TE Vwgh Beschluss 2021/12/3 Ra 2021/19/0186

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Veröffentlicht am 03.12.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/19/0187

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in den Revisionssachen 1. des G M und 2. der M M, beide vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. August 2020, L515 2167694-1/27E und L515 2167920-1/27E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin, beide armenische Staatsangehörige, sind ein Ehepaar und stellten am 26. November 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Begründend brachten sie vor, der Erstrevisionswerber sei Zeuge eines Verkehrsunfalles gewesen, weswegen er von privaten Personen zusammengeschlagen und bedroht worden sei. Auch die Polizei, an welche er sich gewandt habe, habe ihn bedroht.

2        Mit Bescheiden jeweils vom 7. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber zur Gänze ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14. März 2018 sowie - in Abwesenheit der vertretenen Revisionswerber - am 23. Juli 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerber mit den angefochtenen Erkenntnissen als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Mit Beschluss vom 24. Februar 2021, E 3379-3380/2020-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen gerichteten Beschwerde der Revisionswerber ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe gegen den Grundsatz der materiellen Wahrheit und gegen die Offizialmaxime verstoßen. Es hätte sich mit dem Fluchtvorbringen und dem Gesundheitszustand der Revisionswerber auseinandersetzen, amtswegige Erhebungen im Herkunftsstaat durchführen sowie prüfen müssen, ob die Revisionswerber bei einer Rückkehr auf ein soziales Netz zurückgreifen könnten, welches sie vor allem in Zeiten der Covid-19-Pandemie ausreichend unterstützen könne. Das BVwG hätte die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde legen und die konkreten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesellschaft in Armenien würdigen müssen. Auch seien die der Entscheidung zugrundeliegenden Feststellungen und die Beweiswürdigung entsprechend zu begründen.

9        Damit macht die Revision Feststellungs-, Ermittlungs- und Begründungsmängel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulässigkeitsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 29.9.2020, Ra 2020/19/0187, mwN).

10       Eine solche Darlegung enthält die Zulässigkeitsbegründung der Revision, die sich auf die bloße Behauptung von Verfahrensfehlern beschränkt, nicht.

11       Die Revisionswerber bringen auch vor, sie hätten in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG nicht ausreichend Gelegenheit gehabt, Angaben zu ihrem Fluchtvorbringen zu erstatten, und wegen gesundheitlicher Probleme an der mündlichen Verhandlung (am 23. Juli 2020) nicht teilnehmen können. Von einer weiteren Anberaumung einer mündlichen Verhandlung sei „aus unerklärlichen Gründen“ abgesehen worden.

12       Das BVwG führte am 14. März 2018 in Anwesenheit der Revisionswerber eine mündliche Verhandlung durch, in welcher diese ausführlich zu ihrem Fluchtvorbringen befragt wurden. Am 23. Juli 2020 wurde eine weitere mündliche Verhandlung in Abwesenheit der Revisionswerber durchgeführt, in welcher diese durch die Mitarbeiterin einer Rechtsberatungsorganisation vertreten waren. Soweit in der Revision das Unterbleiben einer weiteren Verhandlung gerügt wird, legt sie nicht dar, zu welchen anderen Feststellungen das BVwG auf Grund einer weiteren mündlichen Verhandlung gekommen wäre (vgl. zum Erfordernis der Relevanz bei Behauptung eines derartigen Verfahrensmangels - auch im Anwendungsbereich von Art. 47 GRC bzw. von Art. 6 EMRK - VwGH 12.10.2020, Ra 2020/19/0230, mwN).

13       Wenn sich die Revision zu ihrer Zulässigkeit schließlich gegen die in Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung erfolgte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 24.2.2021, Ra 2021/19/0017, mwN).

14       Mit dem pauschalen Vorbringen, das BVwG habe keine Gesamtbetrachtung durchgeführt, gelingt es der Revision nicht aufzuzeigen, dass die Interessenabwägung, in welcher auf die persönlichen Umstände der Revisionswerber eingegangen wurde, unvertretbar wäre (vgl. zu einem solchen Vorbringen VwGH 29.9.2020, Ra 2020/19/0304).

15       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 3. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190186.L00

Im RIS seit

30.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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