Entscheidungsdatum
04.11.2021Norm
BBG §42Spruch
G309 2239451-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER als Vorsitzenden, sowie die Richterin Mag. Beatrix LEHNER und den fachkundigen Laienrichter Gerald BRANDSTÄTTER als Beisitzer, im Beschwerdeverfahren der XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid und die Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten, vom 23.10.2020 bzw. 19.01.2021, OB: XXXX , betreffend der Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“ in den Behindertenpass nicht vorliegen, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird s t a t t g e g e b e n, der angefochtene Bescheid behoben und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 erster Teilstrich der Verordnung 303/1996“ in den Behindertenpass vorliegen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) brachte am 01.07.2020 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 erster Teilstrich der Verordnung 303/1996 (D1)" sowie „Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich der Verordnung 303/1996 (D3)“ in den Behindertenpass ein. Dem Antrag waren medizinische Beweismittel (Befunde udgl.) angeschlossen.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein aktenmäßig erstelltes Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin eingeholt.
3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 23.10.2020 wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung (D1) nicht vorliegen würden. Die Zusatzeintragung D3 wurde bewilligt. Begründend wurde die Entscheidung im Wesentlichen mit dem Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens.
4. Gegen den erlassenen Bescheid brachte die BF fristgerecht bei der belangten Behörde Beschwerde ein.
5. Am 19.01.2021 erließ die belangte Behörde eine Beschwerdevorentscheidung, in welcher die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde. Das ärztliche Begutachtungsverfahren habe ergeben, dass die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorliegen.
6. Die BF brachte fristgerecht einen Vorlageantrag ein.
7. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch die belangte Behörde einlangend mit 10.02.2021 vorgelegt.
8. Seitens des erkennenden Gerichtes wurde zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes als Amtssachverständiger XXXX , Facharzt für Innere Medizin, dem Ermittlungsverfahren hinzugezogen.
9. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 07.06.2021 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern. Es langte keine Stellungnahme ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 70 v.H. Im Behindertenpass der BF sind die Zusatzeintragungen D2 und D3 bereits vorliegend.
Der BF leidet an einem Sharp-Syndrom (Mischkollagenose, systemische Rheumaerkrankung), Hashimoto thyreoiditis (chronische Entzündung der Schilddrüse), Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus Typ II, arterieller Hypertonie und Zustand nach pyloruserhaltender Operation nach Morbus Whipple.
Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 erster Teilstrich der VO 303/1996 (D1)“ liegen vor.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt den vorgelegten Verwaltungsakten und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Die Feststellung, dass die BF im Besitz eines Behindertenpass ist, ergibt sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.
Das seitens des erkennenden Gerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von XXXX , Facharzt für Innere Medizin, vom 26.05.2021, ist schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf einem anhand der vorgelegten aktuellen Befunde und Laborberichte ausführlich erhobenen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen. Das Sachverständigengutachten wurde den Verfahrensparteien zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt, und von diesen unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen. Das Sachverständigengutachten wird der Entscheidung des erkennenden Gerichts daher in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.
Dem Gutachten vom 26.05.2021 zufolge liegt bei der BF ein Zustand nach Operation eines Tumors im Bereich der Bauchspeicheldrüse vor, wobei Teile der Bauchspeicheldrüse entfernt wurden. Das Parenchym der Bauchspeicheldrüse ist deutlich vermindert, aufgrund der Gewebeentfernung wird vermindert Insulin produziert. Hinzu kommt eine systemische Rheumaerkrankung, eine sogenannte Mischkollagenose, welche als Therapie die Gabe von höheren Cortisondosierungen erfordert, die wiederum zu einer deutlichen Erhöhung von Blutzuckerwerten führt, womit in weiterer Folge auch eine Veränderung der HBA1c-Werte einhergeht.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 BVwGG (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetzes) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 BBG genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 BBG anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG) geregelt (§ 1 VwGVG).
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, durch Erkenntnis zu erledigen. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß
Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt wird, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art. 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.04.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.06.1993).
Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt und ist durch seine „technische“ Natur, nämlich durch medizinisches Fachwissen, gekennzeichnet. Da der Sachverhalt auch aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren des BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen, zudem auch keine der Parteien eine mündliche Verhandlung beantragt hat.
3.2. Zu Spruchteil A):
Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit gemäß § 42 Abs. 1 BBG zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 45 BBG Abs. 1 sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Die Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen
StF: BGBl. Nr. 303/1996 idgF lautet:
….
§ 2. Abs. 1 Als Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung sind ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten bei
- Tuberkulose, Zuckerkrankheit, Zöliakie oder Aids 70 Euro
- Gallen-, Leber- oder Nierenkrankheit. 51 Euro
- Magenkrankheit oder einer anderen inneren Krankheit 42 Euro
pro Kalendermonat zu berücksichtigen. Bei Zusammentreffen mehrerer Krankheiten ist der höhere Pauschbetrag zu berücksichtigen.
(…..)
Aus folgenden Gründen war spruchgemäß zu entscheiden:
Es konnte bei der BF festgestellt werden, dass aufgrund der teilweisen Entfernung der Bauchspeicheldrüse und den damit verbundenen Funktionseinschränkungen im Zusammenwirken mit der Therapie der Mischkollagenose deutliche Erhöhungen der Blutzuckerwerte und Schwankungen des HBA1c-Wertes gegeben sind. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich somit, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 erster Teilstrich der VO 303/1996 (Zusatzeintragung D1) vorliegen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung in Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Schlagworte
Behindertenpass Gesundheitsschädigung Sachverständigengutachten ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G309.2239451.1.00Im RIS seit
28.12.2021Zuletzt aktualisiert am
28.12.2021