TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/21 L507 1433538-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.07.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

21.07.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L507 1433538-4/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.10.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 12.11.2012 aus dem Stande der Schubhaft seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, dass er wegen der Suche nach Arbeit nach Europa gekommen sei und er familiäre Probleme in der Türkei habe.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes (BAA) vom 25.02.2013, Zl. 12 16.514-EAST Ost, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 38 Abs. 1 AsylG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.03.2013, E7 433.538-1/2013/6E, als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am 29.03.2013 zugestellt und erwuchs damit in Rechtskraft.

2. Am 11.08.2020 wurde der unrechtmäßig in Österreich aufhältige Beschwerdeführer einer fremdenrechtlichen Kontrolle unterzogen. Bei einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 11.08.2020 zwecks Prüfung der Verhängung der Schubhaft gab der Beschwerdeführer an, dass er ein Konto bei der „Asya Bank“, welche in Kontakt mit einem türkischen Politiker stehe, welcher andere Ansichten als Erdogan habe, gehabt habe. Er habe gehört, dass viele Personen, die ebenso ein Konto bei dieser Bank gehabt hätten, verhaftet worden seien. Er habe Angst, auch verhaftet zu werden.

Mit Bescheid des BFA vom 12.08.2020, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 AsylG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß
§ 46 FPG zulässig sei. Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß
§ 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt sowie gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Absatz 2 Z 7 FPG wurde ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Das Einreiseverbot wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer über keine wesentlichen Geldmittel verfüge und sich seinen Unterhalt durch illegale Beschäftigung finanziere. Da sein Verhalten die öffentliche Ordnung und Sicherheit sowie das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährde, sei ein Einreiseverbot zu erlassen. Der Beschwerdeführer habe auch weder familiäre noch private Anknüpfungspunkte, die seinen Verbleib in Österreich rechtfertigen würden. Ein vierjähriges Einreiseverbot sei notwendig, um die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung zu verhindern.

3. Am 22.08.2020 stellte der Beschwerdeführer gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Er gab an, dass er Gülen-Anhänger sei und bei einer Rückkehr in die Türkei sofort in Haft komme. Sein Konto sei gesperrt worden und er werde namentlich gesucht.

Mit Verfahrensanordnung vom 26.08.2020 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid aufzuheben.

Bei der Einvernahme vor dem BFA am 28.09.2020 in Anwesenheit eines Rechtsberaters gab der Beschwerdeführer an, dass er seit ca. einem Jahr eine Freundin habe. Sein jetziges Fluchtvorbringen sei mit seinem Fluchtvorbringen im ersten Asylverfahren nicht ident. Zusätzlich zu seinen Fluchtgründen aus dem ersten Asylverfahren habe er Probleme wegen seines aufrechten Bankkontos in der Türkei. Personen, die bei dieser Bank ein Konto hätten, würden in der Türkei wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verfolgt werden. Auch sein Cousin sei inhaftiert worden, weil er Gülen-Anhänger sei. Der Beschwerdeführer habe aber keine Funktion innegehabt.

Am 29.09.2020 langte beim BFA eine Stellungnahme zum Länderbericht der Staatendokumentation vom 29.11.2019 ein.

Am 30.09.2020 erfolgte eine weitere Einvernahme vor dem BFA. Dabei wurde der Beschwerdeführer nach seinem Gesundheitszustand sowie zu seinem Familienleben befragt.

Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 30.09.2020, Zl. XXXX , wurde gemäß § 12a Abs. 2 AsylG der faktische Abschiebeschutz aufgehoben.

Das BFA stellte im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz damit begründet habe, dass er zwecks Arbeitssuche nach Frankreich gekommen sei und Probleme mit seiner Familie habe. Als Grund für den zweiten Antrag habe er angegeben, dass er neben den Gründen aus dem ersten Verfahren nun Probleme wegen eines aufrechten Bankkontos in der Türkei habe. Personen, die bei dieser Bank ein Konto hätten, würden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verfolgt werden. Er sei auch Gülen-Anhänger, habe aber keine Funktion innegehabt. Zudem habe er eine Freundin. Das BFA führte aus, dass sich im Zuge des Folgeantrags kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben habe. Der Antrag auf internationalen Schutz werde daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei.

In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass die mit 29.03.2013 rechtskräftig ausgesprochene Ausweisung aufrecht sei. Der Folgeantrag sei voraussichtlich zurückzuweisen, da der Beschwerdeführer keinen neuen Sachverhalt vorgebracht habe bzw. seinen nunmehr getätigten Angaben kein Glauben geschenkt werde. Die neu vorgetragenen Gründe – Probleme mit der türkischen Regierung aufgrund eines Kontos bei der „Asya Bank“ – seien als nicht glaubhaft zu betrachten. Die allgemeine Lage in der Türkei wie auch die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers hätten sich nicht geändert. Auf Grund der Feststellungen zur Lage im Herkunftsland in Verbindung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers könne somit davon ausgegangen werden, dass ihm keine Verletzung wie in § 12a Abs. 2 Z 3 AsylG beschrieben, drohe.

Mit hg. Beschluss vom 07.10.2020, Zl. L524 1433538-3/2 E, wurde festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß §12a Abs. 2 AsylG nicht rechtmäßig war, und der mündlich verkündetet Bescheid aufgehoben.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 13.10.2020, Zl. XXXX , wurde sohin der Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I und II.).

Beweiswürdigend stützte sich das BFA darauf, dass sich der vom Beschwerdeführer einerseits auf die bereits im ersten Verfahren vorgebrachten Ausreisegründe stütze und, andererseits die nunmehr neu vorgebrachten Fluchtgründe betreffend sein Konto bei einer türkischen Bank keinen glaubhaften Kern aufweisen würden.

Gegen diesen, der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers am 13.10.2020 zugestellten Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 17.10.2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei, moslemischen Glaubens und Angehöriger der türkischen Volksgruppe. Er stammt aus der Provinz XXXX , besuchte in XXXX die Grund- und Mittelschule und war als angelernter Fliesenleger tätig.

Familienangehörige oder Verwandte des Beschwerdeführers leben nicht in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Gegen den Beschwerdeführer besteht eine – mit Bescheid des BFA vom 12.08.2020,
Zl. XXXX , erlassene – aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung samt einem auf vier Jahre befristeten Einreiseverbot.

In der Türkei leben nach wie vor die Mutter, vier Brüder sowie eine Schwester des Beschwerdeführers.

Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zur Begründung seines zweiten Antrages auf internationalen Schutz wurde keine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat oder in sonstigen in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen seit der Erlassung des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes vom 25.03.2013, E7 433.538-1/2013/6E, im ersten Verfahrensgang aufgezeigt.

Es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer zwischenzeitig aufgrund eines Kontos bei der Asya-Bank als Gülen-Anhänger gelte und deshalb in der Türkei einer asylrelevanten Verfolgung unterliege.

Zur aktuellen Lage in der Türkei werden die bereits von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen länderkundlichen Feststellungen auch der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der allgemeinen Lage in der Türkei ist seit der Erlassung des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes im ersten Verfahrensgang nicht eingetreten. Der Beschwerdeführer unterliegt auch im Hinblick auf die aktuelle allgemeine Lage im Herkunftsstaat keiner maßgeblichen individuellen Gefährdung.

1.2. Zur Lage in der Türkei wird – wie bereits vom BFA – Folgendes festgestellt und werden die im angefochtenen Bescheid enthaltenen Feststellungen im Wesentlichen wörtlich – ohne Tabellen oder sonstige Grafiken – wiedergegeben:

Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 14.6.2019). Diese Entwicklung wurde mit der Parlaments- und Präsidentschaftswahl im Juni 2018 abgeschlossen, u.a. wurde das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft (bpb 9.7.2018).

Die Venedig Kommission des Europarates zeigte sich in einer Stellungnahme zu den Verfassungsänderungen besorgt, da mehrere Kompetenzverschiebungen zugunsten des Präsidentenamtes die Gewaltenteilung gefährden, und die Verfassungsänderungen die Kontrolle der Exekutive über Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaft in problematischerweise verstärken würden. Ohne Gewaltenkontrolle würde sich das Präsidialsystem zu einem autoritären System entwickeln (CoE-VC 13.7.2017).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden Stimmen stärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die Zehn-Prozent-Hürde, die höchste unter den OSZE-Mitgliedstaaten, wurde trotz der langjährigen Empfehlung internationaler Organisationen und der Rechtsprechung des EGMR nicht gesenkt. Die unter Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und es der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 16.4.2017 stimmten 51,4% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdo?an mit 52,6% der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative ?yi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31. März hatte der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem ?mamo?lu, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6. Mai schließlich die Wahl wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees annullierte (FAZ 23.6.2019; vgl. Standard 23.6.2019). ?mamo?lu gewann die wiederholte Wahl mit 54%. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Y?ld?r?m, erreichte 45% (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert von der Macht in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdo?an bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirta?, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für ?mamo?lu betonte (NZZ 23.6.2019).

Trotz der Aufhebung des Ausnahmezustands sind viele seiner Verordnungen in die ordentliche Gesetzgebung aufgenommen worden. Das neue Präsidialsystem hat etliche der bisher bestehenden Elemente der Gewaltenteilung aufgehoben und die Rolle des Parlaments geschwächt. Dies hat zu einer stärkeren Politisierung der öffentlichen Verwaltung und der Justiz geführt. Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen; gegen Gesetze Veto einzulegen, und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z.B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der Souveräne Wohlfahrtsfonds, sind inzwischen dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019).

Zunehmende politische Polarisierung, insbesondere im Vorfeld der Gemeinderatswahlen vom März 2019, verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der Demokratischen Partei der Völker (HDP), hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemaligen Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft. Laut europäischer Kommission muss die parlamentarische Immunität gestärkt werden, um die Meinungsfreiheit der Abgeordneten zu gewährleisten (EC 29.5.2019).

Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen bei Verdacht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können (ZO 25.7.2018).

Mehr als 152.000 Beamte, darunter Akademiker, Lehrer, Polizisten, Gesundheitspersonal, Richter und Staatsanwälte, wurden durch Notverordnungen entlassen. Mehr als 150.000 Personen wurden während des Ausnahmezustands in Gewahrsam genommen und mehr als 78.000 wegen Terrorismusbezug verhaftet, von denen 50.000 noch im Gefängnis sitzen (EC 29.5.2019). Die rund 50.000 wegen Terrorbezug Inhaftierten machen 17% aller Gefängnisinsassen aus (AM 4.12.2018).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 4.10.2019

Anadolu Agency (23.6.2019): CHP's Imamoglu wins Istanbul’s mayoral poll, https://www.aa.com.tr/en/politics/chps-imamoglu-wins-istanbul-s-mayoral-poll/1513613, Zugriff 4.10.2019

AM – Al Monitor (4.12.2018): Turkey can't build prisons fast enough to house convict influx, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/11/turkey-overcrowded-prisons-face-serious-problems.html, Zugriff 4.10.2019

bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (9.7.2018): Das "neue" politische System der Türkei, https://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/255789/das-neue-politische-system-der-tuerkei, Zugriff 3.10.2019

CoE-VC – council of europe - european commission for democracy through law (venice commission) (13.7.2017): Turkey - Opinion - The Amendments to the Constitution adopted by the Grand National Assembly on 21 January 2017 and to be submitted to a National Referendumon 16 April 2017 [Opinion No. 875/2017], S.29, Abs.130, https://www.venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdffile=cdl-ad(2017)005-e, Zugriff 3.10.2019

EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 3.10.2019

FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.6.2019): Erdogan gratuliert Imamoglu zum Wahlsieg in Istanbul, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wieder-niederlage-fuer-erdogans-akp-in-istanbul-16250529.html, Zugriff 4.10.2019

HDN – Hürriyet Daily News (16.4.2017): Turkey approves presidential system in tight referendum, http://www.hurriyetdailynews.com/live-turkey-votes-on-presidential-system-in-key-referendum.aspx?pageID=238&nID=112061&NewsCatID=338, Zugriff 4.10.2019

HDN - Hürriyet Daily News (26.6.2018): 24. Juni 2018, Ergebnisse Präsidentschaftswahlen; Ergebnisse Parlamentswahlen, http://www.hurriyetdailynews.com/wahlen-turkei-2018, Zugriff 4.10.2019

NZZ – Neue Zürcher Zeitung (18.7.2018): Wie es in der Türkei nach dem Ende des Ausnahmezustands weiter geht, https://www.nzz.ch/international/tuerkei-wie-es-nach-dem-ende-des-ausnahmezustands-weitergeht-ld.1404273, Zugriff 4.10.2019

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (23.6.2019): Niederlage für Erdogans AKP: CHP-Kandidat Imamoglu gewinnt erneut die Bürgermeisterwahl in Istanbul, https://www.nzz.ch/international/niederlage-fuer-erdogans-akp-chp-kandidat-imamoglu-gewinnt-erneut-die-buergermeisterwahl-in-istanbul-ld.1490981, Zugriff 4.10.2019

OSCE – Organization for Security and Cooperation in Europe (22.6.2017): Turkey, Constitutional Referendum, 16 April 2017: Final Report, http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/324816?download=true, Zugriff 4.10.2019

OSCE/PACE - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017): INTERNATIONAL REFERENDUM OBSERVATION MISSION, Republic of Turkey – Constitutional Referendum, 16 April 2017 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/311721?download=true, Zugriff 4.10.2019

OSCE/ODIHR – Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (21.9.2018): Turkey, Early Presidential and Parliamentary Elections, 24 June 2018: Final Report,https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/397046?download=true, 3.10.2019

Der Standard (1.4.2019): Erdo?ans AKP verliert bei türkischer Kommunalwahl die Großstädte, https://derstandard.at/2000100581333/Erdogans-AKP-verliert-die-tuerkischen-Grossstaedte, Zugriff 4.10.2019

Der Standard (23.6.2019): Opposition gewinnt Wahlwiederholung in Istanbul, https://derstandard.at/2000105305388/Imamoglu-bei-Auszaehlung-der-Wahlwiederholung-in-Istanbul-in-Fuehrungin-Istanbul, Zugriff 4.10.2019

ZO - Zeit Online (25.7.2018): Türkei verabschiedet Antiterrorgesetz, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/tuerkisches-parlament-verabschiedung-neue-gesetze-anti-terror-massnahmen, Zugriff 4.10.2019

Sicherheitslage

Im Juli 2015 flammte der bewaffnete Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wieder auf; der sog. Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Türkei musste zudem von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK (bzw. ihrer Ableger), des sogenannten Islamischen Staates sowie – in sehr viel geringerem Ausmaß – auch linksextremistischer Gruppierungen, wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), ausgesetzt. Die Intensität des Konflikts mit der PKK innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 14.6.2019). Dennoch ist die Situation im Südosten trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds weiterhin angespannt. Die Regierung setzte die Sicherheitsmaßnahmen gegen die PKK und mit ihr verbundenen Gruppen fort (EC 25.9.2019). Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (IHD) kamen 2018 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 502 Personen ums Leben, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (IHD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (IHD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (IHD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte 2018 sogar 603 Personen, die ums Leben kamen. Von Jänner bis September 2019 kamen 361 Personen ums Leben (ICG 4.10.2019). Bislang gab es keine sichtbaren Entwicklungen bei der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erreichung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 29.5.2019).

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 4.10.2019). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in Diyarbak?r, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin, ??rnak und Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, ?anl?urfa, Diyarbak?r, Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Mu?, Tunceli, ??rnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder „zeitweilige Sicherheitszonen“ eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbak?r und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und A?r? (AA 8.10.2019a). Das BMEIA sieht ein hohes Sicherheitsrisiko in den Provinzen A?r?, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbak?r, Gaziantep, Hakkâri, Kilis, Mardin, ?anl?urfa, Siirt, ??rnak, Tunceli und Van, wo es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten kommt. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gilt im Rest des Landes (BMEIA 4.10.2019).

Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 4.10.2019).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 8.10.2019

AA – Auswärtiges Amt (8.11.2019a): Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962#content_1, Zugriff 8.10.2019

BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.11.2019): Türkei – Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tuerkei/, Zugriff 8.10.2019

EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 3.10.2019

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.10.2019): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html, Zugriff 4.10.2019ICG – Internal Crisis Group (4.10.2019): Turkey’s PKK Conflict: A Visual Explainer, https://www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer, Zugriff 7.10.2019

IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (1.2.2017): IHD’s 2016 Report on Human Rights Violations in Eastern and Southeastern Anatolia Region, https://ihd.org.tr/en/ihds-2016-report-on-human-rights-violations-in-eastern-and-southeastern-anatolia/, Zugriff 4.10.2019

IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (24.5.2018): 2017 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_balance-sheet-1.pdf, Zugriff 4.10.2019

IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (19.4.2019): 2018 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2019/05/2018-SUMMARY-TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN-TURKEY.pdf, Zugriff 4.10.2019

Gülen- oder Hizmet-Bewegung

Fethullah Gülen, ist ein muslimischer Prediger und charismatisches Zentrum eines weltweit aktiven Netzwerks, das bis vor kurzem die wohl einflussreichste religiöse Bewegung des Landes war. Von seinen Gegnern wird Gülen als Bedrohung der staatlichen Ordnung bezeichnet (bpb 1.9.2014). Gülen wird von seinen Anhängern als spiritueller Führer betrachtet, der einen toleranten Islam fördert, der Altruismus, Bescheidenheit, harte Arbeit und Bildung hervorhebt. In der Türkei soll es möglicherweise Millionen von Anhängern geben, oft in einflussreichen Positionen. Die Gülen-Bewegung betreibt Schulen rund um den Globus (BBC 21.7.2016). Zahlreiche Gülen-Schulen wurden, teilweise auf Druck hin, auf der Basis von bilateralen Abkommen mit den jeweiligen Ländern geschlossen, anderen Eigentümern oder der türkischen staatlichen Stiftung Maarif, die eigens hierfür gegründet wurde, übertragen (SCF 5.2.2019; vgl. DS 31.7.2018). Mit Februar 2019 waren laut Direktor von Maarif rund 70% aller Gülen-Schulen in 21 Ländern, ausgenommen in westlichen Staaten, der Kontrolle der Gülen-Bewegung entzogen. Hiervon wurden inzwischen 191 ehemalige Gülen-Schulen der türkischen Maarif-Stiftung übergeben (SCF 5.2.2019).

Erdo?an stand Gülen jahrzehntelang nahe. Die beiden Führer verband die Gegnerschaft zu den sekulären, kemalistischen Kräften in der Türkei. Sie hatten beide das Ziel die Türkei in ein vom türkischen Nationalismus und einer starken, konservativen Religiosität geprägtes Land zu verwandeln. Selbst nicht in die Politik eintretend, unterstützte Gülen die AKP bei deren Gründung und späteren Machtübernahme, auch indem er seine Anhänger in diesem Sinne mobilisierte (MEE 21.7.2016). Erdo?an nutzte wiederum die bürokratische Expertise der Gülenisten, um das Land zu führen und dann, um das Militär aus der Politik zu drängen. Nachdem das Militär entmachtet war, begann der Machtkampf (BBC 21.7.2016). Das Bündnis zwischen Erdo?an und Gülen begann sich aufzuweichen, als die Gülenisten in Polizei und Justiz zu unabhängig wurden. Das Klima verschärfte sich, als Gülen selbst Erdo?an für seinen Umgang mit den Protesten im Gezi-Park im Jahr 2013 kritisierte. Erdo?an beschuldigte daraufhin Gülen und seine Anhänger, die AKP-Regierung durch Korruptionsuntersuchungen zu Fall bringen zu wollen, da mehrere Beamte und Wirtschaftsführer mit Verbindungen zur AKP betroffen waren und zu Rücktritten von AKP-Ministern führten (MEE 21.7.2016). In der Folge versetzte die Regierung die an den Ermittlungen beteiligten Staatsanwälte, Polizisten und Richter (bpb 1.9.2014).

Ein türkisches Gericht hatte im Dezember 2014 Haftbefehl gegen Gülen erlassen. Die Anklage beschuldigte die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Zur gleichen Zeit ging die Polizei mit einer landesweiten Razzia gegen mutmaßliche Anhänger Gülens in den Medien vor (Standard 20.12.2014). Am 27.5.2016 verkündete Staatspräsident Erdo?an, dass die Gülen-Bewegung auf Basis einer Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates vom 26.5.2016 als terroristische Organisation registriert wird (HDN 27.5.2016). Im Juni 2017 definierte das Oberste Appelationsgericht die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation. In dieser Entscheidung wurden auch die Kriterien für die Mitgliedschaft in dieser Organisation festgelegt (UKHO 2.2018).

Die türkische Regierung beschuldigt die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch vom 15.7.2016 zu stecken, bei dem mehr als 250 Menschen getötet wurden. Für eine Beteiligung gibt es zwar zahlreiche Indizien, eindeutige Beweise aber ist die Regierung in Ankara bislang schuldig geblieben (DW 13.7.2018). Die Gülen-Bewegung wird von der Türkei als „Fetullahç? Terör Örgütü – (FETÖ)“, „Fetullahistische Terror Organisation“, tituliert, meist in Kombination mit der Bezeichnung "Parallel Devlet Yap?lanmas? (PDY)", die „Parallele Staatsstruktur“ bedeutet (UK Home Office 2.2018). Die EU stuft die Gülen-Bewegung weiterhin nicht als Terrororganisation ein und steht auf dem Standpunkt, die Türkei müsse substanzielle Beweise vorlegen, um die EU zu einer Änderung dieser Einschätzung zu bewegen (Standard 30.11.2017). Auch für die USA ist die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung keine Terrororganisation (TM 2.6.2016).

Laut Angaben des Vize-Vorsitzenden der Regierungspartei MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) vom Dezember 2019 wurde seit dem Putschversuch vom Juli 2016 insgesamt gegen 562.581 Personen wegen tatsächlicher und angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung ermittelt. Von diesen wurden 263.553 festgenommen und 91.610 inhaftiert (TP 17.12.2019). Nach einer Mitteilung des Innenministeriums an den türkischsprachigen Dienst der BBC waren mit Stand Mitte Februar 2020 noch 26.862 Personen wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert, fast 5.000 von ihnen waren zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, während sich die Übrigen in Untersuchungshaft befanden. Inzwischen führen die Staatsanwälte 69.701 Untersuchungen durch, bei denen 135.708 Verdächtige der Mitgliedschaft in der Bewegung beschuldigt werden. Darüber hinaus sind 42.717 Verfahren anhängig, in denen 60.167 Angeklagte, die der Verbindungen zu Gülen beschuldigt werden, angeklagt sind (TM 21.2.2020).

Laut Staatspräsident Erdo?an sind die staatlichen Institutionen noch nicht vollständig von Mitgliedern der „FETÖ“ befreit (Ahval 10.4.2019). Die systematische Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung dauert an (AA 14.6.2019). Mitte Jänner 2020 erließen die Behörden Haftbefehle gegen 237 Personen. Im Zuge von Polizeioperationen in 49 Provinzen wurden mindestens 203 Verdächtige festgenommen (DS 14.1.2020). Anfang März 2020 wurden Haftbefehle gegen 115 Verdächtige in mehreren Städten erlassen. Betroffen waren Lehrer, Geschäftsleute, Anwälte sowie ehemalige Polizisten (TM 4.3.2020).

Mit Stand 1.1.2020 waren insgesamt 3.879 Angeklagte wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung im Zusammenhang mit dem gewaltsamen Putschversuch verurteilt, darunter 2.335 zu lebenslanger Haft und 1.544 zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und zwei Monaten bis zu 20 Jahren. 18 von 289 Fällen im Zusammenhang mit einem Putschversuch im Jahr 2016 in der Türkei warten noch auf die Urteile der Gerichte (Ahval 2.1.2020). Anfang Jänner 2020 verurteilte ein Gericht in Istanbul 70 ehemalige Kadetten der Luftstreitkräfte zu lebenslanger Haft (Ahval 3.1.2020).

Die Kriterien für die Feststellung der Anhänger- bzw. Mitgliedschaft sind hierbei recht vage. Türkische Behörden und Gerichte ordnen Personen nicht nur dann als Terroristen ein, wenn diese tatsächlich aktives Mitglied der Gülen-Bewegung sind, sondern auch dann, wenn diese z. B. lediglich persönliche Beziehungen zu Mitgliedern der Bewegung unterhalten, eine von der Bewegung betriebene Schule besucht haben oder im Besitz von Schriften Gülens sind. In der Regel reicht das Vorliegen eines der folgenden Kriterien, um eine strafrechtliche Verfolgung als mutmaßlicher „Gülenist“ einzuleiten: Nutzen der verschlüsselten Kommunikations-App ByLock; Geldeinlage bei der Bank Asya nach dem 25.12.2013; Abonnement bei der Nachrichtenagentur Cihan oder der Zeitung Zaman; Spenden an Gülen-Strukturen zugeordneten Wohltätigkeitsorganisationen; Besuch Gülen zugeordneter Schulen durch Kinder; Kontakte zu Gülen zugeordneten Gruppen/Organisationen/Firmen, inklusive abhängige Beschäftigung (AA 14.6.2019). Allerdings entschied der Oberste Berufungsgerichtshof im Mai 2019, dass weder das Zeitungsabonnement eines Angeklagten noch seine Einschreibung eines Kindes in einer Gülen-Schule als Beweis dienen kann, dass die Person in terroristische Aktivitäten verwickelt oder Mitglied einer terroristischen Vereinigung war (SCF 6.8.2019).

ByLock

Im September 2017 entschied das Kassationsgericht, dass der Besitz von ByLock einen ausreichenden Nachweis für die Aufnahme in die Gülen-Bewegung darstellt. Im Oktober 2017 urteilte dasselbe Gericht jedoch, dass das Sympathisieren mit der Gülen-Bewegung nicht gleichbedeutend ist mit einer Mitgliedschaft und somit keinen ausreichenden Nachweis für letztere darstellt. Mehrere Personen, die wegen angeblicher Nutzung von ByLock verhaftet wurden, wurden freigelassen, nachdem im Dezember 2017 nachgewiesen wurde, dass Hunderte von Personen zu Unrecht der Nutzung der mobilen Anwendung beschuldigt wurden (EC 17.4.2018). Ende September 2018 wurden mindestens 21 Verdächtige in Istanbul nach Razzien an 54 Orten verhaftet, unter dem Vorwurf, die verschlüsselte Messaging-Anwendung ByLock zu verwenden und an Trainingsaktivitäten des Unternehmens beteiligt gewesen zu sein (Anadolu 24.9.2018). Im September 2019 wurden bei Operationen in sechs Städten über 40 Verdächtige als ehemalige ByLock-Nutzer verhaftet (DS 11.9.2019). Anfang Oktober 2019 ordnete die Staatsanwaltschaft der Provinz Izmir die Festnahme von 51 Verdächtigen an, von denen 33 beschuldigt wurden, ByLock verwendet zu haben (Anadolu 8.10.2019). Laut Innenministerium wurden bislang mehr als 95.000 Nutzer identifiziert und zudem 4.676 neue ByLock Nutzer entdeckt (DS 11.9.2019).

Die Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur willkürlichen Inhaftierung gab im Oktober 2019 eine Stellungnahme ab, wonach die Nutzung von ByLock unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt. Solange die türkischen Behörden nicht offen erklären würden, wie die Verwendung von ByLock einer kriminellen Aktivität gleichkommt, wären Verhaftungen aufgrund der Benutzung von ByLock willkürlich (TM 15.10.2019; vgl. UN-HRC 18.9.2019). Die Arbeitsgruppe bedauerte zudem, dass ihre Ansichten in vormaligen Stellungnahmen zu Fällen, die nach dem gleichen Muster abgelaufen waren, seitens der türkischen Behörden keine Berücksichtigung gefunden hatten (UN-HRC 18.9.2019).

Asya Bank

Das Oberste Berufungsgericht entschied 2018, dass diejenigen, die nach dem Aufruf von Fetullah Gülen Anfang 2014 Geld bei der Bank Asya eingezahlt haben, als Unterstützer und Begünstiger der Gülen-Bewegung angesehen werden sollten (DS 11.2.2018; vgl. TP 16.2.2019). Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara hat Ende Mai 2018 Haftbefehle gegen 59 Personen erlassen, die Kunden des inzwischen geschlossenen islamischen Kreditgebers Bank Asya waren, die mit der Gülen-Bewegung verbunden war (TM 30.5.2018). Im September 2019 ordneten Staatsanwälte die Festnahme von 35 Personen an, die beschuldigt werden, die Messenger-App Bylock verwendet und Geld in der Asya Kat?l?m Bank deponiert zu haben. 14 Personen wurden in Ankara und sieben weiteren Städten festgenommen (DS 18.9.2019). [zu Verurteilungen siehe: 4.Rechtsschutz/Justizwesen].

Entführungen aus dem Ausland

Über 100 mutmaßliche Mitglieder der Gülen-Bewegung wurden laut türkischem Außenminister vom Geheimdienst (M?T) im Ausland entführt und im Rahmen der globalen Fahndung der Regierung in die Türkei zurückgebracht (SCF 16.7.2018). Demnach seien Menschen aus Malaysia, Pakistan, Kasachstan, dem Kosovo, Moldawien, Aserbaidschan, Ukraine, Gabun und Myanmar von der türkischen Regierung entführt worden. Ein weiterer Versuch in der Mongolei sei von der mongolischen Polizei im Juli 2018 verhindert worden (Welt 15.9.2019).

Als Teil einer weltweiten Razzia gegen Gülen-Anhänger hat die Türkei die Auslieferung von 750 Personen aus 101 Ländern beantragt, allerdings lehnten einige Länder bereits die Auslieferung von 74 betroffenen Personen ab. Außerdem beantragte das türkische Innenministerium bei Interpol die Ausstellung eines sog. „Red Notice“ für 555 Verdächtige (TM 21.2.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 8.10.2019

Ahval (10.4.2019): Turkey’s state institutions not fully purged of Gülenists, says Erdo?an, https://ahvalnews.com/gulen-movement/turkeys-state-institutions-not-fully-purged-gulenists-says-erdogan, Zugriff 8.10.2019

Ahval (2.1.2020): Eighteen Turkish coup trials rumble on into 2020, https://ahvalnews.com/gulen-movement/eighteen-turkish-coup-trials-rumble-2020, Zugriff 7.4.2020

Ahval (3.1.2020): Turkey hands life sentences to 70 former air force cadets, https://ahvalnews.com/coup-attempt/turkey-hands-life-sentences-70-former-air-force-cadets, 13.2.2020

Anadolu Agency (24.9.2018): Turkey: Over 20 FETO suspects arrested in Istanbul, https://www.aa.com.tr/en/todays-headlines/turkey-over-20-feto-suspects-arrested-in-istanbul/126289, Zugriff 8.10.2019

Anadolu Agency (8.10.2019): Turkey: Warrants out for 51 FETO suspects, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-warrants-out-for-51-feto-suspects/1605390, Zugriff 9.10.2019

BBC News (21.7.2016): Turkey coup: What is Gulen movement and what does it want? http://www.bbc.com/news/world-europe-36855846, Zugriff 8.10.2019

bpb - Bundeszentrale für politische Bildung (1.9.2014): Die Gülen-Bewegung in der Türkei und Deutschland, http://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/184979/guelen-bewegung, Zugriff 8.10.2019

DW – Deutsche Welle (13.7.2018): Die Gülen-Bewegung: Neues Zentrum "Almanya", https://www.dw.com/de/die-g%C3%Bclen-bewegung-neues-zentrum-almanya/a-44645120, Zugriff 8.10.2019

DS – Daily Sabah (11.2.2018): Depositing money in Bank Asya on Gülen’s order proof of FETÖ membership, https://www.dailysabah.com/investigations/2018/02/12/depositing-money-in-bank-asya-on-gulens-order-proof-of-feto-membership-1518386092, Zugriff 8.10.2019

DS – Daily Sabah (31.7.2018): Maarif Foundation President Birol Akgün: Turkey now controls 60 percent of non-Western FETÖ schools, https://www.dailysabah.com/politics/2018/07/30/maarif-foundation-president-birol-akgun-turkey-now-controls-60-percent-of-non-western-feto-schools, Zugriff 27.11.2019

DS – Daily Sabah (11.9.2019): Nationwide operations net suspects tied to FETÖ terror group, https://www.dailysabah.com/investigations/2019/09/11/nationwide-operations-net-suspects-tied-to-feto-terror-group, Zugriff 8.10.2019

DS – Daily Sabah (18.9.2019): 53 arrested in operations against FETÖ, https://www.dailysabah.com/investigations/2019/09/18/53-arrested-in-operations-against-feto, Zugriff 8.10.2019

Daily Sabah (14.1.2020): Turkey arrests 203 suspects in operations against FETÖ, https://www.dailysabah.com/investigations/2020/01/14/turkey-arrests-203-suspects-in-operations-against-feto, Zugriff 8.4.2020

EC – European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 8.10.2019

HDN – Hürriyet Daily News (27.5.2016): Turkey to add Gülen movement to list of terror groups: President, http://www.hurriyetdailynews.com/turkey-to-add-gulen-movement-to-list-of-terror-groups-president-.aspx?pageID=238&nID=99762&NewsCatID=338, Zugriff 8.10.2019

MEE – Middle East Eye (21.7.2016): ANALYSIS: Dissecting Turkey's Gulen-Erdogan relationship, https://www.middleeasteye.net/news/analysis-dissecting-turkeys-gulen-erdogan-relationship, Zugriff 8.10.2019

UN-HRC - Human Rights Council Working Group on Arbitrary Detention (18.9.2019): Opinions adopted by the Working Group on Arbitrary Detention at its eighty-fifth session, 12–16 August 2019, Opinion No. 53/2019 concerning Melike Göksan and Mehmet FatihGöksan (Turkey), https://www.ohchr.org/Documents/Issues/Detention/Opinions/Session85/A_HRC_WGAD_2019_53.pdf, Zugriff 15.10.2019

Die Presse (30.11.2017): EU sieht in türkischer Gülen-Bewegung keine Terrororganisation, https://www.diepresse.com/5330148/eu-sieht-in-turkischer-gulen-bewegung-keine-terrororganisation, Zugriff 8.10.2019

Der Standard (20.12.2014): Haftbefehl gegen Erdogan-Feind Gülen, https://derstandard.at/2000009628933/hTuerkischer-Zaman-Chefredakteur-unter-Auflagen-frei#, Zugriff 8.10.2019

Der Standard (30.11.2017): EU sieht in Gülen-Bewegung keine Terrororganisation, https://derstandard.at/2000068784722/EU-sieht-in-Guelen-Bewegung-keine-Terrororganisation, Zugriff 8.10.2019

SCF – Stockholm Center for Freedom (16.7.2018): Turkish FM says over 100 members of Gülen movement abducted abroad and brought to Turkey, https://stockholmcf.org/turkish-fm-says-over-100-members-of-gulen-movement-abducted-abroad-and-brought-to-turkey/, Zugriff 9.10.2019

SCF – Stockholm Center for Freedom (6.8.2019): Newspaper subscription, school enrollment not terrorist activity, says Turkey’s top appeals court, https://stockholmcf.org/newspaper-subscription-school-enrollment-not-terrorist-activity-says-turkeys-top-appeals-court/, Zugriff 8.10.2019

SCF – Stockholm Center for Freedom (5.2.2019): Erdo?an’s Maarif Foundation has taken over 191 Gülen-linked schools in 21 countries, says chair, https://stockholmcf.org/erdogans-maarif-foundation-has-taken-over-191-gulen-linked-schools-in-21-countries-says-chair/, Zugriff 27.11.2019

TM - Turkish Minute (2.6.2016): United States: We do not consider Gülen movement “terrorist organization”, https://www.turkishminute.com/2016/06/02/united-states-not-consider-gulen-movement-terrorist-organization/, Zugriff 8.10.2019

TM – Turkish Minute (30.5.2018): Detention warrants issued for 59 Bank Asya customers over alleged Gülen links, https://www.turkishminute.com/2018/05/30/detention-warrants-issued-for-59-bank-asya-customers-over-alleged-gulen-links/, Zugriff 8.10.2019

TM -Turkish Minute 15.10.2019): UN working group on arbitrary detention says use of ByLock is freedom of expression, https://www.turkishminute.com/2019/10/15/un-working-group-on-arbitrary-detention-says-use-of-bylock-is-freedom-of-expression/, Zugriff 15.10.2019

Turkish Minute (21.2.2020): Latest figures show 26,862 people in jail over Gülen links: ministry, https://www.turkishminute.com/2020/02/21/latest-figures-show-26862-people-in-jail-over-gulen-links-ministry/, Zugriff 8.4.2020

Turkish Minute (4.3.2020): Turkey orders detention of 115 suspects as part of post-coup Gülen crackdown, https://www.turkishminute.com/2020/03/04/turkey-orders-detention-of-115-suspects-as-part-of-post-coup-gulen-crackdown/, Zugriff 8.4.2020

TP – Turkey Purge (16.2.2019): Turkey’s top appeal court says Bank Asya depositors ‘terrorist’, https://turkeypurge.com/turkeys-top-appeal-court-says-bank-asya-depositors-terrorist, Zugriff 27.11.2019

TP – Turkey Purge (17.12.2019): 562,581 people in Turkey investigated on coup, terror related charges to date, https://turkeypurge.com/562581-people-in-turkey-investigated-on-coup-terror-related-charges-to-date, Zugriff 13.2.2020

UK-Home Office (2.2018): Country Policy and Information Note Turkey: Gülenist Movement, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/682868/Turkey_-_Gulenists_-_CPIN_-_v2.0.pdf, Zugriff 8.10.2019

Welt (15.9.2019): Die Erdogan-Regierung soll im Ausland 31 Menschen entführt haben, https://www.welt.de/politik/ausland/article200235236/Erdogan-Regierung-soll-im-Ausland-31-Menschen-entfuehrt-haben.html, Zugriff 9.10.2019

Terroristische Gruppierungen: PKK – Partiya Karkerên Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)

Der Kampf der marxistisch orientierten Kurdischen Arbeiterpartei, PKK, die nicht nur in der Türkei verboten, sondern auch von den USA und der EU als terroristische Organisation eingestuft ist, wird gegenwärtig offiziell für eine weitreichende Autonomie innerhalb der Türkei geführt. Der PKK-Gewalt standen Verhaftungen und schwere Menschenrechtsverletzungen seitens der türkischen Militärregierung (ab 1980) gegenüber. Seit 1984 haben PKK-Attentate und Operationen mehr als 40.000 militärische und zivile Opfer gefordert. Die PKK agiert vor allem im Südosten, in den Grenzregionen zum Iran und Syrien sowie im Nord-Irak, wo auch ihr Rückzugsgebiet, das Kandil-Gebirge, liegt (ÖB 10.2019).

Zu den Kernforderungen der PKK gehören nach wie vor die Anerkennung der kurdischen Identität sowie eine politische und kulturelle Autonomie der Kurden unter Aufrechterhaltung nationaler Grenzen in ihren türkischen, aber auch syrischen Siedlungsgebieten (BMIBH 6.2019)

2012 initiierte die Regierung den sog. „Lösungsprozess“ (keine offiziellen Verhandlungen), bei dem zum Teil auch auf Vermittlung durch HDP-Politiker zurückgegriffen wurde. Nach der Wahlniederlage der AKP im Juni 2015 (Verlust der absoluten Mehrheit), dem Einzug der pro-kurdischen HDP ins Parlament und den militärischen Erfolgen kurdischer Kämpfer im benachbarten Syrien, brach der gewaltsame Konflikt wieder aus (ÖB 10.2019). Auslöser für eine neuerliche Eskalation des militärischen Konflikts war auch ein der Terrormiliz Islamischer Staat zugerechneter Selbstmordanschlag am 20.7.2015 in der türkischen Grenzstadt Suruç, der über 30 Tote und etwa 100 Verletzte gefordert hatte. PKK-Guerillaeinheiten töteten daraufhin am 22.7.2015 zwei türkische Polizisten, die sie einer Kooperation mit dem IS bezichtigten. Das türkische Militär nahm dies zum Anlass, in der Nacht zum 25.7.2015 Bombenangriffe auf Lager der PKK in Syrien und im Nordirak zu fliegen. Parallel fanden in der Türkei landesweite Exekutivmaßnahmen gegen Einrichtungen der PKK statt. Noch am selben Tag erklärten die PKK-Guerillaeinheiten den seit März 2013 jedenfalls auf dem Papier bestehenden Waffenstillstand mit der türkischen Regierung für bedeutungslos (BMI-D 6.2016). Der Lösungsprozess wurde vom Präsidenten für gescheitert erklärt. Ab August 2015 wurde der Kampf von der PKK in die Städte des Südostens getragen: Die Jugendorganisation der PKK hob in den von ihnen kontrollierten Stadtvierteln Gräben aus und errichtete Barrikaden, um den Zugang zu sperren. Die Kampfhandlungen, die bis ins Frühjahr 2016 anhielten, waren von langen Ausgangssperren begleitet und forderten zahlreiche Todesopfer unter der Zivilbevölkerung (ÖB 10.2019).

Die Kampfhandlungen zwischen dem türkischen Militär und den Guerillaeinheiten der PKK in den südostanatolischen und den nordsyrischen Gebieten mit überwiegend kurdischer Bevölkerungsmehrheit setzten sich im Berichtszeitraum (2018) fort und verschärften sich teils noch. Schon aus diesem Grund erscheint eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen der PKK und der türkischen Regierung gegenwärtig als unwahrscheinlich (BMIBH-D 6.2019).

Quellen:

BMIBH-D - Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat [Deutschland] (6.2019): Verfassungsschutzbericht 2018, https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2018.pdf, Zugriff 9.10.2019

BMI-D - Bundesministerium des Innern [Deutschland] (6.2016): Verfassungsschutzbericht 2015, https://www.verfassungsschutz.de/de/download-manager/_vsbericht-2015.pdf, Zugriff 25.10.2019

ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 25.10.2019

Terroristische Gruppierungen: TAK - Teyrêbazên Azadiya Kurdistan – (Freiheitsfalken Kurdistans)

TAK ist eine mit der PKK verbundene terroristische Vereinigung. Die TAK wurde Berichten zufolge 1999 von PKK-Führern gegründet, nachdem der PKK-Gründer, Abdullah Öcalan, verhaftet worden war. Im Jahr 2004 beschuldigte die TAK die PKK jedoch des Pazifismus und spaltete sich öffentlich von der PKK ab. Die TAK soll aus jungen städtischen Rekruten bestehen. Seit 2004 hat sie mehr als ein Dutzend tödlicher Angriffe im ganzen Land verübt, darunter der Beschuss eines türkischen Militärkonvois im Februar 2016 in Ankara und die Bombenanschläge vom Dezember 2016 vor einem Sportstadion in Istanbul. Die türkische Regierung bestreitet die Trennung von TAK und PKK und behauptet, die TAK sei ein terroristischer Stellvertreter ihrer Mutterorganisation, der PKK. Sicherheitsanalysten zufolge ist die TAK mit der PKK durch ideologische Doktrin, militärische Ausbildung, Rekrutierung und die Lieferung von Waffen verbunden, allerdings koordiniert und führt sie selbstständig Angriffe durch. Die TAK wurde von den USA, der Türkei und der EU als terroristische Organisation eingestuft (CEP 15.10.2018).

Die TAK gilt als eine extrem geheime Organisation, deren Mitgliederzahl unbekannt ist. Laut Personen, die der PKK nahestehen, operiert die TAK in isolierten Zwei- bis Drei-Mann-Zellen, die zwar ideologisch der PKK folgen, jedoch unabhängig von dieser handeln (AM 29.2.2016).

Quellen:

CEP – Counter Extremism Project (15.10.2018): Turkey: Extremism & Counter-Extremism, https://www.counterextremism.com/sites/default/files/country_pdf/TR-10152018.pdf, Zugriff 9.10.2019

AM – Al Monitor (29.2.2016): Who is TAK and why did it attack Ankara? http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/02/turkey-outlawed-tak-will-not-deviate-line-of-ocalan.html, Zugriff 9.10.2019

Terroristische Gruppierungen: MLKP – Marksist Leninist Komünist Parti (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei)

Die „Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) ist 1994 im Wesentlichen durch die Vereinigung der TKPML-Hareketi und der "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) in der Türkei gegründet worden. Sie bekennt sich ideologisch zum revolutionären Marxismus-Leninismus. Sie strebt in der Türkei die gewaltsame Zerschlagung der staatlichen Ordnung und die Errichtung eines kommunistischen Gesellschaftssystems an. Nach eigenen Angaben versteht sich die MLKP als politische Vorhut des Proletariats der türkischen und kurdischen Nation sowie der nationalen Minderheiten (BMIBH 6.2019).

Die türkischen Behörden nehmen vereinzelt vermeintliche Mitglieder der MLKP fest (DS 30.4.2019, FR 20.4.2018). Die MLKP verfügt über einen bewaffneten Arm, die „bewaffneten Kräfte der Armen und Unterdrückten“ (FESK), die unter dem Kommando der syrisch-kurdischen YPG in Syrien von Kobane bis Deir az-Zour gemeinsam mit US-Truppen in Syrien gegen den sog. Islamischen Staat kämpften (TNA 17.5.2019), was bei der türkischen Regierung zu Irritationen führte (Anadolu 20.8.2019). Die bewaffneten Einheiten der MLKP/FESK bekämpfen auch die türkischen Besatzungssoldaten in Syrien (MLKP 18.8.2018). In der Türkei selbst kämpfen die Mitglieder der MLKP zumal in den Reihen des bewaffneten Arms der PKK, der HPG (TNA 17.5.2019), wovon Berichte der MLKP über ihre Gefallenen zeugen (MLKP 20.7.2019, 1.9.2018). Die MLKP/FESK reklamierte im September 2019 auch ein Bombenattentat auf eine Polizeistation in Adana für sich (27.9.2019).

Quellen:

Anadolu Agency (20.8.2019): US meets with far-left terror group in Syria: minister, https://www.aa.com.tr/en/turkey/us-meets-with-far-left-terror-group-in-syria-minister/1560965, Zugriff 9.10.2019

BMIBH - Bundesministers des Innern, für Bau und Heimat [Deutschland] (6.2019): Verfassungsschutzbericht 2018, https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2018.pdf, Zugriff 9.10.2019

DS – Daily Sabah (30.4.2019): Far-left terrorist sought with $250K bounty captured in northwestern Turkey, https://www.dailysabah.com/war-on-terror/2019/04/30/far-left-terrorist-sought-with-250k-bounty-captured-in-northwestern-turkey, Zugriff 9.10.2019

FR – Frankfurter Rundschau (20.4.2018): „Das ist unerträglich“, http://www.fr.de/politik/u-haft-in-der-tuerkei-das-ist-unertraeglich-a-1490872, Zugriff 9.10.2019

MLKP (18.8.2018): MLKP/FESK Rural Guerilla Units Takes Part in the Defense of Southern Kurdistan Against Turkish State's Attacks, http://www.mlkp-info.org/?icerik_id=10663&MLKP/FESK_Rural_Guerilla_Units_Takes_Part_in_the_Defense_of_Southern_Kurdistan_Against_Turkish_States_Attacks, Zugriff 9.10.2019

MLKP (1.9.2018): MLKP/FESK Rural Guerilla Units Fighter ?rfan Çelik fell martyr, http://www.mlkp-info.org/?icerik_id=10678&MLKP/FESK_Rural_Guerilla_Units_Fighter_%C4%B0rfan_%C3%87elik_fell_martyr, Zugriff 9.10.2019

MLKP (20.7.2019): MLKP/FESK Guerrillas Martyred In Turkish Airstrike In Dersim, http://www.mlkp-info.org/?icerik_id=11277&MLKP/FESK_Guerrillas_Martyred_In_Turkish_Airstrike_In_Dersim_, Zugriff 9.10.2019

MLKP (27.9.2019): Bomb Attack By FESK in Adana, http://www.mlkp-info.org/?icerik_id=11372&Bomb_Attack_By_FESK_in_Adana, Zugriff 9.10.2019

TNA – The New Arab (17.5.2019): 'Communist militants' among US partners in Syria, https://www.alaraby.co.uk/english/indepth/2019/5/17/communist-militants-among-us-partners-in-syria, Zugriff 9.10.2019.

Terroristische Gruppierungen: DHKP-C - Devrimci Halk Kurtulu? Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten