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L80006 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan SteiermarkNorm
BauRallgBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak, den Hofrat Mag. Haunold und die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der S GmbH in S, vertreten durch Mag. Rainer Frank, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 6/1. Stock, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 5. Februar 2021, LVwG 50.32-2742/2020-8, betreffend eine baurechtliche Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde Krottendorf-Gaisfeld; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung; mitbeteiligte Partei: L Genossenschaft mbH in V, vertreten durch die Hohenberg Strauss Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 6), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Gemeinde Krottendorf-Gaisfeld hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin beantragte mit Eingabe vom 21. September 2018 die Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage auf näher bezeichneten Grundstücken in der KG K. Der Bauplatz ist im Flächenwidmungsplan 3.0 der Gemeinde K, der seit 2004 in Kraft ist, als Dorfgebiet bzw. als Sanierungsgebiet ausgewiesen.
2 Die Mitbeteiligte ist Eigentümerin der unmittelbar an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke und betreibt dort ein landwirtschaftliches Lagerhaus. Sie erhob fristgerecht den Einwand der heranrückenden Wohnbebauung gemäß § 26 Abs. 4 iVm Abs. 1 Steiermärkisches Baugesetz 1995 (Stmk. BauG).
3 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde K (Behörde) vom 28. August 2020 wurde der Revisionswerberin die beantragte Baugenehmigung gemäß §§ 19 und 29 Stmk. BauG erteilt; die Einwendungen der Mitbeteiligten wurden zurückgewiesen, weil die Widmungskategorie Dorfgebiet im Sinn des § 23 Abs. 5 lit. f Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 1974 (Stmk. ROG 1974) keinen Immissionsschutz beinhalte.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) der Beschwerde der Mitbeteiligten Folge und behob den Bescheid vom 28. August 2019. Eine ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.
Begründend führte das LVwG im Wesentlichen aus, gemäß § 23 Abs. 5 lit. f Stmk. ROG 1974 sei im Dorfgebiet tatsächlich kein Immissionsschutz vorgesehen; Flächenwidmungspläne seien grundsätzlich nach den Bestimmungen des Stmk. ROG im Zeitpunkt ihrer Erlassung auszulegen. Gemäß § 42 Abs. 2 Stmk. ROG 2010 müssten Bürgermeister jedoch spätestens alle zehn Jahre eine Revision des Flächenwidmungsplanes durchführen; ungeachtet dieser Revisionsfrist sei eine Änderung des Flächenwidmungsplanes jedenfalls vorzunehmen, wenn dies aufgrund einer wesentlichen Änderung der Planungsvoraussetzungen erforderlich sei (§ 42 Abs. 8 Z 1 Stmk. ROG 2010); das Verfahren zur Änderung des Flächenwidmungsplanes sei spätestens innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt der wesentlich geänderten Planungsvoraussetzungen abzuschließen (§ 42 Abs. 9 Z 2 Stmk. ROG 2010). Mit Inkrafttreten des Stmk. ROG 2010 am 1. Juli 2010 sei unter anderem auch die Widmungskategorie Dorfgebiet gemäß § 30 Abs. 1 Z 7 leg. cit. insofern neu geregelt worden, als nunmehr ein Immissionsschutz für die Nachbarn vorgesehen sei, wodurch diesen ein Mitspracherecht eröffnet werde. In der Übergangsbestimmung des § 67 Abs. 14 Stmk. ROG 2010 sei festgelegt worden, dass unter anderem die Flächenwidmungspläne der Gemeinden spätestens im Zuge der nächsten Revision (§ 42) an die durch das Stmk. ROG 2010 geänderte Rechtslage anzupassen seien.
Der Flächenwidmungsplan 3.0 der Gemeinde K. sei seit 26. März 2004 in Kraft und hätte gemäß § 67 Abs. 14 Stmk. ROG 2010 spätestens im Zuge der nächsten Revision 2014 im Hinblick auf die Widmungskategorien angepasst werden müssen. Die Gemeinde wäre aber auch gemäß § 42 Abs. 8 Z 1 und Abs. 9 Z 2 Stmk. ROG 2010 innerhalb von zwei Jahren nach Neuerlassung des ROG zu einer Änderung des Flächenwidmungsplanes verpflichtet gewesen. Diesen gesetzlichen Verpflichtungen sei die Gemeinde nicht nachgekommen.
Laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 1.8.2018, Ra 2018/06/0021) dürfe die Behörde bei Fehlen einer für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines beantragten Bauvorhabens erforderlichen Verordnung im Verfahren über ein Rechtsmittel eines Nachbarn nicht zum Ergebnis kommen, dass das Rechtsmittel abzuweisen sei. Diese Rechtsprechung sei nach Ansicht des LVwG auf den gegenständlichen Fall übertragbar, wenngleich die Verordnung nicht fehle, sondern eine zwingend vorgesehene Änderung dieser Verordnung nicht durchgeführt worden sei. Diese fehlende Anpassung des Flächenwidmungsplanes hätte aufgrund der Neufassung der Baulandkategorie Dorfgebiet definitiv Einfluss auf die subjektiven Rechte der Mitbeteiligten iSd § 26 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 4 Stmk. BauG. Wäre die Gemeinde ihrer Verpflichtung zur Revision des Flächenwidmungsplanes nachgekommen, käme der Mitbeteiligten ein Immissionsschutz im Hinblick auf die heranrückende Wohnbebauung zu. Die Zurückweisung der Einwendungen der Mitbeteiligten erweise sich im Lichte der hg. Judikatur als nicht rechtskonform, weshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben gewesen sei.
Von der Durchführung einer Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG abgesehen werden können.
Die Zulassung der ordentlichen Revision wurde damit begründet, dass das eingereichte Bauprojekt - anders als wenn die notwendige Verordnung fehle (Hinweis auf VfGH 27.2.2018, E 1328/2016; 25.9.2020, E 774/2020; VwGH 1.8.2018, Ra 2018/06/0021) - grundsätzlich anhand des Flächenwidmungsplanes 3.0 aus dem Jahr 2004 beurteilt werden könne. Da die Gemeinde jedoch ihrer Verpflichtung zur Revision des Flächenwidmungsplanes nicht nachgekommen sei, gehe das LVwG davon aus, dass die Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens nur nach der zwingend vorgesehenen Revision des Flächenwidmungsplanes 3.0 beurteilt werden dürfe. Die Parteistellung der Mitbeteiligten hänge von der Lösung dieser Rechtsfrage ab.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.
6 Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Gemäß § 23 Abs. 5 lit. f Stmk. ROG 1974 sind Dorfgebiete Flächen, die vornehmlich für Bauten land- und forstwirtschaftlicher Nutzung in verdichteter Anordnung bestimmt sind, wobei auch Wohnbauten und Gebäude, die den wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Bedürfnissen der Bewohner von Dorfgebieten dienen, errichtet werden dürfen.
Gemäß § 30 Abs. 1 Z 7 Stmk. ROG 2010 sind Dorfgebiete Flächen, die für Bauten land- und forstwirtschaftlicher Nutzung in verdichteter Anordnung bestimmt sind, wobei auch Wohnbauten außerhalb einer land- und forstwirtschaftlichen Nutzung mit nicht mehr als zwei Wohneinheiten und sonstige Nutzungen zulässig sind, die den wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Bedürfnissen der Bewohner von Dorfgebieten dienen und sich der Eigenart des Dorfgebietes entsprechend einordnen lassen, soweit sie keine diesem Gebietscharakter widersprechenden Belästigungen der Bewohnerschaft verursachen.
§ 67 Abs. 14 Stmk. ROG 2010 sieht vor, dass unter anderem der Flächenwidmungsplan der Gemeinden spätestens im Zuge der nächsten Revision (§ 42) an die durch dieses Gesetz geänderte Rechtslage anzupassen ist.
§ 42 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 2010 (Stmk. ROG 2010), LGBl. Nr. 49/2010, lautet auszugsweise:
„§ 42
Fortführung der örtlichen Raumordnung
(1) Die örtliche Raumordnung ist nach Rechtswirksamkeit des örtlichen Entwicklungskonzeptes (§ 21) und des Flächenwidmungsplanes (§ 25) nach Maßgabe der räumlichen Entwicklung fortzuführen.
(2) Der Bürgermeister hat spätestens alle zehn Jahre aufzufordern, Anregungen auf Änderungen des örtlichen Entwicklungskonzeptes und des Flächenwidmungsplanes einzubringen (Revision). Diese Frist ist jeweils vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des durch die letzte Revision geänderten Planungsinstrumentes zu berechnen. Diese Aufforderung hat insbesondere zu enthalten:
1. eine kalendermäßig genau bezeichnete Frist, die mindestens acht Wochen von der Kundmachung an gerechnet betragen muss, innerhalb der jedes Gemeindemitglied sowie jede physische und juristische Person, die ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen kann, Bauvorhaben und sonstige Planungsinteressen sowie Planungsanregungen dem Gemeindeamt (Magistrat) schriftlich bekannt geben kann,
2. die Aufforderung, dass Eigentümer von Grundstücken, deren Verwendung als Vorbehaltsflächen möglich ist, diese Grundstücke der Gemeinde zum Kauf anbieten sollen.
(3) ...
(8) Eine Änderung des örtlichen Entwicklungskonzeptes und des Flächenwidmungsplanes ist ungeachtet der Revisionsfrist von zehn Jahren jedenfalls vorzunehmen, wenn dies
1. durch eine wesentliche Änderung der Planungsvoraussetzungen,
2. zur Vermeidung oder Behebung von Widersprüchen zu Gesetzen und Verordnungen des Bundes und des Landes,
3. zur Abwehr schwerwiegender volkswirtschaftlicher Nachteile oder
4. wegen Aufhebung des Vorbehaltes gemäß § 37 Abs. 3 und 7 erforderlich ist.
(9) Das Verfahren zur Fortführung des örtlichen Entwicklungskonzeptes und des Flächenwidmungsplanes ist
1. aus Anlass der Revision (Abs. 2) nach Ablauf der Zehnjahresfrist (Revisionsfrist),
2. nach Eintritt wesentlich geänderter Planungsvoraussetzungen (Abs. 8 Z 1)
spätestens innerhalb von zwei Jahren abzuschließen. ...“
8 Einleitend wird festgehalten, dass der Flächenwidmungsplan 3.0 der Gemeinde K. seit 2004 in Kraft ist und nicht an die Bestimmungen des Stmk. ROG 2010, das am 1. Juli 2010 in Kraft trat, angepasst wurde. Im vorliegenden Fall bestand eine Verpflichtung der Gemeinde K. zur Anpassung des Flächenwidmungsplanes 3.0 an die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen jedenfalls gemäß § 67 Abs. 14 Stmk. ROG 2010 spätestens im Zuge der Revision im Jahr 2014; ob die Anpassung gemäß § 42 Abs. 8 und 9 Stmk. ROG 2010 bereits innerhalb von zwei Jahren - somit bis längstens 2006 - abzuschließen gewesen wäre, macht für den vorliegenden Fall keinen Unterschied und kann dahingestellt bleiben. Es trifft auch zu, dass Flächenwidmungspläne grundsätzlich im Sinn der Bedeutung der festgelegten Widmung nach den im Zeitpunkt ihrer Erlassung geltenden Rechtsvorschriften auszulegen sind (vgl. etwa VwGH 11.3.2016, Ra 2015/06/0107, Rn. 17, mwN). Für die im gegenständlichen Verfahren relevante Baulandkategorie Dorfgebiet war zum Erlassungszeitpunkt des Flächenwidmungsplanes 3.0 kein Immissionsschutz für Nachbarn vorgesehen (§ 23 Abs. 5 lit. f Stmk. ROG 1974), während § 30 Abs. 1 Z 7 Stmk. ROG 2010 einen solchen beinhaltet.
9 Sowohl die Revisionswerberin als auch das LVwG zitieren VwGH Ra 2018/06/0021 für ihre Rechtsansicht. Das LVwG überträgt die vom Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes getroffenen Ausführungen, wonach die Behörde bei Fehlen einer für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines beantragten Bauvorhabens notwendigen Verordnung im Verfahren über ein Rechtsmittel eines Nachbarn nicht zum Ergebnis kommen dürfe, dass das Rechtsmittel abzuweisen sei, auf den vorliegend zu beurteilenden Fall, in dem zwar schon eine Verordnung vorliegt, diese aber in rechtswidriger Weise nicht an die durch das Stmk. ROG 2010 geänderten rechtlichen Vorgaben angepasst wurde.
10 Die Revisionswerberin tritt dieser Argumentation des LVwG in der Zulässigkeitsbegründung nicht explizit entgegen, weist jedoch darauf hin, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes zu der fehlenden Verordnung nur ein obiter dictum und keine inhaltliche Entscheidung darstellten.
Darüber hinaus - so die Revisionswerberin - weiche das LVwG von der hg. Rechtsprechung betreffend das Absehen von einer - beantragten - Verhandlung zur Erörterung von Rechtsfragen ab (Hinweis auf VwGH 19.5.2015, Ro 2015/05/0004; 17.2.2015, Ra 2014/09/0007).
11 Die Revision ist zulässig und auch begründet.
12 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das LVwG der Beschwerde der Mitbeteiligten gegen die Erteilung der Baubewilligung für die Revisionswerberin Folge, behob den bei ihm bekämpften Bescheid und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die Verwaltungsbehörde zurück. Dabei ging es davon aus, dass der Flächenwidmungsplan 3.0 rechtlich zwar noch existent, aber rechtswidrig sei. Eine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens könne erst nach der zwingend vorgesehenen Revision des Flächenwidmungsplanes 3.0 erfolgen.
13 Mit dieser Begründung verkennt das LVwG jedoch, dass auch Gesetze und Verordnungen, gegen die verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, bis zu einer allfälligen Aufhebung durch den VfGH von der Behörde bzw. vom VwG anzuwenden sind (Art. 135 Abs. 4 iVm Art. 89 Abs. 2 und Art. 139 Abs. 1 Z 1 B-VG). Ohne vorherige Anfechtung und eine etwaige Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof hätte das LVwG die Vorschrift nicht unbeachtet lassen dürfen. Es ist nämlich nicht Aufgabe einer Behörde oder eines Verwaltungsgerichtes, die Rechtmäßigkeit einer Verordnung abschließend zu beurteilen.
14 Die Aufhebung und Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde mit der genannten, die Verwaltungsbehörde bindenden Begründung erweist sich daher schon aus diesem Grund als rechtswidrig.
15 Zur Klarstellung, ob der Flächenwidmungsplan 3.0 nach Verstreichen der Anpassungsfrist gesetzwidrig wurde, oder ob die Widmung Dorfgebiet - wie die Mitbeteiligte im Verfahren anregten - gesetzeskonform im Lichte der neuen Rechtslage interpretiert werden könnte, wäre die Anfechtung des Flächenwidmungsplanes, soweit er das Baugrundstück betrifft, in Betracht gekommen.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
17 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 11. November 2021
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Planung Widmung BauRallg3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021060013.J00Im RIS seit
29.12.2021Zuletzt aktualisiert am
03.01.2022