TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/7 I404 2246190-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.12.2021
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Entscheidungsdatum

07.12.2021

Norm

ASVG §67 Abs10
ASVG §83
B-VG Art133 Abs4

Spruch


I404 2246190-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch RA Dr. Bernd OBERHOFER gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle XXXX , vom 09.06.2021, Zl. XXXX , betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben der Österreichischen Gesundheitskasse, XXXX ol (in der Folge: belangte Behörde), vom 06.05.2021 wurde Frau XXXX (in der Folge: Beschwerdeführerin) ersucht, die auf dem Beitragskonto der XXXX GmbH (in der Folge: Primärschuldnerin) aushaftenden Beiträge samt Nebengebühren in der Höhe von € 3.804,54 zzgl. der gesetzlichen Verzugszinsen zu begleichen oder allenfalls alle Tatsachen vorzubringen, die ihrer Ansicht nach gegen eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG sprechen. Diesem Schreiben war eine Aufstellung über den Haftungsbetrag beigegeben.

2. Mit Schreiben vom 15.05.2021 führte die Beschwerdeführerin aus, dass die Beiträge verjährt seien. Sie habe den Betrieb der Primärschuldnerin bis 31.12.2015 geführt. In dieser Zeit habe die namentlich angeführte Steuerberatungs GmbH in XXXX sämtliche betrieblichen Meldungen fristgerecht erledigt.

3. Mit Schreiben vom 20.05.2021 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, dass gegen die Primärschuldnerin am 11.04.2016 das Sanierungsverfahren eröffnet und die Aufhebung am 03.09.2020 mit einer Quote von 82% erfolgt sei. Da die erste Rate nicht überwiesen worden sei und eine Urgenz erfolglos geblieben sei, wäre der Sanierungsplan hinfällig. Somit sei erst dann der Ausfall festgestanden. Dem Vorbringen, wonach der Steuerberater sämtliche Meldungen fristgerecht erledigt habe, werde nicht widersprochen. Die schuldhafte Pflichtverletzung liege in der Nichtbezahlung der Beiträge. Es komme ausschließlich darauf an, ob die Beschwerdeführerin ihrer sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtung zur Abfuhr der Sozialversicherungsbeiträge ohne Verschulden nicht oder nur teilweise nachgekommen sei und wenn sie Forderungen zumindest anteilig befriedigt hat, dass sie die belangte Behörde im Verhältnis zu anderen Gläubigern gleichbehandelt hat.

Dazu wurde seitens der Beschwerdeführerin keine weitere Stellungnahme eingebracht.

4. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 09.06.2021 stellte die belangte Behörde fest, dass die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der Primärschuldnerin der belangten Behörde gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG die Dienstnehmerbeiträge für die Zeiträume März 2015, Mai 2015 bis August 2015, Dezember 2015 und Jänner 2016 in der Höhe von € 3.804,54 schuldet und verpflichtet ist, der belangten Behörde diesen Betrag binnen 14 Tagen ab Zustellung des Bescheides zuzüglich Verzugszinsen in Höhe 3,38 % p.a. ab 01.06.2021 zu bezahlen. Die Dienstnehmerbeiträge seien aus den vom Dienstgeber bzw. dessen Steuerberater selbst erstellten Beitragsgrundlagenmeldungen ermittelt worden. Die Einbringlichmachung bei der Primärschuldnerin sei nicht möglich gewesen. Die eingeleitete Fahrnisexekution sei erfolglos geblieben. Am 11.04.2016 sei über das Vermögen der Primärschuldnerin das Sanierungsverfahren eröffnet und am 03.09.2020 nach Abschluss eines Sanierungsplanes wieder aufgehoben worden.

Die Beschwerdeführerin sei im fraglichen Zeitraum (seit 21.01.2015) im Firmenbuch des Landesgerichtes XXXX als Geschäftsführerin eingetragen und daher zur Vertretung des Beitragsschuldners und auch zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Obliegenheiten des Dienstgebers der belangten Behörde gegenüber berufen gewesen. Mit Schreiben vom 06.05.2021 sei die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die Haftungsbestimmungen des § 67 Abs. 10 ASVG ersucht worden, die aushaftende Beitragsschuld zu bezahlen bzw. Schuldausschließungsgründe darzulegen. Zudem sei der Nachweis gefordert worden, dass die offenen Sozialversicherungsbeiträge im Zeitraum 01.12.2015 bis 11.04.2016 nicht in geringerem Ausmaß bezahlt worden wären wie die sonstigen Verbindlichkeiten (Aufstellung der Zahlungsbewegungen in diesem Zeitraum samt Belegen, Status der Verbindlichkeiten per 11.04.2016 und Aufstellung der neuhinzugekommenen Verbindlichkeiten). Die Beschwerdeführerin habe darauf der belangten Behörde mitgeteilt, dass die Beiträge aus ihrer Sicht verjährt seien. Auf das Antwortschreiben der belangten Behörde hätte die Beschwerdeführerin nicht reagiert.

5. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig und zulässig Beschwerde und führte aus, dass bestritten werde, dass Sozialversicherungsbeiträge der Monate März 2015, Mai 2015 bis August 2015, Dezember 2015 und Jänner 2016 nicht bezahlt worden seien. Sollte der professionellen Lohnverrechnung Fehler unterlaufen sein, so seien diese der Beschwerdeführerin nicht erkennbar gewesen. Die Beschwerdeführerin müsse nicht über bessere Lohnverrechnungs- bzw. Lohnabgabenberechnungskenntnisse verfügen wie die beschäftigten Professionisten. Es fehle daher an einem kausalen Verschulden der Beschwerdeführerin, weshalb die Einvernahme der mit der Lohnverrechnung befassten Personen und der Beschwerdeführerin beantragt werde. Namen und Anschrift dieser Personen würden nachgereicht werden. Ausdrücklich werde auch Verjährung eingewandt, zumal die Beitragshaftung der dreijährigen Verjährung unterliege. Spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens habe der belangten Behörde bekannt sein müssen, dass Beiträge nicht bezahlt worden seien. Die belangte Behörde habe damit die Möglichkeit gehabt, alle haftungsrelevanten Umstände zu erheben und gegen die Beschwerdeführerin vorzugehen. Sie sei jedoch über Jahre untätig geblieben.

6. Am 09.09.2021 wurde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Stellungnahme der belangten Behörde zur Entscheidung vorgelegt.

7. Mit Schreiben vom 14.09.2021 forderte das BVwG die belangte Behörde dazu auf, für den gesamten Haftungsbetrag darzulegen, welche konkreten Beiträge nicht bezahlt wurden und diesbezüglich Beweise vorzulegen.

8. Mit Schriftsatz vom 29.09.2021 führte die belangte Behörde aus, dass verfahrensgegenständlich Beitragszahlungen für die Monate 05/2015, 12/2015 und 01/2016 offen seien. Weiters erläuterte die belangte Behörde die von der Steuerberatungsfirma gemeldeten Beiträge und stellte diese den tatsächlich einbezahlten Beiträgen gegenüber. Daraus ergebe sich der Haftungsbetrag in der Höhe von € 3.805,54.

9. Diese Stellungnahme wurde der Beschwerdeführerin am 25.10.2021 mit dem neuerlichen Hinweis, dass ihr als Geschäftsführerin eine Pflichtverletzung vorgeworfen werde, da sie fällige Beiträge schlechter als sonstige Gesellschaftsschulden behandelt habe und sie nur dann exkulpiert werde, wenn sie entweder nachweise, im fraglichen Zeitraum, in dem die Beiträge fällig geworden sind, insgesamt über keine Mittel verfügt und daher keine Zahlungen geleistet zu haben, oder zwar über Mittel verfügt zu haben aber wegen der gebotenen Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern die Beitragsschuldigkeiten - ebenso wie die Forderungen aller anderen Gläubiger - nicht oder nur zum Teil beglichen zu haben, die Beitragsschuldigkeiten also nicht in Benachteiligung der belangten Behörde in einem geringeren Ausmaß beglichen zu haben als die Forderungen anderer Gläubiger, übermittelt. Zur Abgabe einer Stellungnahme wurde der Beschwerdeführerin eine dreiwöchige Frist gewährt. Die Beschwerdeführerin erstattete in der Folge keine Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin war vom 21.01.2015 bis zur Konkurseröffnung am 20.04.2016 Geschäftsführerin der zu FN XXXX im Firmenbuch eingetragenen Gesellschaft XXXX GmbH (in der Folge: Primärschuldnerin), seit 21.04.2020 XXXX GmbH in Liqu. Sie vertrat diese Gesellschaft selbständig, seit nunmehr 08.04.2020 fungiert sie als Abwicklerin/Liquidatorin.

1.2. Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 11.04.2016 zu XXXX wurde über das Vermögen der Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 08.04.2020 wurde der Sanierungsplan bestätigt und der Konkurs aufgehoben. Mit Schreiben vom 21.09.2020 wurde die Primärschuldnerin zu Handen der Beschwerdeführerin als Liquidatorin aufgefordert, die nach dem Sanierungsplan fällig gewordenen Teilquoten im Ausmaß von 24,25% innerhalb einer 14tägigen Nachfrist bei sonstigen Wideraufleben der ursprünglichen Forderung zu überweisen. Es erfolgte in der Folge keine Überweisung an die belangte Behörde.

1.3. Die Primärschuldnerin schuldet der belangten Behörde für die Monate Mai 2015, Dezember 2015 und Jänner 2016 nicht entrichtete Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von € 3.804,54 zuzüglich Verzugszinsen.

1.4. Die Beschwerdeführerin hat weder der belangten Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht Unterlagen vorgelegt, aus denen ersichtlich ist, dass in den Monaten Mai 2015, Dezember 2015 und Jänner 2016 überhaupt keine liquiden Mittel mehr vorhanden waren oder die Forderungen der belangten Behörde und anderer Gläubiger gleichbehandelt wurden. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass schon vor dem 20.04.2016 eine allgemeine Zahlungseinstellung stattgefunden hat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellung, in welchem Zeitraum die Beschwerdeführerin Geschäftsführerin der Primärschuldnerin war, ergibt sich ebenso wie die Feststellung zur Löschung der Funktion aus dem eingeholten Firmenbuchauszug. Daraus ist auch die Vertretungsbefugnis der Beschwerdeführerin sowie ihre Funktion als Abwicklerin/Liquidatorin seit 08.04.2020 ersichtlich.

2.2. Die Feststellungen zum Konkursverfahren der Primärschuldnerin ergeben sich ebenfalls aus dem eingeholten Firmenbuchauszug. Der Inhalt des Schreibens der belangten Behörde an die Primärschuldnerin wurde dem diesbezüglich im Akt einliegendem Schreiben entnommen. Dass die Primärschuldnerin die erste Teilquote nicht an die belangte Behörde überwiesen hat, basiert auf den Feststellungen im Bescheid, welche unbestritten blieb.

2.3. Die Höhe der aushaftenden Sozialversicherungsbeiträge und der Umstand, dass diese von der Primärschuldnerin nicht bezahlt wurden, ergibt sich sowohl aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Rückstandsausweis vom 06.05.2021, als auch dem Bescheid vom 09.06.2021 und der Stellungnahme vom 29.09.2021, welche gleichbleibend den entsprechenden Betrag ausweisen. Die belangte Behörde hat die aushaftenden Beiträge in den entsprechenden Unterlagen nachvollziehbar dargestellt, weshalb für die erkennende Richterin kein Zweifel an dem tatsächlichen Aushaften der Beträge sowie an der im Bescheid festgelegten Höhe von € 3.804,54 zuzüglich Verzugszinsen besteht. Daran vermögen auch die unsubstantiierten Ausführungen der Beschwerdeführerin im Beschwerdeschriftsatz, wonach die Sozialversicherungsbeiträge in den betreffenden Zeiträumen „ordnungsgemäß bezahlt“ wurden, nichts zu ändern, zumal die Beschwerdeführerin keinerlei Unterlagen zur Untermauerung ihres Vorbringens vorgelegt hat. Mit Parteiengehör vom 25.10.2021 bot das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerdeführerin neuerlich die Möglichkeit, zur Stellungnahme der belangten Behörde bzw. deren Auflistung der aushaftenden Beiträge Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführerin hat auch diese Möglichkeit nicht genutzt, weshalb im Ergebnis kein Zweifel an der Aufstellung der belangten Behörde besteht.

2.4. Aus dem Verwaltungsakt geht zweifelsfrei hervor, dass die Beschwerdeführerin keinerlei Unterlagen, welche eine Gläubigerungleichbehandlung ausschließen könnten, vorgelegt hat. Aus diesem Grund konnte nicht festgestellt werden, dass in den Monaten Mai 2015, Dezember 2015 und Jänner 2016 die Forderungen der belangten Behörde und anderer Gläubiger gleichbehandelt wurden.

Dass überhaupt keine liquiden Mittel mehr vorhanden waren oder dass es schon vor der Konkurseröffnung zu einer allgemeinen Zahlungseinstellung gekommen ist, wurde von der Beschwerdeführerin nicht behauptet.

2. 5. Zum Antrag der Beschwerdeführerin, dass eine nicht namentlich angeführte Person der Steuerberatungskanzlei zu dem Umstand einzuvernehmen sei, dass es an einem kausalen Verschulden der Beschwerdeführerin fehlt, ist folgendes auszuführen:

Zunächst hat der Rechtsvertreter trotz Ankündigung den Namen und die Adresse der einzunehmenden Personen nachzureichen, dem Gericht nicht bekannt gegeben. Darüberhinaus ist auch nicht ersichtlich, inwiefern seitens der Steuerberatungskanzlei zu diesem Beweisthema ein relevantes Vorbringen erstattet werden kann, zumal sowohl das Gericht als auch die belangte Behörde ohnehin davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin die Kanzlei mit der Berechnung der Löhne und Lohnabgaben sowie Sozialversicherungsbeiträge beauftragt hat, dies jedoch an der Haftung der Beschwerdeführerin gemäß § 67 Abs. 10 ASVG nichts ändert (siehe dazu Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung).


3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1.1. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträgen insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

Gemäß § 58 Abs. 5 ASVG haben die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

3.1.2. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass ein Tatbestandsmerkmal des § 67 Abs. 10 ASVG und primäre Haftungsvoraussetzung die Uneinbringlichkeit der Forderung beim Primärschuldner ist bzw. der Haftungspflichtige jedenfalls so lange nicht in Anspruch genommen werden kann, als ein Ausfall beim Beitragsschuldner als Primärschuldner noch nicht angenommen werden kann. Wesentliche und primäre sachliche Voraussetzung der subsidiären Haftung eines Vertreters ist die objektive gänzliche oder zumindest teilweise Uneinbringlichkeit der Forderung beim Primärschuldner. Erst wenn diese feststeht, ist auf die Prüfung der für eine Haftung maßgebenden weiteren, an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen (vgl. etwa VwGH vom 19.12.2007, 2005/08/0068).

Im Insolvenzfall wird diese Voraussetzung spätestens mit Beendigung des Insolvenzverfahrens bzw. mit der Annahme eines Sanierungs- bzw. Zahlungsplans eintreten (Müller in der SV-Komm, 110. Lieferung, § 67, Rz 129).

Im konkreten Fall steht fest, dass mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 08.04.2020 zu XXXX das Konkursverfahren aufgehoben wurde. In der Folge war die Primärschuldnerin mit den Zahlungen gegenüber der belangten Behörde in Verzug, weshalb die Begünstigungen, die der Sanierungsplan gewährt, gemäß § 156a Abs1 IO hinfällig wurden. Damit steht die Uneinbringlichkeit der offenen Sozialversicherungsbeiträge bei der Primärschuldnerin zweifelsfrei fest.

3.1.3. Weiters steht fest, dass die Beschwerdeführerin vom 21.01.2015 bis 20.04.2016 als handelsrechtliche Geschäftsführerin der Primärschuldnerin im Firmenbuch eingetragen und daher gemäß § 58 Abs. 5 ASVG dazu verpflichtet war, dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit entrichtet werden. Dieser Verpflichtung ist die Beschwerdeführerin betreffend Beiträge der Monate 05/2015, 12/2015 und 01/2016 nicht (vollständig) nachgekommen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Haftung des Geschäftsführers gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ihrem Wesen nach eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die den Geschäftsführer deshalb trifft, weil er seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen zur rechtzeitigen Abfuhr der Sozialversicherungsbeiträge verletzt hat. Eine solche Pflichtverletzung kann darin liegen, dass der Geschäftsführer die fälligen Beiträge (ohne rechtliche Grundlage) insoweit schlechter behandelt als sonstige Gesellschaftsschulden, als er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt, bzw. - im Falle des Fehlens ausreichender Mittel - nicht für eine zumindest anteilige Befriedigung auch der Forderungen der Gebietskrankenkasse Sorge trägt. Der Geschäftsführer wäre nur dann exkulpiert, wenn er entweder nachweist, im fraglichen Zeitraum, in dem die Beiträge fällig geworden sind, insgesamt über keine Mittel verfügt und daher keine Zahlungen geleistet zu haben, oder zwar über Mittel verfügt zu haben, aber wegen der gebotenen Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern die Beitragsschuldigkeiten - ebenso wie die Forderungen aller anderen Gläubiger - nicht oder nur zum Teil beglichen zu haben, die Beitragsschuldigkeiten also nicht in Benachteiligung der Gebietskrankenkasse in einem geringeren Ausmaß beglichen zu haben als die Forderungen anderer Gläubiger (vgl. etwa VwGH vom 20.06.2018, Ra 2018/08/0039). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht für die Vertreterhaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG leichte Fahrlässigkeit (bei der Verletzung der den Geschäftsführer treffenden Verpflichtungen) aus (vgl. hiezu das Erkenntnis des VwGH vom 20. Februar 1996, Zl. 95/08/0251).

Zum Nachweis der Gläubigergleichbehandlung im Hinblick auf die am Ende des Beurteilungszeitraumes unberichtigt gebliebenen Verbindlichkeiten hat der Vertreter jedenfalls die insgesamt fälligen Verbindlichkeiten im Beurteilungszeitraum sowie die im Beurteilungszeitraum darauf geleisteten Zahlungen nachvollziehbar darzustellen und zu belegen (vgl. die Rechtsprechung des VwGH zur vergleichbaren Bestimmung § 25a BUAG vom 29. Jänner 2014, 2012/08/0227).

Dieser Verpflichtung ist die Beschwerdeführerin jedenfalls nicht nachgekommen. So hat die Beschwerdeführerin weder der belangten Behörde noch dem BVwG eine solche Aufstellung der insgesamt fälligen Verbindlichkeiten und der Zahlungen vorgelegt.

3.1.5. Was den im Hinblick auf die Gläubigergleichbehandlung zu beurteilenden Zeitraum betrifft ist anzuführen, dass dieser spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet; er endet bereits früher mit der Beendigung der Vertreterstellung oder auch mit einer früheren allgemeinen Zahlungseinstellung. Er beginnt mit der Fälligkeit der ältesten zum Ende des Beurteilungszeitraumes noch offenen Zuschlagsverbindlichkeit, wobei für die Ermittlung dieses Zeitraums alle Zuschlagszahlungen ungeachtet allfälliger Widmungen auf die jeweils älteste Forderung zu beziehen sind (vgl. etwa VwGH vom 07.10.2015, Ra 2015/08/0040).

Die belangte Behörde hat ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin für Beiträge für die Monate Mai 2015, Dezember 2015 und Jänner 2016 haftet. Die Beschwerdeführerin war in diesem Zeitpunkt als Geschäftsführerin im Firmenbuch eingetragen und wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Primärschuldnerin mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 11.04.2016 eröffnet. Dass es schon zuvor zu einer allgemeinen Zahlungseinstellung gekommen ist, wurde von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht.

3.1.6. Insoweit die Beschwerdeführerin im Beschwerdeschriftsatz vorbringt, sie habe Professionisten zur Abgabe der Sozialversicherungsbeiträge beschäftigt und wäre die Beschwerdeführerin nicht für etwaige Fehler dieser Professionisten verantwortlich, entbindet sie dieses Vorbringen nicht von der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG. So befreit die Beauftragung eines steuerlichen Vertreters den Vertreter nicht (VwGH 85/15/0069), und zwar schon deshalb, weil ihm das Verschulden seines Vertreters zuzurechnen ist (Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 67 ASVG [Stand 1.12.2020, rdb.at] Rz 128). Der Vertreter hat die Verpflichtung, sich die für seine Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen. Der Geschäftsführer ist, auch wenn er sich bei der Erfüllung seiner Verpflichtungen einer Steuerberatungskanzlei bedient, dazu verpflichtet, für die ordnungsgemäße Erstattung der Meldungen Sorge zu tragen und sich gegebenenfalls von der ordnungsgemäßen Durchführung der gebotenen Meldungen zu überzeugen (vgl. VwGH vom 15.03.2005, Zl. 2003/08/0053).

3.1.7. Zur behaupteten Verjährung ist auszuführen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 09.01.2020, Zl. 2019/08/0180 festgehalten hat, dass gemäß § 68 Abs. 1 ASVG Maßnahmen zur Verjährungsunterbrechung gegen den Zahlungspflichtigen in gleicher Weise gegen den Beitragsmithaftenden wirken. Daher war durch die Anmeldung der Forderung im Konkurs auch die Forderung iSd § 67 Abs. 10 ASVG gegen die Geschäftsführerin der Primärschuldnerin nicht verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 68 Abs. 1 ASVG) konnte ihr gegenüber erst mit dem Feststehen der objektiven Uneinbringlichkeit der noch nicht verjährten Forderung gegenüber der Primärschuldnerin, d.h. im vorliegenden Fall der rechtskräftigen Beendigung des Sanierungsverfahrens gemäß § 152b IO beginnen.

Innerhalb der Verjährungsfrist wurde die Beschwerdeführerin am 06.05.2021 aufgefordert, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt schriftlich darzulegen, weshalb sie kein Verschulden treffe. Damit wurde die Verjährung ihr gegenüber gemäß § 68 Abs. 1 ASVG unterbrochen.

3.1.8. Die Beschwerdeführerin hat den Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte - an die belangte Behörde zu entrichten gewesen wäre, nicht angetreten, weshalb der Beschwerdeführerin die uneinbringlichen Beiträge zur Gänze vorgeschrieben werden konnten (vgl. beispielsweise die Erkenntnisse des VwGH vom 24. Februar 2004, 99/14/0278, vom 3. September 2008, 2003/13/0094, vom 23. Juni 2009, 2007/13/0014, und vom 2. September 2009, 2007/15/0039). Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen war.

4. Absehen von der mündlichen Verhandlung:

Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Von der mündlichen Verhandlung kann im gegenständlichen Beschwerdefall gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der beteiligten Parteien, der unstrittig feststehende Sachverhalt und der dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegte Akt der belangten Behörde erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem auch Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegensteht (vgl. die Entscheidung des EGMR vom 02.09.2004, Zl. 68087/01 (Hofbauer/Österreich), wo der Gerichtshof unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt hat, dass die Anforderungen von Art. 6 EMRK auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jeglicher Anhörung (im Originaltext „any hearing at all“) erfüllt sind, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder „technische“ Fragen betrifft, und in diesem Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise verwiesen hat.

Von einer mündlichen Verhandlung konnte daher in Anwendung von § 24 Abs. 1 und 4 VwGVG abgesehen werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Beitragsrückstand Geschäftsführer Gleichbehandlung Haftung Nachweismangel Pflichtverletzung Rückstandsausweis Uneinbringlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I404.2246190.1.00

Im RIS seit

29.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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