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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 95/01/0582Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel über den Antrag des S in L, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in B, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 5. Oktober 1995, Zl. Ia 370-109/89, betreffend Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft, den Beschluß gefaßt:
Spruch
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 5. Oktober 1995, der den im Wiedereinsetzungsantrag enthaltenen Angaben zufolge dem Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen der Türkei, am 18. Oktober 1995 durch postamtliche Hinterlegung zugestellt worden war, wurde sein Antrag auf Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 16 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 6 der Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 abgewiesen.
Zur Begründung des zugleich mit der Beschwerde gegen diesen Bescheid am 1. Dezember 1995 zur Post gegebenen Wiedereinsetzungsantrages gegen die Versäumung der Beschwerdefrist wird ausgeführt, der Beschwerdeführer habe über Befragen durch die Kanzleileiterin seines Rechtsvertreters, "an welchem Tag er den betreffenden Rückschein vor dem Postboten unterfertigt" habe, den 20. Oktober 1995 angegeben. Demgemäß habe die Kanzleileiterin als letzten Tag der Frist für die gegen diesen Bescheid einzubringende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde den 1. Dezember 1995 in das Fristenbuch eingetragen. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers habe sich bei der Aktenvorlage über die Bescheidzustellung bei der Kanzleileiterin informiert und die Eintragung im Fristenbuch als korrekt bestätigt. Im Zuge einer bei Überarbeitung der bereits geschriebenen Beschwerde beim Amt der Vorarlberger Landesregierung am 1. Dezember 1995 durchgeführten Aktenerhebung sei der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers darauf gestoßen, daß der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer nicht direkt durch den Postboten, sondern "vielmehr offenbar" durch postamtliche Hinterlegung "und zwar anscheinend bereits am 18. Oktober 1995" zugestellt worden sei. Die falsche Fristvormerkung beruhe offenbar auf einem Mißverständnis zwischen der Kanzleileiterin und dem Beschwerdeführer, der zwar recht gut deutsch spreche, die Frage nach dem Datum der Unterfertigung des Rückscheines beim Postboten aber dahin verstanden habe, wann er den Empfang des beim Postamt hinterlegten Bescheides mit seiner Unterschrift bestätigt habe. Da der Beschwerdeführer der deutschen Sprache doch nicht entsprechend mächtig sei, habe er unter dem Rückschein die Übernahms- bzw. Empfangsbestätigung beim Postamt verstanden. Die "leider doch nicht so sattelfesten Deutschkenntnisse" des Beschwerdeführers stellten ein unvorhergesehenes Ereignis im Sinne der zu § 46 VwGG ergangenen Rechtsprechung dar. Soweit der Kanzleileiterin ein Versehen an dem Mißverständnis über den Zustellvorgang zur Last fallen sollte, handle es sich um ein einmaliges Versehen, welches für den Beschwerdevertreter und den Beschwerdeführer selbst ein unvorhergesehenes Ereignis darstelle, wobei der Beschwerdevertreter die Fristeintragung durch Befragen seiner Sekretärin überprüft und für richtig befunden habe und somit seiner Überwachungspflicht nachgekommen sei.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Umstand, daß der Beschwerdeführer mangels entsprechender Kenntnis der deutschen Sprache die Frage der Kanzleileiterin des Beschwerdevertreters nach dem Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides nicht richtig verstanden hat, ist ebensowenig wie der Mangel dieser Sprachkenntnisse selbst (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 5, S. 680 f, zitierte Judikatur) geeignet, das Vorliegen eines die rechtzeitige Beschwerdeerhebung hindernden, unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses darzutun.
Soweit im Wiedereinsetzungsantrag versucht wird, das Mißlingen der Ermittlung des korrekten Zeitpunktes der Zustellung des angefochtenen Bescheides als ein Versehen darzustellen, welches für den Beschwerdevertreter trotz entsprechender Überwachung seiner Kanzleileiterin unvorhersehbar gewesen sei, ist dem entgegenzuhalten, daß ein Irrtum über den Zeitpunkt des Einlangens des anzufechtenden Bescheides grundsätzlich kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellt (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 651 angeführte Judikatur sowie das hg. Erkenntnis vom 30. September 1987, Zlen. 87/01/0226, 0227). Vielmehr wäre es Aufgabe der Kanzleileiterin bzw. auch des Beschwerdevertreters selbst gewesen, den Vorgang der Zustellung bzw. Übernahme des angefochtenen Bescheides mit hinreichender Genauigkeit zu hinterfragen, da selbst bei rechtsunkundigen Inländern nicht von vornherein davon ausgegangen werden kann, daß ihnen der rechtliche Unterschied zwischen der Unterfertigung eines Rückscheines und der Unterfertigung der Übernahmebestätigung betreffend eine hinterlegte Sendung bewußt ist. Hiebei darf der Rechtsanwalt die Festsetzung der Fristen der Kanzleileiterin nicht völlig überlassen, weil nur er selbst die Fristen zu setzen und ihre Vormerkung anzuordnen hat (vgl. z.B. den hg. Beschluß vom 17. August 1994, Zl. 94/15/0112). Damit hat aber der Beschwerdevertreter in ihm zurechenbarer Weise die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen erforderliche und ihm nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen und somit ein Verhalten gesetzt, welches nicht mehr dem Begriff des minderen Grades des Versehens zugeordnet werden kann (vgl. die hg. Beschlüsse vom 15. Dezember 1987, Zl. 87/07/0174, 0188, und vom 14. Juli 1989, Zl. 89/17/0112).
Dem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte somit gemäß § 46 VwGG nicht stattgegeben werden.
Dies hat weiters zur Folge, daß die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen war.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995010580.X00Im RIS seit
03.04.2001