TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/10 W134 2189734-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.11.2021
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Entscheidungsdatum

10.11.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W134 2189734-1/49E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas Gruber über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Asyl-Rechtsberatung der Caritas der ED Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2018, Zahl 1147726101-170400782, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.04.2021 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Absatz 1 Asylgesetz 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Absatz 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: „BF“ genannt) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 02.04.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016.

2. Am 02.04.2017 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Zu seinem Fluchtgrund befragt brachte der BF vor, dass es eine Feindschaft mit seinem Onkel väterlicherseits gegeben habe. Der Onkel habe den Taliban angehört. Er und sein Bruder hätten einen Drohbrief erhalten. Als er in der Türkei gewesen sei, sei sein Bruder getötet worden. Sein Bruder XXXX habe für die Regierung gearbeitet. Die Taliban hätten sie aufgefordert, dass er seine Arbeit beenden solle, sonst würden sie getötet werden.

3. Am 29.11.2017 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (im Folgenden: „BFA“ genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zunächst an, in der Provinz Logar geboren und aufgewachsen zu sein. Er habe 12 Jahre eine Schule und anschließend eineinhalb Jahre die Universität in Logar besucht. Sein Bruder, der seit 15 Jahren bei der Nationalarmee sei, habe ihn unterstützt. Ein Bruder und 5 Schwestern samt deren Ehemännern würden noch in Afghanistan leben.

Zu seinem Fluchtgrund befragt brachte der BF vor, dass sein Bruder seit über 10 Jahren bei der afghanischen Armee tätig sei. Sein Vater sei LKW-Fahrer für die NATO gewesen. Die Taliban hätten seine Familie deshalb bedroht und in einem Drohbrief gefordert, dass sein Vater und sein Bruder ihrer Tätigkeiten aufgeben sollen. Er, sein Vater und sein Bruder hätten sich den Taliban anschließen sollen. Nach Erhalt des Drohbriefes habe er sich bei einem Freund versteckt, bis dieser nicht mehr dazu bereit gewesen sei, ihn bei sich aufzunehmen, weil er Angst gehabt habe, dass die Taliban ihn entdecken würden. Sein Vater habe daraufhin einen Schlepper organisiert und er sei geflohen. Als er sich gerade in der Türkei aufgehalten habe, sei sein kleiner Bruder am Heimweg von der Schule von seinem Onkel, der ein Talib sei, getötet worden. Vor einem Jahr habe schließlich ein Angriff auf das Haus seiner Familie durch die Taliban stattgefunden. Seine Mutter, seine kleine Schwester und seine beiden Nichten seien dabei getötet worden.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunt V). Weiters wurde in Spruchpunkt VI. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass die Fluchtgeschichte des BF konstruiert gewesen sei. Er habe keine Details geschildert. Sein Vorbringen sei zudem widersprüchlich gewesen.

5. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die im Wege seiner Rechtsvertretung am 16.03.2018 erhobene Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird u.a. ausgeführt, dass der BF an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und deshalb in Behandlung stehe. Beweismittel seien nicht berücksichtig worden. Der BF habe sehr wohl Details geschildert. Sein Fluchtvorbringen sei glaubhaft

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 12.12.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung persönlich teilnahm.

8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.07.2019, Zahl W134 2189734-1/17E, wurde die Beschwerde in allen Punkten als unbegründet abgewiesen.

9. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Revision beim Verwaltungsgerichtshof, der mit Erkenntnis vom 24.06.2020, Zahl Ra 2019/20/0536-9, das in Rede stehende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufhob. Begründet wurde die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes damit, dass eine umfassende Auseinandersetzung mit dem gesamten Vorbringen des BF im Revisionsfall nicht erfolgt sei. Die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG würden zu kurz greifen. Hinsichtlich der als Alternativbegründung bei Wahrunterstellung angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative lasse das angefochtene Erkenntnis eine ausreichende Beschäftigung mit dem der innerstaatlichen Fluchtalternative innewohnenden Zumutbarkeitskalkül vermissen. Das BVwG werde daher - sollte die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht in Betracht kommen - im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zur Gefährdung von Familienangehörigen von Personen, die in Afghanistan mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, zu treffen und auf dieser Grundlage anhand der den Revisionswerber betreffenden Situation zu beurteilen haben, ob dem Revisionswerber in dieser Eigenschaft im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

10. Mit Beschwerdeergänzung vom 25.02.2021 führte der BF erstmalig aus, dass er homosexuell sei und ihm deshalb eine Verfolgung in Afghanistan drohe.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache neuerlich am 26.04.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung persönlich teilnahm.

12. Der BF erstattete mit Schreiben vom 07.05.2021 eine Stellungnahme. Am 21.10.2021 wurde erneut eine Stellungnahme zur aktuellen Lage in Afghanistan und zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.09.2021 erstattet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1 Zur Person des BF:

Der BF wurde am XXXX geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Die Muttersprache des BF ist Paschtu. Der BF stammt aus der Provinz Logar. Der BF besuchte 12 Jahre die Schule und studierte anschließend 1 Jahr an der Universität Bergbau. Er machte nebenbei auch eine Ausbildung als Automechaniker. Der BF hat keinen Kontakt mehr zu seinem Bruder, weil dieser von seiner Homosexualität erfahren hat und ihn deshalb bedrohte und beschimpfte.

Der BF ist unbescholten.

Der BF ist homosexuell. Der BF fühlte sich schon in Afghanistan zu Männern und nicht zu Frauen hingezogen und hatte heimlich eine Beziehung mit einem Mitschüler. Aufgrund der Befürchtung einer Stigmatisierung und Verfolgung hielt er seine Homosexualität vor seiner Familie, Freunden und Bekannten geheim. Der Beschwerdeführer war in der homophoben afghanischen Kultur sowie dem islamischen Glauben, welcher Homosexualität verbietet, gefangen. Er hatte in Österreich vorerst ebenfalls Angst und Hemmungen sich zu seiner sexuellen Orientierung zu bekennen und über diese offen zu sprechen. Mit fortschreitendem Aufenthalt in Österreich und durch seine Kontakte mit der Beratungsstelle Queer Base fasste der BF zunehmenden Vertrauen und Selbstbewusstsein sich zu seiner sexuellen Identität als homosexueller Mann zu bekennen.

Der BF hat seit Oktober 2019 Kontakt zur Beratungsstelle Queer Base und nahm seither an zahlreichen Veranstaltungen der Queer Base teil. Der BF hat seit dem Jahr 2020 eine sexuelle Beziehung zu zwei Männern.

Der Beschwerdeführer ist homosexuell und würde in seinem Heimatland wegen Homosexualität (bestimmte soziale Gruppe) einer persönlichen Verfolgung unterliegen. Er wird im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung und einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 11.06.2021:

„[…]

Sexuelle Orientierung und Genderidentität

Das afghanische Strafgesetzbuch verbietet einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen

zwei Angehörigen desselben Geschlechtes (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, MoJ 15.5.2017: Art. 645, 649). Der Geschlechtsverkehr zwischen Männern ist eine Straftat, die laut afghanischem Strafgesetzbuch, Artikel 646 - mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren, Geschlechtsverkehr zwischen Frauen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr, geahndet wird (USDOS 11.3.2020; vgl. SFH 30.4.2020). Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung (AA 16.7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review (UPR)-Verfahrens im Jänner 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück. Beim UPR Afghanistans im Januar 2019 standen LGBTI nicht auf der Agenda. Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der breiten Gesellschaft abgelehnt und können daher nicht in der Öffentlichkeit gelebt werden (AA 16.7.2020). Laut Art. 247 des afghanischen Strafgesetzbuchs werden neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Organisationen, die sich für den Schutz der sexuellen Orientierung einsetzen, arbeiten im Untergrund (AA 16.7.2020). Homosexualität wird weithin tabuisiert (USDOS 11.3.2020; vgl. SFH 30.4.2020) und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren. LGBTI-Personen berichten, dass sie weiterhin mit Verhaftungen durch Sicherheitskräfte und Diskriminierung sowie Übergriffen und Vergewaltigungen in der Gesellschaft im Allgemeinen konfrontiert sind (USDOS 11.3.2020). Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Vor allem aufgrund der starken Geschlechtertrennung kommt es immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern (AA 16.7.2020; vgl SFH 30.4.2020). Unter der Scharia ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds, etwa durch Kleidung, an das andere Geschlecht verboten. Die Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit transsexueller Personen (AA 16.7.2020). Es gibt nur wenige spezifische Informationen über Transgender oder Intersex-Personen in Afghanistan (DFAT 27.6.2019; vgl. SFH 30.4.2020). Sexualität, sexuelle Bedürfnisse und sexuelle Probleme sind in der afghanischen Gesellschaft kein akzeptiertes Gesprächsthema (EASO 12.2017; vgl. Bamik 7.2018) und dieses Thema wird geheim gehalten. Zwischen Ehepartnern wird ein solches Gespräch als negativ, beschämend und böse betrachtet. Afghanische Eltern schämen sich, mit ihrem Nachwuchs über Sexualität zu sprechen und an afghanischen Schulen wird keine Sexualkunde unterrichtet (Bamik 7.2018). Es wird auch über „Ehrenmorde“ an tatsächlichen oder vermeintlichen LGBTQI-Personen durch Familienmitglieder berichtet. Oftmals reicht das Gerücht oder die Beschuldigung, um Betroffene in Gefahr zu bringen (SFH 30.4.2020; vgl. AI 5.2.2018). Es existieren zahlreiche traditionelle Praktiken, die zwar nicht offiziell anerkannt sind, jedoch teilweise im Stillen geduldet werden. Beispiele dafür sind die Bacha Push und Bacha Bazi. Bacha Push sind junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um eine bestimmte Bildung genießen zu können, alleine außer Haus zu gehen oder Geld für die sohn- oder vaterlose Familie zu verdienen (AA 16.7.2020). Bacha Bazi sind Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Art. 653).

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zur Herkunft des BF, zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit, sowie zu seiner familiären Situation in Afghanistan und in Österreich ergeben sich aus dem diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringen und vorgelegten Unterlagen des BF im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl („BFA“) und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht („BVwG“).

Dass der BF unbescholten ist ergibt sich aus der Einsichtnahme ins österreichische Strafregister.

Die Länderfeststellungen gründen sich auf das LIB vom 11.06.2021. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Zur relevanten Lage in Bezug auf die Homosexualität des BF war in Bezug auf das LIB vom 16.09.2021 im Vergleich zum LIB vom 01.04.2021 und 11.06.2021, keine Änderung bzw. Verbesserung der Lage zu erkennen. Der BF nahm in seiner letzten Stellungnahme vom 21.10.2021 auf das LIB vom 16.09.2021 Bezug, weshalb davon auszugehen ist, dass ihm dieses bekannt ist.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Paschtunen zugehörig, homosexuell und sunnitischer moslemischen Glaubens.

Der Beschwerdeführer hat aus Scham und Angst, sowie aufgrund seines ehemaligen gesellschaftlich, religiösen und kulturellen Umfelds, in dem gleichgeschlechtliche Sexualität verboten und verpönt ist und als Schande empfunden wird, im bisherigen Verfahren nicht von seiner Homosexualität erzählt. Erst nach Beratungsgesprächen im Verein Queer Base hat er sich in der Beschwerdeergänzung vom 25.02.2021 erstmals getraut anzugeben, dass er homosexuell ist. Der Beschwerdeführer gab glaubhaft an, dass er bereits seit seiner Pubertät das männliche Geschlecht bevorzugte und in der Schule heimlich eine Beziehung zu einem Mitschüler gehabt habe. Das Bundesverwaltungsgericht konnte keine Steigerung des Fluchtvorbringens feststellen. Der Beschwerdeführer hat sein Vorbringen schlüssig, lebensnahe, sehr ausführlich, konkret, emotionsvoll und nachvollziehbar vor dem Bundesverwaltungsgericht geschildert. Zudem hat der BF zu zwei Männern in Österreich eine sexuelle Beziehung und besucht seit dem Jahr 2019 Veranstaltungen der Queer Base, Beratungsstelle für lesbisch, schule, bisexuelle, trans und inter Geflüchtete. Dies wird auch durch den in der mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen und die vorgelegten Unterlagen bestätigt. Der Zeuge gab glaubhaft an, mit dem BF seit zwei Jahren eine Beziehung zu führen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 82/2015, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (siehe insbesondere § 1 BFA-VG, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 25/2016).

Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes – Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Statusrichtlinie] verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Die vom Asylwerber vorgebrachten Eingriffe in seine vom Staat zu schützende Sphäre müssen in einem erkennbaren zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise aus seinem Heimatland liegen. Die fluchtauslösende Verfolgungsgefahr bzw. Verfolgung muss daher aktuell sein (VwGH 26.06.1996, Zl. 96/20/0414). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 29.04.2019 Ra 2018/20/0415-9; 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass als Fluchtgründe unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes nur solche Maßnahmen in Betracht kommen, die einen weiteren Verbleib im Heimatland aus objektiver Sicht unerträglich erscheinen lassen (VwGH vom 16.09.1992, 92/01/0544, VwGH vom 07.10.2003, 92/01/1015, 93/01/0929, u.a.). Bei einer Verfolgung durch Privatpersonen bzw. private Gruppierungen kommt dieser nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Entscheidend für die Frage ist, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht und ob, selbst im Falle eines staatlichen Schutzes trotzdem Verfolgung von asylrelevanter Intensität zu erwarten ist (VwGH vom 24.05.2005, 2004/01/0576, VwGH vom 28.06.2011, 2011/01/012 u. v. a. m.).

Es wird diesbezüglich auch auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 18.09.2014 E910/2014 sowie das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 07.11.2013 C-199/12-C201/12 sowie die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs VwGH 16.11.2016, RA 2015/18/0295 und 28.10.2009, 2006/01/0793 verwiesen. Aus dieser Rechtsprechung ergäbe sich, dass von dem Beschwerdeführer nicht erwartet werden könne, seine sexuelle Orientierung geheim zu halten. Würde der Beschwerdeführer seine sexuelle Orientierung in seinem Herkunftsstaat ausleben, so bestünde akute Gefahr von Verfolgung bzw. auch getötet zu werden, ganz gleich in welchem Teil von Afghanistan der Beschwerdeführer sich aufhalten würde. Der Beschwerdeführer konnte glaubhaft seine sexuelle Orientierung und in der Folge seine Fluchtgeschichte vor dem Bundesverwaltungsgericht vorbringen.

Wie aus den relevanten Teil der Länderberichte zu entnehmen ist, kennt die afghanische Verfassung kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Laut Art. 247 des afghanischen Strafgesetzbuchs werden neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft werden auch weiterhin diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet. Es wird auch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet.

Somit kann davon ausgegangen werden, dass die afghanischen Homosexuellen eine soziale Gruppe bilden, deren wesentliche Eigenschaft, worauf sie nicht verzichten können, ihre sexuelle Orientierung ist und deren eigene Identität als anders von der afghanischen Gesellschaft und Behörden zu betrachten ist.

Es ist daher zusammenfassend festzuhalten, dass der Beschwerdeführer der sozialen Gruppe der Homosexuellen zuzurechnen ist und bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgebender Wahrscheinlichkeit Eingriffe von hoher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre drohen und diese Verfolgung durchaus nach wie vor aktuell ist. Es liegt eine asylrelevante Verfolgung vor, weil die afghanischen Behörden Verfolgungshandlungen von Zivilpersonen gegenüber weder schutzfähig noch schutzwillig sind, womit LGBTIQ-Personen, mannigfaltigen Diskriminierungen im alltäglichen Leben sowie Gewaltakten durch die Bevölkerung hilflos ausgeliefert sind.

Diese Situation besteht in ganz Afghanistan, sodass eine inländische Fluchtalternative denkunmöglich ist.

Homosexualität ist in Afghanistan ist nach dem Strafgesetzbuch von 2018 verboten, Homophobie ist präsent und Angehörige sexueller Minderheiten müssen ihre sexuelle Orientierung verbergen, um Beleidigungen, Demütigungen, Diskriminierung oder Gewalt zu vermeiden. Dieser Eingriff in das Privatleben afghanischer homosexueller Bürger beeinträchtigt ihre persönliche Freiheit erheblich und stellt in Österreich eine Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechts dar und ist ebenso in der europäischen Menschenrechtskonvention und in der Charta der Grundrechte der europäischen Union garantiert. Diese Verletzung des Grundrechts spiegelt sich automatisch in der individuellen Lage homosexueller Personen wider.

Von einem Asylwerber kann nicht erwartet werden, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden (vgl. VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0043; VwGH 16.11.2016, Ra 2015/18/0295, mwH auf EuGH 7.11.2013, Minister voor Immigratie en Asiel/X, Y, Z, C-199/12 bis C- 201/12).

Es sind auch im Zuge des Verfahrens keine Hinweise hervorgekommen, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnte.

Der Beschwerdeführer konnte somit glaubhaft machen, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und dem BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung Flüchtlingseigenschaft Homosexualität individuelle Verhältnisse politische Gesinnung Rechtsanschauung des VwGH Schutzunfähigkeit Schutzunwilligkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W134.2189734.1.00

Im RIS seit

03.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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