Entscheidungsdatum
29.11.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W236 2232670-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lena BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kenia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2020, ZI. 1103935100/160151939, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.10.2021 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Kenias, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 31.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Zu diesem Antrag auf internationalen Schutz wurde der Beschwerdeführer am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Er gab dabei zusammengefasst an, dass seine Mutter Nigerianerin sei und mit seinem kenianischen Vater nach Kenia gezogen sei. Im Jahr 2009 seien sie in Sukota auf Urlaub gewesen und dabei sein Vater von der Boku Haram getötet worden, woraufhin man sie in Kenia nicht mehr aufnehmen wollen habe.
3. Mit Bescheid vom 05.06.2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005, als unzulässig zurück und sprach aus, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates für die Prüfung des Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz Spanien zuständig sei. Gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005, wurde gegen den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Spanien zulässig sei.
Dieser Bescheid wurde infolge des unbekannten Aufenthaltes des Beschwerdeführers gemäß § 23 Abs. 3 Zustellgesetz (ZustG), BGBl. Nr. 200/1982, durch Hinterlegung im Akt zugestellt.
4. Der Beschwerdeführer wurde erst am 15.08.2017 zufällig anlässlich einer Identitätskontrolle durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgegriffen und am 16.08.2017 zur beabsichtigten Verhängung der Schubhaft niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Mit Mandatsbescheid vom 16.08.2017 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den Beschwerdeführer Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung an. Am selben Tag wurde der Beschwerdeführer in Schubhaft genommen, wurde jedoch bereits am folgenden Tag aufgrund eines vermutlichen Darmdurchbruchs in ein Krankenhaus verbracht und wegen Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen.
5. Einer Ladung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2018 leistete der Beschwerdeführer keine Folge, woraufhin die Landespolizeidirektion Wien seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl um Hauserhebung ersucht wurde, ob der Beschwerdeführer an seiner laut dem Zentralen Melderegister seit 29.05.2018 aufrechten Wohnsitzadresse tatsächlich wohnhaft sei. Diese Erhebung ergab im November 2018, dass der Beschwerdeführer an der genannten Adresse nicht wohnhaft war, weshalb in der Folge das Ersuchen um amtliche Abmeldung sowie Anzeige nach dem Meldegesetz 1991 (MeldeG), BGBl. Nr. 9/1992, erstattet wurde.
6. Am 19.12.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verdachts nach § 28a Abs. 1 Suchtmittelgesetz (SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, festgenommen; in weiterer Folge wurde über ihn Untersuchungshaft verhängt und wurde gegen ihn Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2a SMG erhoben.
7. In weiterer Folge hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Bescheid vom 05.06.2016 mit Bescheid vom 16.01.2020 gemäß § 68 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, von Amts wegen auf, weil die Überstellungsfrist nach Spanien mit 14.10.2017 abgelaufen war.
8. Am 11.02.2020 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 31.01.2016 einvernommen und gab dabei zusammengefasst an, Schmerzmittel zu erhalten und nach vorangegangener Operation im Dezember 2019 neuerlich eine Operation wegen seines Darms zu haben. Er sei in Kenia geboren und habe dort bis zum Jahr 2012 gelebt; in weiterer Folge habe er sich in Marokko aufgehalten. In seinem Herkunftsstaat habe er niemanden mehr; seine Familienangehörigen seien alle bei einem Brand ihres Hauses gestorben. Er habe seinen Lebensunterhalt durch Betteln verdient; nach seiner Ausreise habe er als Erntehelfer gearbeitet. Nach Österreich sei er im Jänner 2016 gereist, zuvor habe er bereits in Spanien und der Schweiz jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates erklärte er, dass er seine Eltern und sein Zuhause verloren habe. Er sei einkaufen gewesen und habe beim Zurückkommen das brennende Haus gesehen. Es sei ein Erbstreit gewesen; sein Onkel habe das Grundstück seines Vaters erben wollen. Für den Fall einer Rückkehr habe er kein Zuhause. Er habe in Österreich eine Freundin, die schwanger sei und die er heiraten wolle; ihren Nachnamen habe er vergessen. Im Anschluss an die Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer der Verlust seines Aufenthaltsrechtes gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 mitgeteilt und die entsprechende Verfahrensanordnung vom 11.02.2020 ausgefolgt.
9. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 02.03.2020, XXXX , wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, 15 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon sechs Monate bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
10. Am 19.05.2020 wurde der Beschwerdeführer neuerlich niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und brachte dabei vor, dass ihm inzwischen der künstliche Darmausgang entfernt worden sei; er habe eine Salbe erhalten, nach deren Verbrauch ihn der Arzt wieder kontrollieren werde. Seit einem Sturz habe er Probleme mit dem Knie und könne nicht so schnell gehen; die Ärzte würden aber zuerst das Problem mit dem Darm lösen wollen. Sonst habe sich seit seiner letzten Einvernahme nichts geändert.
11. Mit oben genanntem Bescheid vom 15.06.2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 31.01.2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kenia gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Kenia zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.). Gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG 2005 habe der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 02.03.2020 verloren (Spruchpunkt IX.).
Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Kenia keiner wie immer gearteten Verfolgung oder Gefährdung ausgesetzt sei und im Fall einer Rückkehr nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde. In Österreich verfüge der Beschwerdeführer weder über Familienangehörige noch eine sonstige relevante Verfestigung; die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei zulässig. Der Beschwerdeführer stelle infolge seiner Verurteilung durch ein österreichisches Landesgericht für Strafsachen vom 02.03.2020 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon sechs Monate bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von drei Jahren, eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.
12. Gegen diesen Bescheid wurde am 02.07.2020 fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
Begründend wird zusammengefasst vorgebracht, dass zwar in Kenia medizinische Behandlung grundsätzlich zur Verfügung stehe, aber in Anbetracht der bereits vor der Flucht bestehenden, wirtschaftlich existenzbedrohenden Lage des Beschwerdeführers nicht angenommen werden könne, dass der Beschwerdeführer auch tatsächlich einen effektiven Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung hätte. Es werde die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens hinsichtlich der gesundheitlichen Verfassung des Beschwerdeführers beantragt. Angesichts des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers, der schon vor seiner Flucht in Armut gelebt und um sein Überleben gekämpft habe und über kein tragfähiges soziales oder familiäres Netzwerk in Kenia verfüge, sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sich durch Gelegenheitsjobs versorgen könnte. Der Beschwerdeführer habe weiters erwähnt, dass er in Beziehung mit einer deutschen Staatsangehörigen, die schwanger sei, lebe. Seine Straftat bereue der Beschwerdeführer; er sei nun um einen positiven Lebenswandel bemüht. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe außerdem keine näheren Feststellungen zur vom Beschwerdeführer begangenen Straftat getroffen, was einer tauglichen Gefährdungsprognose entgegenstehe. Neben der grundsätzlichen Rechtswidrigkeit des Einreiseverbotes sei jedenfalls die Dauer des Einreiseverbotes von sieben Jahren vor dem Hintergrund der konkreten Straftat auch nicht verhältnismäßig.
13. Am 07.10.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die englische Sprache und des Beschwerdeführers sowie dessen Rechtsvertretung statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seiner Integration in Österreich und seinen strafgerichtlichen Verurteilungen befragt wurde. Der Beschwerdeführer wiederholte in der Verhandlung im Wesentlichen sein vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bereits geltend gemachtes Vorbringen.
14. Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Wien vom 17.11.2021, XXXX , wurde bekanntgegeben, dass gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 2 Z 3 SMG geführt werde. Mit Schreiben des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ebenfalls vom 17.11.2021, XXXX , wurde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 3 SMG am 17.11.2021 in Untersuchungshaft genommen worden sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Auf Grundlage der Einsichtnahmen in den bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakt des Beschwerdeführers, den vorgelegten Verwaltungsakt betreffend die Verfahren zu Sicherungsmaßnahmen und der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister, das Grundversorgungs-Informationssystem und das Strafregister sowie insbesondere auf Grundlage der am 07.10.2021 durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zum Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 31.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid vom 15.06.2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 31.01.2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kenia gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Kenia zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.). Gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG 2005 habe der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 02.03.2020 verloren (Spruchpunkt IX.).
Gegen diesen Bescheid wurde am 02.07.2020 fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
Am 07.10.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die englische Sprache und des Beschwerdeführers sowie dessen Rechtsvertretung statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seiner Integration in Österreich und seinen strafgerichtlichen Verurteilungen befragt wurde.
1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt die im Kopf dieser Entscheidung genannten Personalien; seine Identität steht nicht fest. Er ist kenianischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Swahili an und bekennt sich zum christlichen Glauben. Der Beschwerdeführer ist alleinstehend und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer ist in Nairobi, Kenia, geboren und lebte bis zum Jahr 2012 in der Nähe von Nairobi. Er erhielt Schulbildung im Umfang von vier Jahren; eine Berufsausbildung absolvierte er nicht. Nach seiner Ausreise aus Kenia arbeitete der Beschwerdeführer als Erntehelfer und Bauarbeiter, bis er schließlich im Jänner 2016 nach Österreich reiste. Der Beschwerdeführer beherrscht Englisch und Swahili.
Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Jänner 2016 in Österreich auf. Er besuchte einen Deutschkurs, den er krankheitsbedingt nicht abschloss, bzw. besucht seit Ende September 2021 wieder einen Deutschkurs. Er spricht kaum Deutsch und verfügt in Österreich über keine engeren sozialen Anknüpfungspunkte; auch familiäre Bezugspunkte hat er in Österreich nicht. Der Beschwerdeführer bezieht derzeit Leistungen aus der Grundversorgung und lebt seit März 2020 in einem Grundversorgungsquartier. Bis März 2020 war der Beschwerdeführer lediglich sechs Tage im Februar 2016 und von 29.05.2018 bis 20.03.2019 mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet, wobei eine Hauserhebung bereits im November 2018 ergab, dass der Beschwerdeführer an dieser Adresse nicht wohnhaft war, weshalb in der Folge das Ersuchen um amtliche Abmeldung sowie Anzeige nach dem Meldegesetz, erstattet wurde; von 07.03.2016 bis 17.08.2016 war der Beschwerdeführer obdachlos gemeldet. Abgesehen davon verfügte er lediglich über meldebehördliche Registrierungen im Rahmen seiner Anhaltung in Schubhaft von 15.08.2017 bis 17.08.2017 sowie in Untersuchungs- bzw. Strafhaft von 20.12.2019 bis 02.03.2020. Der Beschwerdeführer verkaufte ab und zu die Obdachlosenzeitschrift „Augustin“ und besucht regelmäßig die Kirchengemeinde einer katholischen Kirche in Wien.
Beim Beschwerdeführer wurde in Österreich nach einem Rektumprolaps ein künstlicher Darmausgang gelegt, der am 20.03.2020 wieder rückoperiert wurde. Weiters wurde der Beschwerdeführer aufgrund einer Schmerzen verursachenden Varusgonarthrose am Knie operiert. Der Beschwerdeführer bedarf keiner weiteren medizinischen Behandlung. Er ist arbeitsfähig.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 02.03.2020, XXXX , wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon sechs Monate bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
Dem Urteil liegt zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 19.12.2019 in Wien in einer U-Bahnstation Heroin (Wirkstoff Diacetylmorphin) und Kokain (Wirkstoff Cocain) öffentlich 1. überließ, und zwar 0,9 Gramm brutto Kokain einem verdeckten Ermittler gegen Entgelt in Höhe von 100,00 Euro, und 2. zu überlassen versuchte, und zwar 0,9 Gramm brutto Heroin, indem er es zum unmittelbar bevorstehenden Verkauf bereithielt.
Bei der Strafbemessung wurden mildernd das Geständnis, der teilweise Versuch und der bisher ordentliche Lebenswandel, erschwerend die zwei Angriffe gewertet. Festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer den Erlös aus den Suchtmittelgeschäften für seinen Lebensunterhalt und nicht vorwiegend zur Finanzierung der eigenen Konsumation verwendete.
Der Beschwerdeführer befand sich von 19.12.2019 bis 10.02.2020 und von 14.02.2020 bis 02.03.2020 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft.
Der Beschwerdeführer ist bezüglich der seiner Verurteilung zugrundeliegenden Straftat nicht voll schuldeinsichtig.
Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Wien vom 17.11.2021, XXXX , wurde bekanntgegeben, dass gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 2 Z 3 SMG geführt werde. Mit Schreiben des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ebenfalls vom 17.11.2021, XXXX , wurde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 3 SMG am 17.11.2021 in Untersuchungshaft genommen worden sei.
1.3. Zum Fluchtgrund und einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Dem Beschwerdeführer wurde nicht die Rückkehr nach Kenia verweigert, weil seine Mutter aus Nigeria stammt und sein aus Kenia stammender Vater im Urlaub getötet wurde. Der Beschwerdeführer hatte keine Probleme mit seinem Onkel im Zusammenhang mit Erbschaftsstreitigkeiten. Der Beschwerdeführer hat nach wie vor soziale und familiäre Anknüpfungspunkte in Kenia. Dem Beschwerdeführer drohen im Fall einer Rückkehr nach Kenia nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ungerechtfertigte konkrete und individuelle physische und/oder psychische Eingriffe erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre.
Der Beschwerdeführer ist im Fall einer Rückkehr nach Kenia nicht gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden und ist nicht von der Todesstrafe bedroht. Er würde bei einer Rückkehr nach Kenia nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten.
Die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie stellt kein Rückkehrhindernis dar. Der Beschwerdeführer gehört mit Blick auf sein Alter von 26 Jahren sowie aufgrund des Fehlens einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Der Beschwerdeführer erkrankte im März 2021 an COVID-19 und wurde nach seiner Genesung gegen COVID-19 geimpft. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Kenia eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Kenia:
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten (auszugsweise oder zusammengefasst) wiedergegeben:
1.4.1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Kenia, Gesamtaktualisierung am 17.07.2018:
„Politische Lage
Kenia ist gemäß Verfassung von 2010 eine Präsidialrepublik. Der Staatspräsident verfügt über weitreichende Exekutivvollmachten. Ihm unterstehen sowohl die Regierung als auch die Streitkräfte (AA 1.2017a). Allerdings wurde die Macht des Präsidenten mit der neuen Verfassung eingeschränkt und die Legislative gestärkt (BS 2018; vgl. GIZ 6.2017a). Durch die Bildung von Blöcken und die Polarisierung der Politik konnte sich die Regierung aber substanzielle Kontrolle erhalten (BS 2018). Kenia ist eine Mehrparteiendemokratie mit regelmäßig abgehaltenen Wahlen. Die politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten werden aber durch die umfassende Korruption und die Brutalität der Sicherheitskräfte schwer unterminiert (FH 2018).
Die Verfassung von 2010 sieht auch eine umfassende Dezentralisierung des Landes vor (GIZ 6.2017a). Seit den allgemeinen Wahlen vom 4.3.2013 ist Kenia ein dezentral aufgebautes und verwaltetes Land, das in 47 Counties gegliedert ist. Neben dem Präsidenten und Vizepräsidenten wurden erstmals Gouverneure und Parlamente auf dieser Ebene gewählt (AA 1.2017a; vgl. BS 2018). Die Counties entsenden jeweils einen Vertreter in den neu geschaffenen Senat, welcher die zweite Kammer des Parlaments darstellt (GIZ 6.2017a). Diese Transformation eines hochgradig zentralisierten Staates in eine dezentralisierte Verwaltungsform ist weltweit eines der ambitioniertesten Projekte seiner Art. Signifikante Exekutiv- und Steuerrechte werden den Counties übertragen. Bis auf die Bereiche Sicherheit und Bildung wurde die Verantwortung vom Zentralstaat an die Counties übertragen. Die Dezentralisierung genießt große Popularität in der Bevölkerung (BS 2018), diese erhält derart mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten (GIZ 6.2017a).
Generell ist die politische Lage stabil. Die Zahl der Kenianer, welche ihr Land als vollwertige Demokratie sehen, hat sich von 47 Prozent im Jahr 2012 auf 31,5 Prozent im Jahr 2015 verringert (BS 2018).
Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 8.8.2017 standen sich die Jubilee-Partei des amtierenden Staatspräsidenten Uhuru Muigai Kenyatta und das oppositionelle Parteienbündnis National Super Alliance (NASA) des ehemaligen Regierungschefs Raila Odinga gegenüber (AI 23.5.2018). Am 11.8.2017 hatte die unabhängige Wahlkommission (IEBC) den Kandidaten der Jubilee Coalition Party, Uhuru Kenyatta, zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt und seine Wiederwahl bestätigt. Der Oppositionskandidat Raila Odinga focht die Wahl vor Gericht an, und der Oberste Gerichtshof hat die Wahl am 1.9.2017 auch tatsächlich aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei der Übertragung von Ergebnissen der einzelnen Wahllokale annulliert. Das Gericht setzte eine Neuwahl für 26.10.2017 an. Odinga zog sich am 10.10.2017 von der Wahl zurück und rief zum Boykott der Wahl auf. Kenyatta gewann die Neuwahl, die Resultate wurden am 20.11.2017 vom Obersten Gerichtshof bestätigt (USDOS 20.4.2018; vgl. EDA 25.6.2018, AI 23.5.2018, FH 2018). Demnach gewann Präsident Kenyatta die Wahl mit 98 Prozent der abgegebenen Stimmen, die Wahlbeteiligung lag unter 40 Prozent. Im August 2017 war sie mehr als doppelt so hoch gewesen (AI 23.5.2018; vgl. FH 2018). Raila Odinga rief am 31.10.2017 zu einer „nationalen Widerstandsbewegung“ und zur Bildung einer „Volksversammlung“ auf, die zivilgesellschaftliche Gruppen vereinen solle, um die „Demokratie wiederherzustellen“ (AI 23.5.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.2017a): Kenia – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kenia-node/-/208078, Zugriff 25.6.2018
- AI - Amnesty International (23.5.2018): Amnesty International Report 2017/18 – Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Kenia, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/kenia, Zugriff 16.7.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Kenya, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Kenya.pdf, Zugriff 16.7.2018
- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (25.6.2018): Reisehinweise für Kenia, https://www.eda.admin.ch/content/eda/de/home/laender-reise-information/kenia/reisehinweise-kenia.html, Zugriff 25.6.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2017a): Kenia – Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/kenia/geschichte-staat/, Zugriff 25.6.2018
- USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Kenya, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430126.html, Zugriff 25.6.2018
Sicherheitslage
Nach wie vor ist die Kriminalität in Kenia Besorgnis erregend hoch, belastbares statistisches Material hierzu ist aber kaum zu bekommen (GIZ 6.2017d). Außerdem besteht weiterhin die Gefahr terroristischer Anschläge. Es gibt Drohungen der somalischen Terrororganisation al Shabaab mit Vergeltungsaktionen als Reaktion auf die Beteiligung der kenianischen Streitkräfte an der AMISOM-Mission in Somalia. Mehrere Anschläge haben in der Vergangenheit auch schon stattgefunden oder sind vereitelt worden (AA 25.6.2018; vgl. BMEIA 25.6.2018, EDA 25.6.2018).
Auch die politischen Spannungen bleiben hoch. Es muss weiterhin mit politisch bedingten Demonstrationen und Gewalttaten gerechnet werden (EDA 25.6.2018). Demonstrationen aus politischen oder sozialen Gründen können unvorhersehbar eskalieren (AA 25.6.2018). Lokal begrenzte Unruhen und Gewaltausbrüche sind möglich, vor allem nach Gewalttaten, die religiös motiviert sind oder als solche wahrgenommen werden. Auch politisch und wirtschaftlich motivierte Zusammenstöße zwischen ethnischen Gruppen haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Todesopfer gefordert. Diese finden jedoch hauptsächlich in abgelegenen Gebieten statt. Im Grenzgebiet zu Äthiopien kommt es ebenfalls zu vereinzelten Kampfhandlungen (EDA 25.6.2018).
Das deutsche Auswärtige Amt rät von Reisen in das Grenzgebiet (80km-Streifen) zu Somalia sowie in den Festlandbereich von Lamu ab (AA 25.6.2018). Das österreichische Außenministerium gibt eine Reisewarnung für das Grenzgebiet zu Somalia. Außerdem warnt es vor Reisen in die Provinzen Mandera, Wajir und Garissa. Abgeraten wird von Reisen in die nördliche Küstenprovinz (v.a. Lamu). Zu Vorsicht wird insbesondere für Mombasa sowie die Counties Kwale und Kilifi, wo in der Vergangenheit politisch und religiös bedingte Krawalle und Unruhen stattfanden, geraten. Aufgrund der verstärkten Präsenz der kenianischen Sicherheitskräfte in den genannten Gebieten hat sich die Sicherheitslage in den vergangenen Monaten allerdings etwas gebessert (BMEIA 25.6.2018). Ähnliche Informationen liefert auch das schweizerische Außenministerium (EDA 25.6.2018).
Al Shabaab führt gegen vereinzelte Gemeinden an der Grenze zu Somalia Guerilla-Angriffe durch, bei welchen sowohl Sicherheitskräfte als auch Zivilisten zum Ziel werden (USDOS 20.4.2018). Die Grenzen zu Somalia, Äthiopien und dem Sudan sind porös, und es kommt zur Proliferation von Kleinwaffen und zum Einsickern von Kämpfern der al Shabaab. Auch lokale Milizen haben die Defizite der staatlichen Sicherheitskräfte ausgenutzt. Dies betraf in der Vergangenheit die mittlerweile zersplitterte und größtenteils ausgelöschte Mungiki-Sekte und betrifft heute kleinere Gruppen in den Slums von Nairobi und Kisumu. Dort ersetzen die Milizen de facto die Polizei und regieren mit Gewalt. In ländlichen Gebieten ist die Polizei nicht in der Lage, das bewaffnete Banditentum in den Griff zu bekommen. Und auch dort – speziell in der ehemaligen Central Province und im Rift Valley – treiben Gangs und Milizen ihr Unwesen. Sie agieren semi-autonom und werden in Wahlzeiten von Politikern angeworben (BS 2018).
Regelmäßig zu gewaltsamen Zusammenstößen kommt es bei Ressourcenkonflikten in den Bereichen Tana River, Laikipia und Samburu – z.B. zwischen Pokot und Turkana (BS 2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (25.6.2018): Kenia – Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/keniasicherheit/208058, Zugriff 25.6.2018
- BMEIA - Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (25.6.2018): Reiseinformationen – Kenia, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/kenia/, Zugriff 25.6.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Kenya, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Kenya.pdf, Zugriff 16.7.2018
- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (25.6.2018): Reisehinweise für Kenia, https://www.eda.admin.ch/content/eda/de/home/laender-reise-information/kenia/reisehinweise-kenia.html, Zugriff 25.6.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2017d): Kenia – Alltag, https://www.liportal.de/kenia/alltag/, Zugriff 25.6.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Kenya, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430126.html, Zugriff 25.6.2018
Rechtsschutz/Justizwesen
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor (USDOS 20.4.2018) und diese wird auch generell als unabhängig erachtet (FH 2018).
Das Rechtssystem Kenias ist an das britische angelehnt. Schon in der Kolonialzeit wurden jedoch vor allem im Zivilrecht auch traditionelle Rechtssysteme angewandt. Die Rechtsquellen des sogenannten Customary Law basieren auf afrikanischen Traditionen (mit großem Spielraum für Interpretationen) oder in den islamisch geprägten Gemeinden an der Küste auf dem islamischen Recht (GIZ 6.2017a). Das kenianische Gerichtswesen gliedert sich in Magistrates Courts, High Courts, Court of Appeal und den neu geschaffenen Supreme Court (AA 1.2017a). Daneben sprechen Kadi-Gerichte Recht in Erb- und Familienrechtsangelegenheiten muslimischer Kenianer nach islamischem Recht (AA 1.2017a; vgl. USDOS 15.8.2017) – etwa bei Heiraten, Scheidungen oder Erbschaften (BS 2018). Gegen ein Urteil eines Kadi-Gerichts kann vor einem formellen Gericht berufen werden (USDOS 15.8.2017). Daneben gibt es keine anderen traditionellen Gerichte. Die nationalen Gerichte nutzen das traditionelle Recht einer Volksgruppe aber als Leitfaden für persönliche Angelegenheiten, solange dieses Recht nicht im Widerspruch zum formellen Recht steht (USDOS 20.4.2018).
Generell besteht die Möglichkeit einer Berufung vor einem High Court, in weiterer Folge beim Berufungsgericht und in einigen Fällen auch beim Obersten Gericht (USDOS 20.4.2018).
Das Gesetz sieht ein faires öffentliches Verfahren vor, dieses Recht wird generell auch in der Praxis gewährt. Außerdem gilt die Unschuldsvermutung, das Recht auf die Mitteilung der Anklagepunkte, auf Zeugenstellung und Zeugeneinvernahme durch die Verteidigung und auf einen Rechtsbeistand. Diese Rechte werden generell respektiert. Viele Angeklagte können sich aber keinen Rechtsbeistand leisten. Im Jahr 2016 wurde das National Legal Aid Service geschaffen, um Verteidiger kostenfrei zur Verfügung stellen zu können. Kostenlose Verteidiger gibt es bisher v.a. in Nairobi und anderen größeren Städten (USDOS 20.4.2018).
Die Arbeitsweise der Justiz ist ineffizient (FH 2018). Die mangelnde Rechtssicherheit und mangelnde Rechtsstaatlichkeit ist von langen Gerichtsverfahren, einer generell überlasteten Justiz, korrupten Richtern und einem Chaos bei Landbesitztiteln gekennzeichnet (GIZ 6.2017a). Unprofessionelle Ermittlungen und Korruption unterminieren die Strafverfolgung. Die durchschnittliche Verurteilungsrate bei Strafverfahren liegt bei 13-16 Prozent. Schuld daran sind auch die Einschüchterung von Zeugen und die Angst vor Racheakten. Es wird berichtet, dass Bestechlichkeit, Erpressung und politische Überlegungen den Ausgang von Zivilverfahren beeinflussen (USDOS 20.4.2018). Andererseits demonstriert die Strafjustiz Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Integrität (USDOS 20.4.2018; vgl. BS 2018). Trotz der weitverbreiteten Meinung, wonach die Justiz korrupt ist, gibt es keine glaubhaften Vorbringen oder Untersuchungen hinsichtlich einer signifikanten Korruption bei Richtern, Staatsanwälten oder Verteidigern (USDOS 20.4.2018). Die Justiz ist weiterhin in der Lage, die Tätigkeit der Regierung zu kontrollieren und hat auch einige Urteile gegen die Exekutive gefällt, um unterschiedliche Rechte – wie etwa das Versammlungsrecht – zu verteidigen. Allerdings hat die Justiz aufgrund einiger Korruptionsfälle an öffentlicher Glaubwürdigkeit verloren (BS 2018). Das Parlament ignoriert außerdem manchmal richterliche Entscheidungen. Die Behörden hingegen respektieren im Allgemeinen Gerichtsbeschlüsse, und die Ergebnisse der Prozesse scheinen nicht vorbestimmt zu sein (USDOS 20.4.2018).
Der Oberste Staatsrichter Willy Mutunga, ein ehemaliger Dissident und Menschenrechtler (GIZ 6.2017a) wurde gegen David Maraga ausgetauscht. Dieser verfügt nicht über die moralische Autorität, wie sein Vorgänger (BS 2018).
Früher galt die Justiz als eine der korruptesten und am wenigsten vertrauenswürdigen Institutionen Kenias. Durch die Justizreform unter Chief Justice Mutunga hat hier eine bemerkenswerte Korrektur stattgefunden (BS 2018). Die Justizreform wird auch weiterhin fortgesetzt, wenn auch mit geringerem Tempo (BS 2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Das Office of the Director of Public Prosecution (ODPP) hat die Zahl der Staatsanwälte von 200 im Jahr 2013 auf 627 im Jahr 2017 mehr als verdreifacht. Damit ging auch eine Beschleunigung der Verfahren einher (USDOS 20.4.2018). Der Rückstau wurde substanziell reduziert (BS 2018; vgl. USDOS 20.4.2018), auch wenn immer noch viele Fälle anhängig sind (FH 2018). Seit Mai 2016 läuft ein Programm der Justiz, um die Rechtsprechung effizienter und leistbarer zu machen (USDOS 20.4.2018). Die Justiz ist für Bürger nach der Schaffung neuer Gerichte besser zugänglich. Zusätzlich erfolgte der Aufbau von Ausbildungsstrukturen. Richter und Amtsmänner wurden überprüft und bewertet, zahlreiche davon entlassen (BS 2018).
Generell verfügt der kenianische Staat über das Gewaltmonopol, dies wird aber nicht immer und in vollem Umfang in allen Landesteilen durchgesetzt. Vor allem in den ariden und semi-ariden Gebieten im Norden und Nordosten sind Fähigkeit und Willen zur Durchsetzung der Rechtstaatlichkeit minimal (BS 2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.2017a): Kenia – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kenia-node/-/208078, Zugriff 25.6.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Kenya, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Kenya.pdf, Zugriff 16.7.2018
- FH - Freedom House (2018): Freedom in the World 2018 - Kenya, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/kenya, Zugriff 16.7.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2017a): Kenia – Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/kenia/geschichte-staat/, Zugriff 25.6.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Kenya, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430126.html, Zugriff 25.6.2018
- USDOS - US Department of State (15.8.2017): 2016 Report on International Religious Freedom - Kenya, https://www.ecoi.net/de/dokument/1407519.html, Zugriff 25.6.2018
Sicherheitsbehörden
Für die Sicherheit innerhalb des Landes ist die dem Innenminister unterstehende Polizei zuständig. Das Kenya Police Service erfüllt die generelle Polizeiarbeit und verfügt über spezialisierte Untereinheiten. Das Administration Police Service kümmert sich um die Grenzsicherheit, erfüllt aber teils auch normale Polizeiarbeit. Daneben gibt es noch die Kriminalpolizei (USDOS 20.4.2018). Die Polizei verfügt mit ihren 70.000 Mann über ca. 160 Polizisten pro 100.000 Einwohner. Damit liegt die Rate weit unter den UN-Empfehlungen von 220 Polizisten pro 100.000 Einwohnern (BS 2018).
Der National Intelligence Service ist der innere und äußere Nachrichtendienst und untersteht direkt dem Präsidenten (USDOS 20.4.2018).
Die Polizei ist schlecht ausgerüstet, wird nicht sehr gut bezahlt und agiert manchmal wenig professionell. Gegen die wachsende Gewaltkriminalität gibt sich die Polizei zumeist machtlos. Selbst Morde werden selten aufgeklärt, und wenn, dann fehlen gerichtsfeste Beweismittel. Aufgrund der schlechten Bezahlung sehen es zudem viele Polizisten als ihr gutes Recht an, kleine Geschenke zu verlangen (GIZ 6.2017a). Manchmal entgleitet den zivilen Aufsichtsbehörden die effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 20.4.2018). Die Polizeireform ist ins Stocken geraten (BS 2018).
Die Independent Policing Oversight Authority (IPOA) soll als zivile Aufsicht die Arbeit der Polizei kontrollieren. Sie hat in zahlreichen Fällen von Fehlverhalten durch Sicherheitskräfte Untersuchungen angestellt. In einigen Fällen extra-legaler Tötungen wurden Anklagen eingebracht. Trotzdem bleibt Straffreiheit ein ernstes Problem, ist bei Korruptionsvorwürfen sogar üblich. Erst einmal ist es im Fall eines von IPOA vorgebrachten Falles zur Verurteilung zweier Polizisten wegen Mordes gekommen (USDOS 20.4.0218). Insgesamt ist die Polizei von Korruption und Kriminalität durchsetzt (FH 2018).
Kenia verfügt über eine Berufsarmee mit rund 24.000 Soldaten, wobei eine Stärke von 31.000 Soldaten angestrebt wird (AA 1.2017a). Die dem Verteidigungsministerium unterstehende Armee ist für die äußere Sicherheit verantwortlich, erfüllt aber auch einige Aufgaben der inneren Sicherheit (USDOS 20.4.2018). Die kenianische Armee gilt als professionell und schlagkräftig. Sie genießt seit Jahrzehnten Förderung u.a. durch Großbritannien und die USA – auch in Form von Ausbildung und Training. Sie ist innenpolitisch zurückhaltend und in der jüngeren Vergangenheit öffentlich bislang erst zwei Mal im Landesinneren in Erscheinung getreten: 1982 und 2008 (GIZ 6.2017a).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.2017a): Kenia – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kenia-node/-/208078, Zugriff 25.6.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Kenya, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Kenya.pdf, Zugriff 16.7.2018
- FH - Freedom House (2018): Freedom in the World 2018 - Kenya, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/kenya, Zugriff 16.7.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2017a): Kenia – Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/kenia/geschichte-staat/, Zugriff 25.6.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Kenya, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430126.html, Zugriff 25.6.2018
Folter und unmenschliche Behandlung
Im April 2017 trat der Prevention of Torture Act in Kraft, mit welchem Folter nunmehr strafrechtlich verfolgt werden kann. Damit ist es möglich, bereits bestehende Vorgaben in der Verfassung auch umzusetzen. Es gibt Berichte darüber, dass die Polizei bei Einvernahmen aber auch zur Bestrafung von Untersuchungshäftlingen und Gefangenen Folter anwendet. Die Täter gingen dabei straffrei. Dies gilt auch für die Anwendung willkürlicher Gewalt durch Polizisten – etwa bei Demonstrationen oder Hausdurchsuchungen (USDOS 20.4.2018).
Es gibt zahlreiche Berichte über willkürliche und ungesetzliche Tötungen durch Sicherheitskräfte. Opfer sind meist Verdächtige bei Kriminalverbrechen (inkl. Terrorismus-Verdächtige). Im ersten Halbjahr 2017 wurden 80 Fälle von getöteten Personen dokumentiert, davon mindestens 33 standrechtliche Exekutionen. Die Dunkelziffer könnte weit höher sein (USDOS 20.4.2018). Nach anderen Angaben hat die Polizei im Zeitraum Jänner-Oktober 2017 214 Menschen erschossen (FH 2018). Generell steigt die Zahl extra-legaler Tötungen durch Sicherheitskräfte. Der Fokus liegt hierbei auf Personen, die einer Straftat verdächtigt werden – i.d.R. junge Männer in informellen Siedlungen (BS 2018).
Im Zuge der Proteste nach den Wahlen im August 2017 sind 100 Personen schwer verletzt und mindestens 33 getötet worden. Die Sicherheitskräfte hatten exzessive Gewalt angewendet (USDOS 20.4.2018) – v.a. gegen Anhänger der Opposition. Auch nach der Wahlwiederholung im September 2017 gab es Tote, als die Polizei mit scharfer Munition auf Demonstranten schoss (AI 23.5.2018). Auch der Armee werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen; dies vor allem in den Counties Mandera, Garissa und Wajir an der somalischen Grenze. Generell bleibt die Straflosigkeit ein großes Problem (USDOS 20.4.2018).
Sicherheitskräften wird vorgeworfen, dass sie Personen verschwinden haben lassen (USDOS 20.4.2018).
Personen werden von der Polizei willkürlich angehalten oder Inhaftiert, um von ihnen Bestechungsgelder zu lukrieren. Manchmal werden Personen geschlagen, wenn sie kein Schmiergeld bezahlen können. Bei illegalen Aktivitäten der Sicherheitskräfte, aber auch bei der Erfüllung der Polizeiarbeit kommt es zu wiederrechtlicher Haft, zu Erpressung, physischer Gewalt und zur Erfindung von Haftgründen (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AI - Amnesty International (23.5.2018): Amnesty International Report 2017/18 – Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Kenia, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/kenia, Zugriff 16.7.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Kenya, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Kenya.pdf, Zugriff 16.7.2018
- FH - Freedom House (2018): Freedom in the World 2018 - Kenya, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/kenya, Zugriff 16.7.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Kenya, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430126.html, Zugriff 25.6.2018
Korruption
Generell ist Korruption in Kenia strafbar. Allerdings werden die entsprechenden Gesetze nicht effektiv vollzogen. Viele Behördenmitarbeiter sind korrupt und bleiben straffrei (USDOS 20.4.2018). Korruption ist auf allen Ebenen der Verwaltung endemisch (USDOS 28.6.2018; vgl. FH 2018). Durch die Dezentralisierung des Staates erfolgte auch eine Dezentralisierung der Korruption in Richtung der Counties (BS 2018; vgl. FH 2018). Das Land wurde am Korruptionswahrnehmungsindex 2017 auf Platz 143 von 180 Ländern eingestuft (TI 2.2018).
Präsident Kenyatta führt auch nach seiner Wiederwahl die Kampagne gegen Korruption fort. Allerdings gibt es bei der Korruptionsbekämpfung nur geringe Fortschritte (USDOS 20.4.2018). Seit ihrer Einrichtung im Jahr 2011 wurde die Ethics and Anti-Corruption Commission (EACC) willkürlich geschwächt und desavouiert (BS 2018). Sowohl die EACC als auch das Office of the Director of Public Prosecutions (ODPP) sind unterfinanziert (USDOS 20.4.2018). Der EACC fehlen Strafverfolgungsbefugnisse (FH 2018). Das Problem der Straflosigkeit in Korruptionsfällen konnte nicht gelöst werden (BS 2018). Folglich stellt Straflosigkeit weiterhin ein Problem dar, und so auch die Korruption innerhalb der Polizei (USDOS 20.4.2018). Diese zählt zu den korruptesten Behörden des Landes (GIZ 6.2017a). Selbst gegen die Anti-Korruptionsinstitutionen EACC und ODPP bestehen Korruptionsvorwürfe. Dabei ist insgesamt Bestechung das üblichste Korruptionsmittel. Bei einer Umfrage gaben 38 Prozent der Befragten an, im Jahr 2016 Bestechungsgeld bezahlt zu haben (USDOS 20.4.2018). Die zunehmende Korruption ist für die Bevölkerung auch eine Quelle für Frustration und Zorn. Demonstrationen und Streiks waren die Folge (BS 2018).
Quellen:
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Kenya, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Kenya.pdf, Zugriff 16.7.2018
- FH - Freedom House (2018): Freedom in the World 2018 - Kenya, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/kenya, Zugriff 16.7.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2017a): Kenia – Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/kenia/geschichte-staat/, Zugriff 25.6.2018
- TI - Transparency International (21.2.2018): CPI - Corruption Perceptions Index 2017, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2017, Zugriff 17.7.2018
- USDOS - US Department of State (28.6.2018): Trafficking in Persons Report 2018 - Country Narratives - Kenya, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437564.html, Zugriff 16.7.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Kenya, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430126.html, Zugriff 25.6.2018
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
In Kenia sind mehr als 10.000 NGOs aktiv (AA 1.2017a). Es gibt traditionell eine sehr lebendige Szene von nationalen NGOs und Gruppen, die sich thematisch vor allem um Fragen der Demokratie, Korruption, Frauenrechte und Menschenrechte kümmern, gefolgt von Umweltschutz oder kulturellen Anliegen. Viele dieser Organisationen gelten als Wegbereiter der Demokratisierung, die in den Mehrparteienwahlen von 2002 ihren Ausdruck fand (GIZ 6.2017a). Inländische und internationale Menschenrechtsgruppen arbeiteten im Allgemeinen ohne staatliche Beschränkung, obwohl einige Gruppen berichteten, dass sie im Laufe des Jahres 2017 zunehmend staatliche Schikanen erlebt haben. Beamte sind manchmal kooperativ, aber die Regierung ignoriert Empfehlungen von Menschenrechtsgruppen, wenn diese sich gegen ihre Politik richtet. V.a. weniger etablierte NGOs in ländlichen Gebieten berichten, dass sie von lokalen Behördenmitarbeitern oder Polizisten schikaniert oder bedroht werden (USDOS 20.4.2018). Die Behörden bedienen sich rechtlicher und administrativer Maßnahmen, um die Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich mit Menschenrechten und Regierungsführung beschäftigten, zu behindern (AI 23.5.2018). Menschenrechtsaktivisten, die sich sehr exponieren, werden bis zu einem gewissen Grad als gefährdet eingeschätzt (ÖB 20.12.2016).
Die (rechtlichen) Versuche der Regierung, Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen einzuschränken, waren bisher allerdings erfolglos (BS 2018). Im Mai 2017 entschied das Hohe Gericht in Nairobi, dass die Regierung das Gesetz über gemeinnützige Organisationen von 2013 (Public Benefit Organization [PBO] Act 2013) veröffentlichen müsse. Sollte das Gesetz Rechtskraft erlangen, könnte es die Arbeitsbedingungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und NGOs verbessern (AI 23.5.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.2017a): Kenia – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kenia-node/-/208078, Zugriff 25.6.2018
- AI - Amnesty International (23.5.2018): Amnesty International Report 2017/18 – Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Kenia, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/kenia, Zugriff 16.7.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Kenya, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Kenya.pdf, Zugriff 16.7.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2017a): Kenia – Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/kenia/geschichte-staat/, Zugriff 25.6.2018
- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (20.12.2016): Antwort der ÖB Nairobi, per E-Mail
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Kenya, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430126.html, Zugriff 25.6.2018
Wehrdienst und Rekrutierungen
Der Wehrdienst in Kenia ist freiwillig. Freiwillige 18-26jährige kenianische Staatsbürger beiderlei Geschlechts können sich rekrutieren lassen (CIA 12.7.2018).
Quellen:
- CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook – Kenya, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ke.html, Zugriff 17.7.2018
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Menschenrechtssituation ist vergleichsweise gut. Die Verfassung enthält einen Grundrechtekatalog (Bill of Rights), seine Verwirklichung in der Praxis bleibt gleichwohl eine Herausforderung. Wichtigste Menschenrechtsthemen bleiben Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane und gewaltsame Zusammenstöße zwischen einzelnen Ethnien (AA 1.2017a). Seitens der Sicherheitskräfte kommt es zu willkürlichen und ungesetzlichen Tötungen, zu Folter, zur Anwendung exzessiver Gewalt und zu willkürlichen Verhaftungen. Meist herrscht hierbei Straffreiheit (USDOS 20.4.2018; vgl. BS 2018). Unverhältnismäßige Gewalt, mit der die Polizei nach den Wahlen im August und im Oktober 2017 gegen Protestierende vorging, führte zum Tod zahlreicher Menschen (AI 23.5.2018), alleine in den Wochen vor der Wahlwiederholung sollen bei – teils gewalttätigen – Demonstrationen in Nairobi und Kisumu dutzende Menschen von der Polizei getötet worden sein (FH 2018).
Gesellschaftlich weitgehend akzeptierte Mob-Gewalt ist üblich und führt zu zahlreichen Todesopfern. Grund dafür ist ein Vertrauensmangel gegenüber Polizei und Justiz. Die Polizei ist in zahlreichen Fällen nicht in der Lage, Schutz vor Mob-Gewalt zu bieten. In manchen Fällen greift sie schützend ein (USDOS 20.4.2018).
Mit der Kenya National Commission on Human Rights (KNCHR), deren Rolle in der neuen Verfassung verankert ist, verfügt Kenia über eine aktive, unabhängige staatliche Organisation zur Überwachung der Menschenrechte (AA 1.2017a; vgl. USDOS 20.4.2018). Die bereits während des Moi-Regimes sehr aktive (NGO) Kenya Human Rights Commission versteht sich als Anwalt der Rechtlosen gegenüber staatlicher Willkür. Hervorzuheben ist auch People against Torture (PAT), welche Folteropfer vertritt (GIZ 6.2017a).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.2017a): Kenia – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kenia-node/-/208078, Zugriff 25.6.2018
- AI - Amnesty International (23.5.2018): Amnesty International Report 2017/18 – Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Kenia, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/kenia, Zugriff 16.7.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Kenya, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Kenya.pdf, Zugriff 16.7.2018
- FH - Freedom House (2018): Freedom in the World 2018 - Kenya, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/kenya, Zugriff 16.7.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2017a): Kenia – Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/kenia/geschichte-staat/, Zugriff 25.6.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Kenya, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430126.html, Zugriff 25.6.2018
Meinungs- und Pressefreiheit
Meinungs- und Pressefreiheit sind gesetzlich gewährleistet, werden aber manchmal durch die Regierung eingeschränkt. Auch mehrere Gesetze schränken die Möglichkeiten der Medien ein (USDOS 20.4.2018; vgl. BS 2018). Diese Gesetze kommen zwar kaum zur Anwendung, doch alleine ihre Existenz führt bei gewissen Themenbereichen (z.B. Berichterstattung über Korruptionsfälle) zu Selbstzensur (BS 2018). Allerdings wurde im August 2016 das Access of Information Bill verabschiedet, welches als Fortschritt gesehen wird (USDOS 20.4.2018).
Generell sind die Freiheiten der Presse jedenfalls substanziell. Ebenso gibt es eine substanzielle Diversität an publizierten Meinungen (BS 2018). Kenia hat eine lebendige und qualitativ hochwertige Printpresse (GIZ 6.2017a) und eine der aktivsten Medienlandschaften in Afrika (FH 2018). Kenias Medien gelten als die besten der Region, ihre Verbreitung reicht weiter als in den Nachbarstaaten (GIZ 6.2017a). Das bedeutendste Medium war und ist immer noch das Radio. Alle nationalen TV-Sender haben auch Radiostationen. Hinzu kommt eine Vielzahl privater Radiosender (GIZ 6.2017a). Das von mehr als 80 Prozent der Bevölkerung genutzte Internet ist ohne Einschränkungen zugänglich (USDOS 20.4.2018).
Die meisten Medien berichten über eine breite Palette an politischen und sozialen Themen, viele Zeitungen publizieren auch Kritik an der Regierung. Viele Medien sind unabhängig (USDOS 20.4.2018). In den TV- und Printmedien ist grundsätzlich eine freie und regierungskritische Berichterstattung möglich. Die Medien gehören zu den wenigen, im afrikanischen Kontext vergleichsweise gut funktionierenden Institutionen in Kenia. Seit langem übernehmen sie die Rolle der Opposition als kritischer Beobachter der kenianischen Politik. Dennoch bleibt der Einfluss einzelner Führungspersönlichkeiten des Landes im Medienbereich deutlich sichtbar (AA 1.2017c).
Es kommt zur Drangsalierung von Journalisten durch Regierung und Sicherheitskräfte – und in der Folge zu Selbstzensur (FH 2018). In einigen Fällen wurden Journalisten von Polizisten während der Einvernahme geschlagen und Blogger für die Veröffentlichung von Informationen über Terrorismus inhaftiert (BS 2018). Von 2013 bis 2017 wurden 23 Vorfälle dokumentiert, bei welchen Journalisten oder Blogger angegriffen wurden. V.a. vor den Wahlen im August 2017 kam es zu einer wachsenden Zahl an Einschüchterungen gegen Journalisten (USDOS 20.4.2018). Reporter ohne Grenzen sieht Kenia 2018 im Ranking der Pressefreiheit stabil auf Platz 96 (Vorjahr: 95) unter 180 verglichenen Ländern (ROR 2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.2017c): Kenia – Kultur und Bildung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kenia-node/-/208080, Zugriff 17.7.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Kenya, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Kenya.pdf, Zugriff 16.7.2018
- FH - Freedom House (2018): Freedom in the World 2018 - Kenya, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/kenya, Zugriff 16.7.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2017a): Kenia – Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/kenia/geschichte-staat/, Zugriff 25.6.2018
- ROR - Reporter ohne Grenzen (2018): Rangliste der Pressefreiheit 2018, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/uploads/tx_lfnews/media/Rangliste_der_Pressefreiheit_2018_-_Reporter_ohne_Grenzen_01.pdf, Zugriff 25.6.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Kenya, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430126.html, Zugriff 25.6.2018
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Obwohl Verfassung und Gesetze Versammlungsfreiheit vorsehen, wird dieses Recht manchmal von der Regierung eingeschränkt. Versammlungen müssen vorangemeldet werden (USDOS 20.4.2018).
Den Staatsbürgern