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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, Hofrat Dr. Schwarz sowie Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des A D, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/6, gegen das am 6. November 2020 mündlich verkündete und am 2. Februar 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/053/7196/2019-12, betreffend Wiederaufnahme von Verfahren nach dem NAG sowie Abweisung von Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 2. Mai 2019 nahm der Landeshauptmann von Wien die aufgrund der Anträge des Revisionswerbers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 19. Februar 2016, vom 2. Februar 2017 sowie vom 6. Februar 2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ rechtskräftig (positiv) abgeschlossenen Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 AVG wieder auf (Spruchpunkte 1a bis 1c) und wies den Erstantrag vom 19. Februar 2016 sowie die Verlängerungsanträge vom 2. Februar 2017 und vom 6. Februar 2018 gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab (Spruchpunkte 2a und 2b). Der Zweckänderungsantrag des Revisionswerbers vom 25. Jänner 2019 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 27 Abs. 1 NAG wurde mangels Vorliegen eines Aufenthaltstitels gemäß § 24 NAG ebenfalls abgewiesen (Spruchpunkt 2c). Begründend führte die Behörde aus, dass es sich bei der vom Revisionswerber mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossenen (und mittlerweile geschiedenen) Ehe um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe.
2 Gegen diesen Bescheid erhob der (zu diesem Zeitpunkt nicht vertretene) Revisionswerber Beschwerde. In dieser formulierte er unter anderem den an das Verwaltungsgericht gerichteten Antrag, den gegenständlichen Bescheid aufzuheben und seinen Aufenthaltstitel zu verlängern. Weiters beantragte er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und trat der Annahme der Behörde, wonach es sich fallbezogen um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe, argumentativ entgegen. Ferner bot er die Vorlage von Beweismitteln an. Am 7. Juli 2020 übermittelte der Revisionswerber im Wege seiner anwaltlichen Vertretung eine weitere Eingabe.
3 In der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2020 brachte das Verwaltungsgericht Wien dem Revisionswerber seine Rechtsauffassung zur Kenntnis, wonach nach dem Wortlaut der Beschwerde die Spruchpunkte des Bescheides des Landeshauptmanns von Wien vom 2. Mai 2019 betreffend die Wiederaufnahme der in Rede stehenden Verfahren sowie die Abweisung des Erstantrags sowie der Verlängerungsanträge des Revisionswerbers nicht bekämpft worden seien. Nach dem Wortlaut der Beschwerde sei nur Spruchpunkt 2c des Bescheides des Landeshauptmanns von Wien als angefochten zu betrachten. Der Vertreter des Revisionswerbers gab daraufhin zu Protokoll, dass die Beschwerde aufrechterhalten und die Einvernahme der geschiedenen Ehegattin des Revisionswerbers beantragt werde.
4 Im Anschluss beendete der Richter die Beweisaufnahme und verkündete das angefochtene Erkenntnis. Mit diesem wurde die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet abgewiesen und der Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 2. Mai 2019 bestätigt. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
5 Seine Entscheidung begründete das Verwaltungsgericht Wien dahin, dass die auf die Wiederaufnahme bezugnehmenden Spruchpunkte 1a bis 1c des gegenständlichen Bescheides weder laut der einleitenden Darstellung des Beschwerdeumfangs bekämpft worden seien noch die Aufhebung dieser Spruchpunkte in dem den Schriftsatz abschließenden Antrag begehrt worden sei. So sei in der Darstellung der Beschwerde nur darauf hingewiesen worden, dass der am 25. Jänner 2019 gestellte Zweckänderungsantrag abgewiesen worden sei. Vor diesem Hintergrund sei auch Punkt 2 der darauffolgenden „Anträge“ zu verstehen, in dem beantragt worden sei, anstelle des von der begehrten Aufhebung betroffenen Spruchteils „seinen Aufenthaltstitel zu verlängern“. Zum Zweck der Bekämpfung der Spruchpunkte betreffend die Wiederaufnahme und die Abweisung der der Verlängerung vorangegangenen Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln hätte deren ersatzlose Aufhebung beantragt werden müssen. Damit werde im Ergebnis nur Spruchpunkt 2c des gegenständlichen Bescheides bekämpft. Es sei daher angesichts der rechtskräftigen Wiederaufnahme vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe auszugehen. Da die Beschwerde lediglich den Zweckänderungsantrag zum Gegenstand gehabt habe, sei mangels „bestehendem Aufenthaltszweck“ spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung darauf beruft, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht lediglich von einer teilweisen Bekämpfung des Bescheides des Landeshauptmanns von Wien ausgegangen. Tatsächlich habe sich die Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des in Rede stehenden Bescheides gerichtet.
7 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Im Hinblick auf das in ihrer Zulässigkeitsbegründung erstattete Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann die in vertretbarer Weise vorgenommene fallbezogene Auslegung von Parteierklärungen nicht erfolgreich mit Revision bekämpft werden und kommt einer vertretbaren Auslegung keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Auslegung einer Erklärung im Einzelfall ist nur dann erfolgreich mit Revision bekämpfbar, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung im Sinn einer unvertretbaren Rechtsansicht unterlaufen ist (VwGH 28.4.2021, Ra 2019/04/0138, Pkt. 5.1. der Entscheidungsgründe). Das ist hier der Fall.
10 Der Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe den Beschwerdeschriftsatz des Revisionswerbers in unvertretbarer Weise gedeutet und diesem entgegen dem in dem Rechtsmittel klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Revisionswerbers lediglich einen eingeschränkten Anfechtungsumfang beigemessen, trifft nämlich zu.
11 Parteierklärungen im Verwaltungsverfahren sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Es kommt also darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist es der Behörde verwehrt, diesem eine abweichende, eigene Deutung zu geben, selbst wenn das Begehren, so wie es gestellt wurde, von vornherein aussichtslos oder unzulässig wäre. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt. Es besteht aber keine Befugnis oder Pflicht der Behörde, von der Partei tatsächlich nicht erstattete Erklärungen aus der Erwägung als erstattet zu fingieren, dass der Kontext des Parteienvorbringens die Erstattung der nicht erstatteten Erklärung nach behördlicher Beurteilung als notwendig, ratsam oder empfehlenswert erscheinen lässt (VwGH 2.9.2021, Ra 2018/04/0008, Rn. 12).
12 Die Beschwerde des Revisionswerbers ließ klar erkennen, gegen welchen Bescheid sie sich richtete, sie enthielt einleitend einen unter Punkt 2. (von mehreren Anträgen) unmissverständlich formulierten Antrag, diesen Bescheid aufzuheben, und es konnte auch in Ansehung der sonstigen Beschwerdeausführungen kein Zweifel daran bestehen, dass der Revisionswerber der (der Wiederaufnahme der in Rede stehenden Verfahren sowie der Abweisung seiner Anträge in den wiederaufgenommenen Verfahren zugrundeliegenden) Auffassung der Behörde entgegentrat, wonach es sich vorliegend um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe. So hielt der Revisionswerber in seinem Schriftsatz auch abschließend fest, dass er darum ersuche, seiner Beschwerde stattzugeben und in der Folge ihm den bereits beantragten Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ zu erteilen. All dies konnte bei verständiger Lesart nur dahin verstanden werden, dass die Aufhebung des gesamten Bescheides sowie die Erteilung des genannten Titels beantragt werde. Eine Auslegungsweise zu Lasten des Revisionswerbers, die daraus, dass dieser zwecks Bezeichnung des angefochtenen Bescheides nicht sämtliche Spruchpunkte der behördlichen Entscheidung auflistete (sondern in diesem Zusammenhang nur die Abweisung des Zweckänderungsantrags erwähnte), den Schluss zieht, dass die nicht explizit bezeichneten Spruchpunkte nicht in Beschwerde gezogen worden wären, verbietet sich im vorliegenden Fall. Auch der Stellungnahme des Vertreters des Revisionswerbers zu dem den Beschwerdegegenstand betreffenden Vorhalt des Richters in der mündlichen Verhandlung kann im vorliegenden Kontext nicht der Inhalt beigemessen werden, dass dadurch die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts billigend zu Kenntnis genommen worden wäre. Vielmehr wurde die Beschwerde ausdrücklich aufrechterhalten und die zeugenschaftliche Befragung der geschiedenen Ehegattin des Revisionswerbers beantragt, sodass der Ansicht, der Revisionswerber habe sinnwidriger Weise ausschließlich Spruchpunkt 2c des gegenständlichen Bescheides bekämpft, der Boden entzogen ist.
13 Aus den dargelegten Gründen belastete das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
14 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. November 2021
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220060.L00Im RIS seit
29.12.2021Zuletzt aktualisiert am
25.01.2022