Entscheidungsdatum
25.11.2021Norm
B-VG Art130 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Tanzl als Einzelrichterin über die Beschwerde der A, vertreten durch RA B Rechtsanwaelte GmbH, in ***, ***, gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bei einer Amtshandlung durch Polizeiorgane der Landespolizeidirektion Niederösterreich am 17.06.2021 am Flughafen ***, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht:
1. Die Beschwerde, die Beschwerdeführerin sei bei Entzug einer Aufenthaltsberechtigungskarte durch Verweigerung der Anwendung der Ausnahmebestimmungen des § 20 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) bei Einreise nach Österreich in ihren Rechten verletzt worden, wird gemäß § 28 Abs. 6 Verwaltungsgerichtsverfahrens-gesetz (VwGVG) abgewiesen.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
3. Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Inneres) gemäß § 35 VwGVG i.V.m. der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II 2013/517, € 887,20 (Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand) binnen zwei Monaten ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
1. Zum Beschwerdevorbringen:
Die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin bring in ihrer Beschwerde vor, dass sie am 17.06.2021 versucht habe von Russland kommend am Flughafen *** nach Österreich einzureisen. Bei der Grenzkontrolle haben sie der Polizeibeamte C an der Einreise gehindert und zur Rückreise nach Russland verhalten. Als Grund dafür sei § 20 Abs. 4 NAG angegeben worden. Sie verfüge über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“. Dieser hätte nicht ex lege erlöschen dürfen, obwohl sie länger als zwölf aufeinander folgenden Monate im Ausland gewesen sei, da in ihrem Fall besonders berücksichtigungswürdige Gründe vorgelegen seien. Zum einen sei es ihr auf Grund der Corona-Pandemie nicht möglich gewesen früher nach Österreich einzureisen, zum anderen sei ihre Mutter krank und sie hätte sie pflegen müssen. Das Polizeiorgan hätte diese berücksichtigungswürdigen Gründe bei der Einreisekontrolle entsprechend werten und ihr die Einreise gewähren müssen.
Ergänzend führte sie, auf Nachfrage des erkennenden Gerichts worin die konkret bekämpfte Maßnahme genau liege, aus, dass der Nationalrat am 17.06.2021 eine Gesetzesänderung des § 20 Abs. 4 NAG beschlossen hätte (welche mit 30.06.2021 kundgemacht worden sei), durch welche der Aufenthaltstitel nicht ex lege erlösche, wenn vor Einreise nicht um Verlängerung angesucht würde. Das Polizeiorgan hätte bereits am Tag des Beschlusses des Nationalrates diese neue Gesetzeslage anwenden müssen. Wenn sie 14 Tage später nach Österreich eingereist sei, wäre die Gesetzesänderung bereits in Kraft gestanden und ihr Aufenthaltstitel nicht erloschen. Eine derartige Ungleichbehandlung können nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein, sondern hätte das Polizeiorgan im Sinne einer Vorwirkung des Gesetzes bereits entsprechend des Nationalratbeschlusses agieren müssen.
2. Zum Vorbringen der belangten Behörde:
Die belangte Behörde führte in ihrer Stellungnahme vom 06.08.2021 aus, dass die Beschwerdeführerin seit 07.05.2020 nicht mehr im EWR-Raum aufhältig gewesen sei, ihr Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ daher ex lege nach 12 Monaten erloschen sei. Die Vorgehensweise der Polizeiorgane sei daher rechtmäßig gewesen. Berücksichtigungswürdige Gründe für einen längeren Aufenthalt im Ausland hätten nur dann beachtet werden können, wenn zuvor durch die Beschwerdeführerin eine entsprechende Information an die zuständige Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde ergangen sei, was gegenständlich nicht der Fall gewesen sei.
3. Feststellungen:
3.1. Die Beschwerdeführerin reiste am 06.05.2020 aus Österreich nach Russland aus. Sie stand damals im Besitz des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“.
3.2. Am 17.06.2021 reiste sie von Russland am Flughafen *** nach Österreich ein ohne sich davor mit einer Botschaft oder der zuständigen Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde bezüglich ihrer geplanten Einreise in Verbindung gesetzt zu haben. Im Zeitraum zwischen 06.05.2020 und 17.06.2021 hielt sich die Beschwerdeführerin in keinem Land der EU oder des EWR auf.
3.3. An der Staatsgrenze wurde sie einer Dokumenten- und Personenkontrolle unterzogen. Bei dieser übergab die Beschwerdeführerin der Grenzpolizeiassistentin D ihre Karte über den Nachweis ihrer Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“ sowie ihren Reisepass. Bei der Dokumentenkontrolle stellte D fest, dass seit dem letzten Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich mehr als 12 Monaten vergangen waren.
3.4. Die Polizeiorgane C und E wurden der Amtshandlung hinzugezogen. D übergab die Dokumente C, welcher vor Ort nochmals die Ein- und Ausreisedaten kontrollierte und sodann gemeinsam mit seiner Kollegin die Beschwerdeführerin in ihre Diensträumlichkeiten brachte. Die Beschwerdeführerin informierte die Polizeiorgane darüber, dass sie aufgrund der Corona-Pandemie und ihrer erkrankten Mutter nicht früher nach Österreich einreisen hätte können. Sie führte auch auf Nachfrage aus, dass sie sich vor ihrer Einreise nicht mit der zuständigen Behörde in Verbindung gesetzt hatte. Die Polizeiorgane hielten Rücksprache mit ihrer vorgesetzten Stelle und erhielten von der Amtsdirektorin F die Auskunft, dass der Aufenthaltstitel ex lege erloschen und die Karte daher einzuziehen sei. Die Karte wurde daraufhin intern an die zuständige Stelle weitergeleitet und der Beschwerdeführerin eine Bestätigung über die Einziehung ihrer Aufenthaltskarte ausgehändigt.
3.5. Die Beschwerdeführerin wurde in den Sondertransitbereich verbracht und reiste am nächsten Tag nach Russland aus.
4. Beweiswürdigung
Die Feststellungen gründen auf der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2021, in welcher Beweis erhoben wurde durch (Verzicht auf) Verlesung des Gerichtsaktes sowie Einvernahme der Beschwerdeführerin und der Zeugen E, C und D.
Bezogen auf die einzelnen Punkte der Feststellungen, wurden folgende Überlegungen der Beweiswürdigung zugrunde gelegt:
Unstrittig sind die Aus- und Einreisedaten nach Österreich und Russland sowie die Angaben über den Aufenthaltstitelt der Beschwerdeführerin. Diese führte selbst aus, dass sie im relevanten Zeitraum in keinem Land der EU oder des EWR war und die Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde vorab nicht von ihrer Einreise informierte (Punkt 3.1., 3.2. und 3.5.).
Hinsichtlich der konkreten Angaben zur Amtshandlung der Zeugin D (Punkt 3.3.) wurden ihre eigenen Angaben den Feststellungen zu Grunde gelegt. Diese führte für das erkennende Gericht nachvollziehbar und glaubwürdig aus, wie sie ihre Aufgaben üblicherweise erfüllt und konnte sich auch noch an die konkrete Amtshandlung erinnern. Die Beschwerdeführerin ist der Schilderung der Zeugin nicht entgegengetreten und bestätigte etwa, dass sie der Zeugin nach Aufforderung ihrer Karten über ihren Aufenthaltstitel und ihren Reisepass aushändigte.
Die Feststellungen zur Amtshandlung der Polizeiorgane (Punkt 3.4.) ergeben sich aus den in den wesentlichen Punkten deckungsgleichen Ausführungen der beiden Zeugen selbst. Die Beschwerdeführerin trat diesen Schilderungen in ihren Ausführungen auch nicht entgegen.
5. Rechtslage:
§ 20 Abs. 4 NAG, BGBl. I Nr.100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018 (außer Kraft getreten am 30.06.2021), lautet (Hervorhebung nicht im Original):
Ein Aufenthaltstitel nach Abs. 3 erlischt, wenn sich der Fremde länger als zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält. Aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen, wie einer schwerwiegenden Erkrankung, der Erfüllung einer sozialen Verpflichtung oder der Leistung eines der allgemeinen Wehrpflicht oder dem Zivildienst vergleichbaren Dienstes, kann sich der Fremde bis zu 24 Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhalten, wenn er dies der Behörde vorher mitgeteilt hat. Liegt ein berechtigtes Interesse des Fremden vor, hat die Behörde auf Antrag festzustellen, dass der Aufenthaltstitel nicht erloschen ist. Der Nachweis des Aufenthalts im EWR-Gebiet obliegt dem Fremden.
§ 20 Abs. 4 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2021 (in Kraft getreten am 01.07.2021), lautet:
Ein Aufenthaltstitel nach Abs. 3 erlischt, wenn sich der Fremde länger als zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält. Aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen, wie einer schwerwiegenden Erkrankung, der Erfüllung einer sozialen Verpflichtung oder der Leistung eines der allgemeinen Wehrpflicht oder dem Zivildienst vergleichbaren Dienstes, kann sich der Fremde bis zu 24 Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhalten. Liegt ein berechtigtes Interesse des Fremden vor, hat die Behörde auf Antrag festzustellen, dass der Aufenthaltstitel nicht erloschen ist. Der Nachweis des Aufenthalts im EWR-Gebiet obliegt dem Fremden.
§ 10 Abs. 5 NAG lautet:
Ungültige, gegenstandslose oder erloschene Dokumente sind der Behörde abzuliefern. Jede Behörde, die eine Amtshandlung nach einem Bundesgesetz führt, ist ermächtigt, abzuliefernde Dokumente einzuziehen; Staatsbürgerschaftsbehörden sind hiezu verpflichtet. Ebenso sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, abzuliefernde Dokumente einzuziehen; diese sind der Behörde unverzüglich vorzulegen.
6. Erwägungen:
Gegenständlich ist die Frage zu klären, ob der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ der Beschwerdeführerin bei ihrer Wiedereinreise nach Österreich mehr als
12 Monate nach ihrer letzten Ausreise aus dem EU-/EWR-Raum ex lege erloschen ist und damit die Einziehung ihrer Aufenthaltskarte rechtmäßig war.
Aufgrund der zum Zeitpunkt der Amtshandlung am 17.06.2021 in Kraft stehenden gesetzlichen Bestimmung des § 20 Abs. 4 NAG, wonach ein Aufenthaltstitel jedenfalls ex lege erlöscht, wenn nicht vor einer in diesem Sinne verspäteten Rückkehr mit der Niederlassungs-und Aufenthaltsbehörde Kontakt aufgenommen wird, ist die Rechtsmäßigkeit der Handlung der einschreitenden Polizeiorgane evident. Das Beweisverfahren hat eindeutig ergeben, dass sich die Beschwerdeführerin länger als 12 Monate im EU-/EWR-Ausland aufhielt und dies der zuständigen Behörde vor ihrer Rückkehr nach Österreich nicht bekannt gab. Die Polizeiorgane konnten daher vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Rechtslage die Karte über den Aufenthaltstitel gemäß § 10 Abs. 5 NAG einziehen.
Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe, die sie an der rechtzeitigen Einreise gehindert hätte, hätten vor ihrer Einreise der Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde bekannt gegeben werden müssen. Bei der bereits erfolgten Einreise konnten sie nicht mehr von den zuständigen Beamten beachtet werden.
Daran vermag auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin nichts zu ändern, dass kurz nach ihrer versuchten Einreise eine Gesetzesänderung beschlossen wurde, wonach auch eine maximal 24-monatige Abwesenheit den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Grunde nicht zum Erlöschen bringt.
Diese gesetzliche Änderung trat am Tag nach der Kundmachung vom 30.06.2021 ohne Übergangs- oder Rückwirkungsbestimmungen in Kraft und gilt daher für alle Einreise ab dem 01.07.2021. Dem Argument einer wie von der Beschwerdeführerin vorgebrachte „Vorwirkung“ des Gesetzes kann schon vor dem Hintergrund, dass zum Zeitpunkt der Amtshandlung am 17.06.2021 lediglich der Beschluss des Nationalrates über die sodann in Kraft getretene Änderung vorlag, kein Erfolg beschieden sein. Weder lag zu diesem Zeitpunkt bereits ein Beschluss des Bundesrates (dieser erfolgte am 24.06.2021) noch die Unterfertigung durch den Bundespräsidenten und die Gegenzeichnung des Bundeskanzlers für diesen Gesetzesbeschluss des Nationalrates vor. Vom Vorliegen eines (allfällig noch nicht in Geltung stehenden) Gesetzes kann in Anbetracht der verfassungsrechtlich zwingend vorgesehenen Schritte bis zur dessen Verbindlichkeit nicht einmal ansatzweiße gesprochen werden. Im Gegenteil: Hätten die Polizeiorgane der Beschwerdeführerin einzig bezugnehmend auf einen Gesetzesbeschluss des Nationalrates ohne Vorliegen eines Aufenthaltstitels, Visums oder einer gültigen gesetzlichen Ermächtigung die Einreise in das Bundesgebiet gestattet, hätten sie rechtswidrig agiert.
Eine Rechtswidrigkeit im Verhalten der einschreitenden Organe bei Einziehung der Aufenthaltskarte der Beschwerdeführerin kann daher nicht festgestellt werden und war die Maßnahmenbeschwerde aus diesem Grund abzuweisen.
Zu den Kosten:
Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren nach Art. 130 Abs. 1 Z 2
B-VG obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die belangte Behörde die unterlegene Partei (Abs. 2). Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (Abs. 3).
Gemäß § 35 Abs. 6 VwGVG gelten die §§ 52 bis 54 VwGG auch für den Aufwandersatz nach Abs. 1.
Im vorliegenden Fall ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin als unterlegene Partei zu betrachten und zur Kostentragung zu verpflichten ist. Neben dem Vorlageaufwand (€ 57,40) war daher der Schriftsatz- (€ 368,80) sowie der Verhandlungsaufwand (€ 461,--) zuzuerkennen (zum Zuspruch von Kosten von Pauschalbeträgen vgl. VwGH am 25.05.2016 zu Zl. Ra 2016/11/0042).
7. Unzulässigkeit der Revision
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil für die gegenständlich zu lösende Frage eine aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut erkennbare klare Rechtslage vorliegt.
Schlagworte
Maßnahmenbeschwerde; Einreise; Aufenthaltstitel; Aufenthaltskarte; Einziehung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.M.45.001.2021Zuletzt aktualisiert am
30.12.2021