TE Vwgh Beschluss 2021/12/10 Ra 2020/11/0091

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.12.2021
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art133 Abs4
ImpfSchG §1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/11/0092

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision 1. der C T in O und 2. des Ing. G W in H, beide vertreten durch Dr. Stefan Stastny, Rechtsanwalt in 8650 Kindberg, Hauptstraße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2020, Zl. W200 2001819-1/59E, betreffend Entschädigung nach dem Impfschadengesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialministeriumservice, Landesstelle Kärnten), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        1.1. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2006 stellte die (am 14. Mai 1997 geborene und mittlerweile verstorbene) Tochter der Revisionswerber einen (neuerlichen) Antrag auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz. Am 15. November 1997, zwei Tage nach Verabreichung der Polioschluckimpfung mit dem Impfstoff Polio Sabin (oral), habe sie einen (ersten) zerebralen Krampfanfall erlitten. In den folgenden Jahren seien zahlreiche weitere Anfälle gefolgt. Sie habe deshalb an Entwicklungsstörungen sowohl körperlicher als auch geistiger Natur gelitten.

2        1.2. Mit hg. Erkenntnis vom 30. September 2011, 2009/11/0004, hob der Verwaltungsgerichtshof den im Berufungsverfahren ergangenen Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten, mit welchem dieser Antrag abgewiesen worden war, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

3        Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof, nach Wiedergabe seiner Rechtsprechung zu den Voraussetzungen in Bezug auf die Verursachung eines Schadens durch eine Impfung („Kausalitätswahrscheinlichkeit“), Folgendes aus:

„2.1. Nach der von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Literatur von Ehrengut ... sei in seltenen Fällen eine postvakzinale Enzephalopathie weniger als drei Tage nach einer Polioschluckimpfung aufgetreten, in zumindest zwei Fällen seien nach einer Polio-Schluckimpfung bei Säuglingen innerhalb von ca. 10 bis 15 Stunden Krampfanfälle beobachtet worden, wobei einerseits ein unauffälliges EEG vorgelegen sei, andererseits in weiterer Folge nach unauffälligem Liquorbefund ‚bei dem vorher unauffälligen Säugling später Entwicklungsrückstand diagnostiziert‘ sowie ein nach der Impfung nachgelassenes Kopfwachstum festgestellt worden sei. Auch in den von der Beschwerdeführerin vorgelegten weiteren Unterlagen ist die Rede davon, dass es - wenn auch ‚selten‘ - nach der Polioschluckimpfung zu ‚Meningoenzephalitis und/oder hirnorganischen Anfallsleiden‘ kommen kann.

Mit diesem Vorbringen setzte sich das zum vorliegenden (Berufungs-)Antrag eingeholte Gutachten inhaltlich nicht auseinander. Daher bietet das Gutachten keine ausreichende Grundlage für die Annahme, es fehle an der für die Wahrscheinlichkeit eines Impfschadens sprechenden Inkubationszeit und Symptomatik. Auch hinsichtlich des dritten nach der Judikatur bedeutsamen Kriteriums (keine andere wahrscheinlichere Ursache) schließt das Gutachten die Grundkrankheiten der Beschwerdeführerin als Ursache dezidiert aus und hält fest, dass die Ursache des Anfallsleidens ‚bisher nicht geklärt‘ werden konnte, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt die maßgebliche Kausalitätswahrscheinlichkeit nicht zu verneinen ist.

2.2. Vor diesem Hintergrund war aber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Literatur, die auf die Möglichkeit einer Übereinstimmung von Inkubationszeit und Symptomatik der Beschwerdeführerin mit Impfschäden nach Polioschluckimpfung hindeutet, entgegen der Ansicht der belangten Behörde erforderlich. Ihre Aussage, die Kausalität der Erkrankung sei, ‚unter Berücksichtigung der eingesehenen ärztlichen Beweismittel sowie der gültigen medizinischen Lehrmeinung, nicht mit entsprechender Wahrscheinlichkeit begründbar‘, erweist sich daher als nicht schlüssig begründet.“

4        1.3.1. Im fortgesetzten Verfahren holte das Bundesverwaltungsgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten von Univ.Prof. Dr. G ein, welches in der mündlichen Verhandlung am 20. Mai 2019 in Anwesenheit des Sachverständigen erörtert wurde. Die Revisionswerber nahmen in der Folge schriftlich Stellung und legten weitere Fachliteratur vor, zu welcher der Sachverständige auf Grundlage von Fragen des Verwaltungsgerichts schriftlich Stellung nahm. Dazu replizierten die Revisionswerber im Rahmen des Parteiengehörs.

5        1.3.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der Eltern als Fortsetzungsberechtigte ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Das Verwaltungsgericht stellte, soweit hier maßgeblich, fest, ein kausaler Zusammenhang zwischen der Verabreichung der Polioimpfung und vier näher genannten Erkrankungen könne nicht mit Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

7        Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht insbesondere auf das im fortgesetzten Verfahren eingeholte (als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei bezeichnete) Sachverständigengutachten und die Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung. Dabei setzte sich das Verwaltungsgericht, auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen, auch mit der im hg. Erkenntnis 2009/11/0004, Pkt. 2.1., genannten Literatur auseinander und führte aus, warum die dort genannten Fälle von Impfschäden Konstellationen betroffen hätten, welche vom vorliegenden Fall abwichen.

8        Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe der Rechtsgrundlagen und von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten des ersten Krampfanfalles - als erstes Kriterium der „Kausalitätswahrscheinlichkeit“ - könne nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden, da der dazwischenliegende Zeitraum nur zwei Tage betragen habe. Die vom Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis 2009/11/0004 zitierten Fälle, in denen nach einer Polio-Schluckimpfung bei Säuglingen innerhalb von ca. zehn bis 15 Stunden Krampfanfälle beobachtet worden seien, würden deshalb nicht als Indiz für eine kürzere als eine dreitägige Inkubationsfrist herangezogen, da die Anerkennung als Impfschäden in diesen beiden Fällen nicht auf Grund der OPV-Impfung erfolgt sei. Im „Fall 4“ sei die Pertussis-Impfung als Trigger für eine primär generalisierte Epilepsie und im „Fall 11“ die „Mehrfachkomponente (OPV/DT)“ als Auslöser einer schweren Funktionsstörung des Gehirns mit langanhaltenden Krämpfen festgestellt worden. Dass ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung grundsätzlich möglich sei, reiche nicht aus. Die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder die Unmöglichkeit, entscheidungsrelevante Tatsachen festzustellen, seien auch bei amtswegiger Ermittlungspflicht von dem zu tragen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten wolle.

9        Auch das Auftreten einer entsprechenden Symptomatik - als zweites Kriterium der „Kausalitätswahrscheinlichkeit“ - sei zu verneinen. Ein Krampfanfall werde in der Literatur nur von Prof. Dr. E als Impffolge beschrieben. Nehme man jedoch an, dass ein Krampfanfall die geforderte Symptomatik darstelle, so sei dem das Ergebnis der Beweiswürdigung entgegenzuhalten. Demnach entspreche der vorliegende Fall auf Grund des Fehlens jeglichen Substrats (EEG, Liquor, MRT) nicht den von Prof. Dr. E aufgelisteten, wegen einer OPV-Impfung von den deutschen Gerichten anerkannten Impfschäden, die jeder einzelne zumindest ein (näher dargestelltes) nachweisbares Substrat habe.

10       Das dritte Kriterium der „Kausalitätswahrscheinlichkeit“, das Nichtvorliegen einer anderen wahrscheinlicheren Ursache für die Erkrankung, sei auf Grund der fehlenden Empirie in Bezug auf die Ursache der Erkrankung im vorliegenden Fall zwar zu bejahen. Die Erfüllung dieses Kriteriums allein könne jedoch nicht zur Annahme der „Kausalitätswahrscheinlichkeit“ führen, zumal eine der Epilepsieformen keine nachweisbare Ursache kenne.

11       Die erforderliche Kausalität der angeschuldigten Impfung für die diagnostizierte Krankheit sei daher zu verneinen.

12       1.4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

13       2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

15       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16       3.1. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das Verwaltungsgericht habe die Kriterien für die Kausalitätswahrscheinlichkeit „nicht bzw. falsch“ gewertet. Der im fortgesetzten Verfahren herangezogene Sachverständige habe näher genannte wissenschaftliche Befunde ignoriert und sei „jedenfalls zu unrichtigen Ergebnissen“ (in den Revisionsgründen näher ausgeführt) gekommen.

17       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht Anspruch auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz nicht nur bei einem „Kausalitätsnachweis“, sondern schon im Falle der „Kausalitätswahrscheinlichkeit“. Davon ausgehend ist jedenfalls dann, wenn auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens anzunehmen ist, dass die drei maßgeblichen Kriterien (passende Inkubationszeit, entsprechende Symptomatik, keine andere wahrscheinlichere Ursache) erfüllt sind, von der Wahrscheinlichkeit der Kausalität der Impfung für die betreffende Gesundheitsschädigung auszugehen (vgl. VwGH 11.11.2015, 2013/11/0244, mwN).

18       Das Verwaltungsgericht stützte sich für seine Kausalitätsbeurteilung insbesondere auf das im fortgesetzten Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten des Univ.Prof. Dr. G, welches sich ausführlich mit den bisherigen Unterlagen, insbesondere auch mit den im hg. Erkenntnis VwGH 2009/11/0004 genannten Informationen, auseinandersetzt und welches in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erörtert wurde. Die Revisionswerber sind diesem Gutachten nicht mehr auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten (vgl. zu dieser Notwendigkeit etwa VwGH 8.3.2021, Ra 2020/11/0140, mwN; in Zusammenhang mit dem Impfschadengesetz etwa VwGH 23.5.2013, 2011/11/0114). Dass dieses Gutachten mit Widersprüchen bzw. Ungereimtheiten behaftet oder unvollständig und das angefochtene Erkenntnis insofern mit einem relevanten Verfahrensmangel behaftet wäre, zeigt die Revision fallbezogen nicht auf.

19       3.2. In diesem Zusammenhang macht die Revision zu ihrer Zulässigkeit auch geltend, der Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass für das Anfallsleiden und die später auftretenden Krampfanfälle am wahrscheinlichsten eine Krampfneigung der Minderjährigen und am zweitwahrscheinlichsten die Impfung gewesen sei. Die Frage der Wahrscheinlichkeit sei jedoch eine Rechtsfrage, die nicht vom Sachverständigen, sondern vom Gericht zu beurteilen sei.

20       Damit wird schon deswegen eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht dargelegt, weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gar nicht auf eine solche sachverständige Einschätzung gegründet hat. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung das Nichtvorliegen einer anderen wahrscheinlicheren Ursache für die Erkrankung (mangels Feststellbarkeit irgendeiner Ursache) sogar bejaht, die Voraussetzungen für die Wahrscheinlichkeit der Kausalität der gegenständlichen Impfung für die Gesundheitsschädigung aber mangels Vorliegens der anderen beiden maßgeblichen Kriterien jedoch verneint. Es kann im Revisionsfall dahinstehen, ob diese Beurteilung des drittgenannten maßgeblichen Kriteriums (keine andere wahrscheinlichere Ursache) zutreffend ist, weil das Verwaltungsgericht jedenfalls mit seiner Auffassung, es müssten für die Annahme der „Kausalitätswahrscheinlichkeit“ alle drei der in der Rechtsprechung genannten maßgeblichen Kriterien (kumulativ) erfüllt sein, nicht von den Leitlinien dieser Rechtsprechung abgewichen ist.

21       3.3. Schließlich bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis stehe in Widerspruch zu den „Anhaltspunkten der Bundesrepublik Deutschland im sozialen Entschädigungsverfahren“, welche in Deutschland „quasi-normativen Charakter hätten“ und auch von österreichischen Gutachtern zu beachten seien.

22       Auch damit wird eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht dargetan, weil die Revision nicht einmal darlegt, auf Grund welcher Rechtsgrundlage die genannten „Anhaltspunkte“ in einem (österreichischen) Verfahren nach dem Impfschadengesetz maßgeblich sein sollten.

23       4. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110091.L00

Im RIS seit

31.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten