TE OGH 2021/10/19 10ObS119/21d

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Veröffentlicht am 19.10.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. J*****, vertreten durch Mag. Christof Brunner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Juni 2021, GZ 11 Rs 36/21z-11, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Jänner 2021, GZ 18 Cgs 161/20i-7 bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

         Der Revision wird Folge gegeben.

         Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt zu lauten haben:

         „Es wird festgestellt, dass der von der beklagten Partei erhobene Anspruch auf Rückersatz des im Zeitraum von 4. 7. 2015 bis 3. 9. 2015 geleisteten Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens in Höhe von 4.092 EUR nicht zu Recht besteht.“

         Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger zu Handen seines Vertreters die mit 1.004,40 EUR (darin 167,40 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 887,06 EUR (darin 147,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz und die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens dritter Instanz binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]            Der Kläger bezog anlässlich der Geburt seines Sohnes am 4. 7. 2014 einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von 4.092 EUR für den Zeitraum von 4. 7. 2015 bis 3. 9. 2015. Der Kläger war als Oberarzt in einem Krankenhaus unselbständig erwerbstätig, daneben bezog er Honorare aus selbstständiger ärztlicher Tätigkeit (Sonderklassenentgelte).

[2]       Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren erstmals vorgelegte Urkunde als Abgrenzungsnachweis im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG zu berücksichtigen ist, obwohl er bereits im Verwaltungsverfahren vom Krankenversicherungsträger auf die Möglichkeit zur Vorlage eines Abgrenzungsnachweises hingewiesen wurde, die dafür gesetzte zweimonatige Frist jedoch ungenützt verstreichen ließ (§ 50 Abs 24 KBGG).

[3]            Mit Bescheid vom 14. 9. 2020 widerrief die beklagte Österreichische Gesundheitskasse die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum von 4. 7. 2015 bis 3. 9. 2015 wegen Überschreitung der Zuverdienstgrenze und verpflichtete den Kläger zum Ersatz der unberechtigt empfangenen Leistung in Höhe von 4.092 EUR.

[4]            In seiner Klage brachte der Kläger vor, er habe im Bezugszeitraum weder eine unselbständige noch eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt. Dass er nach Erhalt des Schreibens vom 10. 6. 2020 innerhalb von zwei Monaten keinen Zuordnungsnachweis (steuerliche Abgrenzung) darüber erbracht habe, in welchem Ausmaß Einkünfte aus seiner selbständigen Tätigkeit als Arzt vor Beginn oder nach Ende des Anspruchszeitraums angefallen seien, schließe nicht aus, dass diese Abgrenzung noch im sozialgerichtlichen Verfahren vorgenommen werden könne. Die zu diesem Zweck zugleich mit der Klage vorgelegte Urkunde sei daher zu berücksichtigen.

[5]       Die Beklagte bestritt und wandte ein, infolge Nichteinhaltung der im Schreiben vom 10. 6. 2020 gesetzten zweimonatigen Frist sei eine Abgrenzung der Einkünfte nicht mehr möglich (§ 50 Abs 24 KBGG). Bei der Berechnung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte sei daher von den Jahreseinkünften des Klägers auszugehen gewesen, die den Grenzbetrag von 6.400 EUR bei weitem überschritten hätten. Der Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 2. Satz KBGG (Feststellung, dass der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte den für das Kalenderjahr 2015 normierten Höchstbetrag von 6.400 EUR übersteigt) sei erfüllt. Da der Kläger der Aufforderung zur Abgrenzung seiner Einkünfte nicht nachgekommen sei, habe er auch seine Mitwirkungspflicht verletzt, sodass zusätzlich der Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 3. Fall KBGG (Verweigerung der zur Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte erforderlichen Mitwirkung trotz Aufforderung innerhalb angemessener Frist) erfüllt sei.

[6]       Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Feststellung, der Anspruch auf Rückersatz bestehe nicht zu Recht, ab und trug dem Kläger den Rückersatz der zu Unrecht erhaltenen Leistung in Höhe von 4.092 EUR auf.

[7]            Es stellte über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus fest: Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 10. 6. 2020 mitgeteilt, dass bei einer Berechnung der vom Finanzamt übermittelten selbständigen Jahreseinkünfte eine Überschreitung der Zuverdienstgrenze von 6.400 EUR festgestellt wurde, weshalb nach dem damaligen Stand eine bescheidmäßige Rückforderung des Überschreitungsbetrags erfolgen müsse. In dem Schreiben wurde weiters darauf hingewiesen, dass eine Neuberechnung anhand einer spätestens binnen zwei Monaten ab Zustellung eingelangten Abgrenzung der Einkünfte der relevanten Anspruchsmonate von den restlichen (Jahres-)Einkünften zu einem abweichenden Ergebnis führen könne. Eine spätere Vorlage der Abgrenzung könne in keinem Verfahrensstadium mehr berücksichtigt werden. Weiters enthält das Schreiben den Hinweis, dass es nicht als Aufforderung zur Abgrenzung zu verstehen sei, weil der Krankenversicherungsträger nicht beurteilen könne, ob eine Abgrenzung im jeweiligen Einzelfall sinnvoll sei. In manchen Fällen könne es günstiger sein, keine Abgrenzung durchzuführen. Nach Erhalt dieses Schreibens nahm der Kläger keinen Kontakt mit der Beklagten auf und erbrachte im Verwaltungsverfahren keinen Zuordnungsnachweis (steuerliche Abgrenzung) darüber, in welchem Ausmaß Einkünfte aus seiner selbständigen Tätigkeit als Arzt vor Beginn oder nach Ende des Anspruchszeitraums angefallen sind. Aufgrund der Ergebnisse des im sozialgerichtlichen Verfahren durchgeführten Beweisverfahrens steht fest, dass dem Kläger von seinem Dienstgeber am 10. 7. 2015 (während des Bezugszeitraums) ein Betrag von 3.981,01 EUR an Honoraren für im Rahmen selbstständiger Tätigkeit erbrachte ärztliche Leistungen (Sonderklassenentgelt) überwiesen wurde. Diese Zahlung betrifft allerdings Sonderklassenentgelte für vor Beginn des Bezugszeitraums (nämlich im Juni 2015) erbrachte ärztliche Leistungen. Für die Monate Juli und August 2015 erhielt der Kläger keine Sonderklassenentgelte. Seine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit betrugen im Jahr 2015 insgesamt 34.108,25 EUR.

[8]       Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass der Kläger in Entsprechung des mit 1. 8. 2019 in Kraft getretenen § 50 Abs 24 KBGG auf die Möglichkeit der Abgrenzung der Einkünfte binnen der dort genannten Zweimonatsfrist hingewiesen und über die Folgen der Nichtabgrenzung belehrt worden sei. Ungeachtet dieser Aufforderung habe er eine Abgrenzung bis zur Zustellung des Rückforderungsbescheids unterlassen, weswegen die Voraussetzungen für den Widerruf des für den Zeitraum von 4. 7. 2015 bis 3. 9. 2015 gewährten einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes vorlägen.

[9]       Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und ließ die Revision nicht zu. Der Kläger habe trotz Aufforderung in vorwerfbarer Weise die erforderliche Mitwirkung zur Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte innerhalb angemessener Frist verweigert, sodass die Beklagte zur Rückforderung nach § 31 Abs 2 3. Fall KBGG berechtigt sei.

[10]     In seiner außerordentlichen Revision beantragt der Kläger, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass seinem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben wird; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[11]     Die beklagte Partei beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu der Revision nicht Folge zu geben und dem Kläger jedenfalls den Kostenersatz aufzuerlegen.

Rechtliche Beurteilung

[12]     Die Revision ist zulässig und im Sinn des Abänderungsantrags auch berechtigt.

[13]     Der Kläger hält in seiner Revision an seinem Rechtsstandpunkt fest, dass eine Abgrenzung der Einkünfte auch noch im sozialgerichtlichen Verfahren möglich sei. § 50 Abs 24 KBGG beziehe sich ausschließlich auf das Verwaltungsverfahren vor dem Krankenversicherungsträger und treffe zur Nachweismöglichkeit im Gerichtsverfahren keine Aussage. Das Gericht habe im sozialgerichtlichen Verfahren selbständig und unabhängig vom Verfahren vor dem Versicherungsträger auf Basis der Rechtslage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz den mit der Klage geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch zu prüfen.

[14]     Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu:

[15]     1.1 Die Frage, ob für einen bestimmten Zeitraum Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht, ist grundsätzlich anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten in diesem Zeitraum zu beurteilen (RIS-Justiz RS0124614 [T1]).

[16]     1.2 Demnach ist § 24 Abs 1 KBGG in der für Bezugszeiträume im Jahr 2015 geltenden Fassung BGBl I 2013/117 anzuwenden, der die Anspruchsvoraussetzungen für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld regelt.

[17]     2.1 Nach § 24 Abs 1 Z 3 erster Satz KBGG ist unter anderem Anspruchsvoraussetzung, dass „während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes“ keine Erwerbseinkünfte erzielt werden, wobei sich ein Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte von (im vorliegenden Fall) 6.400 EUR nicht schädlich auswirkt. Diese Bestimmung entspricht der Zielsetzung des KBGG, Kinderbetreuungsgeld nur jenen Eltern(-teilen) zu gewähren, die bereit sind ihre Berufstätigkeit im Hinblick auf die Kinderbetreuung einzuschränken (RS0124063 [T38]).

[18]     2.2 § 24 Abs 1 Z 3 KBGG verweist hinsichtlich des Gesamtbetrags der maßgebenden Einkünfte je Kalenderjahr auf § 8 Abs 1 KBGG. Diese Bestimmung definiert den Inhalt der „maßgeblichen Einkünfte“, die im Kalenderjahr den Grenzbetrag nicht überschreiten dürfen. § 8 regelt somit, welche Einkünfte als maßgeblich heranzuziehen und wie diese zu ermitteln sind, regelt aber nicht die Anspruchsvoraussetzungen (10 ObS 15/19g SSV-NF 33/23 mwN).

[19]     2.3 Abweichend von Einkünften aus nicht selbständiger Tätigkeit gemäß § 8 Abs 1 Z 1 KBGG, für die ausnahmslos das Zuflussprinzip gilt (10 ObS 31/20m), ist bei Einkünften aus selbständiger Tätigkeit (§ 8 Abs 1 Z 2 KBGG) eine Abgrenzung möglich: Für die Ermittlung der Zuverdienstgrenze sind nur jene Einkünfte maßgeblich, die aus einer während des Anspruchszeitraums ausgeübten Tätigkeit stammen (RS0132947).

[20]     2.4 Nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG sind dann, wenn bis zum Ablauf des zweiten auf das betreffende Kalenderjahr folgenden Kalenderjahres dem Krankenversicherungsträger nachgewiesen wird, in welchem Ausmaß Einkünfte vor Beginn oder nach Ende des Anspruchszeitraums angefallen sind, nur jene Einkünfte zu berücksichtigen, die während des Anspruchszeitraums angefallen sind. Im Falle eines derartigen Nachweises, der den steuerrechtlichen Bestimmungen zu entsprechen hat, sind die während des Anspruchszeitraums angefallenen Einkünfte auf einen Jahresbetrag umzurechnen.

[21]     2.5 Bei der Abgabe dieser Zuordnungserklärung handelt es sich um eine vom Gesetzgeber eingeräumte Wahlmöglichkeit, von der Eltern Gebrauch machen können, falls das für sie günstiger ist. Wird sie nicht wahrgenommen, kann der Krankenversicherungsträger davon ausgehen, dass sich aufgrund des von der Abgabenbehörde an die Österreichische Gesundheitskasse übermittelten Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hätte, sodass ein entsprechender Rückforderungsbescheid erlassen werden kann (§ 31 Abs 2 letzter Satz KBGG).

3. Zur Entwicklung der Rechtslage

[22]     3.1 Nach der Intention des Gesetzgebers des KBGG soll zur Vermeidung von Verfahrensaufwand und Verfahrenskosten die Abgrenzung der Einkünfte bereits im Zuge des Verwaltungsverfahrens vorgenommen werden.

[23]           3.2 Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zur Novelle des KBGG mit dem Bundesgesetz BGBl I 2011/139 ergibt, ging die Praxis zuvor dahin, dass manche selbständig erwerbstätige Eltern ihre Einkünfte vorerst nicht abgrenzten, worauf ein Rückforderungsbescheid erlassen wurde, gegen den dann Klage erhoben wurde, worauf im Gerichtsverfahren die Einkünfte abgegrenzt und Nachweise vorgelegt wurden. Nach den Gesetzesmaterialien, gelte es, diese unnötigen Gerichtsverfahren auf Kosten des Familienlastenausgleichsfonds zu vermeiden. Es solle eine großzügige zweijährige Frist ab Ende des betreffenden Kalenderjahres (Bezugsjahres) eingeführt werden. Bei Versäumung dieser Frist solle der Nachweis im Gerichtsverfahren nicht mehr erfolgreich erbracht werden können. Der Zuverdienst sei dann anhand der gesamten Jahreseinkünfte aufgrund der von der Finanzbehörde übermittelten Daten zu berechnen. Wie in den Gesetzesmaterialien weiters ausgeführt wird, sollen die Krankenversicherungsträger aber als Serviceleistung selbständig tätige Eltern rechtzeitig vor Ablauf der Frist auf die Möglichkeit der Abgrenzung der Einkünfte aufmerksam machen. Durch die Novelle könnten voraussichtlich etwa 230.400 EUR pro Jahr an Verfahrenskosten eingespart werden (1522 BlgNR 24. GP 3 ff).

[24]           3.3 Gleichzeitig wurde mit dem § 32 Abs 1 und 3 KBGG Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten eingeführt, bei deren Nichterfüllung oder nicht gehöriger Erfüllung die Möglichkeit zum Ersatz der dadurch ausgelösten Verwaltungs- und Verfahrenskosten besteht. Bei Nichterfüllung (trotz zweimaliger, schriftlicher Aufforderung) kann unter der Voraussetzung der erheblichen Erschwerung oder Verhinderung der Aufklärung des Sachverhalts der Leistungsanspruch ohne weitere Ermittlungen abgelehnt werden (§ 32 Abs 4 Satz 1 KBGG).

[25]     3.4 Die in den Gesetzesmaterialien zu § 8 Abs 1 Z 2 KBGG idF BGBl I 2011/139 enthaltene Aussage, eine Versäumung der Zweijahresfrist solle dazu führen, dass in Verfahren vor dem Sozialgericht kein Zuordnungsnachweis erbracht werden könne, wurde von der Rechtsprechung mit der Begründung abgelehnt, dass das Unterbleiben der Zuordnungserklärung im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG nicht als Anspruchsvoraussetzung formuliert sei. Auch aus § 24 KBGG ergebe sich nicht, dass die Unterlassung einer fristgerechten Zuordnungserklärung gemäß § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG zur Folge hätte, dass dem Kinderbetreuungsgeldwerber im gerichtlichen Verfahren über eine Rückforderung gemäß § 31 Abs 2 Satz 2 KBGG nach Verstreichen der für die Abgabe der Zuordnungserklärung eingeräumten zweijährigen Frist die Darlegung verwehrt sein könnte, dass er objektiv die Zuverdienstgrenze während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes nicht überschritten hätte. Da die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Ansicht des historischen Gesetzgebers im Wortlaut des § 24 KBGG keine Deckung finde, habe sie für die Auslegung dieser Regelung unmaßgeblich zu bleiben (10 ObS 146/17v SSV-NF 32/35; RS0132593).

3.5 Mit 1. 8. 2019 trat das aufgrund eines Initiativantrags beschlossene Bundesgesetz BGBl I 2019/75 in Kraft, mit dem das Kinderbetreuungsgeldgesetz geändert und ein Gesetz über die Errichtung eines Jungfamilienfonds (Jungfamilienfondsgesetz) erlassen wurde. Der Zweck dieses Fonds liegt im Ausgleich von Rückforderungen nach dem KBGG, die allein aus dem Versäumen der Vorlagefrist für den Nachweis nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG resultieren. Die Zuwendungen aus dem bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (nunmehr Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen) eingerichteten „Jungfamilienfonds“ können auf Ansuchen des betreffenden Elternteils gewährt werden, wenn eine Leistung nach § 1 KBGG für ein von 1. 1. 2012 bis 28. 2. 2017 geborenes Kind bezogen wurde und ausschließlich aufgrund der Versäumung der Vorlagefrist nach § 8 Abs 1 und 2 KBGG zurückgezahlt wurde oder zurückzuzahlen ist (§ 2 JFFG).

[26]           3.6 Zugleich wurde § 50 Abs 24 KBGG in das KBGG eingefügt. Die Sätze 1, 2 und 3 dieser Bestimmung lauten wie folgt:

„Für Geburten von 1. Jänner 2012 bis 28. Februar 2017 kann der Nachweis der Abgrenzung der Einkünfte nach § 8 Abs. 1 Z 2 des Elternteils, der das pauschale Kinderbetreuungsgeld, das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens und die Beihilfe zum Kinderbetreuungsgeld bezogen hat, bis zum 31. Dezember 2025 erbracht werden. Die Krankenversicherungsträger haben in den genannten Fällen, sofern sie im laufenden Prüfverfahren aufgrund der Jahreseinkünfte eine Überschreitung des Grenzbetrages feststellen und andere maßgebliche Einkünfte nach § 8 Abs. 1 Z 2 enthalten sind, den Elternteil individuell auf die Möglichkeit zur Vorlage des Abgrenzungsnachweises hinzuweisen. Der Elternteil hat den Nachweis binnen zwei Monaten vorzulegen, eine spätere Vorlage ist in diesem Fall nicht mehr möglich.“

[27]           Nach der Begründung des Initiativantrags (816/A 26. GP 4) habe sich in der Praxis herausgestellt, dass die zweijährige Frist von den Eltern oftmals irrtümlich versäumt wurde, zumal keine Erinnerung vor dem Fristende erfolgt sei. Für Geburten ab 1. 3. 2017 wurden daher zwei Erinnerungen vorgesehen. Für Geburten von 1. 1. 2012 bis 28. 2. 2017 (für die keine Erinnerungen erfolgten) soll die Frist zur Vornahme der Abgrenzung und zur Vorlage der Abgrenzungsnachweise verlängert werden. Abgrenzungen, die zwar korrekt und richtig sind, aber erstmals nach dem 31. 12. 2025 vorgenommen werden bzw beim Krankenversicherungsträger einlangen, seien endgültig verspätet und werden nicht für die Berechnung des Zuverdienstes herangezogen.

[28]     Zu den Konsequenzen einer etwaigen Versäumung der vom Krankenversicherungsträger gesetzten zweimonatigen Frist lässt sich aus der Begründung des Antrags an den Justizausschuss nichts ableiten.

[29]           3.7 § 50 Abs 24 KBGG richtet sich – wie sich insbesondere aus dem Wortlaut von Satz 2 ergibt – an die im Verwaltungsverfahren tätig werdenden Krankenversicherungsträger, die im Rahmen dieses Verfahrens aufgrund einer Verständigung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse) Kenntnis davon erlangen, dass die Zuverdienstgrenze überschritten wurde. Die in § 8 Abs 1 Z 2 KBGG genannte (gut) zweijährige Frist für die Vorlage der Nachweise wird verlängert. Zugleich soll der Krankenversicherungsträger selbständig erwerbstätige Eltern „als Serviceleistung“ (siehe ErläutRV 1522 BlgNR 24. GP, 5) vor Ablauf der so verlängerten Frist auf die Möglichkeit der Abgrenzung individuell aufmerksam machen. Zur Erbringung des Zuordnungsnachweises wird in Satz 3 angeordnet, dass der Krankenversicherungsträger den Eltern eine Frist von zwei Monaten einzuräumen hat, bei deren Versäumung ein Nachweis nicht mehr berücksichtigt werden soll.

[30]     4.1 Der Rechtsansicht, aufgrund dieser Regelung sei es nunmehr jenen selbstständig erwerbstätigen Kinderbetreuungsgeldbeziehern (endgültig) verwehrt, die Zuordnungsnachweise im sozialgerichtlichen Verfahren nachzubringen, wenn sie im Verwaltungsverfahren auf die Möglichkeit der Erbringung eines Zuordnungsnachweises individuell hingewiesen wurden und die ihnen zu diesem Zweck gesetzte Zweimonatsfrist ungenützt verstreichen lassen haben, steht weiterhin entgegen, dass damit keine Anspruchsberechtigung bzw kein Anspruchsverlust geregelt wird. Das aufgrund einer Bescheidklage im Rahmen der sukzessiven Zuständigkeit angerufene Gericht hat eigenständig über den Anspruch zu entscheiden. Der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist nach ständiger Rechtsprechung nicht auf die Überprüfung der Richtigkeit des bekämpften Bescheids beschränkt. Es hat vielmehr selbständig und unabhängig vom Verfahren vor dem Versicherungsträger auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz den durch die Klage geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch zu überprüfen (RS0085839; RS0106394).

[31]           4.2 Demnach ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens – auch nach Inkrafttreten des neu geschaffenen § 50 Abs 24 KBGG – die Beurteilung der Frage, ob der von der beklagten Partei geltend gemachte Rückforderungsanspruch wegen Überschreitens der Zuverdienstgrenze – bezogen auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz – zu Recht besteht. Die Rechtsansicht, dass sich das sozialgerichtliche Verfahren auf die Frage der Versäumung der Zweimonatsfrist im Verwaltungsverfahren zu beschränken habe, liefe auf eine – nicht gegebene – partielle Bindung der Gerichte an Teilergebnisse des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens hinaus (vgl RS0106394; Fink, Die sukzessive Zuständigkeit in Verfahren in Sozialrechtssachen [1995] 45 mwN).

[32]     5. Nach den im Gerichtsverfahren getroffenen Feststellungen hat der Kläger während des Bezugszeitraums des Kinderbetreuungsgeldes im Jahr 2015 keine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielt, die die damals geltende Zuverdienstgrenze des § 24 Abs 1 Z 3 KBGG objektiv überschritten hätten. Wie sich im sozialgerichtlichen Verfahren nach der Abgrenzung der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit herausgestellt hat, ist der Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 Satz 2 KBGG nicht erfüllt.

[33]     6. Die Beklagte hat zusätzlich auch den Rückforderungstatbestand der Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 31 Abs 2 3. Fall KBGG geltend gemacht:

[34]     6.1 Nach diesem Tatbestand besteht eine Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung auch dann, wenn die zur Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte (§§ 8, 8b KBGG) erforderliche Mitwirkung trotz Aufforderung innerhalb angemessener Frist verweigert wird.

[35]     6.2 Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zu § 31 KBGG ergibt, wird das Erfordernis der persönlichen Mitwirkung der Bezieher/innen nur in Ausnahmefällen gegeben sein, da grundsätzlich den Krankenversicherungsträgern von den Finanzbehörden auf Anfrage die Daten für die Ermittlung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte elektronisch übermittelt werden. Die Mitwirkung wird aber etwa dann erforderlich sein, wenn die betreffende Person mit ihren Einkünften unter der Steuergrenze liegt und die Finanzbehörde über keine Daten verfügt (ErläutRV 248 BlgNR 22. GP, 3).

[36]           6.3 Die Rückforderung ist daher auf jene Fälle beschränkt, in denen die Krankenversicherungsträger ohne die entsprechende Mitwirkung zur Feststellung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte nicht in der Lage sind (Burger-Ehrnhofer, KBGG³ § 31 Rz 17).

[37]     6.4 Im vorliegenden Fall war der Krankenversicherungsträger vom Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte bereits in Kenntnis, da ihm dieser Betrag durch die Abgabenbehörde mitgeteilt worden war. Nicht klar war im Verwaltungsverfahren nur, ob der Kläger die Wahlmöglichkeit der Abgrenzung seiner Einkünfte in Anspruch nehmen wird. Dass der Elternteil von der Wahlmöglichkeit keinen Gebrauch macht, ohne gegenüber dem Krankenversicherungsträger die dafür gegebenen Gründe offen zu legen, kann daher keine Verletzung einer verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflicht darstellen, die den Krankenversicherungsträger an der Feststellung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte hindern könnte und aus diesem Grund zur Rückforderung der empfangenen Leistung führt. Aus der Nichtinanspruchnahme dieser Wahlmöglichkeit folgt lediglich, dass der Krankenversicherungsträger von dem ihm bereits vorliegenden Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte ausgehen kann und auf Grundlage dieses Verfahrensergebnisses den Rückforderungsbescheid erlässt.

[38]           7. Demnach führt das Verhalten des Klägers im Verwaltungsverfahren nicht dazu, dass er seinen Leistungsanspruch trotz der später (im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens) vorgenommenen Abgrenzung seiner Einkünfte verliert.

[39]           8. Der Revision der Klägers ist daher Folge zu geben. Die Urteile der Vorinstanzen sind dahin abzuändern, dass der von der Beklagten erhobene Anspruch auf Rückersatz des im Zeitraum von 4. 7. 2015 bis 3. 9. 2015 geleisteten Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von 4.092 EUR nicht zu Recht besteht.

[40]     9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Für die Kostenberechnung ist von einem Streitwert in Höhe des Rückersatzanspruchs von 4.092 EUR auszugehen (RS0085754). Ob der Kläger im Fall der Nichtvornahme der Abgrenzung seiner Einkünfte im Verwaltungsverfahren Anspruch auf Ersatz der Kosten der Klage hat (siehe dazu Sonntag in Sonntag/Schober/Konecny, KBGG³ § 32 Rz 5), kann dahingestellt bleiben, weil der (damals unvertretene) Kläger keinen Kostenersatz für die Klage beansprucht hat.

Textnummer

E133381

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00119.21D.1019.000

Im RIS seit

03.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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