TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/7 Ra 2021/13/0094

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Veröffentlicht am 07.12.2021
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Index

22/02 Zivilprozessordnung
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
36 Wirtschaftstreuhänder
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §10 Abs1
BAO §115 Abs1
BAO §115 Abs2
BAO §167
BAO §167 Abs2
BAO §183
BAO §269 Abs1
BAO §83
BAO §83 Abs1
BAO §83 Abs2
WTBG 2017 §77 Abs11
ZPO §30 Abs2
ZustG §9

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6 - Rechnungs- und Abgabenwesen, in 1082 Wien, Ebendorferstraße 2, 3. Stock, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 28. April 2021, Zl. RV/7400045/2021, betreffend Kommunalsteuer 2015 bis 2017 und Säumniszuschlag (mitbeteiligte Partei: M K in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1        Mit Schreiben vom 10. September 2018 teilte die belangte Behörde (und nunmehrige revisionswerbende Partei) dem Mitbeteiligten mit, auf dem Konto der K KG bestünden Abgabenrückstände betreffend Kommunalsteuer (samt Nebengebühren). Der Mitbeteiligte sei Kommanditist der K KG und in dieser Eigenschaft gemäß § 6 KommStG Gesamtschuldner hinsichtlich der Kommunalsteuer. Der Mitbeteiligte werde aufgefordert, den Rückstand binnen zwei Wochen zu zahlen.

2        Mit E-Mail vom 1. Oktober 2018 teilte Steuerberater Dr. K mit, er sei vom Mitbeteiligten „bevollmächtigt und beauftragt“, für die Klärung des Sachverhalts zu sorgen; es werde ersucht, einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erlassen.

3        Mit Bescheid vom 22. Oktober 2018 schrieb die belangte Behörde dem Mitbeteiligten Kommunalsteuer für die in der Betriebsstätte der K KG in Wien gewährten Arbeitslöhne für die Jahre 2015 bis 2017 vor; weiters wurde ein Säumniszuschlag auferlegt.

4        Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Bundesfinanzgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde (nach Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde und Vorlageantrag des Mitbeteiligten) gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO als nicht zulässig zurück. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht zunächst zum Verfahrensgang aus, dem Mitbeteiligten sei der Bescheid vom 22. Oktober 2018 zu Handen seines steuerlichen Vertreters zugestellt worden, der dagegen im Namen des Mitbeteiligten Beschwerde eingebracht habe. Der angefochtene Bescheid sei dem Mitbeteiligten persönlich niemals im Original übermittelt worden; der steuerliche Vertreter des Mitbeteiligten habe zu keinem Zeitpunkt über eine Zustellbevollmächtigung verfügt. Aus diesem Grund sei die Beschwerdevorentscheidung - nachdem sie zunächst auch zu Handen des steuerlichen Vertreters zugestellt worden sei - an den Mitbeteiligten persönlich adressiert worden. Im wiederum vom steuerlichen Vertreter des Mitbeteiligten eingebrachten Vorlageantrag habe der Vertreter ein weiteres Mal darauf hingewiesen, dass er über keine Zustellungsvollmacht verfüge. Auf Nachfrage durch das Bundesfinanzgericht habe der Mitbeteiligte bekannt gegeben, dass sein steuerlicher Vertreter auch zum Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides über keine Zustellungsvollmacht verfügt habe; dem Mitbeteiligten sei der angefochtene Bescheid niemals im Original zugekommen.

6        Zur Beweiswürdigung führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der steuerliche Vertreter habe in seinen Schriftstücken stets dargelegt, dass er über keine Zustellungsvollmacht verfügt habe; daher sei es glaubwürdig, dass er auch anlässlich der Zustellung des bekämpften Bescheides nicht zustellungsbevollmächtigt gewesen sei. Da der steuerliche Vertreter im Namen des von ihm vertretenen Mitbeteiligten Beschwerde gegen diesen Bescheid eingebracht habe, erscheine es auch nachvollziehbar, dass er diesen zwar über den Bescheid informiert, ihm aber den Bescheid nicht im Original ausgehändigt habe.

7        Die als Bescheid intendierte Erledigung sei von der belangten Behörde an den Mitbeteiligten zu Handen seines steuerlichen Vertreters adressiert worden, der jedoch über keine Zustellungsvollmacht verfügt habe. Dieser Zustellungsmangel sei im vorliegenden Fall auch nicht durch Übermittlung an den Mitbeteiligten geheilt. Die als Bescheid intendierte Erledigung habe daher mangels rechtswirksamer Zustellung keine Rechtswirksamkeit gegenüber dem Mitbeteiligten entfalten können. Da sich die Bescheidbeschwerde somit gegen einen rechtlich nicht existent gewordenen Bescheid richte, sei sie als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

8        Gegen diesen Beschluss wendet sich die Revision der belangten Behörde. Zur Zulässigkeit wird insbesondere die Verletzung des Parteiengehörs geltend gemacht: Die Nachfrage des Bundesfinanzgerichts samt Antwort des Mitbeteiligten sei der belangten Behörde nicht zur Kenntnis gebracht worden. Wäre der belangten Behörde Parteiengehör gewährt worden, hätte sie darlegen können, dass ihr gegenüber nie behauptet worden sei, zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 22. Oktober 2018 sei keine Zustellvollmacht vorgelegen.

9        Der Mitbeteiligte hat sich - nach Einleitung des Vorverfahrens - am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11       Die Revision ist zulässig und begründet.

12       Gemäß § 97 Abs. 1 BAO werden Erledigungen dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Bei schriftlichen Erledigungen erfolgt die Bekanntgabe im Allgemeinen durch Zustellung (§ 97 Abs. 1 lit. a BAO).

13       Gemäß § 83 Abs. 1 BAO können sich die Parteien u.a. durch voll handlungsfähige Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben. Nach § 83 Abs. 2 BAO richten sich Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis des Bevollmächtigten nach der Vollmacht; hierüber sowie über den Bestand der Vertretungsbefugnis auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen. Die Abgabenbehörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des § 85 Abs. 2 BAO von Amts wegen zu veranlassen.

14       Beruft sich ein Berufsberechtigter (im Sinne des Wirtschaftstreuhandberufsgesetzes 2017) im beruflichen Verkehr auf die ihm erteilte Bevollmächtigung, so ersetzt diese Berufung den urkundlichen Nachweis (§ 77 Abs. 11 leg. cit.). Berufsrechtliche Vorschriften, wonach die Berufung auf eine erteilte Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis ersetzt, gelten auch im Anwendungsbereich der BAO (vgl. VwGH 28.10.2014, 2012/13/0102).

15       Eine allgemeine Vertretungsbefugnis schließt eine Zustellungsbevollmächtigung mit ein. Dies gilt auch, wenn sich ein Vertreter auf die ihm erteilte Vollmacht beruft (vgl. VwGH 26.2.2014, 2012/13/0051, mwN).

16       Das Sich-Berufen auf die Vollmacht ersetzt jedoch lediglich den urkundlichen Nachweis. Die tatsächliche Erteilung einer Vollmacht wird dadurch nicht ersetzt. Im Fall von konkreten Zweifeln ist zu prüfen, ob tatsächlich eine Vollmacht (und in welchem Umfang) eingeräumt wurde (vgl. VwGH 28.10.2014, 2012/13/0102; vgl. weiters - zu § 10 Abs. 1 AVG - z.B. VwGH 24.7.2018, Ra 2018/08/0074; 13.12.2018, Ra 2018/07/0476; vgl. weiters - zur ähnlichen Bestimmung des § 30 Abs. 2 ZPO - z.B. OGH 30.11.2006, 6 Ob 265/06y). Derartige Zweifel können sich allenfalls auch erst im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens ergeben (vgl. - zu § 10 Abs. 1 AVG - VwGH 9.7.1992, 92/06/0097).

17       Gemäß § 269 Abs. 1 BAO haben die Verwaltungsgerichte im Beschwerdeverfahren die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden eingeräumt sind. Zu solchen Obliegenheiten und Befugnissen zählen insbesondere Beweisaufnahmen sowie die Pflicht zur Wahrung des Parteiengehörs (vgl. VwGH 19.4.2021, Ra 2020/13/0105, mwN). Nach Maßgabe der Grundsätze der freien Beweiswürdigung nach § 167 BAO ist sodann in Auseinandersetzung mit den bisherigen Verfahrensergebnissen und den Parteienvorbringen der entscheidungswesentliche Sachverhalt festzustellen (vgl. VwGH 26.5.2021, Ra 2020/13/0073).

18       Zunächst ist darauf zu verweisen, dass die Schilderung des Verfahrensgangs im angefochtenen Beschluss - wie in der Revision zutreffend gerügt - unvollständig ist. Im vorliegenden Verfahren hatte der steuerliche Vertreter mit E-Mail (vgl. zu dessen Wirksamkeit § 86b BAO) vom 1. Oktober 2018 zum Schreiben der belangten Behörde vom 10. September 2018 eine Eingabe erstattet. Er hatte darin vorgebracht, er sei vom Mitbeteiligten „bevollmächtigt und beauftragt“, für die Klärung der Sache zu sorgen. Damit hatte sich der steuerliche Vertreter als Berufsberechtigter gemäß § 77 Abs. 11 WTBG auf die erteilte Bevollmächtigung berufen (vgl. auch Ritz, BAO6, § 83 Tz 10). Eine zur Unwirksamkeit führende Einschränkung der Vollmacht nach § 103 Abs. 2 BAO wurde nicht erklärt. Zweifel am Umfang der Bevollmächtigung bestanden im Hinblick auf dieses Berufen ebenfalls nicht.

19       Aufgrund dieser Eingabe musste von einer Bevollmächtigung des steuerlichen Vertreters auch betreffend Zustellungen ausgegangen werden. Die Zustellung des Bescheides vom 22. Oktober 2018 erfolgte demnach auch an ihn.

20       Die vom steuerlichen Vertreter eingebrachte Beschwerde gegen diesen Bescheid enthielt ebenso wie die folgende Korrespondenz (insbesondere im Hinblick auf eine beantragte Akteneinsicht bzw. Antrag auf Übermittlung von Unterlagen) kein Vorbringen zu einer allfälligen Einschränkung der Vertretungsbefugnis.

21       Erst die Beschwerdevorentscheidung wurde vom steuerlichen Vertreter mit dem handschriftlichen Vermerk „keine Vollmacht - falsch zugestellt“ per Telefax an die belangte Behörde zurückgestellt. Die belangte Behörde verfügte daraufhin - ohne Erhebungen zum Umfang der Vertretungsbefugnis vorzunehmen - eine neuerliche Zustellung der Beschwerdevorentscheidung unmittelbar an den Mitbeteiligten.

22       Im sodann durch den steuerlichen Vertreter eingebrachten Vorlageantrag wurde vorgebracht, der Mitbeteiligte habe den steuerlichen Vertreter (wiederum) beauftragt und bevollmächtigt; die Vollmacht umfasse keine Zustellvollmacht.

23       Damit konnte zweifelhaft sein, ob bereits ursprünglich keine Zustellvollmacht vorgelegen war oder ob eine früher bestandene Zustellvollmacht geendet hatte. Es war Aufgabe der Behörde und auch des Verwaltungsgerichts, diese Zweifel zum Umfang der Vertretungsbefugnis zu beurteilen (§ 83 Abs. 2 BAO). Dazu kam - wie vom Bundesfinanzgericht vorgenommen - auch eine Anfrage an den Mitbeteiligten (persönlich) in Frage. Es wäre sodann aber auch Aufgabe des Bundesfinanzgerichts gewesen, zu diesen Erhebungsergebnissen den Verfahrensparteien (insbesondere der belangten Behörde) Gehör zu gewähren und sich mit dem dazu erstatteten Vorbringen im Rahmen der Beweiswürdigung auseinander zu setzen.

24       Vom Bundesfinanzgericht wurde aber - wie in der Revision zutreffend gerügt - Parteiengehör nicht gewährt. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels wird in der Revision insoweit ausreichend dargelegt, als sich die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts sodann nicht mit dem (von der belangten Behörde somit erst in der Revision geltend gemachten) Vorbringen auseinandergesetzt hat. Demnach sei der belangten Behörde gegenüber nie behauptet worden, dass zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 22. Oktober 2018 keine Zustellvollmacht vorgelegen sei. Dieses Vorbringen würde zwar nicht ausschließen, dass (tatsächlich) damals keine Zustellvollmacht vorgelegen hatte. Im Rahmen der Beweiswürdigung wäre dazu aber ebenfalls zu berücksichtigen, dass ein derartiges Ergebnis eine Irreführung durch einen Berufsberechtigten iSd WTBG (vgl. insoweit - wenn auch zu § 30 Abs. 2 ZPO und einen Rechtsanwalt betreffend - OGH 13.7.2010, 4 Ob 66/10z) implizieren könnte.

25       Da sohin das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschrift (Parteiengehör) zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 7. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021130094.L00

Im RIS seit

31.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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