TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/2 L507 2202023-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.09.2021
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Entscheidungsdatum

02.09.2021

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch


L507 2202023-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, vertreten durch RA Mag. Alexander Fuchs, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenrecht und Asyl vom XXXX ,
Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.12.2020, zur Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14.05.2018 wurde der Beschwerdeführer anlässlich einer gerichtlichen Verurteilung – der Beschwerdeführer wurde am 19.04.2018 wegen §§ 148a Abs. 1, 148a Abs. 1 erster Fall, 148a Abs. 2 zweiter Fall StGB, § 15 StGB, §§ 146, 147 Abs. Z 1, 148 zweiter Fall StGB, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von einem Jahr und drei Monate (bedingt nachgesehen, Probezeit drei Jahre) verurteilt – über die beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig wurden dem Beschwerdeführer Länderinformationen zur Türkei übermittelt und ihm eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme dazu sowie zu seinem Privat- und Familienleben eingeräumt.

2. Am achten 28.05.2018 wurde von der Vertretung des Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme in Vorlage gebracht.

3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von vierzehn Tagen für die freiwillige Ausreise gewährt und gegen den Beschwerdeführer gemäß
§ 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein Einreiseverbot in der Dauer von sieben Jahren erlassen.

4. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 25.06.2018 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen mit Schriftsatz vom 12.07.2018 fristgerecht Beschwere erhoben wurde.

5. Am 22.12.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt:

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist libanesischer Staatsbürger, hält sich seit März 2004 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf und ist seit 16.04.2004 aufrecht in Österreich gemeldet.

Der Beschwerdeführer reiste legal zum Zwecke der Eheschließung in Österreich ein und heiratete am 14.02.2005 seine zum Aufenthalt in Österreich berechtigte Ehegattin. Die Ehegattin des Beschwerdeführers ist tunesische Staatsangehörige und verfügt über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“.

Dieser Ehe entstammen zwei gemeinsame Kinder, die am 27.10.2007 und am 08.03.2010 geboren wurden und tunesische Staatsangehörige sind. Die Kinder des Beschwerdeführers sind zum Aufenthalt in Österreich berechtigt und verfügen über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“.

Der Beschwerdeführer wohnt mit seiner Ehegattin seit 12.10.2004 mit einer Unterbrechung von 16.12.2004 bis 17.02.2005 sowie im Weiteren mit seinen Kindern in einem gemeinsamen Haushalt.

Der Beschwerdeführer verfügte bis 08.12.2018 über einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" und stellte am 09.11.2018 einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels. Darüber wurde bis dato nicht entschieden.

Der Beschwerdeführer ging beginnend mit 12.09.2005, immer wieder unterbrochen durch Zeiten der Bezüge von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung sowie Notstandshilfe, wiederholt Erwerbstätigkeiten in Österreich nach. Seit 03.09.2018 ist der Beschwerdeführer durchgehend als Mitarbeiter bei einer Tankstelle erwerbstätig.

Die Ehegattin des Beschwerdeführers hält sich seit 2001 in Österreich auf, war mit mehreren Unterbrechungen berufstätig und ist seit 01.10.2020 in der Altenbetreuung selbstständig erwerbstätig. Die Kinder des Beschwerdeführers besuchen in Österreich die Volksschule bzw. ein Gymnasium.

Der Beschwerdeführer hat eine Deutschprüfung auf dem Niveau B1 absolviert und spricht auf einem sehr guten Niveau die deutsche Sprache.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 15.06.2009 wurde der Beschwerdeführer wegen
§ 28a Abs. fünfter und sechster Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von fünfzehn Monaten verurteilt, wobei elf Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehen wurden.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 19.04.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen
§§ 148a Abs. 1, 148a Abs. 2 erster Fall, 148a Abs. 2 zweiter Fall StGB, §15 StGB und §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1, 148 zweiter Fall StGB, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, wobei die Strafe auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Das infolge der Verurteilung am 15.06.2009 seitens der BPD XXXX mit Bescheid vom 06.08.2009, Zl. XXXX , gegen den Beschwerdeführer erlassene, auf zehn Jahre befristete, Aufenthaltsverbot wurde mit Erkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates XXXX vom 17.09.2013, Zl. XXXX , aufgehoben.

Im Libanon leben die Mutter sowie ein Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers, mit denen er in Kontakt steht und die er zuletzt 2018 im Libanon besuchte. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über soziale und freundschaftliche Kontakte.

Der Beschwerdeführer spielt Fußball und Basketball in einem Verein und kümmert sich gemeinsame mit seiner Ehegattin um den Haushalt sowie die Kinderbetreuung.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in den Verwaltungsakt des BFA;

- mündliche Verhandlung am 22.12.2020;

- Einsicht in die unter Punkt 2.2. angeführten Dokumente und Unterlagen.

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität des Beschwerdeführers, seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet sowie hinsichtlich seines Aufenthaltstitels ergeben sich aus dem Akteninhalt, den vorgelegten Identitätsdokumenten und dem Fremdenregister.

Die Feststellungen zu den familiären und privaten Verhältnissen des Beschwerdeführers im Libanon und in Österreich gründen sich auf dessen in diesen Punkten glaubwürdigen Angaben im Asylverfahren sowie den vorgelegten Personenstandsurkunden der Ehegattin und der Kinder des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zum Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers, seiner Ehegattin und seiner Kinder gehen aus dem Fremdenregister hervor.

Der gemeinsame Wohnsitz des Beschwerdeführers mit seiner Ehegattin und den gemeinsamen Kindern ist dem zentralen Melderegisters sowie seinen dahingehend nachvollziehbaren Angaben zu entnehmen.

Die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Prüfungszeugnis des Österreichischen Integrationsfonds vom XXXX sowie den persönlichen Wahrnehmungen des Richters in der mündlichen Verhandlung. Die mündliche Verhandlung konnte weitestgehend ohne den anwesenden Dolmetscher durchgeführt werden.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus vorgelegten Gerichtsunterlagen sowie dem Strafregister der Republik Österreich.

Die Feststellungen zur Berufstätigkeit des Beschwerdeführers sowie seiner Ehegattin in Österreich gehen aus den jeweiligen Sozialversicherungsauszügen, dem Unterstützungsschreiben von XXXX (ohne Datum), der Überlassungsmitteilung von XXXX vom 26.07.2019 sowie den dahingehend konstanten Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung hervor.

Die Feststellungen zum mittlerweile aufgehobenen Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer beruhen auf dem Erkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates XXXX vom 17.09.2013, Zl. XXXX .

Dass der Beschwerdeführer über soziale und freundschaftliche Kontakte verfügt sowie sportlich in Vereinen aktiv ist, entspricht seinen dahingehend glaubhaften Angaben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

3.2. Der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 FPG lautet auszugsweise:

(1) bis (3) […]

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1.         nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,
1a.         nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,
2.         ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3.         ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4.         der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5.         das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) bis (11) […]

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA VG lautet wie folgt:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

3.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Der Beschwerdeführer verfügte bis 08.12.2018 über den Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot-Karte plus und stellte am 09.11.2018 einen Antrag auf Verlängerung dieses Aufenthaltstitels.

Gemäß § 24 Abs. 1 NAG sind Verlängerungsanträge vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels einzubringen; dies mit der Wirkung, dass sich der Antragsteller nach Stellung eines Verlängerungsantrages – unbeschadet der Bestimmungen nach dem FPG – bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Hingegen gelten nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels eingebrachte Anträge als Erstanträge. Der vom Beschwerdeführer vor Ablauf der Gültigkeitsdauer der Rot-Weiß-Rot-Karte plus gestellte – und damit rechtzeitige – Antrag auf Verlängerung gilt demnach als "Verlängerungsantrag" im Sinne des § 24 Abs. 1 NAG, was zur Folge hat, dass der Beschwerdeführer bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen "Verlängerungsantrag" ein Aufenthaltsrecht zukommt. Über den Antrag wurde bislang nicht entschieden.

Das BFA hat die Rückkehrentscheidung daher dem Grunde nach zu Recht auf § 52 Abs. 4 FPG gestützt.

Der Beschwerdeführer fällt nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

3.4. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. "legitimate family" bzw. "famille légitime") oder einer unehelichen Familie ("illegitimate family" bzw. "famille naturelle"), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05).

Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Das Zusammenleben und die Bindung von Partnern, die auf einer gleichgeschlechtlichen Beziehung beruhen, fallen jedoch nicht unter den Begriff des Familienlebens iSd. Art. 8 EMRK (EGMR 10.05.2001, Mata Estevez, Zl. 56501/00).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

- die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

- das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

- den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

- die Bindungen zum Heimatstaat,

- die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

- auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u. a., Zl. 26940/10).

"Es trifft zu, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist und grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden kann (vgl. etwa VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0340, mwN). Diese zu mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalten entwickelte Judikatur wurde vom VwGH - bei stärkerem Integrationserfolg - auch auf Fälle übertragen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0132, mwN). Diese Rechtsprechungslinie betraf aber nur Konstellationen, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001)." (VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0169)

"Die "Zehn-Jahres-Grenze" spielt in der Judikatur des VwGH nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden, kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen ist (vgl E 26. März 2015, 2013/22/0303). In Fällen gravierender Kriminalität und daraus ableitbarer hoher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit stand die Zulässigkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch gegen langjährig in Österreich befindliche Ehegatten von österreichischen Staatsbürgern nie in Frage (vgl. E 2. August 2013, 2012/21/0262)." (VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0121)

"Im Falle der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, wenn diese (auch) wegen strafrechtlichen Fehlverhaltens verhängt werden, bedarf es vor allem im Rahmen der zu treffenden Gefährlichkeitsprognose einer näheren Auseinandersetzung mit diesem strafrechtlichen Fehlverhalten im Einzelnen (Hinweis E 19. Mai 2015, Ra 2014/21/0057)." (VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0121)

"Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei kann zur Begründung einer Gefährdung auch das einer bereits getilgten Verurteilung zugrunde liegende Verhalten herangezogen werden (Hinweis E 22. Mai 2013, 2013/18/0074)." (VwGH 20.08.2013, 2013/22/0113)

"Gemäß § 52 Abs. 5 FrPolG 2005 ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen bestimmte Drittstaatsangehörige nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FrPolG 2005 die Annahme rechtfertigen, dass der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2017/22/0194). Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit) gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120)." (vgl. VwGH 21.06.2018, Ra 2016/22/0101)".

"Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nehmen die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001)." (vgl. VwGH 08.11.2018, Ro 2016/22/0120)".

3.5. Der Beschwerdeführer hält sich seit mehr als siebzehn Jahre durchgehend und rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er ging über mehrere Jahre Erwerbstätigkeiten in Österreich nach, pflegt soziale und freundschaftliche Kontakte, ist in Sportvereinen aktiv, spricht auf einem sehr guten Niveau die deutsche Sprache und lebt seine gesamte Kernfamilie, bestehend aus seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern, die dauerhaft zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sind und mit denen er im gemeinsamen Haushalt lebt, in Österreich.

Der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers in wirtschaftlicher, sozialer und familiärer Hinsicht liegt sohin seit mehr als siebzehn Jahren durchgehend in Österreich.

Demgegenüber stehen die im Herkunftsstaat erfahrene Sozialisation des Beschwerdeführers und die dort noch immer bestehenden familiären Anknüpfungspunkte (Mutter und Geschwister) und insbesondere das vom Beschwerdeführer gezeigte strafrechtswidrige Verhalten.

So wurde der Beschwerdeführer 2009 verurteilt, weil er einem anderen Suchtgift überlassen und verschafft hat und 2018, weil er das Verbrechten des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen schweren Betrugs und das Vergehen des teils versuchten, teils vollendeten betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs begangen hat.

Bereits in der Beschwerde wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer sich mit der Tat auseinandergesetzt und sich in der mündlichen Verhandlung vor seiner zweiten strafgerichtlichen Verurteilung geständig verantwortet habe. Der Beschwerdeführer habe das Unrecht seiner Taten eingesehen und war zur Schuldübernahme bereit. In der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer weiters dar, dass er keinen Kontakt mehr zur Drogenszene habe und dies auch nicht mehr wolle. Um solche Kontakte zu vermeiden, sei er vor zwei Jahren sogar nach XXXX gezogen. Er schäme sich vor seinen Kindern für seine Straftaten und bereue seine Fehltritte.

Aufgrund des langen Zeitraumes zwischen den Straftaten (ca. neun Jahre), dem mittlerweile mehr als drei jährigem Wohlverhalten des Beschwerdeführers sowie angesichts der Schuldeinsichtig, der gezeigten Reue und des Wohnsitzwechsels zwecks Vermeidung von Kontakten in die Drogenszene konnte der Beschwerdeführer den Willen zu einer positiven Lebensführung glaubhaft machen. Durch seine seit 03.09.2018 durchgehende Erwerbstätigkeit ist im Übrigen von einer damit einhergehenden (finanziellen) Stabilität im Leben des Beschwerdeführers auszugehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist (VwGH 20.08.2013, 2013/22/0082). Auch ist das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität (vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung strafbarer Handlungen und des Schutzes der Gesundheit anderer) besonders hoch zu bewerten (vgl dazu VwGH 24.04.2007, 2006/21/0113).

Auch durch die Bereitschaft, Personen durch betrügerisches Verhalten finanziell zu schaden, ist eine Gefährdung der öffentlichen Interessen erkennbar und hat auch der VwGH wiederholt festgehalten, dass ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Gewalt- und Eigentumsdelikten (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474) besteht.

Im konkreten Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Suchtmitteldelinquenz mehr als zehn Jahre zurückliegt, zwischen den Straftatet – wie dargelegt – neun Jahre vergangen sind und sich der Beschwerdeführer seit mehr als drei Jahren nichts mehr zu Schulden kommen hat lassen.

Aufgrund der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten haben seine Integrationsbemühungen sowie seine familiären und sozialen Anknüpfungspunkte zwar eine gewisse Relativierung, jedoch keinen vollständigen Abbruch erfahren.

Im konkreten Fall muss insbesondere auch berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer eine enge Bindung zu seinen zwei minderjährigen Kindern hat und auch in ihre tägliche Versorgung und Erziehung eingebunden ist. Bei der Ehegattin und den Kindern handelt es sich um dauerhaft in Österreich aufenthaltsberechtigte tunesische Staatsbürger. Eine Trennung von ihrem Vater würde für die Kinder einen massiven Eingriff bedeuten und das Kindeswohl nicht ausreichend berücksichtigen. Eine Fortführung des Familienlebens im Libanon oder Tunesien erscheint aufgrund der langen Aufenthaltsdauer der Mutter und der minderjährigen Kinder in Österreich ebenso nicht zumutbar.

Das Verwaltungsgericht verkennt keinesfalls, dass das vom Beschwerdeführer gezeigte Verhalten den Schluss auf eine Gefährdung öffentlicher Interessen zulässt. Selbst unter Berücksichtigung des rechtsverletzenden Verhaltens des Beschwerdeführers und des diesem innewohnenden Unrechts ist nach Abwägung der sich widerstreitenden Interessen im gegenständlichen Fall, insbesondere unter Berücksichtigung des langjährigen rechtmäßigen Aufenthaltes, der vom Beschwerdeführer gesetzten Integrationsschritte und der kernfamiliären Ankerpunkte in Österreich, aber auch des Kindeswohls ein Überwiegen der privaten Interessen des Beschwerdeführers festzustellen (siehe dazu auch VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0091).

Die Anordnung einer Rückkehrentscheidung würde insgesamt gesehen eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers nach Art. 8 EMRK nach sich ziehen und erweist sich eine solche sohin iSd § 9 BFA-VG als unzulässig.

4. Aufgrund erfolgter Aufhebung der von der belangten Behörde ausgesprochenen Rückkehrentscheidung fällt auch die Voraussetzung für einen Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung (siehe § 52 Abs. 9 FPG) samt Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise (§ 55 FPG), für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und Verhängung eines Einreiseverbotes (vgl. § 53 Abs. 1 FPG) weg, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß

Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

ersatzlose Behebung Interessenabwägung Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung behoben strafrechtliche Verurteilung Verlängerungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L507.2202023.1.00

Im RIS seit

30.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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