Entscheidungsdatum
14.12.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W132 2244650-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzerinnen, über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 07.06.2021, OB 83255313200024, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme einer Zusatzeintragung in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:
I) Die Voraussetzungen für Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass liegen vor.
II) Die Eintragung des Zusatzvermerkes ist befristet bis 30.10.2022 vorzunehmen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) hat dem Beschwerdeführer am 12.04.2021 einen unbefristeten Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH eingetragen.
2. Der Beschwerdeführer hat am 13.04.2021 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b StVO gestellt, welcher auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gilt, sofern dieser Zusatzvermerk noch nicht in den Behindertenpass des Antragstellers eingetragen wurde.
2.1. Zur Überprüfung des Antrages hat die belangten Behörde Einsicht in das im Rahmen des Verfahrens zur Ausstellung des Behindertenpasses eingeholte Sachverständigengutachten Dris. XXXX , Facharzt für Lungenheilkunde, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 12.03.2021, genommen, welches zum Ergebnis kam, dass der Grad der Behinderung zwar in Höhe von 50 vH bewertet wurde, jedoch die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorlägen.
Im Gutachten Dris. XXXX wird zusammengefasst im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
„Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
? Zustand nach beidseitiger Lungentransplantation am 18.02.2021 wegen fortgeschrittener Lungenfibrose nach exogen-allergischer Alveolitis, umfangreiche immunsuppressive Dauerhandlung, allergisches Asthma bronchiale
Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine. Nach beidseitiger Lungentransplantation besteht eine kardiorespiratorisch stabile kompensierte Situation ohne Notwendigkeit einer Langzeitsauerstofftherapie. Eine hochgradige Funktionsstörung am Stütz- und Bewegungsapparat liegt nicht vor, ebenfalls keine kognitiven Defizite. Zur Frage von Atemwegsinfekten: Beim Kunden liegt zum Untersuchungszeitpunkt keine klinisch fassbare oder befundmäßige dokumentierte, angeborene oder erworbene Immundefizienz vor, welche geeignet wäre, eine evidenzbasierte, nachweisliche, wesentlich erhöhte Infektanfälligkeit auszulösen. Es sind auch keine wiederholt auftretenden, außergewöhnlichen Infekte wie z.B. atypische Pneumonien anamnestisch erhebbar, bzw. für die Zukunft auch nicht zu prognostizieren.
Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein siehe oben“
2.2. Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG mit Schreiben vom 14.04.2021 erteilten Parteiengehörs wurde vom Beschwerdeführer am 22.04.2021, mit Ergänzung am 17.05.2021, im Wesentlichen eingewendet, dass das Gutachten nicht nachvollziehbar sei, da vom Gutachter selbst festgehalten werde, dass der Beschwerdeführer in dauerhafter Behandlung mit Immunsuppressiva sei. Auch gehe aus den vorgelegten Befunden des AKH klar hervor, dass der Beschwerdeführer wegen der erhöhten Infektionsgefahr keinesfalls öffentliche Verkehrsmittel benützen dürfe. Auch habe er wegen der Infektionsgefahr Fahrtenscheine für Einzeltransporte erhalten. Es könne sich daher nur um einen Irrtum handeln. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei vom AKH für mindestens ein Jahr verboten worden.
2.3. Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde vom bereits befassten Sachverständigen, Dr. XXXX , basierend auf der Aktenlage, eine mit 07.06.2021 datierte medizinischen Stellungnahme mit dem Ergebnis eingeholt, dass weder die erhobenen Einwendungen, noch die vorgelegten Beweismittel geeignet seien, eine geänderte Beurteilung zu begründen.
2.4. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen.
2.5. Einem dem Verwaltungsakt beiliegenden, an den Beschwerdeführer ergangen, Schreiben des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz vom 14.07.2021, ist zu entnehmen, dass eine Überprüfung des Ergebnisses der belangten Behörde durch die medizinische Fachabteilung des BMSGPK ergeben habe, dass das durch die belangte Behörde eingeholte Gutachten Dris. XXXX nachvollziehbar und korrekt sei und den geltenden Richtlinien entspreche.
3. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass er Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ einlege. Er lege weitere Schriftstücke des AKH vor, welche klar belegen würden, dass ihm aus gesundheitlichen Gründen und wegen der COVID-Pandemie öffentliche Verkehrsmittel unzumutbar seien.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Da sich der Beschwerdeführer mit der Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht einverstanden erklärt hat, war dies zu überprüfen.
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland und besitzt einen Behindertenpass.
1.2. ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel derzeit nicht zumutbar.
1.2.1. Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:
Allgemeinzustand: altersentsprechender normaler Allgemeinzustand, keine Ruhedyspnoe, keine Lippenzyanose, keine mobile Sauerstoffversorgung, normaler Ernährungszustand.
Kopf, Hals: Keine obere Einflussstauung, keine Struma, keine Lippenzyanose, die Hirnnerven frei. Herz: Reine rhythmische Herztöne, Frequenz: 74 pro Minute.
Lunge: Sonorer Klopfschall, freie Vesikuläratmung ohne spastische Nebengeräusche.
Brustkorb: Symmetrisch, beidseits ventral findet sich eine annähernd horizontal verlaufende Narbe nach beidseitiger Lungentransplantation, wobei das Brustbein nicht durchtrennt wurde.
Gliedmaßen: Keine Krampfadern, keine Beinödeme, die großen Gelenke frei beweglich.
Gesamtmobilität – Gangbild: Altersentsprechend unauffällige Gesamtmobilität, es wird keine Gehhilfe verwendet, freier Stand und freies Sitzen problemlos möglich.
Status psychicus: Unauffällig, zeitlich und örtlich orientiert, keine fassbaren kognitiven Defizite, ausgeglichene freundliche Stimmungslage.
Art der Funktionseinschränkungen:
- Zustand nach beidseitiger Lungentransplantation am 18.02.2021 wegen fortgeschrittener Lungenfibrose nach exogen-allergischer Alveolitis, umfangreiche immunsuppressive Dauerhandlung, allergisches Asthma bronchiale
1.2.2. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Der Zustand nach beidseitiger Lungentransplantation im Februar 2021 wirkt sich aktuell maßgeblich negativ auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus.
2. Beweiswürdigung:
Zu 1.1.) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Zu 1.2.) Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die eingeholten und vorgelegten Beweismittel:
Das durch die belangte Behörde eingeholte Sachverständigengutachten Dris. XXXX ist hinsichtlich der Diagnose und des klinischen Status vollständig, schlüssig, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Es wurde auf die Art des Leidens und dessen Ausmaß ausführlich eingegangen. Die Krankengeschichte des Beschwerdeführers wurde umfassend nach dem konkret vorliegenden Krankheitsbild berücksichtigt. Hinsichtlich der erhobenen Diagnose wurden vom Beschwerdeführer auch keine Einwendungen erhoben.
Die vorgelegten Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen, der befasste Sachverständige hat sich damit auseinandergesetzt. Hinsichtlich der Beurteilung der Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kann dem Sachverständigengutachten jedoch nicht gefolgt werden.
So erläutert der Sachverständige im Einklang mit den vorliegenden Beweismitteln und den Angaben des Beschwerdeführers, dass bei Zustand nach beidseitiger Lungentransplantation eine umfangreiche immunsuppressive Dauerbehandlung besteht, welche bei der Beurteilung des Leiden zu berücksichtigen ist, dass diese Gesundheitsschädigung aber dem Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht entgegensteht. Diese Beurteilung steht aber in erheblichem Gegensatz zu den vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Beweismittel.
So wird in der Informationsbroschüre der Universitätsklinik für Thoraxchirurgie explizit angeführt, dass lungentransplantierten Patienten im ersten Jahr nach Transplantation die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel verboten ist und wurden dem Beschwerdeführer daher auch mit Verordnung vom 07.04.2021 aufgrund der Unmöglichkeit ein Massentransportmittel zu benützen Einzelkrankentransporte bewilligt.
Hinzukommt, dass in der ärztlichen Stellungnahme des AKH, Lungentransplantationsprogramm vom 23.06.2021, ausgeführt wird, dass es sich beim Beschwerdeführer – im Hinblick auf die aktuell herrschende COVID-19 Pandemie – um einen Höchstrisikopatienten handelt, da auf Grund der immunsuppressiven Therapie das körpereigene Immunsystem geschwächt ist und ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht.
Auch im Befund des AKH vom 16.06.2021 wird nachvollziehbar angegeben, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der immunsuppressiven Therapie und der damit einhergehenden erhöhten Infektanfälligkeit von der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dringend abgeraten wird.
Die Angaben des Beschwerdeführers sind somit geeignet, die angefochtene Beurteilung zu entkräften. Die Abweichung zur der, der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten gutachterlichen Schlussfolgerung, resultiert aus der geänderten rechtlichen Beurteilung. Ob dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, stellt nämlich keine medizinische Frage, sondern eine Rechtsfrage dar und obliegt dem erkennenden Senat. Zu deren Erörterung, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II 3.1.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)
Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist. (§ 42 Abs. 2 BBG)
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. (§ 45 Abs. 1 BBG)
Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu. (§ 45 Abs. 2 BBG)
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)
Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktions-beeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen. (§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).
Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt ist das Beschwerdevorbringen geeignet darzutun, dass die der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte gutachterliche Beurteilung, nicht dem tatsächlichen Leidensausmaß des Beschwerdeführers entspricht.
Die durch die Lungentransplantation verursachte erhöhte Infektanfälligkeit unter hochdosierter Immunsuppression wirkt sich – insbesondere auch unter COVID-Pandemiebedingungen – für den Beschwerdeführer maßgeblich negativ auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus.
Dem Beschwerdeführer ist es derzeit nicht zumutbar öffentliche Verkehrsmittel zu benützen.
Da festgestellt worden ist, dass der Leidenszustand des Beschwerdeführers in seiner Gesamtheit die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschwert, und die dauernden Gesundheitsschädigungen somit ein relevantes Ausmaß erreichen, ist die Eintragung des Zusatzes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gerechtfertigt.
Da sich die Vorgaben der Universitätsklinik betreffend das Meiden von Menschenmassen bzw. die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor allem auf das erste Jahr nach der Transplantation und das Risiko im Hinblick auf die Auswirkungen der COVID-Pandemie beziehen, ist die Zusatzeintragung im Behindertenpass befristet vorzunehmen, weil eine Änderung in den Voraussetzungen gemäß § 42 Abs. 2 BBG zu erwarten ist.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)
Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)
Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für den beantragten Zusatzvermerk sind die Art, das Ausmaß und die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.
Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher der, der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte, Sachverständigenbeweis geprüft. Unter Punkt II. 2. wurde bereits ausgeführt, in welchem Umfang dieser als schlüssig erachtet wurde.
Das Beschwerdevorbringen war – wie unter Punkt II.2. bzw. II.3.1. bereits ausgeführt – geeignet, relevante Bedenken an der Beurteilung der belangten Behörde hervorzurufen. Die vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden berücksichtigt und resultiert daraus die geänderte Beurteilung. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben. Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist auch kein absoluter. (VfGH vom 09.06.2017, E 1162/2017)
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung einerseits von Tatsachenfragen abhängt. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen. Andererseits sind Rechtsfragen zu lösen, welchen keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen stützen.
In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird ausgeführt, dass damit präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden sollen. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt. Es war sohin keine – von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abweichende – Neuregelung beabsichtigt.
Vielmehr wird in den Erläuterungen ausdrücklich festgehalten, dass im Hinblick auf die ab 01.01.2014 eingerichtete zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Einheitlichkeit der Vollziehung der im Behindertenpass möglichen Eintragungen sicherzustellen, die Voraussetzungen, die die Vornahme von Eintragungen im Behindertenpass rechtfertigen, in einer Verordnung geregelt werden sollen.
Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.
Schlagworte
Befristung Behindertenpass öffentliche Verkehrsmittel Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W132.2244650.1.00Im RIS seit
05.01.2022Zuletzt aktualisiert am
05.01.2022