TE Vwgh Beschluss 2021/11/18 Ra 2021/22/0207

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Veröffentlicht am 18.11.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §69 Abs1 Z1
AVG §69 Abs3
B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §37 Abs4
NAG 2005 §47 Abs2
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des D S, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 7. Juli 2021, VGW-151/V/085/146/2021-39, betreffend Wiederaufnahme von Verfahren nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Gestützt auf die am 7. Dezember 2013 geschlossene Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin V T beantragte der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, am 16. April 2014 einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Dieser Aufenthaltstitel wurde ihm (von der damals örtlich zuständigen) Bezirkshauptmannschaft (BH) Zell am See mit Wirksamkeit vom 17. Dezember 2014 erteilt. Nach der Scheidung dieser Ehe (mit 17. August 2015) stellte der Revisionswerber am 1. September 2015 einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“. Dieser Aufenthaltstitel wurde ihm vom (infolge des Wohnsitzwechsels nunmehr zuständigen) Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) am 28. Dezember 2015 erteilt und - aufgrund eines Verlängerungsantrags vom 5. Dezember 2016 - am 17. Februar 2017 verlängert. Am 3. Dezember 2019 stellte der Revisionswerber einen weiteren Verlängerungsantrag.

2        Mit Bescheid vom 16. November 2020 nahm die belangte Behörde die rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren über die bei ihr gestellten Anträge vom 1. September 2015 und vom 5. Dezember 2016 gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder auf. Unter einem wurden die beiden wieder offenen Anträge sowie der Verlängerungsantrag vom 3. Dezember 2019 abgewiesen.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 7. Juli 2021 wies das Verwaltungsgericht Wien die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit einer (für die vorliegende Revisionssache nicht entscheidungserheblichen) Maßgabe als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.

4        Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung - auf das Wesentliche zusammengefasst - folgende Feststellungen zugrunde: Der Revisionswerber sei von 7. Dezember 2013 bis 17. August 2015 mit der Zusammenführenden V T verheiratet gewesen. Er sei nach Erteilung des ersten Aufenthaltstitels nur mehr zwei Monate lang in der Wohnung der V T mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen und habe bereits zwei Tage nach Erteilung dieses Aufenthaltstitels einen Nebenwohnsitz bei seiner nunmehrigen Lebensgefährtin S N, mit der er einen am 12. Jänner 2016 geborenen Sohn habe, angemeldet. Ein gemeinsames Familienleben mit V T sei vom Revisionswerber nicht geführt worden und auch nicht beabsichtigt gewesen. Die Eheschließung habe vielmehr nur dem Zweck gedient, dem Revisionswerber einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Diesen Umstand habe der Revisionswerber der belangten Behörde jedoch verschwiegen.

Zu den bisherigen Verfahren hielt das Verwaltungsgericht - wiederum auf das Wesentliche zusammengefasst - Folgendes fest: Im Akt der BH Zell am See finde sich ein Schreiben der V T vom 11. März 2015, in dem diese angeführt habe, der Revisionswerber habe sie einen Tag nach der Erteilung des Erstaufenthaltstitels verlassen, weshalb sie sich dazu entschlossen habe, die Scheidung einzureichen. Die belangte Behörde habe infolge des Antrages des Revisionswerbers vom 1. September 2015 wegen des Verdachts einer Aufenthaltsehe Ermittlungsschritte gesetzt und den Vorakt der BH Zell am See angefordert. In einem Aktenvermerk der belangten Behörde vom 13. November 2015 sei festgehalten worden, dass der Revisionswerber bei seiner „Schwester“ S N wohne und diese angegeben habe, dass die Scheidung (des Revisionswerbers von V T) auf Grund von Streitigkeiten über den Wohnsitz erfolgt sei; der Revisionswerber habe keinen Job (in Salzburg) gefunden und sei deshalb nach Wien gezogen. Die belangte Behörde habe dem Revisionswerber sodann den beantragten Aufenthaltstitel erteilt und in weiterer Folge einmal verlängert. Im Rahmen eines anderen aufenthaltsrechtlichen Verfahrens sei erneut der Verdacht des Vorliegens einer Aufenthaltsehe entstanden, weshalb die belangte Behörde mit Schreiben vom 4. Oktober 2019 gemäß § 37 Abs. 4 NAG die Landespolizeidirektion Wien um Überprüfung des Sachverhaltes ersucht habe. Dabei sei (ua.) hervorgekommen, dass S N nicht die Schwester, sondern die Lebensgefährtin des Revisionswerbers sei.

5        In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung der hg. Rechtsprechung zum Vorliegen einer Aufenthaltsehe bzw. zum Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG („Erschleichen“) Folgendes aus: Der Revisionswerber habe durch das Stützen auf die Aufenthaltsehe die positive Erledigung des Erstantrages herbeigeführt und dies sei Voraussetzung für die Beurteilung der nachfolgenden Verlängerungs- und Zweckänderungsanträge und deren Erfolg gewesen. Deshalb hätten auch das Zweckänderungs- und das Verlängerungsverfahren wiederaufgenommen werden können.

Die belangte Behörde habe im Zweckänderungsverfahren (näher dargestellte) Ermittlungsschritte unternommen und sei auf Grund der Aussage der S N, sie sei die Schwester des Revisionswerbers, zum Schluss gekommen, dass es sich bei der Ehe mit V T nicht um eine Aufenthaltsehe handle. Dass die belangte Behörde im Zweckänderungsverfahren „ohne besondere Schwierigkeiten offenstehende Möglichkeiten, entsprechende Ermittlungsschritte zu setzen, unterlassen“ habe, habe nicht festgestellt werden können. Aus Anlass eines anderen (näher bezeichneten) aufenthaltsrechtlichen Verfahrens hätten sich neue Anhaltspunkte ergeben, welche die belangte Behörde zur Einleitung einer Überprüfung gemäß § 37 Abs. 4 NAG veranlasst hätten, deren Ergebnisse (wonach S N nicht die Schwester, sondern die Lebensgefährtin des Revisionswerbers sei) letztlich zu einer Neubewertung der Ehe des Revisionswerbers mit V T geführt hätten. Dass die belangte Behörde vor Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ Verdachtsmomente hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gehabt habe, hindere sie nicht an einer Wiederaufnahme dieses Verfahrens gestützt auf neu hervorgekommene Tatsachen. Das Ermittlungsverfahren betreffend den Zweckänderungs- und den Verlängerungsantrag des Revisionswerbers habe keine ein Verschulden der belangten Behörde begründende Mängel aufgewiesen; die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG lägen somit vor.

Abschließend legte das Verwaltungsgericht dar, warum die Anträge in den wiederaufgenommenen Verfahren bzw. der letzte Verlängerungsantrag abzuweisen seien und aus welchen Gründen nicht davon auszugehen sei, dass die Lebensgefährtin des Revisionswerbers sowie der gemeinsame Sohn (beide seien österreichische Staatsbürger) für den Fall der Nichterteilung der gegenständlichen Aufenthaltstitel de facto gezwungen wären, Österreich oder das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Der Revisionswerber wendet sich in seinem Zulässigkeitsvorbringen nicht gegen die Annahme einer Aufenthaltsehe, sondern er macht insgesamt lediglich geltend, die belangte Behörde hätte aufgrund des im Akt der BH Zell am See befindlichen Schreibens der V T vom 11. März 2015, dessen Inhalt ein massives Indiz für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe darstelle, bereits vor der Erteilung des Aufenthaltstitels am 28. Dezember 2015 entsprechende Ermittlungen durchführen müssen. Die Unrichtigkeit der Angaben des Revisionswerbers sei nur deshalb nicht erkannt worden, weil es die belangte Behörde verabsäumt habe, von den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung Gebrauch zu machen. Aufgrund des verschuldeten Unterlassens möglicher Ermittlungsschritte sei nach der (näher zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Wiederaufnahme der Verfahren nicht mehr zulässig.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein „Erschleichen“ eines Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG dann vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Zudem erfordert ein „Erschleichen“, dass die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen ist und ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere Ermittlungen durchzuführen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein „Erschleichen“ des Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten (vgl. zum Ganzen VwGH 18.6.2021, Ra 2021/22/0078, Rn. 17 f, mwN).

10       Es trifft zwar zu, dass aufgrund des Schreibens der V T vom 11. März 2015, wonach der Revisionswerber einen Tag nach Erteilung seines ersten Aufenthaltstitels aus der Wohnung seiner damaligen Ehefrau ausgezogen sei, bereits vor Erteilung des Aufenthaltstitels mit 28. Dezember 2015 Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestanden haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch bereits dargelegt, dass der Umstand bereits zuvor vorhandener, jedoch trotz durchgeführter Ermittlungen vorläufig nicht bestätigter Verdachtsmomente hinsichtlich des Eingehens einer Aufenthaltsehe einer späteren Wiederaufnahme wegen „Erschleichen“ gestützt auf neu hervorgekommene Tatsachen nicht entgegensteht (vgl. VwGH 14.7.2021, Ra 2018/22/0017, Pkt. 5.3., mwN).

11       Vorliegend hat die belangte Behörde - wie sich dem Verfahrensakt und der Darstellung im angefochtenen Erkenntnis entnehmen lässt - schon im Jahr 2015 wegen des Verdachts des Vorliegens einer Aufenthaltsehe Ermittlungsschritte gesetzt. Dass die belangte Behörde aufgrund der falschen Angabe, bei S N handle es sich um die Schwester des Revisionswerbers, deren Aussagen über die Beziehung des Revisionswerbers zu V T als glaubhaft erachtete, folglich nicht vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe ausging und (vorerst) keine weiteren Ermittlungen durchführte, begründet für sich genommen noch keinen - ein „Erschleichen“ ausschließenden - relevanten Verfahrensmangel (vgl. etwa VwGH 5.3.2021, Ra 2019/22/0234, Rn. 10, wo der Verwaltungsgerichtshof keinen solchen Verfahrensfehler darin gesehen hat, dass weitere Erhebungen nicht bereits auf Grund der Scheidung des dortigen Revisionswerbers von der Zusammenführenden, sondern erst nach dem Hervorkommen der Beziehung des Revisionswerbers mit einer anderen Frau und dem Vorhandensein mehrerer gemeinsamer Kinder veranlasst worden sind). Dass es sich bei S N um die Lebensgefährtin (und nicht um die Schwester) des Revisionswerbers handle und dieser Beziehung auch ein gemeinsames Kind entstamme, stellt jedenfalls neu hervorgekommene Tatsachen (im Sinn der oben zitierten hg. Rechtsprechung) dar.

12       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

13       Ausgehend davon erübrigt sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, der Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 18. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220207.L00

Im RIS seit

04.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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