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L10014 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt OberösterreichNorm
ABGB §914Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Wassergenossenschaft I, vertreten durch die AnwaltGmbH Rinner Teuchtmann in 4040 Linz, Hauptstraße 33, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 16. Juni 2020, LVwG-551389/24/BZ/JoS, betreffend Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses der Mitgliederversammlung einer Wassergenossenschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Linz-Land; mitbeteiligte Partei: Gemeinde H in H), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2019, Ra 2019/07/0099, verwiesen.
2 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis sprach das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich - in Bestätigung eines Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land (in der Folge: belangte Behörde) - aus, dass die Einberufung der Mitgliederversammlung der revisionswerbenden Wassergenossenschaft am 10. Jänner 2018 durch den Geschäftsführer der Revisionswerberin nicht rechtzeitig erfolgt und daher der in der Mitgliederversammlung der Revisionswerberin am 10. Jänner 2018 gefällte Beschluss nichtig sei.
3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, in § 10 der Satzung der revisionswerbenden Wassergenossenschaft sei festgelegt, dass zu einer Mitgliederversammlung vom Geschäftsführer der Revisionswerberin alle Mitglieder unter Bekanntgabe der Tagesordnung „rechtzeitig und schriftlich“ einzuladen seien. Der Geschäftsführer der Revisionswerberin habe mit Schreiben vom 3. Jänner 2018 zu einer Mitgliederversammlung für den 10. Jänner 2018 eingeladen. Dieses Schreiben sei bei der mitbeteiligten Partei, einer Gemeinde, die Mitglied der Revisionswerberin sei, am 4. Jänner 2018 eingelangt. Der Amtsleiter der mitbeteiligten Partei habe dem Geschäftsführer der Revisionswerberin mit E-Mail vom 9. Jänner 2018 um Verlegung der Versammlung ersucht und unter anderem darauf verwiesen, dass die Einladung „zu kurzfristig“ erfolge und es nicht mehr möglich gewesen sei, „Termine zu verschieben bzw. abzusagen“. Der Amtsleiter sei in den die Mitgliedschaft bei der Revisionswerberin betreffenden Angelegenheiten für die mitbeteiligte Partei tätig geworden und dazu vom Bürgermeister der mitbeteiligten Partei ermächtigt worden.
4 Die Mitgliederversammlung habe dennoch am 10. Jänner 2018 stattgefunden. Unter Anwesenheit lediglich des Geschäftsführers und eines weiteren Mitglieds der Revisionswerberin sei in der Mitgliederversammlung der Beschluss gefasst worden, dass ein näher bezeichneter Rechtsanwalt die Revisionswerberin weiterhin in rechtlichen Angelegenheiten vertreten solle.
5 Die mitbeteiligte Partei habe die Unwirksamkeit des in der Mitgliederversammlung gefassten Beschlusses geltend gemacht und sich - nachdem ein Versuch einer Streitschlichtung im Sinn des § 77 Abs. 3 lit. i WRG 1959 erfolglos geblieben sei - gemäß § 85 Abs. 1 WRG 1959 an die belangte Behörde gewandt.
6 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, die Zuständigkeit der belangten Behörde als Wasserrechtsbehörde zur Entscheidung der Streitigkeit aus dem Genossenschaftsverhältnis sei nach § 85 Abs. 1 WRG 1959 gegeben. Wann im Sinn der Satzung der Revisionswerberin eine Einladung zu einer Mitgliederversammlung als „rechtzeitig“ anzusehen sei, hänge davon ab, welche Vorbereitungszeit nach den jeweiligen Umständen - etwa auch in Hinblick auf die Komplexität der nach der Tagesordnung zu behandelnden Angelegenheiten - erforderlich sei. Im vorliegenden Fall sei zu beachten, dass der 6. Jänner 2018 ein gesetzlicher Feiertag und der 7. Jänner 2018 ein Sonntag gewesen seien, sodass lediglich fünf Werktage zur Vorbereitung der Sitzung verblieben seien. Der mitbeteiligten Partei sei daher recht zu geben, dass die Vorbereitungszeit nach den Umständen des Falles nicht ausreichend gewesen sei, sodass die Einladung zur Mitgliederversammlung nicht „rechtzeitig“ im Sinn der Satzung erfolgt sei. Ungeachtet dessen wäre der Geschäftsführer der Revisionswerberin auch verpflichtet gewesen, sich mit dem Schreiben der mitbeteiligten Partei vom 9. Jänner 2018 auseinanderzusetzen und auch deshalb die Mitgliederversammlung zu vertagen. Das vom Amtsleiter verfasste Schreiben vom 9. Jänner 2018 sei durch eine Ermächtigung des Bürgermeisters gedeckt gewesen und habe seinem Inhalt nach eindeutig ein Ersuchen der mitbeteiligten Partei auf Verlegung der Versammlung dargestellt. Soweit die Revisionswerberin vorbringe, dass der Amtsleiter im Sinn des § 58 Oberösterreichische Gemeindeordnung 1990 (Oö GdO 1990) keine Befugnis für diese Vorgehensweise gehabt hätte, übersehe sie, dass die Angelegenheit keine hoheitlichen Aufgaben der Gemeinde betreffe.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof hat die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung erstattet. Die Revisionswerberin replizierte.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Zur Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, es sei zu klären, ob der mitbeteiligten Partei das E-Mail ihres Amtsleiters vom 9. Jänner 2018 zurechenbar sei bzw. ob eine wirksame Bevollmächtigung des Amtsleiters durch den Bürgermeister im Sinn des § 58 Abs. 1 Oö GdO 1990 erfolgt sei. Die getroffenen Feststellungen seien insoweit nicht ausreichend. Die Einladung zur Mitgliederversammlung sei rechtzeitig im Sinn der Satzung erfolgt. Die Vorbereitungszeit von fünf Werktagen sei nicht zu knapp bemessen gewesen.
12 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine im konkreten Einzelfall getroffene Auslegung von Verträgen oder Satzungen nur dann eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen kann, wenn sie grobe Auslegungsfehler oder sonstige krasse Fehlbeurteilungen erkennen lässt (vgl. VwGH 9.2.2021, Ra 2020/07/0118, mwN).
13 Das Verwaltungsgericht hat § 10 der Satzung der revisionswerbenden Wassergenossenschaft, wonach der Geschäftsführer alle Mitglieder zur Mitgliederversammlung „rechtzeitig“ einzuladen habe, so interpretiert, dass vor dem Hintergrund der jeweiligen Umstände, unter denen die Einladung zur Mitgliederversammlung ergehe, zu beurteilen sei, ob die Vorbereitungszeit - insbesondere auch in Hinblick auf die zu behandelnden Angelegenheiten - für die Mitglieder ausreichend sei. Dieses Verständnis des § 10 der Satzung der Revisionswerberin erscheint naheliegend und keinesfalls als krass fehlerhaft im Sinn der dargestellten Rechtsprechung.
14 Die mitbeteiligte Gemeinde ist nach der Annahme des Verwaltungsgerichtes, der die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht entgegentritt, aufgrund des Eigentums an einem in die Wassergenossenschaft einbezogenen Grundstück Mitglied der revisionswerbenden Wassergenossenschaft. Ihre Mitwirkung in der Revisionswerberin, wobei sie durch ihre Organe handelt, ist Ausfluss ihrer Rechte als Mitglied (vgl. idS zu einem Wasserverband VwGH 14.12.1995, 95/07/0126). Dem Bürgermeister kommt nach § 58 Abs. 1 Oö GdO 1990 die Vertretung der Gemeinde sowie nach § 58 Abs. 2 Z 4 Oö GdO 1990 die Verwaltung des Gemeindeeigentums zu. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes, das Schreiben des Leiters des Gemeindeamts (Amtsleiters, vgl. § 37 Oö GdO 1990) sei der mitbeteiligten Partei zuzurechnen gewesen, ist jedenfalls vor dem Hintergrund der erteilten Ermächtigung (Bevollmächtigung) durch den Bürgermeister nicht zu beanstanden. Nicht zweifelhaft ist, dass das Schreiben seinem Inhalt nach ein - insbesondere mit der kurzen Vorbereitungszeit und Terminkollisionen begründetes - Ersuchen um Verlegung der Mitgliederversammlung darstellte und dem Geschäftsführer spätestens dadurch bekannt wurde, dass die mitbeteiligte Partei der Durchführung der für den 10. Jänner 2018 einberufenen Mitgliederversammlung entgegentrat.
15 Auf dieser Grundlage erweist sich die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, die Einladung der mitbeteiligten Partei zur Mitgliederversammlung am 10. Jänner 2018 sei nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls nicht als „rechtzeitig“ im Sinn des § 10 der Satzung der revisionswerbenden Wassergenossenschaft anzusehen, nicht als unvertretbar.
16 In der Revision werden damit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 10. Dezember 2021
Schlagworte
Organisationsrecht Körperschaften des öffentlichen Rechtes Selbstverwaltung VwRallg5/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020070078.L00Im RIS seit
31.12.2021Zuletzt aktualisiert am
18.01.2022