Entscheidungsdatum
21.06.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L518 2192327-1/21E
SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 06.04.2021 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. ARMENIEN, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, vom 09.03.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.04.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Die beschwerdeführende Parte (in weiterer Folge kurz als „bP“ bezeichnet), eine Staatsangehörige von Armenien, stellte am 04.07.2017 den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ gemäß § 56 Abs. 1 AsylG. Dies nachdem sie mehrfach nach der Einreise 2009 Aufenthaltstitel als Schüler und Student erhalten hat, jedoch diese zuletzt nicht mehr erteilt wurden.
Begründend wurde ausgeführt, dass sie in einer besonderen Situation sei, da ihr die zuständige Niederlassungsbehörde keinen Titel mehr erteilt habe, sie aber seit über 7 Jahren in Österreich aufhältig sei. Er erfülle die Voraussetzungen nach § 56 AsylG, könne bei Erteilung eines Aufenthaltstitels ein ausre
I.2. Der belangten Behörde (bB) wurden ein Schreiben über eine illegale Beschäftigung der bP und Bescheide der Niederlassungsbehörde übermittelt, welche Aktenbestandteile sind.
I.3. Mit Verbesserungsauftrag vom 04.07.2017 wurde die bP aufgefordert, eine Geburtsurkunde, einen Nachweis der ortsüblichen Unterkunft und Nachweise über einen Rechtsanspruch auf Unterhalt vorzulegen.
I.4. Am 03.07.2017 langte ein schriftlicher Antrag der bP ein, in welchem ausgeführt wurde, sie sei bemüht gewesen, ihr Studium abzuschließen, verfüge über eine Sozialversicherung und ortsübliche Unterkunft, zahle Steuern und habe mit Beschäftigungsbewilligung gearbeitet. Sie spreche Deutsch auf Niveau B2 und habe sich in den vergangenen 7 Jahren in Österreich Bindungen aufgebaut. Sie pflege eine alte, kranke Frau und sei ehrenamtlich in der armenischen Kirchengemeinde tätig. Vorgelegt wurden eine Deutschprüfungsbestätigung, die Belegung von Kursen am musischen Konservatorium in Österreich, musische Diplome aus Armenien, Versicherungsdatenauszug, Aufenthaltstitel der kranken Frau, Bestätigung über die Mitgliedschaft in der armenischen Kirche, Bestätigung über künstlerische Betätigung in Projekten, Beschäftigungsbewilligungen für die bP als geringfügig Beschäftigte, Geburtsurkunde, Wohnrechtsvereinbarung zwischen der bP und XXXX (AS 69).
I.5. Die niederschriftliche Einvernahme vor der bB fand am 07.11.2017 statt.
Dabei gab die bP an:
F: Wie heißen Sie, wann und wo sind Sie geboren?
A: Ich heiße XXXX geboren. Ich bin in Armenien in Erewan geboren und ich bin StA. dieses Landes.
F: Haben Sie Dokumente mitgebracht?
A: Ich habe einen gültigen armenischen Reisepass, eine Geburtsurkunde, B2 Deutschzeugnis …
Anm.: Alle diese Dokumente befinden sich bereits im Akt, in die deutsche Sprache übersetzt.
F: In Ihrem Antrag schreiben Sie, Sie haben gegen den Bescheid der XXXX Berufung eingelegt?
A: Ja, das war bei dem ersten Antrag (abgelehnt am 21.07.2016) für den Zweck „Studierender“. Die Berufung wurde auch abgelehnt.
F: Dies war im Jahr 2016. Warum haben Sie zuvor keine Studienerfolge nachgewiesen? Da waren Sie bereits seit 7 Jahren in Österreich.
A: Ich habe nur die Studienerfolge für den letzten Semester nicht nachweisen können.
F: Warum wurde Ihr zweiter Antrag auf die Erteilung eines AT zum Zweck „Schüler“ bei der XXXX abgelehnt?
A: Man hat mir gesagt, dass ich keinen Antrag vom Inland aus stellen darf.
F: Wie sieht es jetzt aus, haben Sie das Studium Deutsche Philologie schon abgeschlossen?
A: Nein.
F: Zwischen den ersten negativen Bescheid der XXXX (vom 21.07.2016) und den zweiten negativen Bescheid vom XXXX (vom 12.05.2017) ist fast ein Jahr vergangen. In dieser Zeit befanden Sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet und mussten ausreisen, da Sie nicht im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels waren. Der letzte AT war gültig bis 11.07.2016. Was sagen Sie dazu?
A: Ich wollte hier bleiben, ich bin integriert, ich habe mich bemüht, die Prüfungen zu machen.
Ich habe Schwierigkeiten gehabt, ich konnte mich nicht konzentrieren.
F: Warum haben Sie den Antrag gem. § 56 Abs. 1 AsylG bei BFA gestellt?
A: Wie gesagt, ich habe vieles gemacht. Ich habe mich hier integriert und ich wollte in Österreich weiter leben und studieren und arbeiten.
F: Wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt in den letzten 7 Jahren bestritten?
A: Ich hatte mein Geld.
Nachgefragt gebe ich an, meine Eltern haben mich unterstützt. Das war verschieden, meine Eltern haben eingezahlt auf das armenische Konto und ich habe hier das Geld abgehoben.
F: Wie bestreiten Sie jetzt Ihren Lebensunterhalt?
A: Ich wohne bei einer alten Damen, diese Pflege ich und dort wohne ich kostenlos. Derzeit darf ich nicht arbeiten.
F: Haben Sie eine aufrechte und alle Risiken deckende Krankenversicherung?
A: Ja, ich habe E-Card Nr. XXXX . Ich bin selbstversichert.
F: Wie sind Ihre Familienverhältnisse?
A: Nein, ich habe keine Familie in Österreich. Meine Eltern und mein Bruder leben in Armenien.
F: Welche abgeschlossene Ausbildung in Armenien haben Sie?
A: Ich habe akademischen Gesang an der Musikuniversität in Armenien studiert.
F: Wie bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?
A: Wie schon gesagt, ich lebe bei dieser alten Dame, essen bekomme ich dort.
Nachgefragt gebe ich an, dass meine Familie mir zu Zeit kein Geld schickt. Zuletzt z.B. im Juni oder Juli 2017.
F: Wo nehmen Sie Unterkunft?
A: wie oben. Das ist eine Mietwohnung der Dame, sie heißt XXXX , dort bewohne ich ein Zimmer in einer 3-Zimmer Wohnung. Ich zahle auch für die Kosten wie Heizung, Strom, Wasser etc. nichts. Im Gegenleistung für die Pflege der alten Dame.
F: Haben Sie Schulden, offene Kredite,…?
A: Keine.
F: Haben Sie enge Freunde in Österreich?
A: Ich habe Freunde hier aus verschiedenen Ländern, armenische aber auch österreichische.
F: Haben Sie Familie, Angehörige in einem anderem Schengen Staat oder im EU Raum?
A: Nein.
F: Was hätten Sie im Falle einer Rückkehr nach Armenien zu befürchten?
A: Ich weiß nicht. Ich kann es nicht sagen.
F: Sind Sie Mitglied in irgendeinen Verein?
A: Ich bin ein Mitglied in einer armenischer Kirche.
F: Sind Sie strafrechtlich verurteilt worden ?
A: Nein.
F: Haben Sie einen Deutschkurs absolviert?
A: Ja, B2 Kurs habe ich positiv abgeschlossen.
Anm.: Die Partei spricht gut Deutsch.
F: Was machen Sie in der Freizeit?
A: Ich übe singen und Deutsch. Ich bin fast immer mit der alten Dame, Sie hat Demenz und Krebs, ich pflege die alte Dame und kann Sie nicht viel allein lassen.
F: Hat diese Dame Familie in Österreich?
A: Ihre drei Töchter leben in USA, Ihre zwei Söhne leben nicht mehr. Zuvor hat sich ihre Freundin um sie gekümmert. Die Dame ist eine iranische StA. (armenischer Herkunft) mit einem EU-Daueraufenthaltskarte.
F: Sind Sie bereit nach Armenien freiwillig auszureisen?
A: Ich will eine Beschwerde einbringen, wenn ich das Land verlassen muss.
F: Sind Sie in den letzten Jahren, seit 2011 gereist, waren Sie in Armenien?
A: Ich war einmal in Armenien bei den Eltern, ich glaube das war im Jahr 2012.
Anm.: Stempel im Reisepass XXXX .2012.
Entscheidung
Seitens der Behörde ist beabsichtigt, Ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen, gem. § 56 Abs.1 AsylG negativ zu entscheiden.
Sie sind nicht im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels. Der letzte Aufenthaltstitel war gültig bis 11.07.2016. Sie befinden sich seit über einem Jahr nicht legal in Österreich. Sie müssen ausreisen und Österreich verlassen.
Ihnen wird keine Verfahrensanordnung zur verpflichtenden Rückkehrberatung ausgefolgt. Ihnen wird zur Kenntnis gebracht, dass Sie mit dem VMÖ Kontakt aufnehmen können, möglicherweise kann das VMÖ Sie bei Ihrer Rückkehr unterstützen.
Ihnen wird zur Kenntnis gebracht, dass Ihr weiterer rechtswidriger Aufenthalt im Bundesgebiet eine verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit im Sinne des § 120 Abs. 1a FPG nach sich ziehen würde.
Es wird Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass das Verfahren aufgrund der Entscheidungsreife geschlossen wird.
Der Bescheid wird Ihnen postalisch ausgefolgt.
Sollten Sie Ihrer Ausreise nicht unverzüglich nachkommen, wird Ihre Außerlandesbringung zwangsweise durchgeführt werden.
Ihr Reisepass wird gemäß § 39 BFA VG sichergestellt und bleibt bei der Behörde.
Ich habe alles verstanden und nichts mehr hinzuzufügen.
F: Möchten Sie noch etwas angeben?
A: Ja. Ich möchte mich beschweren. Und eine Kopie der Niederschrift hätte ich auch gerne.
Niederschrift werde ich Ihnen aber nicht unterschreiben.
Festgehalten wurde von der bB, dass am Ende der Einvernahme, als die beabsichtigte Entscheidung der Behörde – Abweisung des Antrages bekanntgegeben wurde sich die bP sehr unkooperativ verhielt, herum schrie, dass sie keinesfalls ausreisen wird und die Unterschrift auf der Niederschrift verweigert hat.
Daraufhin wurde der Reisepass der VP gemäß § 39 BFA VG sichergestellt und befindet sich im Akt.
Der bP wurde eine Verfahrensanordnung zur Rückkehrberatung ausgehändigt.
I.6. Mit gegenständlich im Spruch ersichtlichen Bescheid des BFA wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV).
Beweiswürdigend wurde von der bB ausgeführt:
- Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Person:
Sie sind armenische Staatsangehörige, ihre Identität steht fest. Sie sind im Besitz eines gültigen Reisepasses.
Nach der ns-Einvernahme am 07.11.2017 verhielten Sie sich unkooperativ, indem Sie nach dem Ende der Amtshandlung laut geworden sind, am Verfahren nicht mitgewirkt haben – die Unterschrift verweigert haben. Weiters schrien Sie herum, dass Sie auf keinen Fall ausreisen werden. Somit wurde ihr Reisepass gem. § 39 BFA VG sichergestellt.
- Betreffend die Feststellungen zu Ihrem Aufenthalt in Österreich:
Im Begründung ihres Antrages gaben Sie an, Sie befinden sich bereits seit über 7 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet und dass Sie nach Österreich kamen, um hier zu studieren. Dem kann die Behörde keinen Glauben schenken, da Sie in den ersten 5 Jahren – seit 07.07.2011 (Datum des ersten Aufenthaltstitels) bis Mai 2017 keinen Studienerfolg nachgewiesen haben. Vielmehr steht in dem Erkenntnis des BvWG Wien vom 25.11.2016, mit welchem ihre Beschwerde gegen negativen Bescheid der XXXX abgewiesen wurde, dass Sie im Studienjahr 2015/2016 (01.10.2015 – 30.09.2016) als ordentliche Studierende zu keinen Prüfungen angetreten sind. Weiters gaben Sie selbst zu, dass das Philologie-Studium für Sie viel zu schwierig sei und auch ihre Deutschkenntnisse reichen nicht aus, um die Materie zu verstehen und die Prüfungen ablegen zu können. Jedenfalls, Sie haben es nicht mal probiert, da Sie zur Prüfungen nicht angetreten sind und keine ECTS-Punkte erworben haben. Zu diesem Zeitpunkt hielten Sie sich bereits seit 5 Jahren im Bundesgebiet und Sie weder einem ordentlichen, noch einem außerordentlichen Studium nachgingen.
Zu ihrem Antrag legten Sie diverse AMS-Bestätigungen, die erste Bescheidausfertigung datiert 10.10.2014. Aus diesen Bescheiden geht hervor, dass Sie mehrfach einen Teilzeitjob von max. 10 Std./Woche ausüben durften. Als Schankgehilfin, Reinigungskraft, Beiköchin, etc.
In ihrem Antrag gaben Sie an, keine strafbare Handlungen begangen zu haben. Dem gegenüber steht eine Anzeige der Finanzpolizei XXXX .2016 – XXXX .2016 ohne erforderliche Beschäftigungsbewilligung für die XXXX tätig waren.
Die Behörde hat klar den Eindruck gewonnen, dass ihr Ziel nach Österreich zu kommen gar kein Studium war, weil Sie diesen Gedanken nie ernsthaft verfolgt und betrieben haben, sondern in Österreich sich auf die Arbeitssuche begaben. Sie arbeiteten sogar eine Zeit lang bis zu ihrer Betretung, illegal.
Am 26.06.2017 meldeten Sie sich im XXXX an und wohnten bei der Frau XXXX . Dies ca. 1 ½ Monaten kurz dem negativen Bescheid der XXXX (Zl. MA35-9/2874535-07) – datiert 21.07.2016 als ersichtlich war, dass Sie keinen weiteren Aufenthaltstitel bekommen.
Zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung ha. am 04.07.2017, hielten Sie sich bereits unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Obwohl Sie sich nicht rechtmäßig in Österreich aufhalten, reisten Sie nicht aus und gaben an, dass Sie „sicher nicht ausreisen werden“. In der Tat, haben Sie sich mit keiner Rückkehrorganisation in Verbindung gesetzt und weigern sich hartnäckig, das Land zu verlassen, indem Sie diverse Anträge bei XXXX und BFA stellten und so versuchen, die Verfahren und ihre Ausreise zu verzögern. Dies ist klar ersichtlich, als die neg. Erkenntnis des BvWG in RK II. Instanz am 25.11.2016 erwuchs, stellten Sie nachher am 03.03.2017 einen neuen Antrag bei XXXX , allerdings mit Zweck „Schüler“ statt „Studierender“.
Die letzten Stempel in ihrem Reisepass sind XXXX .2012 – das ist Datum ihrer Einreise nach Armenien und XXXX .2012 - ihre Ausreise aus Armenien. Ihren Antrag gemäß § 56 Abs. 1 AsylG stellten Sie am 04.07.2017. Wie lange Sie Österreich fernblieben sind steht nicht fest, da ein Schengen-Einreisestempel im Reisepass fehlt. Persönlich machten Sie zur Dauer ihres Aufenthaltes in Armenien keine Angaben. Auch blieben Sie lt. ZMR_Auszug während dieser Zeit behördlich gemeldet. Somit steht fest, dass Sie sich nicht durchgehend, ohne Unterbrechung 5 Jahre lang im Bundesgebiet aufhielten.
- zu Ihrem Privat- und Familienleben
Sie gaben in ihrem Antrag an:
- dass Sie mit Beschäftgungsbewilligung gearbeitet haben
- und haben Sie niemals strafbare Handlungen begangen
- weiters pflegen Sie – ehrenamtlich – Frau XXXX seit fast einem Jahr, also seit ca.
Sommer 2016
- Ihre Selbsterhaltungsfähigkeit ist voll vorhanden
- ihre Deutschkenntnisse sind auf B2 Niveau.
Dem gegenüber stehen folgende Fakten:
ihre illegale Beschäftigung wurde durch die Fin.Polizei zur Anzeige gebracht
in der ns-Einvernahme vom 07.11.2017 gaben Sie an, ihre Familie schickt ihnen zur Zeit kein Geld. Sie wohnen bei einer fast 88-jährigen Frau, die Sie pflegen. Als Gegenleistung wohnen Sie in ihrer Wohnung kostenlos und zahlen auch keine Betriebskosten.
Dies ist keine ehrenamtliche Tätigkeit, da sie diese nicht ohne Entgelt verrichten, sondern muss diese Tätigkeit als illegale Arbeit – Pflegekraft - definiert werden. Somit sind Sie nicht selbsterhaltungsfähig.
Sie sind ein Mitglied der armenischen Kirchengemeinschaft in Österreich.
In Österreich haben Sie keine Familie, oder enge Freunde. Ihre Eltern und ihr Bruder leben in Armenien.
Soziale Ingegration oder andere enge Bindungen zu Österreich konnten nicht festgestellt worden.
- Betreffend die Feststellungen zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:
Armenien zählt zu den sicheren Herkunftsländern. Mit Verordnung des BMI wurde mit Ablauf des 14.02.2018 die Liste der sicheren Herkunftsstaaten um Armenien erweitert.
I.7. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Darin verwies die bP auf ihre Integration und den langjährigen Aufenthalt. Die bP unterstützte 2 ältere Damen unentgeltlich und engagiere sich freiwillig in diversen Projekten, beispielsweise in der armenisch apostolischen Kirche. Sie wirke freiwillig in musikalischen Projekten mit und verfüge durch Unterstützung ihrer Familie über ausreichende Unterhaltsmittel.
Auch eine Krankenversicherung sei vorhanden, die bP nehme keinerlei Sozialleistungen in Anspruch und sei der Bescheid fehlerhaft. Er würde keine Länderfeststellungen enthalten und wäre der bB eine mangelhafte Beweiswürdigung vorzuwerfen. Die illegale Arbeit sei auf ein Versehen ihres Arbeitgebers zurückzuführen.
Der Aufenthalt in Armenien zu Besuchszwecken sei kurz gewesen und hätte rechtlich den durchgängigen Aufenthalt nicht unterbrochen. Die Interessensabwägung hätte dazu führen müssen, dass keine Rückkehrentscheidung erlassen wird. Vorgelegt wurden Unterlagen zur Integration sowie ihren Studienzeiten.
I.8. Mit Dokumentenvorlage vom 15.02.2021, 29.08.2018, 27.07.2018, 26.06.2018 übermittelte die bP eine Vollmacht, eine Vereinbarung über eine zukünftige ehrenamtliche Tätigkeit, Meldezettel, Benützungsentgeltsbestätigungen und Bestätigung über Platz für das Studentenheim aus 2012 - 2013, Wiener Infopass (Absolvierung von Workshops 2018) sowie eine undatierte, einzeilige Einstellungszusage einer Pizzeria.
I.9. Für den 06.04.2021 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Gemeinsam mit der Ladung wurden Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat zugestellt. Ebenso wurde – in Ergänzung bzw. Wiederholung zu den bereits bei der belangten Behörde stattgefundenen Belehrungen - ua. hinsichtlich der Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren manuduziert und wurden die bP aufgefordert, Bescheinigungsmittel vorzulegen. Es konnten mehrfach die Ladungen nicht zugestellt werden und wurde sie letztlich mit der Polizei zugestellt.
Vorgelegt in der Verhandlung wurde von den bP:
- Empfehlungsschreiben der Unterkunftgeberin S mit Aussage, dass bP bei ihr seit ein paar Jahren wohnt
- Deutschkursbestätigung
- Krankenversicherungsbestätigungen
- Bereits vorgelegte Schreiben zur Integration
- Wohnrechtsvereinbarung von A ohne Datum
- Fotos
Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis des BVwG vom selben Tag mündlich verkündet.
Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
Die bP wurde iSd § 29 Abs. 2 a VwGVG über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 4 zu verlangen bzw. darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt, belehrt.
Nach Verkündung der Erkenntnisse wurde der bP sowie deren rechtsfreundlicher Vertretung eine Ausfertigung der Niederschrift ausgefolgt.
Mit Schreiben vom 07.04.2021 wurde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses begehrt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen (Sachverhalt):
II.1.1. Zur Person
Die bP ist armenische Staatsangehörige. Sie studierte in Armenien nach der Schule und schloss ein musikalisches Studium ab.
Sie kam 2009 im Alter von 25 Jahren mit Visum nach Österreich. 2010 ging sie nach Russland, um ihr Visum verlängern zu lassen. Ihren ersten Aufenthaltstitel erhielt sie für den Zweck „Schüler“ am 07.07.2011. Diesen hat sie um ein weiteres Jahr verlängert. Die nächsten drei Aufenthaltstitel erhielt sie für den Zweck „Studierender“, diese waren jeweils ein Jahr gültig, zuletzt gültig bis 11.07.2016.
Der weitere Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Studierender“ bei dem Amt der Wiener Landesregierung XXXX vom 24.05.2016 wurde mit dem Bescheid vom 21.07.2016, rechtskräftig am 01.12.2016 abgewiesen. Das Ermittlungsverfahren hat ergeben, dass die bP keinen Studienerfolg nachweisen konnte, vielmehr zwischen März 2013 und September 2015 nur ein Zeugnis über die Ergänzungsprüfung Deutsch ablegen konnte. Gegen diese Entscheidung erhob sie eine Beschwerde, welche mit dem Erkenntnis des LVwG vom 25.11.2016, RK II. Instanz 25.11.2016, abgewiesen wurde. Das LVwG hielt in seiner Entscheidung fest, dass die bP einen Kontoauszug mit einem Guthaben von EUR 11.151,10 vorgelegt hat. Zudem hat die bP seit der Meldung als ordentliche Studentin der Philologie mit 01.10.2015 keine Prüfungen in dieser Studienrichtung abgelegt, sondern nur eine Deutschprüfung, womit der Studienerfolg eben nicht nachgewiesen wurde.
Der weitere Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Schüler“ bei dem Amt der Wiener Landesregierung XXXX vom 03.03.2017 wurde mit dem Bescheid vom 12.05.2017 abgewiesen, Rechtskraft I. Instanz am 17.06.2017. Ermittlungsverfahren haben ergeben, dass die bP die besonderen Voraussetzungen für die Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels keinesfalls erfüllt. Weiters lag kein Nachweis über einen gesicherten Unterhalt vor.
Die bP hielt sich zwischen 25.11.2016 (RK II. Instanz Erkenntnis LVwG) und 03.03.2017 (erneute Antragstellung bei XXXX ) illegal im Bundesgebiet auf. Seit Abweisung letztgenannten Antrags mit 17.06.2017 hält sich die bP wiederum nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, da der gegenständliche Antrag vor dem BFA gemäß § 58 Abs. 13 AsylG kein Aufenthaltsrecht begründet.
Vom 10.09.2016 bis 14.10.2016 hat sie ohne erforderliche Bewilligung nach dem AuslBG gearbeitet.
Vor Februar 2017 war sie mehrfach geringfügig ua. in der Gastronomie beschäftigt.
Die Identität der bP steht fest.
Die bP hat keine Verwandten in Österreich. Sie lebte bei einer älteren Dame, die sie unterstützte und zahlte keine Miete. Aktuell lebt sie bei einer armenischstämmigen Freundin Fr. XXXX seit 2018 unentgeltlich in deren Gemeindewohnung. Eine Mietvereinbarung oder Wohnrechtsvereinbarung diesbezüglich liegt nicht vor. Sie wird finanziell von ihren in Armenien lebenden Eltern unterstützt. Diese verfügen über mehrere Wohnungen und lebt darüber hinaus noch ein Bruder der bP in Armenien.
Sie verfügt über eine aufrechte Krankenversicherung, jedoch über kein Einkommen. Die bP ist nicht selbsterhaltungsfähig, verfügt aber über eine Einstellungszusage.
Die bP ist in Österreich ehrenamtlich tätig. Sie ist Mitglied in der armenischen Kirchengemeinschaft. Die bP spricht Deutsch auf dem Niveau B2, hat aber noch keine Integrationsprüfung abgelegt, sondern lediglich Workshops im Rahmen des Wiener Infopasses absolviert.
Die bP ist gesund und arbeitsfähig.
Sie ist strafrechtlich unbescholten.
II.1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:
II.1.2.1. Zur abschiebungsrelevanten Lage werden nachstehende Feststellungen getroffen:
Länderspezifische Anmerkungen
Letzte Änderung: 13.11.2020
Sofern nicht anders angegeben, schließen die Themenbereiche des LIB Armenien die Situation in der separatistischen Entität Bergkarabach (Republik Arzach / Nagorny Karabach), die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, nicht ein.
COVID-19
Letzte Änderung: 09.11.2020
Informationen zur COVID-19-Situation in Armenien werden hauptsächlich in diesem Kapitel ihren Eingang finden. Vereinzelte Informationen finden sich jedoch auch in den nachfolgenden Kapiteln.
Aufgrund der derzeitigen Situation in Armenien (siehe dazu auch die KI vom 28.9.2020 betreffend Berg-Karabach) können daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt aktuelle seriöse Informationen zur COVID-19-Situation nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.
Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Reisewarnung (Sicherheitsstufe 6) aufgrund der gegenwärtigen militärischen Kampfhandlungen um die Region Berg-Karabach und der Verhängung des Kriegsrechts. Zur Eindämmung des Coronavirus (COVID-19) wurde bis vorerst 11.01.2021 ein landesweites „Quarantäne-Regime“ erlassen. Weiterhin gelten die Maskenpflicht in allen öffentlichen Räumen und „Social Distancing“ sowie Hygieneregeln für die Geschäftswelt (BmeiA 9.11.2020).
Am 16. März 2020 rief die Regierung Armeniens den Ausnahmezustand aus, der fünf Mal verlängert wurde und am 11.September 2020 durch die Nationale Quarantäne ersetzt wurde, die nun bis 11.1.2021 gilt.
Armenien ist das am stärksten von COVID-19 betroffene Land im Südkaukasus. Trotz der Notsituation funktionieren fast alle Sektoren der armenischen Wirtschaft wieder, nachdem Unternehmen Anfang Mai wiedereröffnen durften, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch abzuwehren.
Das Einreiseverbot in die Republik Armenien für nicht-armenische Staatsbürger vom 17.3.2020 wurde am 12.8.2020 aufgehoben, sofern der Grenzübertritt nicht auf dem Landweg erfolgt.
Der Grenzübertritt auf dem Landweg ist nur für folgende Personen gestattet:
? Armenische Staatsangehörige und ihre Familienangehörigen;
? Nicht-armenische Staatsangehörige mit einem legalen Aufenthaltstitel in Armenien
? Personen diplomatischer Vertretungen, konsularischer Einrichtungen, internationaler Organisationen und ihre Familienangehörige;
? Personen, die zu Beerdigungen und Gedenkfeiern kommen, wenn sie nahe Verwandte des Verstorbenen sind (Eltern, Ehepartner, Kinder, Geschwister)
? Fahrer des internationalen Güterverkehrs, Güterzüge
? Andere Sonderfälle mit spezieller Sondergenehmigung des Kommandanten, Vize-Pemierministers Tigran Avinyan
Die Einreise nach Armenien ist mit einem negativen PCR-Testergebnis aus Österreich, das max. 72 Stunden vor der Einreise gemacht wurde, gestattet. Das Testergebnis soll auf Englisch bzw. Russisch oder Armenisch ausgestellt werden. Alle Einreisenden, die ohne ein dokumentiertes PCR-Testergebnis einreisen, müssen sich auf eigene Kosten einem PCR-Test im Labor am Flughafen unterziehen und sich dort unter Quarantäne stellen bis das Ergebnis bekannt wird. Die Ergebnisse dieser PCR-Tests werden im ARMED-System registriert und der getesteten Person innerhalb von 48 Stunden zur Verfügung gestellt.
Die internationalen regulären Flugverbindungen nach/von Jerewan sind derzeit eingeschränkt. Air France aus Paris und Austrian Airlines aus Wien fliegen Armenien jeweils drei Mal pro Woche an. Da sich die Flugpläne jedoch jederzeit ändern können, ist ständige Überprüfung der aktuellen Situation auf der Homepage von Austrian Airlines notwendig.
Am 19.3.2020 haben die armenischen Behörden ein vorübergehendes Ausfuhr-Verbot für bestimmte medizinische Waren erlassen, um die Versorgung des Landes sicherzustellen und eine weitere Ausbreitung des Coronavirus in Armenien einzudämmen. Das betrifft Güter wie medizinische Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte, COVID-19-Test Kits, Atemschutzmasken, medizinische Masken, Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis und andere Artikel.
Anfang Mai 2020 wurden die Ausgangsbeschränkungen und Reisebeschränkungen innerhalb Armeniens aufgehoben.
Cafés und Restaurants dürfen seit 4.5.2020 im Freien den Betrieb wiederaufnehmen.
Stufenweise ist seit 18. Mai 2020 auch der Indoor-Betrieb in Lokalen sowie in allen Geschäften und Einkaufszentren unter Auflagen erlaubt. Ebenfalls wurde am 18. Mai 2020 der öffentliche Verkehr wiederaufgenommen. Alle Gewerbe- und Industriebetriebe dürfen unter den vorgegebenen Hygiene-und Sicherheitsmaßnahmen wieder öffnen.
Seit Anfang Juni gilt in Armenien eine allgemeine Masken-Pflicht für alle Personen und Kinder ab 6 Jahren an öffentlichen Orten inklusive öffentliche Verkehrsmitteln sowie Taxis.
Alle Schulen und Universitäten sind seit 15. September 2020 unter bestimmten Auflagen und Vorsichtsmaßnahmen wiedereröffnet. Einige Kurse je nach Universität bzw. Hochschule werden jedoch weiterhin online angeboten.
Kindergärten sind seit 18. Mai 2020 wieder geöffnet.
Das Versammlungsverbot wurde beschränkt aufgehoben. Erlaubt sind nun öffentliche und private Versammlungen bei Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern und mit obligatorischen Gesichtsmasken in einem Kreis von max. 60 Personen (WKO 5.11.2020).
Quellen:
BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (9.11.2020): Armenien, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/armenien/, Zugriff 9.11.2020
WKO – Wirtschaftskammer Österreich (5.11.2020): Coronavirus: Situation in Armenien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-armenien.html, Zugriff 9.11.2020
Politische Lage
Letzte Änderung: 02.09.2020
Armenien (arm.: Hayastan) umfasst knapp 29.800 km² und hatte im ersten Quartal 2019 eine Einwohnerzahl von 2,96 Millionen, was einen Rückgang von 0,3% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres ausmachte (ArmStat 7.5.2019). Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier. Den Rest bilden kleinere Ethnien wie Jesiden und Russen (CIA 14.2.2019).
Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 findet in Armenien ein umfangreicher Reformprozess auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene hin zu einem demokratisch und marktwirtschaftlich strukturierten Staat statt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen am 9.12.2018 konnten nach übereinstimmender Meinung aller Wahlbeobachter als frei und fair bezeichnet werden. Die im Dezember 2015 per Referendum gebilligte Verfassungsreform zielt auf den Umbau von einer semi-präsidialen in eine parlamentarische Demokratie ab. Die Änderungen betreffen u.a. eine Ausweitung des Grundrechtekatalogs sowie die weitere Stärkung des Parlaments (auch der Opposition). Das Amt des Staatspräsidenten wurde im Wesentlichen auf repräsentative Aufgaben reduziert, gleichzeitig die Rolle des Premierministers und des Parlaments gestärkt (AA 27.4.2020). Der Premierminister und der Präsident werden vom Parlament gewählt. Der Premierminister ist der Regierungsvorsitzende, während der Präsident vorwiegend zeremonielle Funktionen ausübt (USDOS 11.3.2020).
Oppositionsführer Nikol Paschinjan wurde im Mai 2018 vom Parlament zum Premierminister gewählt, nachdem er wochenlange Massenproteste gegen die Regierungspartei angeführt und damit die politische Landschaft des Landes verändert hatte. Er hatte Druck auf die regierende Republikanische Partei durch eine beispiellose Kampagne des zivilen Ungehorsams ausgeübt, was zum schockartigen Rücktritt Serzh Sargsyans führte, der kurz zuvor das verfassungsmäßig gestärkte Amt des Premierministers übernommen hatte, nachdem er zehn Jahre lang als Präsident gedient hatte (BBC 20.12.2018; vgl. AA 27.4.2020). Bei den als „Samtene Revolution“ bezeichneten Demonstrationen im April/Mai 2018 verhielten sich die Sicherheitskräfte zurückhaltend. Auch die Demonstranten waren bedacht, keinerlei Anlass zum Eingreifen der Sicherheitskräfte zu bieten (AA 27.4.2020).
Am 9.12.2018 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt, welche unter Achtung der Grundfreiheiten ein breites öffentliches Vertrauen genossen. Die offene politische Debatte, auch in den Medien, trug zu einem lebhaften Wahlkampf bei. Das generelle Fehlen von Verstößen gegen die Wahlordnung, einschließlich des Kaufs von Stimmen und des Drucks auf die Wähler, ermöglichte einen unverfälschten Wettbewerb (OSCE/ODIHR 10.12.2018). Die Allianz des amtierenden Premierministers Nikol Paschinjan unter dem Namen „Mein Schritt“ erzielte einen Erdrutschsieg und erreichte 70,4% der Stimmen. Die ehemalige mit absoluter Mehrheit regierende Republikanische Partei (HHK) erreichte nur 4,7% und verpasste die 5-Prozent-Marke, um in die 101-Sitze umfassende Nationalversammlung einzuziehen. Die Partei „Blühendes Armenien“ (BHK) des Geschäftsmannes Gagik Tsarukyan gewann 8,3%. An dritter Stelle lag die liberale, pro-westliche Partei „Leuchtendes Armenien“ unter Führung Edmon Maruyian, des einstigen Verbündeten von Paschinjan, mit 6,4% (RFE/RL 10.12.2018; vgl. ARMENPRESS 10.12.2018).
Zu den primären Zielen der Regierung unter Premierminister Paschinjan gehören die Bekämpfung der Korruption und Wirtschaftsreformen (RFL/RL 14.1.2019; vgl. FH 4.3.2020) sowie die Schaffung einer unabhängigen Justiz (168hours 20.7.2018; vgl. FH 4.3.2020). Seit Paschinjans Machtübernahme hat sich das innenpolitische Klima deutlich verbessert und dessen Regierung geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an, auch wenn immer noch Defizite bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze bestehen (AA 27.4.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020
? ARMENPRESS – Armenian News Agency (10.12.2018): My Step – 70.44%, Prosperous Armenia – 8.27%, Bright Armenia – 6.37%: CEC approves protocol of preliminary results of snap elections, https://armenpress.am/eng/news/957626.html, Zugriff 21.3.2019
? ArmStat - Statistical Committee of the Repbulic of Armenia (7.5.2019): Economic and Financial Data for the Republic of Armenia, https://armstat.am/nsdp/, Zugriff 8.5.2019
? BBC News (20.12.2018):Armenia country profile, https://www.bbc.com/news/world-europe-17398605, Zugriff 21.3.2019
? CIA - Central Intelligence Agency (30.4.2.2019): The World Factbook, Armenia; https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html, Zugriff 7.5.2019
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020, Zugriff 24.4.2020
? OSCE/ODIHR – Organization for Security and Cooperation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights et alia (10.12.2018): Armenia, Parliamentary Elections, 2 April 2017: Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/armenia/405890?download=true, Zugriff 21.3.2019
? RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (10.12.2018): Monitors Hail Armenian Vote, Call For Further Electoral Reforms, https://www.rferl.org/a/monitors-hail-armenia-s-snap-polls-call-for-further-electoral-reforms/29647816.html, 21.3.2019
? RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (14.1.2019): Pashinian Reappointed Armenian PM After Securing Parliament Majority, https://www.rferl.org/a/pashinian-reappointed-armenian-pm-after-securing-parliament-majority/29708811.html, Zugriff 21.3.2019
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020
? 168hours (20.7.2018): Fight against corruption and creation of independent judiciary main pillars of government’s economic policy – PM Paschinjan, https://en.168.am/2018/07/20/26637.html, Zugriff 21.3.2019
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 30.11.2020
Im Ende September 2020 aufgeflammten Konflikt um die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gelang es unter Vermittlung Russlands einen Waffenstillstand zu erreichen. Armenien, das als Schutzmacht für Bergkarabach agiert, stimmte unter massivem Druck der Neun-Punkte-Erklärung zu. In der Erklärung verpflichteten sich die Parteien zu einem vollständigen Einstellen aller Kampfhandlungen auf den zuletzt gehaltenen Positionen. Darüber hinaus werden die von Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre eroberten sieben aserbaidschanische Bezirke rund um Bergkarabach schrittweise bis 1.12.2020 an Baku zurückgegeben. Vier davon gingen bereits im Zuge der Kampfhandlungen seit September weitgehend an Aserbaidschan verloren. Mit der Erklärung wurde ebenso eine russische Peacekeeping-Mission etabliert welche 1.960 Mann umfasst und die den Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie auf Seiten Bergkarabachs sichern soll. Neben den Peacekeepern soll auch ein außerhalb Karabachs befindliches Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe entstehen. Ebenso vereinbart wurde ein Austausch der Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten. Der letzte Punkt der Vereinbarung weist auf die Öffnung aller Wirtschafts- und Transportwege in die Region hin. Dem zufolge muss Armenien Verkehrsverbindungen zwischen den westlichen Regionen der Republik Aserbaidschan und der südwestlich von Armenien gelegenen und an die Türkei grenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan sicherstellen. Der Status von Bergkarabach wurde in der Erklärung offen gelassen (IFK 11.2020).
In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Russlands Präsident Wladimir Putin, sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Alijew und der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan auf eine neue Grenzziehung und die Stationierung eines russischen Militärkontingents zur Sicherung des neuen Status quo im Konflikt um Berg-Karabach geeinigt. Aserbaidschan übernimmt rund die Hälfte des abtrünnigen Gebiets, darunter die zweitgrößte Stadt Schuscha, die strategisch von immenser Bedeutung ist (DerStandard 10.11.2020).
Paschinjan wurde zur Zielscheibe nationalistischen Hasses (DerStandard 10.11.2020). Tausende Menschen demonstrierten in Jerewan gegen die Waffenruhe. Sie beschimpften Paschinian als „Verräter“ und forderten seinen Rücktritt. Hunderte der Demonstranten stürmten den Regierungssitz und das Parlamentsgebäude (Krone 10.11.2020). Die Polizei ging mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Es gab dutzende Festnahmen, auch weil Kundgebungen wegen des geltenden Kriegsrechts und wegen der Coronavirus-Pandemie nicht erlaubt sind. Unter den Festgenommenen waren auch mehrere Parlamentsabgeordnete (DerStandard 11.11.2020 vgl. ZeitOnline 11.11.2020).
Die Türkei und Russland richten ein Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe zwischen Aserbaidschan und Armenien ein. Laut dem türkischen Präsident Tayyip Erdo?an soll das Zentrum "auf von der Besatzung befreitem aserbaidschanischem Gebiet" entstehen. Eine entsprechende Vereinbarung sei unterschrieben worden. Die Türkei werde sich laut Erdogan zusammen mit Russland an Friedenskräften beteiligen, um die Umsetzung der Waffenruhe zu beobachten. Dagegen stellte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erneut klar, dass das Zentrum zum Monitoring der Waffenruhe auf aserbaidschanischem Gebiet angesiedelt werde und nicht in Gebieten in Berg-Karabach, die zuvor von Aserbaidschan erobert worden waren. Er wies abermals zurück, dass auch die Türkei Friedenstruppen entsendet, da eine gemeinsame Mission nicht gesprochen wurde (DerStandard 11.11.2020).
Quellen:
? DerStandard (10.11.2020): Umstrittener Waffenstillstand in Bergkarabach, https://www.derstandard.at/story/2000121604696/umstrittener-waffenstillstand-in-bergkarabach, Zugriff 12.11.2020
? DerStandard (11.11.2020): Erdogan verkündet Einigung auf Überwachung der Feuerpause in Bergkarabach, https://www.derstandard.at/story/2000121627117/erdogan-verkuendet-vereinbarung-zur-ueberwachung-der-waffenruhe-massenproteste-in-armenien, Zugriff 12.11.2020
? IFK – Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (11.2020): Bergkarabach: Neuordnung der regionalen Machtverhältnisse, https://www.bundesheer.at/php_docs/download_file.php?adresse=/pdf_pool/publikationen/ifk_monitor_65_lampalzer_bergkarabach_nov_20_web.pdf, Zugriff 27.11.2020
? Krone (10.11.2020): Einigung auf Waffenruhe in Berg-Karabach, https://www.krone.at/2272372, Zugriff 12.11.2020
? ZeitOnline (11.11.2020): Tausende Armenier protestieren gegen Abkommen mit Aserbaidschan, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-11/bergkarabach-konflikt-armenien-aserbaidschan-abkommen-massenproteste-nikol-paschinjan, Zugriff 12.11.2020
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter ist in Art. 162 und 164 der Verfassung verankert. Die Verfassung von 2015 hat die bisher weitreichenden Kompetenzen des Staatspräsidenten bei der Ernennung von Richtern reduziert. Das Vertrauen in das Justizsystem ist allerdings weiterhin schwach, da die Mehrzahl der Richter ihre Ämter unter der Vorgängerregierung erlangt hat. Die im Oktober 2019 verabschiedete Reform zur Justizstrategie zielt auf einen personellen Wechsel im Justizapparat ab. Verfahrensgrundrechte, wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt. In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es in den letzten Jahren bereits Fortschritte, die Zahl der Pflichtverteidiger wurde erhöht und kostenlose Rechtshilfe kommt einer breiteren Bevölkerung zugute. Die Einflussnahme durch Machthaber auf laufende Verfahren war in der Vergangenheit in politisch heiklen Fällen verbreitet. Die derzeitige Regierung unter Premierminister Paschinjan hat sich von solchen Praktiken distanziert (AA 27.4.2020).
Zwar muss von Gesetzes wegen Angeklagten ein Rechtsbeistand gewährt werden, doch führt der Mangel an Pflichtverteidigern außerhalb Jerewans dazu, dass dieses Recht den Betroffenen verwehrt wird (USDOS 11.3.2020). Richter stehen unter systemischem politischem Druck und Justizbehörden werden durch Korruption untergraben. Berichten zufolge fühlen sich die Richter unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig (FH 4.3.2020). Allerdings entließen viele Richter nach der 'Samtenen Revolution' im Frühjahr 2018 etliche Verdächtige in politisch sensiblen Fällen aus der Untersuchungshaft, was die Ansicht von Menschenrechtsgruppen bestätigte, dass vor den Ereignissen im April/Mai 2018 gerichtliche Entscheidungen politisch konnotiert waren, diese Verdächtigen in Haft zu halten, statt gegen Kaution freizulassen (USDOS 11.3.2020).
Trotz gegenteiliger Gesetzesbestimmungen zeigt die Gerichtsbarkeit keine umfassende Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhängiger. Sie leiden allerdings unter Personalmangel. Nach dem Regierungswechsel im Mai 2018 setzte sich das Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richter fort und einige Menschenrechtsanwälte erklärten, es gebe keine rechtlichen Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz. NGOs berichten, dass Richter die Behauptungen der Angeklagten, ihre Aussage sei durch körperliche Übergriffe erzwungen worden, routinemäßig ignorieren. Die Korruption unter Richtern ist weiterhin ein Problem. Die am 10. Oktober 2019 verabschiedete Strategie für die Justiz- und Rechtsreform 2019-2023 zielt darauf ab, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz und das Justizsystem zu stärken und die Unabhängigkeit der Justiz zu fördern (USDOS 11.3.2020).
Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess vor, aber die Justiz setzt dieses Recht nicht durch. Ebenso sieht das Gesetz die Unschuldsvermutung vor, Verdächtigen wird dieses Recht jedoch in der Regel nicht zugesprochen. Das Gesetz verlangt, dass die meisten Prozesse öffentlich sind, erlaubt aber Ausnahmen, auch im Interesse der 'Moral', der nationalen Sicherheit und des 'Schutzes des Privatlebens der Teilnehmer'. Gemäß dem Gesetz können Angeklagte Zeugen konfrontieren, Beweise präsentieren und den Behördenakt vor einem Prozess einsehen. Allerdings haben Angeklagte und ihre Anwälte kaum Möglichkeiten, die Aussagen von Behördenzeugen oder der Polizei anzufechten. Die Gerichte neigen währenddessen dazu, routinemäßig Beweismaterial zur Strafverfolgung anzunehmen. Zusätzlich verbietet das Gesetz Polizeibeamten, in ihrer offiziellen Funktion auszusagen, es sei denn, sie waren Zeugen oder Opfer (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020, Zugriff 24.4.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst (NSD oder eng. NSS) für die nationale Sicherheit, die Geheimdienstaktivitäten und die Grenzkontrolle zuständig ist (USDOS 11.3.2020, vgl. AA 27.4.2020). Beide Behörden sind direkt der Regierung unterstellt. Ein eigenes Innenministerium gibt es nicht. Die Beamten des NSD dürfen auch Verhaftungen durchführen. Hin und wieder treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 27.4.2020).
Der Sonderermittlungsdienst führt Voruntersuchungen in Strafsachen durch, die sich auf Delikte von Beamten der Gesetzgebungs-, Exekutiv- und Justizorgane beziehen und von Personen, die einen staatlichen Sonderdienst ausüben. Auf Verlangen kann der Generalstaatsanwalt solche Fälle an die Ermittler des Sonderermittlungsdienstes weiterleiten (SIS o.D., vgl. USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020). Der NSD und die Polizeichefs berichten direkt an den Premierminister. NSD, SIS, die Polizei und das Untersuchungskomitee unterliegen demzufolge der Kontrolle der zivilen Behörden (USDOS 11.3.2020).
Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begründeten Verdachts für die Festnahme, nahmen die Behörden gelegentlich Verdächtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begründeter Verdacht vorlag. Nach 72 Stunden muss laut Gesetz die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Angeklagte haben ab dem Zeitpunkt der Verhaftung Anspruch auf Vertretung durch einen Anwalt bzw. Pflichtverteidiger. Die Polizei vermeidet es oft, betroffene Personen über ihre Rechte aufzuklären. Statt Personen formell zu verhaften, werden diese vorgeladen und unter dem Vorwand festgehalten, eher wichtige Zeugen denn Verdächtige zu sein. Hierdurch ist die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne das das Recht auf einen Anwalt eingeräumt wird (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Armenia, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/armenia, Zugriff 16.1.2020
? SIS - Special Investigation Service of Republic of Armenia (o.D.): History http://www.ccc.am/en/1428926241, Zugriff 24.6.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 02.09.2020
Das Gesetz verbietet Folter und andere Formen von Misshandlungen. Dennoch gibt es Berichte, dass Mitglieder der Sicherheitskräfte Personen in ihrer Haft gefoltert oder anderweitig missbraucht haben. Laut Menschenrechtsanwälten definiert und kriminalisiert das Strafgesetzbuch zwar Folter, aber die einschlägigen Bestimmungen kriminalisieren keine unmenschliche und erniedrigende Behandlungen (USDOS 11.3.2020). Menschenrechtsorganisationen haben bis zur „Samtenen Revolution“ immer wieder glaubwürdig von Fällen berichtet, in denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gekommen sein soll. Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 27.4.2020). Gemäß Menschenrechtsanwälten führte die Straffreiheit von Folter in der Zeit vor der „Samtenen Revolution“ dazu, dass Folter weiterhin angewandt wird, wenn auch nun in geringerem Ausmaß, und alte Fälle von Folter werden nicht aufgearbeitet (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 27.4.2020).
Misshandlungen finden auf Polizeistationen statt, die im Gegensatz zu Gefängnissen und Polizeigefängnissen nicht der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Nach Ansicht von Menschenrechtsanwälten gab es keine ausreichenden verfahrensrechtlichen Garantien gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie z.B. den Zugang zu einem Anwalt durch die zur Polizei als Zeugen geladenen Personen sowie die Unzulässigkeit von Beweisen, die durch Gewalt- oder Verfahrensverletzungen gewonnen wurden (USDOS 11.3.2020). In einem Antwortschreiben an das Helsinki Komitee Armeniens bezifferte der Special Investigation Service (SIS) die Anzahl der strafrechtlichen Untersuchungen bezüglich des Vorwurfes von Folter im Zeitraum zwischen dem 1.1. und dem 23.12.2019 auf 4 (HCA 25.2.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020
? HCA – Helsinki Committee of Armenia (25.2.2020): Human Rights in Armenia – 2019 Report, http://armhels.com/wp-content/uploads/2020/02/Ditord-2020Eng_Ditord-2019arm-2.pdf, Zugriff 24.6.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020
Korruption
Letzte Änderung: 02.09.2020
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen bei behördlicher Korruption vor. Das Land hat eine Hinterlassenschaft der systemischen Korruption in vielen Bereichen. Nach der „Samtenen Revolution“ im Mai 2018 eröffnete die Regierung eine Untersuchung, die die systematische Korruption in den meisten Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens aufdeckte und es wurden zahlreiche Strafverfahren gegen mutmaßliche Korruption durch ehemalige Regierungsbeamte und ihre Angehörigen, Parlamentarier und in einigen Fällen auch durch Angehörige der Justiz und ihre Verwandten und einige wenige derzeitige Regierungsbeamte eingeleitet. 2018 machte die Regierung die Korruptionsbekämpfung zu einer ihrer obersten Prioritäten und setzte ihre Maßnahmen zur Beseitigung der Korruption im Laufe des Jahres fort. Obwohl Spitzenbeamte die „Ausrottung der Korruption“ im Land ankündigten, stellten lokale Beobachter fest, dass Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung einer weiteren Institutionalisierung bedürfen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, SWP 5.2020).
Die Regierung unternimmt Schritte, die Antikorruptionsmechanismen des Landes zu stärken. Im Oktober 2019 veröffentlichte sie einen Drei-Jahres-Aktionsplan, der die Schaffung eines neuen Antikorruptionsausschusses bis 2021 vorsieht. Die Regierung plant auch, die bestehende Kommission zur Korruptionsprävention zu stärken (FH 4.3.2020; vgl. SWP 5.2020).
Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2019 von Transparency International belegte Armenien mit 44 Punkten Rang 77 von 180 untersuchten Ländern (TI 23.1.2020), im Vergleich zum Vorjahr mit 35 Punkten und Rang 105 von 180 Staaten (TI 2018).
Quellen:
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020, Zugriff 24.4.2020
? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (5.2020): Korruption und Korruptionsbekämpfung im Südkaukasus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S08_suedkaukasus.pdf, Zugriff 12.6.2020
? TI - Transparency International (2018): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/country/ARM, Zugriff 29.3.2019
? TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019 – Full Data Set, https://files.transparency.org/content/download/2450/14822/file/2019_CPI_FULLDATA.zip, Zugriff 11.2.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 13.3.2020
NGOs und Menschrechtsaktvisten
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die Zivilgesellschaft ist in Armenien aktiv und weitgehend in der Lage, frei zu agieren. Das Gesetz über öffentliche Unternehmen und das Stiftungsrecht wurden kürzlich mit einer Reihe positiver Änderungen verabschiedet, darunter die Möglichkeit, direkt einkommensschaffende oder unternehmerische Aktivitäten durchzuführen; weiters die Möglichkeit von Freiwilligenarbeit sowie die Möglichkeit für Umweltorganisationen, die Interessen ihrer Mitglieder in Umweltfragen vor Gerichten zu vertreten. Es gibt jedoch noch eine Reihe von Herausforderungen. Zum Beispiel die gesetzlichen Bestimmungen in Bezug auf Steuerverpflichtungen im Zusammenhang mit der Erzielung von Einnahmen, das Fehlen klarer Regeln für den Zugang zu öffentlichen Mitteln sowie klarer Regelung für die Verwendung privater Daten. Einschränkungen gibt es für zivilgesellschaftliche Organisationen, die mit sensiblen Themen wie den Rechten von Minderheiten und einigen Gender-spezifischen Fragen arbeiten (OHCHR 16.11.2018). Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fehlen lokale Mittel und sind weitgehend auf ausländische Geber angewiesen (FH 4.3.2020).
Trotz der Einschränkungen war die Zivilgesellschaft bei den Protesten im Jahr 2018 aktiv und w