Entscheidungsdatum
29.11.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W129 2225014-2/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter DDr. Markus GERHOLD über den Antrag von XXXX , geb. XXXX , auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des BVwG vom 16.03.2020, GZ. W129 2225014-1/4E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens:
A) Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Der Wiederaufnahmewerber und Beschwerdeführer im gegenständlichen, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren (in weiterer Folge: Beschwerdeführer) wurde am 14.7.2005 an der Medizinischen Universität Wien zum Diplomstudium Humanmedizin (N 202) als ordentlicher Studierender zugelassen.
2. In den Jahren 2009 bis 2011 kam es zu Beschwerden der Lehreinrichtungen der Medizinischen Universität Wien über das Verhalten des Beschwerdeführers gegenüber Patientinnen und Patienten sowie Lehrenden, insbesondere während seiner Klinischen Praktika. In den Jahren 2011 bis 2013 bedrohte der Beschwerdeführer mehrere Angehörige der Medizinischen Universität Wien mittels E-Mail, unter anderem die Vizerektorin für Lehre und den Leiter der Studienabteilung.
3. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15.05.2014, GZ 55 Hv 61/14p-83, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 erster Fall StGB sowie der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 erster Fall StGB, wobei zu den Tatzeitpunkten keine Zurechnungsfähigkeit vorlag (§ 11 StGB), in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum 26.11.2011 bis 22.10.2013 in zahlreichen Angriffen in Wien und den USA unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes, der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer schizoaffektiven Psychose mit maniform wahnhaftem Zustandsbild, Angehörige der Medizinischen Universität Wien (und andere Personen) in Form einer Vielzahl von Schreiben per E-Mail und via Facebook gefährlich mit dem Tod bedroht hat, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und teils versucht hat, durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu Handlungen und Unterlassungen zu nötigen.
4. Durch Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 16.12.2016, GZ 21 BE 289/16b-13, wurde die bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug per 31.12.2016 unter (näher bestimmten) Auflagen für eine Probezeit von 5 Jahren ausgesprochen und Bewährungshilfe angeordnet.
6. Der Beschwerdeführer nahm im Sommersemester 2017 faktisch sein Medizinstudium wieder auf.
Im November 2018 informierte die Studierendenvertretung das Rektorat über bestimmte vom Beschwerdeführer vorgenommene Facebookeintragungen, darunter auch den Satz „Ja aber wenn ihr so weiter macht schadet ihr meiner ganzen familie und da werde ich leider gottes angemessen handeln muessen".
7. Mit Schreiben vom 01.03.2019 informierte die Landespolizeidirektion Wien das Landesgericht für Strafsachen Wien über die Facebook-Korrespondenz zwischen dem Beschwerdeführer und der Hochschülerschaft sowie über ein Telefonat mit dem Verantwortlichen des den Beschwerdeführer betreuenden Vereins, wonach dem Vereinsverantwortlichen „die bedenkliche Entwicklung bzw. Agitation“ des Beschwerdeführers bekannt sei. Auch habe der Verein bereits das Gericht kontaktiert.
8. Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 08.01.2019 (ergänzt am 05.03.2019) wurde Dr. XXXX , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Neurologie, beauftragt, ein Gutachten unter anderem auch dahingehend zu erstatten, ob ein Wiederaufleben der einweisungsrelevanten Gefährlichkeit vorliege und ob die Weiterführung des Studiums angemessen und ungefährlich sei.
Der Beschwerdeführer wurde am 27.02.2019 untersucht und es wurde auf Basis dieser Untersuchung sowie der vorliegenden Unterlagen (zB Bericht des Betreuungsvereines) – hier auf das Wesentlichste zusammengefasst – festgestellt, dass die wesentlichsten Auflagen, die zur bedingten Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug per 31.12.2016, geführt haben, nicht mehr eingehalten würden. Es liege nunmehr dieselbe Gefährlichkeitsprognose wie zum Zeitpunkt der Einweisung vor. Aus forensisch psychiatrischer Sicht sei festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Widerrufs der bedingten Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug und ein Wiederaufleben der einweisungsrelevanten Gefährlichkeit vorliegen würden. Eine Weiterführung des Studiums sei keinesfalls angemessen und keinesfalls ungefährlich.
9. Mit Bescheid des Rektorates der Medizinischen Universität Wien vom 18.09.2019 wurde der Beschwerdeführer gem. § 68 Abs 1 Z 8 UG vom Studium ausgeschlossen (Spruchpunkt I.). Darüber wurde die aufschiebende Wirkung der Beschwerde ausgeschlossen (Spruchpunkt II.).
Nach Wiedergabe des Verfahrensganges führte die belangte Behörde – hier auf das Wesentlichste zusammengefasst – aus, dass die in § 68 Abs 1 Z 8 UG angeführte „Gefährdung“ nicht mit dem strafrechtlich relevanten Grad der Gefährlichkeit gleichzusetzen sei. Nach der bedingten Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Maßnahmenvollzug sei eine förmliche Mahnung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien notwendig geworden. Der Beschwerdeführer unterscheide auf diversen social-media-Seiten weiterhin zwischen würdigen Gläubigen und unwürdigen Ungläubigen und tätige aggressive und verstörende Äußerungen, in denen die fehlende Behandlungsbereitschaft und Krankheitseinsicht deutlich werde. Aus der Aktenlage ergebe sich ein Gesamtbild, wonach der Beschwerdeführer die Reduktion seiner Medikation mit der Beeinträchtigung durch Medikamente bei seiner Prüfungsvorbereitung begründet habe. Im November 2018 und Februar 2019 sei ein Konflikt mit der Studierendenvertretung aufgekeimt, wobei der Beschwerdeführer Verhaltensmuster an den Tag gelegt habe, die seinerzeit zur strafrechtlichen Verfolgung des Beschwerdeführers geführt hätten. Gutachter Dr. XXXX habe zusammengefasst festgehalten, dass die Weiterführung des Studiums keinesfalls angemessen bzw. ungefährlich sei.
Insgesamt stellten die getätigten Handlungen eine dauerhafte oder schwerwiegende Gefährdung von Universitätsangehörigen und Patientinnen und Patienten dar. Aufgrund der anzunehmenden „Gefahr in Verzug“ sei die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde abzuerkennen.
10. Mit fristgerecht eingebrachter Beschwerde vom 17.10.2019 machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
11. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.03.2020, W129 2225014-1/14E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Darüber hinaus wurde die Revision für zulässig erklärt.
Auf das Wesentlichste zusammengefasst stellte das BVwG in Bezug auf den Beschwerdeführer eine Exazerbation der schizoaffektiven Psychose sowie ein antriebsgesteigertes, denkgestörtes, megalomanes, paranoid-wahnhaftes Zustandsbild mit deutlich vermindertem Kritik- und Urteilsvermögen bei bekannter schizoaffektiver Psychose fest. Im Gesamtbild erweise sich der Tatbestand des § 68 Abs 1 Z 8 UG als eindeutig erfüllt.
12. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 18.05.2020, E 1147/2020-12, wurde die Behandlung der Beschwerde gegen das genannte Erkenntnis abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
13. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 29.06.2021, Ro 2020/10/0014-14, wurde die ordentliche Revision zurückgewiesen.
14. Mit am 16.11.2021 beim BVwG eingelangtem Schriftsatz brachte Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des BVwG vom 16.03.2020 abgeschlossenen Verfahrens ein und begründete dies – auf das Wesentlichste zusammengefasst – damit, dass das Rektorat der Medizinischen Universität Wien und das Bundesverwaltungsgericht ihre Entscheidungen auf ein Gutachten des Dr. XXXX gestützt hätten. Dieser habe sich als „Facharzt für Psychiatrie und Neurologie“ ausgegeben, sei jedoch ein Facharzt für (umgekehrt) „Neurologie und Psychiatrie“. In der forensischen Psychiatrie würden eher Gutachter gesucht, welche Fachärzte für „Psychiatrie und Neurologie“ seien, als Fachärzte für „Neurologie und Psychiatrie“. Bei richtiger Führung der Facharztbezeichnung wäre es nicht ausgeschlossen gewesen, dass ein anderer Sachverständiger bestellt worden wäre.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang steht fest.
1.2. Mit Mail vom 22.04.2020 wurde seitens des Landesgerichtes für ZRS Wien mitgeteilt, dass man (Anmerkung: auf Anregung des Beschwerdeführers) die Berufsbezeichnung auf Facharzt für „Neurologie und Psychiatrie“ richtig gestellt habe.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der Verfahrensgang steht im Lichte der Entscheidung des BVwG vom 16.03.2020 sowie des Wiederaufnahmeantrages und der im Zuge des Wiederaufnahmeverfahrens vorgelegten Beweismittel unstrittig fest.
2.2. Die Feststellung zu Punkt 1.2. ergibt sich aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Mail des Landesgerichtes für ZRS Wien.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme
1. § 32 VwGVG lautet:
(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn
1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder
3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.
2. Tatsachen und Beweismittel können nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden gewesen sind, ihre Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich geworden ist (sog. "nova reperta"), nicht aber, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt (sog. "nova causa superveniens") (vgl. zB VwGH 08.11.1991, Zl. 91/18/0101; 07.04.2000, Zl. 96/19/2240; 20.06.2001, Zl. 95/08/0036; 19.03.2003, Zl. 2000/08/0105; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I2 [1998] E 124 zu § 69 AVG, zitierte Rechtsprechung; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 28).
"Tatsachen" sind Geschehnisse im Seinsbereich, mit "Beweismittel" sind Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint (VwGH 11.03.2008, Zl. 2006/05/0232).
Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel dürfen ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden sein. Es ist zwar nicht notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie - allenfalls auch im Verfahren vor einer höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft. Jegliches Verschulden, das die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt somit den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (VwGH 19.03.2003, Zl. 2000/08/0105). Beim "Verschulden" im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG handelt es sich nach der Rechtsprechung des VwGH um ein Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB. Bei der Beurteilung des Verschuldens im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann (siehe § 1297 ABGB). Konnte die wiederaufnahmewerbende Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ sie es aber, liegt ein ihr zurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (VwGH 08.04.1997, Zl. 94/07/0063; 10.10.2001, Zl. 98/03/0259). Ob die Fahrlässigkeit leicht oder schwer ist (§ 1294 ABGB), ist irrelevant (vgl. Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8 [2003] Rz 589; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 36 ff.).
Die Wiederaufnahme eines Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (VwGH 27.07.2001, Zl. 2001/07/0017; 22.12.2005, Zl. 2004/07/0209).
Des Weiteren müssen die neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel entweder allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens die Eignung aufweisen, einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid (hier: anderslautende Entscheidung des Asylgerichtshofes) herbeizuführen. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund ungeachtet des Erfordernisses seiner Neuheit also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt (und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit) die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche die Behörde entweder einen den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrages bildenden Bescheid oder (zumindest) die zum Ergebnis dieses Bescheides führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (VwGH 22.02.2001, Zl. 2000/04/0195; 19.04.2007, Zl. 2004/09/0159; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.).
Gerade das Vorliegen der Wiederaufnahmegründe ist wegen der Durchbrechung der Rechtskraft streng zu prüfen (VwGH 26.04.1984, 81/05/0081). Weiters ist die Auslegung des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG hinsichtlich der Wortfolge „voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheides“ zu beachten. Demnach ist mit „voraussichtlich“ ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit gemeint (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, Rz 591).
Eine Wiederaufnahme setzt nicht Gewissheit darüber voraus, dass die Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren anders gelautet hätte. Für die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens genügt es, dass diese Voraussetzung mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft; ob sie tatsächlich vorliegt, ist erst in dem wiederaufgenommenen Verfahren zu entscheiden. Sachverhaltsänderungen nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens haben bei der Entscheidung über die Wiederaufnahme außer Betracht zu bleiben (VwGH 13.12.2002, Zl. 2001/21/0031; 07.09.2005, Zl. 2003/08/0093; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; siehe dazu weiters Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8, Rz 591, die in diesem Zusammenhang von einem "höheren Grad der Wahrscheinlichkeit" sprechen).
Neu hervorgekommene Beweismittel rechtfertigen – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur dann, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen (VwGH vom 21.09.2000, 98/20/0564).
Für die Beurteilung der Frage, ob einem Wiederaufnahmeantrag stattzugeben ist, sind allein die innerhalb der Frist des § 69 Abs. 2 AVG vorgebrachten Wiederaufnahmegründe maßgebend (VwGH 23.04.1990, Zl. 90/19/0125; 31.03.2006, Zl. 2006/02/0038; 14.11.2006, Zl. 2005/05/0260).
Die zweiwöchige (subjektive) Frist gemäß § 32 Abs. 2 AVG beginnt mit dem Zeitpunkt, d.h. an dem Tag zu laufen, an dem der Antragsteller vom Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat. Für die Berechnung dieser verfahrensrechtlichen Frist sind die §§ 32 und 33 AVG maßgeblich. Gemäß § 33 Abs. 3 AVG werden die Tage von der Übergabe an einen Zustelldienst im Sinne des § 2 Z 7 des Zustellgesetzes zur Übermittlung an die Behörde bis zum Einlangen bei dieser (Postlauf) in die Frist nicht eingerechnet.
Der Wiederaufnahmeantrag hat alle für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit, d.h. der Einhaltung der subjektiven und objektiven Fristen des § 69 Abs. 2 AVG maßgeblichen Angaben zu enthalten (VwGH 19.05.1993, Zl. 91/13/0099; 25.01.1996, Zl. 95/19/0003). Gemäß § 69 Abs. 2 letzter Satz AVG sind die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Fristen ergibt, vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit eines Wiederaufnahmeantrages trägt somit der Antragsteller (VwGH 03.09.1998, Zl. 98/06/0086; 08.07.2005, Zl. 2005/02/0040). Er hat bereits im Antrag bekannt zu geben, wann er vom behaupteten Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat (VwGH 07.03.1996, Zl. 96/09/0015) und an welchem Tag die in Rechtskraft erwachsene Entscheidung ihm gegenüber erlassen wurde (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 55).
Ein nach Ablauf der zweiwöchigen subjektiven Frist gestellter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist als unzulässig, weil verspätet eingebracht, zurückzuweisen (VwGH 20.03.1990, Zl. 90/06/0013; 15.07.2003, Zl. 2003/05/0080), sofern ihn die Behörde nicht zum Anlass einer amtswegigen Wiederaufnahme nimmt (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 59).
3. Der Beschwerdeführer stützte seinen gegenständlichen Antrag im Wesentlichen darauf, dass jenes Gutachten, auf welches sich das Rektorat der Medizinischen Universität Wien sowie das Bundesverwaltungsgericht in ihrer Gefährlichkeitsprognose gestützt haben, von einem Facharzt verfasst wurde, der zum Bestellungszeitpunkt in der Liste der gerichtlichen Sachverständigenliste unrichtig als „Facharzt für Psychiatrie und Neurologie“ und nicht korrekt als „Facharzt für Neurologie und Psychiatrie“ geführt worden sei.
4. Wie oben festgestellt wurde, ist dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Mail des Landesgerichtes für ZRS Wien zu entnehmen, dass er bereits am 22.04.2020 in Kenntnis gesetzt wurde, dass die Berufsbezeichnung des Sachverständigen abgeändert worden sei. Auch führte er diesen Umstand im (damaligen) Rechtsmittelverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof ins Treffen und reichte am 27.04.2020 elektronisch (im Wege seiner damaligen Vertretung) einen entsprechenden Schriftsatz nach.
Er erlangte sohin bereits (spätestens) am 22.04.2020 Kenntnis von dem als Wiederaufnahmegrund geltend gemachten unrichtigen Eintrag in der gerichtlichen Sachverständigenliste, weshalb die Frist zur Einbringung des vorliegenden Antrages (spätestens) mit diesem Datum zu laufen begann.
5. Der am 16.11.2021 eingebrachte Antrag auf Wiederaufnahme wurde somit mehr als eineinhalb Jahre nach Kenntnisnahme vom Wiederaufnahmegrund und sohin deutlich außerhalb der zweiwöchigen Frist eingebracht und war aufgrund der verspäteten Einbringung als unzulässig zurückzuweisen.
Weder aus dem Antrag des WA noch aus den vorgelegten Beweismitteln ergaben sich Anhaltspunkte für das Erfordernis einer amtswegigen Wiederaufnahme. Insbesondere geht aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Auszug aus der gerichtlichen Sachverständigenliste ausdrücklich hervor, dass das Landesgericht für ZRS Wien den Gutachter auch nach Abänderung seines Berufes in „Facharzt für Neurologie und Psychiatrie“ weiterhin als Sachverständigen auch für Psychiatrische Kriminalprognostik, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin führt.
6. Darüber hinaus gälte es zu bedenken, dass eine Wiederaufnahme nach § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG grundsätzlich auch nur dann in Betracht käme, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel überhaupt die Eignung besitzen eine im Hauptinhalt des Spruches anderslautende Entscheidung (hier: des BVwG) herbeizuführen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42).
Aus der Beschwerde geht jedoch kein substantiiertes Vorbringen hervor, inwiefern die – aus Sicht des Beschwerdeführers – angeblich geringere Chance einer Bestellung zum Sachverständigen eine im Hauptinhalt des Spruches anderslautende Entscheidung herbeigeführt hätte. Bereits dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15.05.2014 ist eine geistige und seelische Abartigkeit von höherem Grad, nämlich eine schizoaffektive Psychose mit maniform wahnhaftem Zustandsbild zu entnehmen. Der bedingten Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug per 31.12.2016 liegt auch ein Bericht des Forensischen Zentrums Asten zugrunde, in welchem auch von „einer Wiederaufnahme des Medizinstudiums in Wien (Tatort) entschieden abgeraten [werde], da eine Distanzierung von wahnhaften Inhalten nicht stattgefunden habe und krankheitsimmanent auch nicht zu erwarten sei. Im Falle von erneuten persönlichen Rückschlägen sei mit einer erneuten wahnhaften Fehlinterpretation aufgrund des chronischen wahnhaften Prozesses zu rechnen, wodurch wieder eine spezifische Gefährlichkeit im Sinne des Anlassdelikts von Herrn XXXX gegeben wäre. Man beachte in diesem Zusammenhang auch die [...] kognitiven sowie handlungsorientierten Defizite bei komplexeren Aufgaben und somit möglichen verstärkten Stressoren m der Tatortumgebung (Medizinische Universität Wien) im Falle einer Fehlinterpretation (Gefühl der Ungerechtigkeit). Er imponiere nach wie vor in der Idee, sich im Falle von erfahrener Ungerechtigkeit auch körperlich wehren zu wollen, um der Gerechtigkeit willen.“
Das gegenständliche Gutachten des Dr. XXXX und letztlich auch das vom Beschwerdeführer nach seiner bedingten Entlassung gesetzte faktische Verhalten entsprechen den früheren Ausführungen der vom Landesgericht für Strafsachen Wien eingeholten Gutachten, ohne dass der Beschwerdeführer konsequenterweise auch die Richtigkeit seiner bedingten Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug in Frage gestellt hätte.
Da sohin für das erkennende Gericht nicht erkennbar wäre, inwiefern die ins Treffen geführten Tatsachen und Beweismittel auch die Eignung aufweisen würden, eine im Hauptinhalt des Spruches anderslautende Entscheidung herbeizuführen, wäre dem Antrag des Beschwerdeführers auch aus diesem Grund nicht stattzugeben.
6. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG unterbleiben.
7. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Frist Kenntnis Sachverständigengutachten Studienzulassung - Erlöschen Verspätung Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund ZurückweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W129.2225014.2.00Im RIS seit
05.01.2022Zuletzt aktualisiert am
05.01.2022