtsvertretung (damals DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST) binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der BF habe massive Probleme mit seinem Vater bekommen der in streng religiös habe erziehen wollen, dieser habe dem BF die Tätowierung seines für unrein erachteten Hundes mit Säure von der Hand geätzt. Seine Mutter habe die Probleme mit der religiösen Identität des BF erkannt, ihm vom Christentum erzählt. Der BF habe daraufhin begonnen sich für das Christentum zu interessieren, habe Informationen gesammelt und sei in eine Hauskirche gegangen, bis diese von der Sepah gestürmt worden sei. Er sei deshalb und weil er auch bei seinem Vater in Ungnade gefallen sei, geflohen und besuche nun in Österreich regelmäßig die Kirche.

4. Mit Schriftsatz vom 01.07.2019 (eingelangt am 03.07.2019) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem BVwG vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

5. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 30.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bislang zuständigen Gerichtsabteilung W122 abgenommen und der nun zuständigen Gerichtsabteilung W208 neu zugewiesen (OZ 5).

6. Danach langten die folgenden Informationen betreffend den BF beim BVwG ein:

Verurteilung LG WIEN vom 24.08.2020 ( XXXX ), weil der BF am 28.02.2020 in WIEN mit einem Mittäter Suchtgift (Cannabis) verkauft hatte, zu einer bedingten Freiheitstrafe von 6 Monaten (Probezeit 3 Jahre), wegen unerlaubten Umgang mit Suchtmittel nach § 27 Abs 2a SMG (OZ 9);

07.09.2020 Festnahme und U-Haft ( XXXX ). wegen Suchtgiftverkauf (Substitol) § 27 Abs 2a, 3 SMG (OZ 11, 14);

Verurteilung LG WIEN vom 25.09.2020 ( XXXX ), wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtmittel nach § 27 Abs 2a SMG zu einer Zusatzstrafe von 2 Monaten (OZ 15);

Verurteilung LG WIEN vom 13.04.2021 ( XXXX ), wegen des Verkaufs von Substitol am 07.09.2020, wegen Ladendiebstahl am 27.08.2020 (Kopfhörer im Wert von rund 30,-- Euro) sowie Verletzung eines Polizisten durch einen Faustschlag und Widerstand gegen die Identitätsfeststellung, zu 15 Monate Freiheitsstrafe (unbedingt) wegen des Vergehen des versuchten Diebstahls (§§ 15, 127 StGB), das Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs 1 StGB), das Vergehen der schweren Körperverletzung (§§ 83 Abs 1 iVm 84 Abs 2 StGB) und wieder wegen unerlaubten Umgang mit Suchtmittel nach § 27 Abs 2a SMG (OZ 17).

Der BF büßt seitdem, bis voraussichtlich 07.08.2022, seine Gefängnisstrafe ab (OZ 18).

7. Mit Schreiben vom 03.05.2021 wurden der BF sowie das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 02.06.2021 geladen und er in der Ladung darauf hingewiesen, dass er, sollte er eine Rechtsberatung wünschen, mit der BBU ehestmöglich Kontakt aufnehmen solle (OZ 20).

8. Am 02.06.2021 wurde der BF von der Justizanstalt (JA) zur Verhandlung vorgeführt. Ein Rechtsberater der BBU ist aufgrund eines Kommunikationsproblems über die Verlegung des BF von einer JA zu anderen nicht erschienen und konnte kurzfristig auch keine Rechtsberatung für die Verhandlung organisiert werden. Der BF gab an, nachdem er über den Zweck der Verhandlung – die Klärung, ob er wegen Konversion zum Christentum im Iran verfolgt werde – informiert worden war, nicht ohne Rechtsberatung verhandeln zu wollen und wurde die Verhandlung daraufhin vertagt (OZ 26).

9. In der Folge legte die BBU am 18.06.2021 eine Vollmacht vor (OZ 27) und wurde eine neuerliche Ladung, unter Hinweis auf die Heranziehung des „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran, in der neuesten Version (COI-CMS https://staatendokumentation.at bzw. https://ecoi.net), für den 07.10.2021 anberaumt (OZ 29).

10. Am 12.08.2021 teilte das BFA mit, dass aus dienstlichen Gründen kein Vertreter entsandt werden könne und beantragte die Abweisung der Beschwerde (OZ 31).

11. Das BVwG ersuchte die JA um Vorlage der Besucherlisten den BF betreffend und um Information, ob der BF in der JA Kontakt mit einem Seelsorger gehabt habe. Die JA übermittelte die Besucherliste (auf der sich ausschließlich der Anwalt des BF und der Rechtsberater fanden) und teilte mit, dass es keinen Kontakt mit einem Seelsorger gegeben habe (OZ 34).

12. Am 01.10.2020 langte eine mit 30.09.2021 datierte Beschwerdeergänzung der Rechtsberatung des BF ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass der BF im bisherigen Beschwerdeverfahren nicht die Wahrheit gesagt habe. Er sei insbesondere nicht zum Christentum konvertiert. Die Wahren Fluchtgründe seien, dass er bereits als Kind verobt worden sei und seinem Vater gesagt habe, dass er kein Interesse an Frauen (und auch nicht an Männern) habe und der Vater ihm in Folge dessen, die Hand mit Säure verätzt habe. Er glaube nicht an Gott, habe sich im Iran nicht an die religiösen Vorschriften gehalten und sei vom Militärdienst geflohen, als das dort aufgefallen sei. Die Sepah habe daraufhin den Vater befragt und dieser habe gesagt, dass er mit den religiösen Ansichten des BF nicht einverstanden sei (OZ 35).

13. Das BVwG führte am 07.10.2021 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF sowie dessen Rechtsberater teilnahmen. Der BF wurde ausführlich zu seiner Person, seinen Fluchtgründen sowie Aktivitäten in Österreich befragt. Es wurde ihm Gelegenheit gegeben, alle Gründe umfassend darzulegen und zu den ins Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung zu nehmen.

Im Zuge der Verhandlung bestätigte der BF die Angaben in der Beschwerdeergänzung und legte eine Therapiezusage vom 04.10.2021, einmal pro Woche 50 Minuten Einzeltherapie für ein Anti-Gewalt Training, vor (Beilage ./1 zur VHS). Weiters legte er eine Bestätigung vom 04.10.2021 der XXXX gemeinnützige GmbH vor, dass er sich seit August 2021 in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung befinde und sich an die Richtlinien und Vereinbarungen halte (Beilage ./2 zur VHS).

Die VHS wurde unter OZ 36 (irrtümlich auf der Niederschrift als OZ 29 bezeichnet) registriert und rückübersetzt.

Eine Strafregisterabfrage wurde am Tag der Verhandlung durchgeführt. Auf dem Strafregisterauszug finden sich die oben genannten drei Verurteilungen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person des BF

Der BF ist ein volljähriger iranischer Staatsangehöriger. Er trägt den im Erkenntniskopf genannten Namen und ist am XXXX (23.12.1376 nach iranische Kalender) geboren. Seine Identität steht fest.

Der BF stammt aus der 650.000 Einwohnerstadt XXXX in der Provinz GILAN und lebte dort bis zu seiner Ausreise im Elternhaus (VHS 4, 11). Er gehört der Volksgruppe der Perser an, spricht Farsi (Muttersprache) und Deutsch, so dass er sich verständigen kann, Prüfung hat er noch keine abgelegt (VHS 3, 18). Er verfügt über zumindest 10 Jahre Schulbildung und arbeitete im Iran als Koch und in Teilzeit als Zusteller an der Universität (VHS 9 und AS 17, 67, 111).

Der BF ist ledig, lebt in keiner Beziehung und hat keine Kinder. Er hat nach eigenen Angaben Probleme Beziehungen einzugehen, er ist aber nicht homosexuell (VHS 21, 23).

In Iran leben die Eltern des BF und seine Schwester, sie leben dort von Reisfeldern und Fleischhandel (AS 67, VHS 10). Zu seiner Mutter hat der BF regelmäßig Kontakt (VHS 11) und hat ihn diese auch bei der Finanzierung der Flucht unterstützt (AS 115).

Der BF reiste unter Umgehung von Passkontrollen aus dem Iran aus, illegal nach Österreich ein und stellte am 28.02.2019 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht besteht nicht.

Der BF leidet an keiner physischen oder psychischen (schweren oder lebensbedrohlichen) Erkrankung und ist arbeitsfähig. Derzeit absolviert er ein Antigewalttraining im Gefängnis.

Der BF gehört im Hinblick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe hinsichtlich COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr nach Iran eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Der BF verfügt über keine familiären oder sonstigen verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen sozialen Bindungen in Österreich. Der BF lebt hier in keiner Lebensgemeinschaft. Der BF ist in Österreich nicht Mitglied in Vereinen oder anderen Organisationen. Der BF absolviert in Österreich keine Ausbildung. Er hat keinerlei sozialen Kontakte. Zu seinem ehemaligen Freundeskreis hat er keinen Kontakt mehr.

Der BF hat in Österreich (außerhalb des Gefängnisses) zu keinem Zeitpunkt gearbeitet und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der BF wurde mit den im Punkt I.6. angeführten rechtskräftigem Urteilen des Landesgerichtes Wien (LG) wegen der dort angeführten Straftaten zu Freiheitsstrafen verurteilt. Er wird noch bis voraussichtlich 05.08.2022 im Gefängnis sitzen.

Für die mit gegenständlichem Urteil bestraften Tathandlungen übernimmt der BF nur teilweise die Verantwortung. Er spricht von Fehlern und dass er seine Taten bereut und macht seine damalige Drogensucht dafür verantwortlich (VHS 18,19). Er bestreitet jedoch den Polizisten vorsätzlich zweimal mit der Faust geschlagen zu haben, sondern spricht von einem Versehen (VHS 19). Besonders hinzuweisen ist idZ auf die Ausführungen des OLG WIEN vom 13.04.2021 ( XXXX ) anlässlich des Berufungsurteiles betreffend des Erkenntnisses des LG WIEN vom 09.11.2020, wo ausgeführt ist, dass die Zeugenaussagen und das polizeiamtsärztliche Gutachten, gegen die Einlassung des BF sprachen (OZ 17, 5).

1.2. Zum Fluchtvorbringen

Der BF wuchs in Iran als schiitischer Moslem auf und entstammt einer religiösen Familie. Er selbst war nicht gläubig und besuchte Moscheen nur, wenn er dazu von der Familie gezwungen wurde. Im Alltag hatte er keinerlei Probleme seine Ungläubigkeit zu verbergen und ist das in der 600.000 Einwohnerstadt außer seinen Familienangehörigen auch niemandem aufgefallen, weil sich keiner darum gekümmert hat und er es auch niemandem gesagt hat. Probleme hat er deswegen nur mit seinem Vater (VHS 16). Dass sein Vater ihm im Sommer 2018 (AS 109) oder während der Schulzeit (erste Hauptschule=7 Klasse=2011, VHS 15) den Handrücken der rechten Hand vorsätzlich mit Säure verätzt oder verbrannt hat, ist nicht glaubhaft.

In Iran wandte sich der BF nicht dem Christentum zu und besuchte keine Hauskirchen. Diesbezüglich hat er in den Einvernahmen vor dem BFA eine Lüge erzählt, was er erst kurz vor der zweiten Verhandlung vor dem BVwG nach Rechtsberatung durch die BBU eingeräumt hat (Beschwerdeergänzung und VHS 10, 20).

Der BF wird von iranischen Behörden weder wegen Desertation vom Wehrdienst noch wegen Apostasie gesucht. Diesbezüglich waren seine Aussagen nicht glaubhaft.

Der BF ist in Österreich nicht aus einem innerem Entschluss zum Christentum konvertiert und seine atheistische Glaubensüberzeugung ist aktuell nicht derart ernsthaft, dass sie zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität des BF wurde. Es wird davon ausgegangen, dass sich der BF im Falle einer Rückkehr nach Iran – so wie er es auch bisher dort nicht getan hat – nicht privat oder öffentlich zu seinem Abfall vom islamischen Glauben bekennen wird.

Der BF ist in Österreich nicht missionarisch tätig, setzt keine antiislamischen Aktivitäten und beabsichtigt nicht ernsthaft, dies in Zukunft zu tun. Die iranischen Behörden im Iran wissen von seiner atheistischen Lebenseinstellung nicht Bescheid. Von seinem Vater geht keine Bedrohung aus, weil dieser über keinerlei Einfluss verfügt und ihn bei einer Rückkehr in den Iran nicht finden würde.

Der BF brachte keine weiteren Gründe vor, warum er eine Rückkehr in den Heimatstaat fürchtet.

1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

1.3.1. Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der neuesten Version (COI-CMS https://staatendokumentation.at bzw. https://ecoi.net) ergibt sich (Unterstreichungen durch BVwG):

„COVID-19

Letzte Änderung: 28.06.2021

Iran gilt als eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder (DW 18.11.2020) und ist als Gebiet mit besonders hohem Infektionsrisiko (Hochinzidenzgebiet) eingestuft, da das Land von einer erneuten COVID-19-Infektionswelle stark betroffen ist. Aktuelle Informationen und detaillierte Zahlen bieten das iranische Gesundheitsministerium und die Weltgesundheitsorganisation WHO (AA 16.6.2021). Nach dem persischen Neujahrsfest Norouz Ende März hatten viele Iraner trotz Warnungen von Präsident Hassan Rohani Verwandte besucht. Danach stiegen die Infektionszahlen stark an. Die Regierung reagierte darauf mit einem Teil-Lockdown (SZ 1.5.2021). Mittlerweile scheint sich die Zahl der Infektionen einigermaßen stabilisiert zu haben, deshalb wurden einige der bisherigen Beschränkungen aufgehoben bzw. gelockert. Neben den Geschäften und Institutionen der Kategorie 1, also essentiell notwendigen, dürfen auch solche der Kategorie 2, also ein Großteil des Einzelhandels, auch in Einkaufszentren und Basaren, öffnen. Obwohl die Zahl der Neuinfektionen mittlerweile leicht im Abnehmen begriffen ist, ist sie allerdings immer noch hoch (WKO 10.5.2021). Auch die Auslastung der medizinischen Einrichtungen ist weiterhin sehr hoch (WKO 10.5.2021; vgl. DW 23.4.2021), verschiedentlich gibt es noch Engpässe bei der Versorgung mit Schutzausrüstung und Medikamenten. Der Großraum Teheran und zahlreiche andere Städte wurden von der höchsten, 'roten' Gefahrenstufe auf 'orange' zurückgestuft (WKO 10.5.2021).

Personen, die nach Iran auf dem Luftweg einreisen wollen, haben einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 aus dem Abreisestaat in englischer Sprache mit sich zu führen und vorzuweisen. Das ärztliche Zeugnis darf bei der Einreise nicht älter als 72 Stunden sein. Kann das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt werden, wird ausländischen Staatsangehörigen die Einreise nach Iran verwehrt. Iranische Staatsangehörige (Doppelstaatsbürger reisen in der Regel mit ihrem iranischen Reisepass ein) werden unter Aufsicht des Gesundheitsministeriums in ein Flughafenhotel eingewiesen, dessen Kosten selbst zu tragen sind. Mit eigenhändiger Unterschrift ist zu bestätigen, dass das Hotel nicht verlassen werden darf. Die 14-tägige Quarantäne kann durch einen negativen molekularbiologischen Test beendet werden (BMeiA 16.6.2021). Reisende können bei Einreise zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Befinden befragt und bei COVID-19-Symptomen ärztlich untersucht werden. Ein erneuter COVID-19-Test kann von den iranischen Behörden angeordnet und durchgeführt werden. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses wird Selbstisolation angeordnet. Bei positivem Testergebnis erfolgt eine rigorose Kontrolle der Kontaktpersonen, und es ergehen weitere verpflichtende Anweisungen der iranischen Behörden. Alle entstehenden Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Die Verfahren können sich kurzfristig ändern. Abweichende Handhabungen sind jederzeit möglich (AA 16.6.2021).

In Teheran gilt von 21 Uhr bis 3 Uhr ein Fahrverbot für Privatfahrzeuge. Es kommt, abgesehen vom Lebensmittelhandel und systemrelevanten Einrichtungen, abhängig vom örtlichen Infektionsgeschehen, ebenfalls zu landesweiten Betriebsschließungen (BMeiA 16.6.2021). Private Personenkraftwagen dürfen den auf den Kennzeichen angeführten Zulassungsbezirk nicht verlassen. Eine Ausnahme besteht für die Bezirke Teheran und Karaj, da täglich mehrere Millionen Berufspendler zwischen den beiden Orten verkehren. Die Beschränkungen gelten nicht für den öffentlichen Verkehr, Taxis und Internettaxis. In Behörden ist die Anwesenheit der Beschäftigten reduziert. In Orten der Warnstufe 'rot' müssen Handelsunternehmen, die nicht wie Apotheken oder Lebensmittelhändler dringende Bedürfnisse abdecken, schließen (WKO 10.5.2021). Auch Touristen- und Ausflugsziele bleiben teilweise geschlossen. Camping in öffentlichen Parks ist grundsätzlich untersagt (AA 16.6.2021). In allen Schulen und Universitäten wird auf teilweise Fernunterricht umgestellt. Religiöse und kulturelle Veranstaltungen dürfen nur in reduzierter Form stattfinden. Die Maßnahmen gelten auf unbestimmte Zeit (WKO 10.5.2021).

Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte und Reisen zu vermeiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen und den Öffentlichen Personennahverkehr zu meiden. Es gilt eine generelle Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten, in geschlossenen Räumlichkeiten sowie im öffentlichen Nahverkehr. Künftig soll die Polizei stärker gegen Verstöße vorgehen, Strafen für Verstöße gegen die Auflagen wurden angekündigt (AA 16.6.2021).

Die Regierung hat ein Hilfspaket für Haushalte und Arbeitgeberbetriebe in der Höhe von 24 Mrd. USD beschlossen. 4 Mio. Haushalte sollen einen zinsfreien Mikrokredit von umgerechnet 62 bzw. 124 USD erhalten (WKO 10.5.2021).

Nach wiederholten Ankündigungen über die baldige Produktion iranischer Corona-Impfstoffe gab Präsident Hassan Rohani im April 2021 zu, dass im Land produzierte Impfdosen im besten Fall ab Ende des Sommers 2021 zur Verfügung gestellt werden könnten. Rohani lud Firmen und Geschäftsleute ein, im Auftrag der Regierung Corona-Impfstoffe aus dem Ausland zu importieren. Die Regierung selbst könne keine Corona-Impfdosen importieren, weil die US-Sanktionen deren Einfuhr behindere. Die Tatsache, dass die Regierung sich erst sehr spät für den Kauf ausländischer Impfstoffe entschieden hat, erwähnte der Präsident nicht. Laut iranischen Medien gibt es schon jetzt einen florierenden Schwarzmarkt für illegal importierte Corona-Impfdosen in Teheran. Viele verzweifelte und schwerkranke Menschen suchen auf dem Schwarzmarkt nach preiswerten Impfdosen. Je nach Hersteller werde die Einzeldosis Impfstoff für bis zu 2.000 Euro verkauft (DW 23.4.2021). Laut iranischen Behörden, wurde am 13.6.2021 eine Notfallgenehmigung für einen im Inland entwickelten Impfstoff (COVIran Barekat) gegen COVID-19 erteilt. Der Schritt kommt aufgrund der erwähnten Probleme mit dem Import von genügend Impfstoffen (RFE/RL 14.6.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.6.2021, unverändert gültig seit 14.6.2021): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396, Zugriff 16.6.2021

?        BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (16.6.2021, unverändert gültig seit 11.4.2021): Iran - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/, Zugriff 16.6.2021

?        DW – Deutsche Welle (23.4.2021): Kein Licht am Ende des Corona-Tunnels im Iran, https://www.dw.com/de/kein-licht-am-ende-des-corona-tunnels-im-iran/a-57310659, Zugriff 16.6.2021

?        DW – Deutsche Welle (18.11.2020): Irans Regierung gibt Widerstand gegen Corona-Lockdown auf, https://www.dw.com/de/irans-regierung-gibt-widerstand-gegen-corona-lockdown-auf/a-55651492, Zugriff 1.12.2020

?        RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (14.6.2021): Iran Approves Emergency Use Of Domestic COVID Vaccine, https://www.rferl.org/a/iran-domestic-covid-vaccine-coviran-barekat/31307467.html, Zugriff 16.6.2021

?        SZ – Süddeutsche Zeitung (1.5.2021): Welle des Todes in Iran, https://www.sueddeutsche.de/politik/iran-corona-1.5280191, Zugriff 17.6.2021

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (10.5.2021): Coronavirus: Situation im Iran, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/iran-bulletin-aussenwirtschaftscenter-zum-coronavirus--.html, Zugriff 16.6.2021

SICHERHEITSLAGE

Letzte Änderung: 28.06.2021

Der Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 14.6.2021).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Diese haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 14.6.2021; vgl. AA 14.6.2021b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 14.6.2021b).

In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 14.6.2021b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 14.6.2021b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 14.6.2021).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 14.6.2021b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften (EDA 14.6.2021). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2020). Gelegentlich kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 14.6.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.6.2021b, unverändert gültig seit 17.5.2021): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 14.6.2021

?        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (14.6.2021, unverändert gültig seit 3.11.2020): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 14.6.2021

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 14.6.2021

WEHRDIENST

Letzte Änderung: 28.01.2021

Die Länge des verpflichtenden Wehrdienstes ist von den individuellen Verhältnissen abhängig und beträgt 18 bis 24 Monate. Aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen können Wehrpflichtige ausgemustert werden. Ein Freikauf vom Wehrdienst ist möglich: 2.500 Euro für Schulabgänger ohne Matura, 5.000 Euro für Maturanten. Studenten können, wenn sie im Ausland studieren möchten, unter Hinterlegung einer Kaution, gestaffelt nach Bachelor, Master oder Promotion (7.500, 10.000 bzw. 12.500 Euro) freigestellt werden. Die Wehrdienstzeit wird bei verheirateten Iranern pro Kind um drei Monate verkürzt und bei Freikauf von der Wehrpflicht ein Nachlass in Höhe von 5% bzw. weiteren 5% pro Kind gewährt. Religionsführer Khamenei hat die Jahrgänge bis einschließlich 1975, die bislang keinen Wehrdienst geleistet hatten, freigestellt (AA 26.2.2020).

Es gibt keinen Wehrersatzdienst. In besonderen Fällen, etwa bei psychischen oder physischen Leiden oder wenn sonst kein Mann für die Familie sorgen kann, wird der Wehrdienst erlassen (ÖB Teheran 10.2020). Weitere Gründe vom Wehrdienst befreit zu werden sind beispielsweise, wenn man der einzige Sohn einer Familie ist, wenn man alte Eltern hat oder wenn man einen Bruder hat, der momentan im Militär dient (DFAT 7.6.2018). Für Sportler oder bei guten Beziehungen zu relevanten Stellen kann nach einer 60-tägigen Grundausbildung jedoch eine Art „Ersatzdienst“ für weitere 22 Monate u.a. in Ministerien oder bei Sportverbänden absolviert werden. Es gibt auch Möglichkeiten, nur einen kürzeren Wehrdienst abzuleisten, etwa für Iraner, deren Väter bereits im Irak-Iran-Krieg gekämpft haben. Wehrdienstpflichtige, d.h. männliche Staatsangehörige über 18 Jahren, die nicht etwa aufgrund eines Studiums vorübergehend von der Wehrdienstpflicht befreit sind, dürfen mit wenigen Ausnahmen vor Ableistung ihres Wehrdienstes das Land nicht verlassen (d.h. sie erhalten erst danach einen Reisepass). Angehörige der Streitkräfte und der Polizei dürfen das Land nur mit Zustimmung ihres Dienstes verlassen. Die Zustände beim iranischen Militär sind in der Regel wesentlich härter als in europäischen Streitkräften (berichtet wird regelmäßig über unzureichende Verpflegung, unzureichende Ausrüstung, drakonische Strafen etc.) (ÖB Teheran 10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

?        DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (7.6.2018): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437309/1930_1530704319_country-information-report-iran.pdf, Zugriff 9.4.2020

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 3.12.2020

WEHRDIENSTVERWEIGERUNG / DESERTION

Letzte Änderung: 29.06.2020

Die Strafen bei Nichtmeldung variieren abhängig von der Frage, ob sich das Land im Kriegszustand befindet oder nicht. Personen, die sich zu spät melden, sind verpflichtet, zusätzlich drei Monate Wehrdienst zu leisten. Wehrpflichtige, die sich zu spät oder gar nicht melden und aufgegriffen werden, erhalten ihre Bescheinigung über die Ableistung des Wehrdienstes teilweise mit erheblicher Verspätung (AA 26.2.2020). Junge Männer ab 18 Jahren, die zum Wehrdienst einberufen wurden und sich nicht bei den Behörden melden, werden als Wehrdienstverweigerer betrachtet. In Iran gibt es keinen Wehrersatzdienst und eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nicht anerkannt (ACCORD 7.2015). Die Verweigerung des Militärdienstes bis zu einem Jahr in Friedenszeiten oder zwei Monaten in Kriegszeiten kann dazu führen, dass die Gesamtlänge des Militärdienstes um drei bis sechs Monate verlängert wird. Eine mehr als einjährige Wehrdienstverweigerung in Friedenszeiten oder mehr als zwei Monate in Kriegszeiten kann zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Die Wehrdienstverweigerer können soziale Vorteile und Bürgerrechte verlieren, einschließlich des Zugangs zu Posten im öffentlichen Dienst oder höherer Bildung oder des Rechts auf Unternehmensgründung. Die Regierung kann auch die Erteilung von Führerscheinen für Wehrdienstverweigerer verweigern, ihren Pass einziehen oder ihnen verbieten, das Land ohne besondere Genehmigung zu verlassen. Iranische Behörden gehen regelmäßig gegen Wehrdienstverweigerer vor (DFAT 7.6.2018).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

?        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_accord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf, Zugriff 9.4.2020

?        DFAT – Australian Department of Foreign Affairs and Trade (7.6.2018): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437309/1930_1530704319_country-information-report-iran.pdf, Zugriff 9.4.2020

RELIGIONSFREIHEIT

Letzte Änderung: 01.07.2021

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten 'Buchreligionen' (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als 'mohareb' (Waffenaufnahme gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2020). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018). Religiöse Minderheiten werden mit Argwohn betrachtet und als Bedrohung für das theokratisches System gesehen (CSW 3.2021). Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2020). Selbst anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen – werden also diskriminiert. Vertreter dieser religiösen Minderheiten betonen aber immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 10.2020). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA 23.5.2018; vgl. FH 3.3.2021, IRB 9.3.2021). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA 23.5.2018; vgl. FH 3.3.2021, BAMF 3.2019) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 3.3.2021). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (AI 7.4.2021).

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Open Doors 2021). Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha'i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert (ÖB Teheran 10.2020).

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 7.4.2021).

Die Regierung überwacht weiterhin die Aussagen und Ansichten hochrangiger schiitischer religiöser Führer, die die Regierungspolitik oder die Ansichten des Obersten Führers Ali Khamenei nicht unterstützten. Diese werden durch Behörden weiterhin mit Festnahmen, Inhaftierungen, Mittelkürzungen, Verlust von geistlichen Berechtigungsnachweisen und Beschlagnahmungen von Eigentum unter Druck gesetzt (USDOS 12.5.2021). Die Inhaftierung von Angehörigen religiöser Minderheiten, welche ihre Kultur, ihre Sprache oder ihren Glauben praktizieren, ist weiterhin ein ernstes Problem (HRC 11.1.2021).

Personen, die sich zum Atheismus bekennen, laufen Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt oder wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 7.4.2021). In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

?        AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html, Zugriff 30.4.2021

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 18.12.2020

?        BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (23.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf, Zugriff 17.4.2020

?        CSW – Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla_sl52920/iran---march-2021-1.pdf, Zugriff 7.5.2021

?        DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html, Zugriff 30.4.2021

?        HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50, Zugriff 30.4.2021

?        IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html, Zugriff 7.5.2021

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf Zugriff 3.12.2020

?        Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2019 – 30. September 2020), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran, Zugriff 19.1.2021

?        USDOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html, Zugriff 18.6.2021

APOSTASIE, KONVERSION ZUM CHRISTENTUM, PROSELYTISMUS, HAUSKIRCHEN

Letzte Änderung: 01.07.2021

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist in Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 10.2020). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel 'mohareb' ('Waffenaufnahme gegen Gott'), 'mofsid-fil-arz/fisad-al-arz' ('Verdorbenheit auf Erden'), 'Handlungen gegen die nationale Sicherheit' (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS/DRC 23.2.2018), 'Organisation von Hauskirchen' und 'Beleidigung des Heiligen', wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 26.2.2020). In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie sehr selten, wenn überhaupt noch vorhanden. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen 'mohareb' (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2021; vgl. AA 26.2.2020). Quellen zufolge fand 1990 die einzige 'offizielle' Hinrichtung eines Christen wegen Apostasie in Iran statt (IRB 9.3.2021). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt (AA 12.1.2019).

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 26.2.2020; vgl. Open Doors 2021). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf (ÖB Teheran 10.2020).

Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 10.2020).

Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich 'konvertierte' Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 10.2020).

Die Versammlung in – meist evangelischen – Hauskirchen oder Hausgemeinden wird laut Behörden 'kontrolliert', de facto aber untersagt, weshalb die einzelnen Gemeinden meist klein bleiben und ständig den Standort wechseln, um Razzien auszuweichen. Dennoch sind Hauskirchen inzwischen relativ weit verbreitet (ÖB Teheran 10.2020). Die Schließungen der 'Assembly of God'-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. IRB 9.3.2021). Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind (DIS/DRC 23.2.2018). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018). Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es ist jedoch unklar, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen. Allerdings wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Razzien gegen Hauskirchen werden weiterhin durchgeführt (AI 7.4.2021).

Von Repressionen und willkürlichen Verhaftungen von konvertierten Christen, Mitgliedern der protestantischen und evangelischen Kirche wird immer wieder berichtet (ÖB Teheran 10.2010; vgl. FH 3.3.2021, CSW 3.2021). Im Frühling und Sommer 2017 wurden mehrere evangelikale und assyrische Christen verhaftet und wegen 'illegaler Kirchenaktivität' zu langen Haftstrafen verurteilt. Nach 16 festgenommenen Christen im Jahr 2017, stieg diese Zahl im Jahr 2018 dramatisch. Im November und Dezember 2018 wurden ca. 150 Christen – die meisten kurzzeitig – festgenommen und anschließend angewiesen, sich von anderen Christen fernzuhalten. Über die genauen Zahlen der Verhaftungen/Verurteilungen gibt es keine detaillierten Informationen. Fakt ist aber, dass die Zahl der Verhaftung von Konvertierten seit einer Ansprache des obersten Führers vor einigen Jahren, als er vor der steigenden Zahl der sogenannten häuslichen Kirchen gewarnt hatte, extrem angestiegen ist. Allein im August 2020 sind 35 neu Konvertierte verhaftet worden, und im selben Monat sind vier weitere Konvertierte wegen Anschuldigungen, wie 'Teilnahme an Versammlungen der häuslichen Kirchen', 'Verbreitung vom zionistischen Christentum' und 'Gefährdung der inneren Sicherheit' zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden. Einem Bericht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte zufolge haben Beamte des Geheimdienstministeriums im Juli 2019 das Haus einer christlichen Familie in der Stadt Bushehr im Süden Irans gestürmt und viele Angehörige dieser Familie verhaftet (ÖB Teheran 10.2010). Trotzdem ist die Zahl der verhafteten Christen laut Weltverfolgungsindex 2021 im Gegensatz zum Vorjahr gesunken. Der Rückgang der Zahl der Verhaftungen ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die iranischen Sicherheitsdienste Ende 2019 alle Hände voll zu tun hatten, die Proteste im Land zum Schweigen zu bringen. Darauf folgte die Coronakrise, welche die Regierung auf andere Weise beschäftigte. Allerdings wurden im Berichtszeitraum des Weltverfolgungsindex 2021 mehr Christen zu Gefängnisstrafen verurteilt als im Vorjahr. Die physische Eliminierung von Christen will und kann sich die pragmatische Regierung Irans politisch nicht leisten. Deshalb setzt sie auf langsame, schleichende und leise Beseitigung von Christen. Beispielsweise müssen inhaftierte Christen Hypotheken aufnehmen, um die hohen Kautionszahlungen für ihre Entlassung aufbringen zu können. Weil sie befürchten, dass ein Gerichtsurteil zu einer langen Gefängnisstrafe führt, fliehen viele iranische Christen nach ihrer vorläufigen Entlassung aus dem Land, wobei sie ihre Kaution und somit häufig auch ihren Grundbesitz verlieren (Open Doors 2021).

Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen 'Verbrechen gegen Gott' angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch 'low-profile' Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen ist, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).

Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Landinfo 16.10.2019, UKHO 2.2020), vor allem aus politischen Gründen. Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Landinfo 16.10.2019). Diese Urteile sind absichtlich vage formuliert, um ein größtmögliches Tätigkeitsspektrum abdecken zu können. Darüber hinaus beinhalten die Urteile auch den Konsum von Alkohol während der Messe (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens. Den verhafteten Christen werden teilweise nicht die vollen Prozessrechte gewährt – oft werden sie ohne Anwaltsberatung oder ohne formelle Verurteilung festgehalten bzw. ihre Haft über das Strafmaß hinaus verlängert. Berichten zufolge sollen auch Kautionszahlungen absichtlich sehr hoch angesetzt werden, um den Familien von Konvertiten wirtschaftlich zu schaden (ÖB Teheran 10.2020), bzw. um verurteilte Christen vorsätzlich verarmen zu lassen (Open Doors 2021). Im Anschluss an die Freilassung wird Konvertiten das Leben erschwert, indem sie oft ihren Job verlieren bzw. es ihnen verwehrt wird, ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen (ÖB Teheran 10.2020).

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. Landinfo 16.10.2019).

Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr nach Iran weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein 'high-profile'-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Die iranischen Behörden sind in erster Linie daran interessiert, die Ausbreitung des Christentums zu stoppen, und verfügen allem Anschein nach nicht über die notwendigen Ressourcen, um alle christlichen Konvertiten zu überwachen (UKHO 2.2020).

Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 10.2020).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS/DRC 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2021 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (Open Doors 2021).

Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (USDOS 12.5.2021). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der 'Katholischen Jerusalem Bibel' ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den 'Katechismus der Katholischen Kirche' ins Farsi. Beide Produkte sind heute noch ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html, Zugriff 7.5.2021

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 4.1.2021

?        CSW – Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla_sl52920/iran---march-2021-3.pdf, Zugriff 7.5.2021

?        DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Councile (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html, Zugriff 7.5.2021

?        IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html, Zugriff 7.5.2021

?        Landinfo [Norwegen] (16.10.2019): Iran: Kristne konvertitter – en oppdatering om arrestasjoner og straffeforfølgelse, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019853/Respons-Iran-Kristne-konvertitter-en-oppdatering-om-arrestasjoner-og-straffeforf%C3%B8lgelse-AVA-16102019.pdf, Zugriff 5.1.2020

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): A

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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