Entscheidungsdatum
24.11.2021Norm
ASVG §342 Abs1Spruch
W217 2238621-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende sowie Dr. Michael SCHRIEFL, Hon.-Prof. Dr. KAD HR Johannes ZAHRL, Prim. Dr. Ewald NIEFERGALL und Mag. Andreas VRANEK als fachkundige Laienrichter über die Beschwerde des Prof. Dr. XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid der Paritätischen Schiedskommission für Wien vom 02.10.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der am XXXX geborene Beschwerdeführer (in der Folge: „BF“) ist als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe aufgrund eines im Jahre 1988 abgeschlossenen Einzelvertragsverhältnisses Vertragsarzt der seinerzeitigen Wiener Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse (in der Folge „mitbeteiligte Partei“ oder „mbP“). Mit Schreiben vom 28.10.2019 (verbessert mit Schreiben vom 26.11.2019) an die mbP beantragte der BF die Feststellung, dass der zwischen dem BF und der mbP bestehende Einzelvertrag nicht durch Erreichen der Altersgrenze beendet werde.
2. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid der Paritätischen Schiedskommission für Wien vom 02.10.2020 wurde der Antrag des BF abgewiesen. § 10 Abs. 3 des Gesamtvertrages (GV) sehe vor, dass über Antrag des Vertragsarztes mögliche Ausnahmen vom Endigungsgrund des § 342 Abs. 1 Z 10 ASVG im Einvernehmen zwischen Kammer und Kasse vereinbart werden können. Eine derartige Vereinbarung sei nicht zustande gekommen. Ein konkreter Ausnahmegrund sei in § 10 Abs. 3 GV nicht namentlich angeführt, durch den Hinweis auf § 342 Abs. 1 Z 10 ASVG, der das Vorliegen einer drohenden ärztlichen Unterversorgung als Voraussetzung einer Ausnahmeregelung zwischen Kammer und Kasse nenne, sei diese Bestimmung jedoch hinreichend determiniert. Der Gesetzgeber des ASVG habe bei dieser Regelung die gesetzliche Aufgabenstellung der Vertragspartner eines Gesamtvertrages im Zusammenhang mit der gesetzlichen Sozialversicherung bedacht und die Beurteilung der Bedürfnisse eines Vertragsarztes auf Verlängerung eines Einzelvertrages einerseits und der ärztlichen Versorgungslage andererseits dem Zusammenwirken vernünftiger, sach- und situationskundiger Gesamtvertragsparteien, die unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles Vereinbarungen über eine Verlängerung eines Einzelvertrages treffen könnten, überlassen. Komme eine derartige Vereinbarung nicht zustande, könne eine solche Vereinbarung auch nicht durch einen Bescheid der Paritätischen Schiedskommission ersetzt werden. Andererseits könne Willkür bei Nichteinigung von Kammer und Kasse nicht unterstellt werden, noch werde eine solche behauptet. Der BF habe eine drohende ärztliche Unterversorgung nicht behauptet, sondern spreche nur von einem Ärztemangel, der aber noch keinen Notstand verwirkliche. Da die Planstelle des BF bestehe und eine Nichtnachbesetzung derzeit nicht feststehe, bleibe die Versorgungslage zum Zeitpunkt des ex-lege Ausscheidens des BF gleich, sodass kein Hinweis auf eine drohende Unterversorgung gegeben sei. Im Übrigen entspreche die Verfassungskonformität der eingeführten Altersgrenze der Rechtsprechung.
3. In der fristgerecht gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde wandte der BF ein, der Altersgrenze würde die unmittelbar wirksamen Bestimmungen der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (im Folgenden kurz: „Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie“) entgegenstehen. Nach gefestigter Judikatur des EuGH berühre eine Bestimmung wie die vorliegende die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Sinne Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie, indem sie die betreffenden Personen daran hindere, über ihr vollendetes 70. Lebensjahr hinaus zu arbeiten. Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie stelle eine Ungleichbehandlung wegen des Alters dann keine Diskriminierung dar, wenn sie objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sei und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich seien. Das Ziel, den nachrückenden Generationen an ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit zu sichern, Vertragsarzt/ärztin zu werden bzw. den Generationswechsel zu fördern, sei zwar ein legitimes Ziel, das jedoch nicht geeignet sei, das vom Gesetzgeber reklamierte Ziel zu erreichen. Dies hänge vielmehr von der Praxis der Ausschreibung der freien Stellen ab. Jedenfalls sei die Altersgrenze nicht „angemessen und erforderlich“ im Sinne der Judikatur, um das Ziel des Zugangs der jüngeren Generation zu erreichen. Zudem sei die obligatorische Altersgrenze eine völlig überschießende Maßnahme, da die große Mehrheit der Stelleninhaber ohnehin freiwillig bereit wäre, die Kassenplanstelle mit Erreichen eines Alters von 70 Jahren aufzugeben.
Darüber hinaus greife die gegenständliche Regelung in das Recht gemäß Art 15 Abs. 1 GRC zu arbeiten und einen frei gewählten Beruf auszuüben ein. Solche Eingriffe würden eine transparente generelle Rechtsgrundlage erfordern. Die gegenständliche Regelung entspreche durch den unbestimmten Gesetzesbegriff „drohender ärztlicher Unterversorgung“ nicht diesem Transparenzgebot. Schließlich widerspreche dies auch dem verfassungsgesetzlichen Determinierungsgebot des Art. 18 Abs. 1 B-VG.
4. Am 14.01.2021 langte die Beschwerde samt dem zugehörigen Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein.
5. Mit Schreiben vom 25.05.2021 erstattete die mbP eine Stellungnahme, wies auf die bereits eingebrachte Stellungnahme vom 25.05.2020 hin und führte aus, dass die vertragliche Einführung von Altersgrenzen und eine allfällig daraus resultierende Diskriminierung bereits unionsrechtlich vom EuGH behandelt worden seien, der keinen Verstoß gegen das Unionsrecht feststellen habe können und auch ausdrücklich das Ziel anerkannt habe, den Zugang jüngerer Ärztinnen bzw. Ärzte zum Vertragsarztsystem zu begünstigen und somit auch für eine gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen zu sorgen. Des Weiteren widerspreche die Anwendung der gesamtvertraglichen Regelung zur Altersgrenze auch nicht dem unionsrechtlich garantierten Grundrecht auf Berufsfreiheit und dem Recht zu arbeiten, da die Vertragsbeendigung mit Erreichen der Altersgrenze den BF nicht an seiner Erwerbstätigkeit hindere, sondern es ihm freistehe, seiner Erwerbstätigkeit weiterhin als Wahlarzt nachzukommen.
Über die Altersgrenze hinausgehende Verlängerungen der Einzelvertragsverhältnisse seien, wie gesetzlich ausdrücklich geregelt, nur bei einer drohenden ärztlichen Unterversorgung möglich. Ob eine ärztliche Unterversorgung drohe, sei im Einzelfall zu beurteilen. Nach umfassender Prüfung des gegenständlichen Verlängerungsantrages seien die Ärztekammer für Wien und die Österreichische Gesundheitskasse zu dem Schluss gekommen, dass eine Beendigung des Vertrages des BF mit Erreichen der Altersgrenze – insbesondere auch aufgrund seiner im Vergleich zu anderen Vertretern der Fachgruppe niedrigen Fallzahlen – zu keiner Unterversorgung im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe führen werde. In der Versorgungsregion 91 (1.-11. Bezirk und 20. Bezirk), in welcher sich die Ordination des BF befinde, würden den Patientinnen derzeit 40 Fachärztinnen und Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zur Verfügung stehen. Zudem bestehe auch bei aktuell ausgeschriebenen Stellen kein Mangel an Bewerber/innen. Im Rahmen des Invertragnahmeausschusses vom 05.05.2021 sei im Einvernehmen zwischen der Ärztekammer für Wien und ÖGK vereinbart worden, die Kassenplanstelle des BF mit Oktober 2021 auszuschreiben. Es sei davon auszugehen, dass es zu einer problemlosen und zeitnahen Nachbesetzung kommen werde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der am XXXX geborene BF ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Er ist aufgrund eines seit dem Jahre 1988 bestehenden Einzelvertragsverhältnisses Vertragsarzt der Österreichischen Gesundheitskasse (vormals Wiener Gebietskrankenkasse).
Das Vertragsverhältnis endet gemäß § 343 Abs. 2 Z 7 ASVG mit Ablauf jenes Jahresquartals, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet, sohin mit 31.12.2021.
Es liegt keine aktuelle oder drohende ärztliche Unterversorgung im Bereich Frauenheilkunde und Geburtshilfe in der Versorgungsregion des BF vor.
2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt zur Person des BF und dem gegenständlichen Einzelvertragsverhältnis ist unbestritten und ergibt sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.
Die Feststellung, wonach eine drohende ärztliche Unterversorgung im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe in der Versorgungsregion des BF nicht vorliegt, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt, insbesondere der Stellungnahme der ÖGK vom 25.05.2020, in der diese ausführt, dass derzeit im XXXX Wiener Gemeindebezirk nicht von einer Unterversorgung im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe gesprochen werden könne und eine solche auch nicht bevorstehe. Wien weise derzeit inklusive Gruppenpraxen 88 Vertragsgynäkologinnen bzw. Vertragsgynäkologen auf. Die durchschnittliche Bewerberanzahl pro ausgeschriebener Stelle liege bei zwei Fachärztinnen bzw. Fachärzten. Der vom BF behauptete zukünftige Mangel in der Versorgung im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe in der Versorgungsregion des BF wurde weder von der mitbeteiligten Partei, noch von der Ärztekammer für Wien bestätigt.
Zu den vom BF im Verfahren vor der belangten Behörde eingebrachten Berichten bzw. Analysen (Bericht des Hauptverbands der Österreichischen Sozialversicherungsträger „Vertragsärztinnen und –ärzte in Österreich“ vom März 2017; Analyse „Großstadtfaktor Wien“ der IGES vom 04.02.2019; „Auswertung der Wegzüge von Personen mit Abschluss eines Studiums an einer öffentlichen Universität“ der Statistik Austria, 2016) ist festzuhalten, dass diese im Wesentlichen vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, eines Rückganges der Fachärztedichte in Wien sowie einer zu erwartenden Pensionierung in den nächsten zehn bis 15 Jahren einen erhöhten Bedarf an Nachbesetzungen in den nächsten zwei Jahrzehnten bzw. ein steigendes Fallvolumen aufzeigen. Eine akute bzw. unmittelbar bevorstehende ärztliche Unterversorgung geht daraus nach Ansicht des erkennenden Gerichts jedoch nicht hervor.
Ausgehend von der oben angeführten Stellungnahme der ÖGK, die auf aktuellen Erhebungen beruht, nimmt das erkennende Gericht somit als erwiesen an, dass eine Unterversorgung im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe in der Versorgungsregion des BF weder aktuell vorliegt noch bevorsteht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 347a ASVG kann gegen einen Bescheid der Paritätischen Schiedskommissionen, der Landesschiedskommissionen und der Bundesschiedskommission und wegen Verletzung ihrer Entscheidungspflicht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden. Gemäß § 347b ASVG erfolgt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch einen Senat, wobei davon zwei Ärzte sind und zwei spezifische Kenntnisse auf dem Gebiet des Gesundheits- und des Sozialversicherungswesens haben müssen.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl I 2013/33 idgF geregelt (§ 1 leg cit). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.1. Zu A)
3.1.1. Gemäß § 342 Abs. 1 Z 10 ASVG haben die Gesamtverträge nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen insbesondere folgende Gegenstände zu regeln:
...
10. Die Festlegung einer Altersgrenze (längstens bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres) für die Beendigung der Einzelverträge von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten (persönlich haftenden Gesellschafterinnen/Gesellschaftern einer Vertrags-Gruppenpraxis) sowie möglicher Ausnahmen davon bei drohender ärztlicher Unterversorgung. Kommt keine Einigung über eine Altersgrenze zustande, so gilt das vollendete 70. Lebensjahr als Altersgrenze.
Gemäß § 343 Abs. 2 Z 7 ASVG erlischt das Vertragsverhältnis jedenfalls bei Erreichen der jeweils festgelegten Altersgrenze mit Ablauf des jeweiligen Kalendervierteljahres.
§ 10 des Gesamtvertrages lautet wie folgt:
„Beendigung des Einzelvertragsverhältnisses
(1) Der Einzelvertrag kann nur nach den jeweils geltenden Bestimmungen des ASVG sowie dieses Gesamtvertrages beendet werden.
(2) Für Vertragsärzte, die vor dem 1. Jänner 1938 geboren sind, kommt der Endigungsgrund gemäß § 342 Abs. 1 Z. 10 ASVG mit dem 31. Dezember 2016 zur Anwendung.
(3) Für Vertragsärzte, die nach dem oder am 1. Jänner 1938 geboren sind, kommt der Endigungsgrund gemäß § 342 Abs. 1 Z. 10 ASVG mit dem 31. Dezember 2018 bzw. ab dem 1. Jänner 2019 mit dem Erreichen des 70. Lebensjahres zur Anwendung.
(4) Über Antrag des betroffenen Vertragsarztes gemäß Abs. 2 und 3 können mögliche Ausnahmen vom Endigungsgrund gemäß § 342 Abs. 1 Z 10 ASVG im Einvernehmen zwischen der Kammer und der Kasse vereinbart werden.“
3.1.2. Zum Verstoß gegen Unionsrecht, insbesondere gegen die Richtlinie 2000/78/EG:
Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Festlegung einer Altersgrenze sprach der EuGH aus, das Erlöschen des Einzelvertrages bei Erreichen einer Altersgrenze bewirke zwar eine Diskriminierung, die aber zulässig sei, wenn sie einem legitimen Ziel diene und die Mittel zu seiner Erreichung angemessen und erforderlich seien (EuGH, C-389/07, RS Age Concern). Automatische Beendigungsregelungen stünden in einem sinnvollen und rechtmäßigen Interessenausgleich zur Stabilität von Beschäftigungsverhältnissen (EuGH, C-45/09, Rosenbladt). Die Altersgrenze stelle keine Erwerbsantrittsschranke, sondern nur eine Erwerbsausübungsschranke dar. Sie müsse durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und zur Zielerreichung erforderlich und angemessen sein. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht sei eine Altersgrenze geeignet, Patienten vor nicht mehr ausreichend leistungsfähigen Vertragsärzten zu schützen und den Vertragsärztenachwuchs zu planen.
Eine Altersgrenze unterhalb des gesetzlichen Pensionsalters wäre unzulässig.
Diese liegt im gegenständlichen Fall auch nicht vor. Altersgrenzen zwischen 65 und 70 Jahren sind jedenfalls als verhältnismäßiger und damit zulässiger Eingriff in die Erwerbsfreiheit anzusehen. Zur Frage der verbotenen Altersdiskriminierung hat der EuGH bei der Prüfung einer Altersgrenze von 68 Jahren für deutsche Vertragszahnärzte grundsätzlich die vorgebrachten Ziele Patientenschutz, Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen und ausgewogener Finanzierung des Gesundheitssystems als geeignet anerkannt (EuGH, C-341/08, Domnica Petersen gegen Berufungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe). Entscheidend ist das vom EuGH ausdrücklich anerkannte Ziel, den Zugang jüngerer Ärzte zum Vertragsarztsystem zu begünstigen und damit auch für eine gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen zu sorgen.
Die Einführung der Altersgrenze mit dem 4. SRÄG 2009 bezweckte weder Einsparungen noch die Verhinderung von Kostensteigerungen, sondern die Förderung eines Generationenausgleichs und eines gerechten Ausgleichs zwischen Vertragsinhabern und Vertragsinteressenten. Die gegenständliche Regelung soll dem Zweck dienen, nachrückenden Generationen an ausgebildeten Ärztinnen und –ärzten die Möglichkeit zu sichern, als Vertragsarzt/-ärztin tätig zu werden. Sie soll somit den Generationswechsel fördern und einen gerechten Ausgleich zwischen bereits in Vertrag genommenen Personen und jenen jungen, die sich um eine Zulassung bemühen, schaffen (EB 476 BlgNR 24. GP, 6).
Damit liegt der gegenständlichen Altersgrenze zweifellos – dies wird auch vom BF nicht bestritten – ein legitimes öffentliches Interesse, nämlich die Förderung eines Generationenausgleichs und die Schaffung eines gerechten Ausgleichs zwischen bereits in Vertrag genommenen Personen und jenen jungen, die sich um eine Zulassung bemühen, zugrunde.
Dass die hier zu beurteilende Altersgrenze – im Unterschied zu dem der Entscheidung des EuGH in der og. RS Petersen zugrunde liegenden deutschen System der freien Kassenzulassung – in Anbetracht des österreichischen Systems des Stellenplans und der damit einhergehenden Möglichkeit einer Förderung jüngerer Bewerber in der Ausschreibungspraxis kein geeignetes Mittel zur Erreichung des oben beschriebenen Zieles des Generationswechsels darstellt, ist nicht nachvollziehbar. Würde doch eine durch die Schaffung von Anreizen bzw. günstiger Ausschreibungskriterien erhöhte Anzahl jüngerer Bewerber einer gleichbleibenden – bzw. durch die allenfalls längere Einzelvertragsdauer sogar geringeren – Anzahl freiwerdender Planstellen gegenüberstehen. Durch die Begünstigung von Ärzten jüngerer Altersgruppen wäre folglich nur in Verbindung mit einer gleichzeitigen Erhöhung der entsprechenden Anzahl an Planstellen der gewünschte Effekt eines Generationenausgleichs zu erzielen. Hierzu ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Ziel und Zweck des im Gesamtvertrages zwingend vorgesehenen Stellenplans als Instrument eines geordneten Marktzuganges nicht nur die Sicherstellung einer regional ausgewogenen Versorgung ist, sondern dieser auch der finanziellen Absicherung der KVT gegen die Folgen einer angebotsinduzierten Nachfrage dient (vgl. EB 779 BlgNr 24. GP, 5). Eine von der tatsächlichen Auslastung bzw. den Erledigungszahlen bereits bestehender Planstellen unabhängige Schaffung zusätzlicher Planstellen zum Zwecke der Förderung jüngerer Ärzte wäre insofern nicht mit den dem österreichischen System des Stellenplans zugrundeliegenden Zielen vereinbar.
Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erkennen, dass die gegenständliche Regelung einer Altersgrenze für die Ausübung der Tätigkeit als Vertragsarzt kein angemessenes und erforderliches Mittel zur Erreichung des oben beschriebenen Ziels darstellt.
Von der vom BF begehrten Einvernahme eines Sachverständigen für das deutsche Gesundheits- und Kassenarztwesen konnte ebenso wie von der zeugenschaftlichen Einvernahme des Präsidenten der Ärztekammer für Wien Abstand genommen werden.
3.1.3. Zum Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1 GRC:
Zum Vorbringen des BF, die obligatorische Beendigung der kassenärztlichen Tätigkeit infolge Erreichens der Altersgrenze greife in das nach Art. 15 Abs. 1 GRC jeder Person zustehende Recht zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben ein, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Auflösung des Einzelvertrages keinem Berufsverbot gleichkommt, da es dem BF unbenommen bleibt, weiterhin – wie jeder andere der zahlreichen niedergelassenen Ärzte, die über keinen Einzelvertrag mit einem Krankenversicherungsträger verfügen – als Wahlarzt auch für sozialversicherte Personen tätig zu sein (vgl. VfGH vom 25.06.2013, B957/2011 ua).
Dem Vorbringen des BF, wonach in Zusammenhang mit der behaupteten Grundrechtsverletzung nach Art. 15 Abs. 1 GRC ein Verstoß gegen das aus Art. 52 GRC erfließende Transparenzgebot vorliegend wäre, da der Normbegriff „drohender ärztlicher Unterversorgung“ nicht ausreichend determiniert und nicht in ausreichend transparenter Weise anwendbar sei, kann vom erkennenden Gericht nicht gefolgt werden.
In dem vom BF hierzu angeführten Urteil im Fall „Hartlauer Handelsgesellschaft mbH" (10.3.2009, Rs. C-169/07, Slg. 2009, I-1721) erkannte der EuGH, dass Art. 43 EG in Verbindung mit Art. 48 EG nationalen Rechtsvorschriften, wonach für die Errichtung einer privaten Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums für Zahnheilkunde eine Bewilligung erforderlich ist und diese Bewilligung, wenn angesichts des bereits bestehenden Versorgungsangebots durch Kassenvertragsärzte kein die Errichtung einer solchen Anstalt rechtfertigender Bedarf besteht, zu versagen ist, unter anderem dann entgegen steht, sofern sie nicht auf einer Bedingung beruhen, die geeignet ist, der Ausübung des Ermessens durch die nationalen Behörden hinreichende Grenzen zu setzen. Im Ausgangsverfahren wurde die Erteilung der Bewilligung für die Schaffung eines neuen Zahnambulatoriums nur von der Bedingung des Bestehens eines Bedarfs an den von dieser neuen Einrichtung angebotenen Leistungen, abhängig gemacht. Zumal diese Bedingung in der Praxis je nach betreffendem Land anhand unterschiedlicher Kriterien, nämlich einerseits anhand der Zahl der Patienten pro Zahnarzt im Versorgungsgebiet, andererseits anhand der Länge der Wartezeit für einen Termin bei einem Zahnarzt, geprüft wurde und zudem in nicht objektiver Weise erhoben wurde (Befragung der als unmittelbare Konkurrenten in Frage kommenden Zahnärzte im beabsichtigten Einzugsgebiet des Zahnambulatoriums), gelangte der EuGH zu dem Schluss, dass dieses System einer vorherigen behördlichen Genehmigung nicht auf einer Bedingung beruhe, die geeignet ist, der Ausübung des Ermessens durch die nationalen Behörden hinreichende Grenzen zu setzen.
Die Wertungen dieser Entscheidung des EuGH lassen sich jedoch schon deshalb nicht uneingeschränkt auf den vorliegenden Sachverhalt anwenden, als § 342 Abs. 1 Z 10 ASVG erkennbar keinen Rechtsanspruch auf Verlängerung des Einzelvertrages – sohin im Ergebnis ein Kontrahierungszwang der Kasse – im Falle des Vorliegens einer ärztlichen Unterversorgung einräumt. Der Gesetzgeber überlässt es vielmehr gänzlich den Gesamtvertragspartnern, mögliche Ausnahmen von der Altersgrenze bei ärztlicher Unterversorgung vorzusehen und entsprechend auszugestalten. Damit bleibt es den Gesamtvertragspartnern offen, im Falle einer tatsächlich auftretenden ärztlichen Unterversorgung nach Abwägung aller relevanten Umstände und Faktoren zu beurteilen, ob diesem Zustand im Wege einer Verlängerung des betreffenden Einzelvertrages, oder etwa durch andere Maßnahmen in effektivster und nachhaltigster Weise Abhilfe zu leisten ist.
Eine entsprechende Regelung sieht § 10 Abs. 4 GV vor, demzufolge mögliche Ausnahmen vom Endigungsgrund gemäß § 342 Abs. 1 Z 10 ASVG im Einvernehmen zwischen der Kammer und der Kasse vereinbart werden können.
Selbst wenn somit – anders als im gegenständlichen Beschwerdeverfahren – tatsächlich der Nachweis einer drohenden ärztlichen Unterversorgung im Fachgebiet des BF gelänge, ließe sich in der dennoch ergangenen Abweisung des Antrags auf Verlängerung des Einzelvertrages keine rechtswidrige Ermessensausübung der Behörde feststellen. Daraus folgt, dass es einer näheren Determinierung des Kriteriums der ärztlichen Unterversorgung zum Zweck der Eingrenzung und Überprüfbarkeit der behördlichen Ermessensausübung im Anwendungsbereich des § 342 Abs. 1 Z 10 ASVG gerade nicht erfordert, sondern eine solche vielmehr dem systemimmanenten Bedarf an flexibler Gestaltungsmöglichkeiten der Gesamtvertragspartner abträglich wäre.
Aus diesen Erwägungen ist ein Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1 iVm. Art. 52 Abs. 1 GRC bzw. das Determinierungsgebot nach Art. 18 B-VG nicht zu erkennen.
Im gegenständlichen Fall ist – wie in der Beweiswürdigung ausgeführt – eine ärztliche Unterversorgung jedoch gerade nicht vorliegend. Die belangte Behörde ging im vorliegenden Fall davon aus, dass bei gleichbleibender Anzahl von Planstellen und einer allfälligen Ausschreibung der Planstelle des BF eine drohende ärztliche Unterversorgung nicht zu erwarten sei. Der vom BF behauptete zukünftige Mangel in der Versorgung im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe in der Versorgungsregion des BF wurde weder von der mitbeteiligten Partei, noch von der Ärztekammer für Wien bestätigt. Es sind folglich keine hinreichenden Gründe ersichtlich, von einer tatsächlich vorliegenden oder drohenden Unterversorgung der Patienten in der Versorgungsregion des BF auszugehen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 3 1. Satz VwGVG hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.
In der vorliegenden Beschwerde wurden keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Somit steht auch Art. 6 EMRK dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Schlagworte
Altersgrenze Arzt Einzelvertrag Endigungsgründe Schiedskommission VersorgungslageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W217.2238621.1.00Im RIS seit
29.12.2021Zuletzt aktualisiert am
29.12.2021