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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §52Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der A K in H, vertreten durch die K M R Rechtsanwaltssocietät Dr. Longin Josef Kempf, Dr. Josef Maier in 4722 Peuerbach, Steegenstraße 3, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 22. Juni 2020, Zl. LVwG-151693/30/RK/MH, betreffend Ablehnung der Wiederaufnahme eines Verfahrens nach dem Oö. Wasserversorgungsgesetz 2015, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 17. April 2019 wurde der Revisionswerberin in Abweisung ihrer Beschwerde gemäß § 5 Abs. 5 Oberösterreichisches Wasserversorgungsgesetz 2015 (Oö. WVG 2015) aufgetragen, binnen sechs Monaten ab Rechtskraft ihr näher bezeichnetes Objekt an die öffentliche Wasserversorgungsanlage der Gemeinde H anzuschließen und die dazu erforderlichen Einrichtungen unter näher genannten Bedingungen und Auflagen herzustellen.
2 Im Rahmen dieses Erkenntnisses kam das Verwaltungsgericht u.a. auf Basis der Ausführungen des von ihm beigezogenen Amtssachverständigen zum Ergebnis, dass es sich bei jenem Leitungsstrang der betroffenen Wasserversorgungsanlage, der am Objekt der Revisionswerberin in einer Entfernung von ca. 4 m vorbeiführe, um eine Versorgungsleitung und nicht - wie von der Revisionswerberin vorgebracht - um eine Transportleitung handle. Es lägen daher insbesondere die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Z 2 Oö. WVG 2015 für das Bestehen einer Anschlusspflicht vor.
3 Die von der Revisionswerberin gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom heutigen Tag, Ra 2019/07/0069, zurückgewiesen, weil in ihr keine Rechtsfragen aufgeworfen wurden, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
4 Am 16. März 2020 beantragte die Revisionswerberin beim Verwaltungsgericht die Wiederaufnahme des von ihm abgeschlossenen Verfahrens auf Grund des Hervorkommens „neuer Tatsachen und Beweise“. Dieser Antrag wurde damit begründet, dass die Revisionswerberin als Zuhörerin in einer Beschwerdeverhandlung vor dem Verwaltungsgericht betreffend die Anschlusspflicht für ein anderes Objekt der Gemeinde anwesend gewesen sei, in der vom dort beigezogenen Amtssachverständigen die Unterscheidung zwischen Versorgungs- und Transportleitungen erörtert worden sei. Nach der Verhandlung habe ein weiterer Zuhörer eine Diskussion mit diesem Amtssachverständigen geführt und dabei die am Objekt der Revisionswerberin vorbeiführende Leitung angesprochen. Der Amtssachverständige habe daraufhin diese Wasserleitung eindeutig als Transportleitung qualifiziert. Weiters sei in besagter Verhandlung ein (von den dortigen Beschwerdeführern vorgelegtes) Gutachten erörtert worden, in welchem die am Objekt der Revisionswerberin vorbeiführende Leitung ebenfalls als Hauptleitung qualifiziert worden sei. In diesem Gutachten sei - im Antrag näher ausgeführt - das Leitungsnetz der Wasserversorgungsanlage dargestellt. Es komme zum Ergebnis, dass der betreffenden Leitung eine übergeordnete Bedeutung des Wassertransports zukomme, was auch der Amtssachverständige im dortigen Verfahren nicht in Frage gestellt habe.
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederaufnahme „als unzulässig zurück“ und erklärte die Revision gegen diese Entscheidung für nicht zulässig.
6 Begründend führte es aus, die vorgebrachten Beweismittel - das Privatgutachten aus einem anderen Verfahren und das Gespräch mit einem Amtssachverständigen - seien erst nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens entstanden, weshalb kein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vorliege. Zudem ermögliche die Wiederaufnahme eines Verfahrens nicht, eigene Versäumnisse - etwa die Einholung eines eigenen Privatgutachtens, um jenem des Amtssachverständigen zu begegnen - zu sanieren. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liege kein Wiederaufnahmegrund vor, wenn ein im Verfahren nicht vernommener Sachverständiger bei - wie hier - unveränderter Sachlage zu anderen Schlüsse komme als der dem Verfahren beigezogene Sachverständige.
7 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu deren Zulässigkeit vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Vorauszuschicken ist, dass sich das Verwaltungsgericht nach der eindeutigen Begründung des angefochtenen Beschlusses (und von der Revision nicht in Zweifel gezogen) darauf stützt, dass kein tauglicher Wiederaufnahmegrund vorgebracht worden sei. Es hat damit der Sache nach den Wiederaufnahmeantrag als unbegründet abgewiesen. Die Spruchformulierung, wonach der Wiederaufnahmeantrag als unzulässig zurückgewiesen werde, stellt sich demnach als ein bloßes Vergreifen im Ausdruck dar, was nichts am Vorliegen einer meritorischen Sachentscheidung ändert (vgl. dazu etwa VwGH 18.12.2020, Ra 2019/10/0163, Rn 19).
12 Die Revision hält der Argumentation des Verwaltungsgerichts, die vorgebrachten Beweismittel seien erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstanden, entgegen, dass dies von jener Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, wonach auch ein späterer Sachverständigenbefund grundsätzlich als Wiederaufnahmegrund tauglich sei, sofern er sich auf „alte“ Tatsachen beziehe (Verweis auf VwGH 19.4.2007, 2004/09/0159, und die darin zitierte Judikatur, insbesondere VwGH 2.6.1982, 81/03/0151).
13 Nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens unter anderem dann stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.
14 Das Verwaltungsgericht und die Revisionswerberin gehen zutreffend davon aus, dass diesbezüglich auf das bisherige Verständnis zum Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG zurückgegriffen werden kann (vgl. dazu und zum Folgenden etwa VwGH 9.9.2020, Ra 2020/07/0063, mwN).
15 Zu § 69 Abs. 1 AVG judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheids eingeholt wurden, nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden sind, und damit auch nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein können. Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheids „feststellt“, können diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als neue Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (VwGH 25.7.2013, 2012/07/0131). Weder ein einem Sachverständigen in seinem Gutachten unterlaufener Irrtum noch neue Schlussfolgerungen eines dem Verwaltungsverfahren nicht beigezogenen Sachverständigen bilden einen Wiederaufnahmegrund. Sollte hingegen ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden haben, erst nach Rechtskraft des Bescheides feststellen oder sollten solche Tatsachen einem Sachverständigen erst später zur Kenntnis kommen, so könnten solche neuen Befundergebnisse - die sich ja auf seinerzeit bestandene Tatsachen beziehen müssen - einen Wiederaufnahmegrund darstellen, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG gegeben sind (VwGH 27.7.2001, 2001/07/0017, mwN). Ein Sachverständigengutachten kann nur insofern neues Beweismittel sein, als es selbst neue Befundtatsachen feststellt oder solche sonst wie hervorgekommenen neuen Tatsachen verwertet. Bloß andere als im Hauptverfahren gezogene sachverständige Schlüsse sind kein Wiederaufnahmegrund (VwGH 2.6.1982, 81/03/0151).
16 Die Revisionswerberin verkennt diese Rechtsprechung, die auch dem von ihr zitierten Erkenntnis VwGH 19.4.2007, 2004/09/0159, zu Grunde lag, wenn sie davon ausgeht, der Inhalt des von ihr vorgelegten Privatgutachtens (und das Gespräch mit dem Amtssachverständigen) beziehe sich auf derartige „alte“ (zuvor bestandene) Tatsachen und könne schon deshalb eine Wiederaufnahme rechtfertigen. Auch bei diesen Tatsachen muss es sich nämlich um neu hervorgekommene handeln, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten („bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen“). Andere Schlußfolgerungen aus bereits festgestellten Tatsachen durch das vorgelegte Privatgutachten rechtfertigen keine Wiederaufnahme des Verfahrens.
17 Eine nach den Umständen des Einzelfalles vorgenommene und vertretbare Beurteilung, ob in diesem Sinn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vorliegen, ist nicht revisibel (VwGH 5.2.2021, Ra 2020/19/0432, mwN; in diesem Sinne auch VwGH 9.9.2020, Ra 2020/07/0063).
18 Als insofern neu hervorgekommenes Sachverhaltselement macht die Revision geltend, dass der betreffenden Wasserleitung „als Hauptleitung übergeordnete Bedeutung des Wassertransportes und der Wasserverteilung zukommt“. Der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dass die Revisionswerberin die nunmehr vorgebrachten Tatsachen bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren - etwa im Wege eines Privatgutachtens - einbringen hätte können, setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen. Vielmehr gesteht sie selbst zu, dass sie bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren einen „Gegengutachter“ (als Zeugen) aufgeboten hatte, der zum Ergebnis gekommen war, dass es sich bei der strittigen Leitung nicht um eine Versorgungsleitung gehandelt habe, das Verwaltungsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung jedoch nicht dessen Ausführungen, sondern jenen des von ihm beigezogenen Amtssachverständigen gefolgt sei.
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 3. Dezember 2021
Schlagworte
Gutachten neues Wiederaufnahme SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020070069.L00Im RIS seit
29.12.2021Zuletzt aktualisiert am
03.01.2022