TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/1 W164 2192453-1

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Veröffentlicht am 01.12.2021
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Entscheidungsdatum

01.12.2021

Norm

AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §15
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5
VwGVG §33

Spruch


W164 2192453-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Vorsitzende sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert POROD (aus dem Kreis der ArbeitgeberInnen) und Mag. Kurt RETZER (aus dem Kreis der ArbeitnehmerInnen) als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , SVNR XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice 966-Wien Hietzinger Kai vom 07.03.2018, Zl. 2017-0566-9-002059, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 06.10.2021 und nichtöffentlicher Beratungen vom 06.10.2021 und 29.11.2021 zu Recht erkannt:

A)

Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz dahingehend abgeändert, als dieser zu lauten hat: „Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 33 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unzulässig zurückgewiesen“.

Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 5 VwGVG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit Bescheid vom 19.09.2017 sprach das Arbeitsmarktservice 966-Wien Hietzinger Kai (im Folgenden: AMS) aus, dass die Notstandshilfe der Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) [Anm.: diese ist seit Geburt blind] mangels Arbeitsfähigkeit ab 13.07.2017 eingestellt werde.

Gegen diesen Bescheid erhob die BF fristgerecht Beschwerde, die am 11.10.2017 bei der belangten Behörde einlangte.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 14.12.2017 GZ 2017-0566-9-002059 wurde die Beschwerde abgewiesen.

Das AMS nahm einen Zustellnachweis über die erfolgte Zustellung an die BF durch Hinterlegung per 22.12.2017 zum Akt.

Mit Schreiben vom 22.01.2018, Einlangensdatum 23.01.2018, stellte die BF einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und stellte gleichzeitig einen Vorlageantrag. Begründend führte sie aus, dass sie aufgrund ihrer Sehbehinderung erst am 12.01.2018 Kenntnis vom Inhalt der Beschwerdevorentscheidung erhalten habe. Die BF beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 07.03.2018 wies das AMS den Antrag auf Wiedereinsetzung ab (Spruchpunkt 1.) und den Vorlageantrag als verspätet zurück (Spruchpunkt 2.). Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdevorentscheidung sei der BF am 22.12.2017 mittels Hinterlegung zugestellt worden. Die BF habe nicht den Eintritt eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses glaubhaft machen können. Der BF wäre zumutbar gewesen, unverzüglich dafür zu sorgen, dass sie Kenntnis vom Inhalt des behördlichen Schriftstückes erlangt hätte.

Gegen diesen Bescheid erhob die BF die nun verfahrensgegenständliche Beschwerde und führte aus, es wäre ihr aufgrund ihrer Sehbehinderung nicht möglich gewesen, die Beschwerdevorentscheidung zu lesen. Erst am 12.01.2018 habe sie mithilfe ihrer Arbeitsassistenz Kenntnis vom Inhalt der Beschwerdevorentscheidung erhalten. Die Beschwerdevorentscheidung sei der BF (laut Zustellnachweis) am 22.12.2017, sohin am letzten Werktag vor Weihnachten zugestellt worden. Das Ende der Frist zur Einbringung eines Vorlageantrages wäre mitten in die Weihnachtszeit gefallen. Obwohl die BF grundsätzlich dafür Sorge getragen habe, dass ihr der Inhalt von Zusendungen auch tatsächlich zur Kenntnis gebracht würden, sei es ihr in dieser Zeit nicht möglich gewesen, früher Kenntnis vom Inhalt des Schriftstückes zu erlangen.

Am 06.10.2021 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung abgehalten, an der die BF in Begleitung eines von der Wiener Assistenzgenossenschaft, WAG, bereitgestellten persönlichen Vertreters sowie in Anwesenheit eines Vertreters des AMS teilnahm.

Die BF machte zusammengefasst die folgenden Angaben: Sie sei von Geburt an blind. Bis zu ihrem 12. Lebensjahr habe sie in XXXX gelebt und keine Schule besucht. Dann sei sie mit ihrer Familie nach Österreich gekommen und habe die 4. Volksschule der Blindenschule besucht, danach für ein Jahr eine einjährige Unterstufenklasse, dann für zwei Jahre das Polytechnikum und für ein weiteres Jahr eine Orientierungsklasse. Die BF habe auf diesem Weg die deutsche Sprache sowie Schreiben und Rechnen gelernt. Dann habe sie eine dreijährige Ausbildung zur Korbflechterin gemacht und mit Auszeichnung abgeschlossen. Im Zuge der anschließenden Berufstätigkeit habe sie jedoch sehr bald gesundheitliche Probleme mit ihren Handgelenken bekommen und diese Arbeit nicht weiter ausgeführt. In der Folge habe die BF durch eine Arbeitsassistenz erfahren, dass in der Wiener Stadthalle Führungen für Sehende durch Blinde im Dunkeln (Ausstellung „Dialog im Dunkeln“) veranstaltet werden, habe sich beworben und sei XXXX von der XXXX mit 40 Wochenstunden als „Sehendenführerin“ im Rahmen dieser Ausstellung angestellt gewesen. Danach habe sie den ECDL-Führerschein (Computerführerschein) gemacht. Auch nach dieser Zeit habe die BF nicht durchgehend aber immer wieder eine Arbeitsassistenz gehabt. Auch persönliche Assistenz für persönliche Bedürfnisse, wie Einkäufe usw. habe die BF über die WAG erhalten. Seit einem Unfall, 2018, mit bleibenden Folgen habe sie einen persönlichen Betreuer, der sie zwei bis drei Mal die Woche besuche. Vorher sei es schwieriger gewesen, einen Betreuer zu bekommen. Man habe angerufen, um einen persönlichen Betreuer für einen bevorstehenden Tag zu bekommen, habe aber mitunter auch Absagen erhalten.

Befragt, wie sie seit ihrem Erwachsenenalter dafür Sorge getragen habe, dass ihre Post regelmäßig von jemandem gesehen werde, gab die BF an, ab der Zeit, ab der sie eine Arbeitsassistenz hatte, habe diese ihre Post durchgesehen. Davor habe sie Freunde ihres Vertrauens ersucht, die Post vorzulesen. Selten habe sie den Blindenverband kontaktiert. Durch Abtasten der Briefe könne die BF nur erkennen, ob etwa Karten drinnen sind. Über die Feiertage sei es stets schwierig gewesen jemanden zu bekommen. Die Arbeitsassistenz sei geschlossen und auch Personenbetreuer seien in solchen Zeiten schwer zu bekommen gewesen. Die BF kaufe vor Feiertagen stets mit ihrem Assistenten einen Vorrat ein. Der Personenbetreuer sehe sich die Post an und helfe beim Ausfüllen. Befragt, wie sie damit umging, dass auch zwischen den Weihnachtsfeiertagen Post kommen könnte, gab die BF an, sie habe in solchen Phasen niemanden gehabt, der die Post durchlesen hätte können. Der Portier im Wohnheim, in dem sie wohne [Anm.: es handelt sich nicht um ein speziell für sehbehinderte Personen eingerichtetes Wohnheim] wäre zwar 24 Stunden am Tag da gewesen. Dieser habe jedoch eigene Aufgaben gehabt. Er habe mehrere große Gebäude zu betreuen gehabt. Die BF hätte ihn nicht ständig ersuchen können, ihre Post durchzusehen. Sie stehe im Übrigen auf dem Standpunkt, dass nicht jeder wissen müsse, was für Post sie bekommt. Die Wohnungsnachbarn der BF seien sehend, würden jedoch überwiegend nicht deutsch sprechen. Die BF habe auch kein gutes Verhältnis zu ihren Nachbarn.

Die BF habe 2016 in XXXX geheiratet. Ab Anfang 2017 habe sie mit ihrem Mann in Wien zusammengelebt. Im XXXX habe der Mann sie aber geschlagen. Die BF habe ihn dann aus ihrer Wohnung geschmissen. Die Ehe sei im XXXX geschieden worden. Zur Jahreswende 2017/18 habe der Mann nicht mehr bei der BF gelebt. Die BF habe diese Zeit als besonders stressig in Erinnerung.

An die Details der Abholung der Beschwerdevorentscheidung könne sich die BF nicht mehr erinnern. Sie erinnere sich, dass der Arbeitsassistent erst Mitte Jänner wieder Zeit gehabt habe. Wer konkret ihr die Beschwerdevorentscheidung vorgelesen habe, wisse sie nicht mehr. Den Antrag auf Wiedereinsetzung habe der Blindenverband für sie geschrieben.

In jenem Wohnheim in dem die BF wohne und auch damals gewohnt habe, sei es üblich, dass der Postbote die Post beim Portier abgebe. Rsb-Briefe würden nicht zum Zimmer gebracht. Auch der Portier unterschreibe diese nicht. Nur Pakete könne man sich mein Portier abholen. Rsb-Briefe müsse sich die BF stets von der Post holen. Wenn ein Rsb-Brief komme, gebe der Postbote die Hinterlegungsanzeige beim Portier ab. Der Portier schlichte die Hinterlegungsanzeige in das in der Halle befindliche Postfach der Bewohner.

Die BF habe ihren Postkasten üblicherweise jeden Tag geleert und ihre Post in eine Schachtel in ihrer Wohnung gelegt. Weihnachten werde in ihrer Familie nicht gefeiert. Ihre in Niederösterreich wohnhaften Eltern seien alt und hätten kaum Deutschkenntnisse. Zu ihren Geschwistern habe die BF kein gutes Verhältnis. Über die Weihnachtsfeiertage 2017/18 sei die BF allein in ihrer Wohnung gewesen und habe niemanden getroffen, dem sie die Post hätte zeigen können. Ihre beste Freundin sei damals nach Deutschland gefahren zu ihrer Familie. Weitere Freunde seien blind. Die BF habe damals versucht, eine Assistenz zu bekommen.

Der anwesende persönliche Assistent bestätigte, dass über die Weihnachtsfeiertage meist weniger ArbeitsassistentInnen zur Verfügung stehen würden, als im Normalbetrieb und dass dann im Fall von Bedarfsmeldungen Prioritäten gesetzt werden; Personen mit schweren Behinderungen würden dann beispielsweise bevorzugt. Der anwesende persönliche Assistent nannte weiters das Datum des von der BF angesprochenen Vorfalls häuslicher Gewalt: 19.12.2017 und die GZ der von der BF danach erhobenen Anzeige.

Das Bundesverwaltungsgericht richtete in der Folge schriftliche Anfragen an die Österreichische Post-AG und an den Unterkunftsgeber der BF bezüglich der Frage, ob immer dann, wenn die Post im Wohnheim der BF Rsb-Briefe zustelle, eine Hinterlegungsanzeige beim Portier abgegeben werde, ohne dass vorher ein Zustellversuch am Zimmer der Adressatin/des Adressaten, also der Versuch einer direkten Übergabe des Rsb-Briefes an die Adressatin/den Adressaten unternommen worden wäre, ferner ob keine Ersatzzustellung beim Portier (Übergabe des Rsb-Briefes an den Portier, Unterschriftsleistung durch den Portier) vorgenommen werde und ob dies auch bereits im XXXX (dem Zeitraum der hier strittigen Zustellung) die allgemein übliche Vorgangsweise gewesen sei.

In Beantwortung dieses Schreibens gab die Österreichische Post AG bekannt, im genannten Wohnheim habe der Unterkunftsgeber untersagt, dass Zusteller im Gebäude zustellen und sich im Gebäude „bewegen“. Auch dürfe der Portier keine Sendungen entgegennehmen und keine Unterschriften leisten. Laut Auskunft des Stammzustellers sei dies seit Jahren (2017 und länger) die übliche Vorgangsweise.

Die Unterkunftsgeberin des genannten Wohnheimes bestätigte, dass im Wohnhaus keine Ersatzzustellungen angenommen werden, sondern nur Hinterlegungsanzeigen, die wie die normale Post über hauseigene Brieffächer zur Verteilung gelangen würden. Von behaupteten Mängeln in der Zustellung habe der Unterkunftsgeber keine Kenntnis.

Das AMS erhielt diese Auskünfte im Rahmen des schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis und verwies mit Stellungnahme vom 09.11.2021 auf VwGH 99/01/0124 vom 22.3.2000, mit dem ein ähnlich gelagerter Sachverhalt als unbedenklich gewertet worden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Die Beschwerdevorentscheidung vom 14.12.2017, GZ 2017-0566-9-002059, wurde der BF in der Weise zugestellt, dass der Zusteller der Österreichischen Post AG eine Hinterlegungsanzeige beim Portier des Wohnheims, in dem die BF wohnhaft war, abgab, ohne vorher einen Zustellversuch bei der Wohnung der BF vorgenommen zu haben. Am Zustellnachweis wurde wahrheitswidrig die Vornahme eines ersten Zustellversuches angekreuzt.

Die BF hat am 12.01.2018 erstmals von der Beschwerdevorentscheidung vom 14.12.2017 GZ 2017-0566-9-002059 Kenntnis erhalten.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommenen durch Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 06.10.2021 und Einholung von schriftlichen Auskünften beim Unterkunftsgeber der BF und bei der österreichischen Post AG wie oben näher dargelegt.

Die in der Verhandlung von der BF geäußerte Behauptung, wonach in jenem Wohnheim, in dem sie wohne, prinzipiell keine ersten Zustellversuche an der Wohnungstür vorgenommen werden und auch keine Ersatzzustellungen beim Portier erfolgen würden, sondern dieser lediglich die Hinterlegungsanzeige in Empfang nehme und in die Postkästen der Bewohner verteile, wurde die nachfolgende schriftliche Anfrage bei der österreichische Post AG bestätigt. Auch die Unterkunftsbgeberin bestätigte dass keine Ersatzzustellungen beim Portier des Heimes vorgenommen werden sondern dass dieser lediglich Hinterlegungsanzeigen entgegennehme und in die Postfächer verteile wie normale Post. Soweit die Unterkunftsgeberin angibt, sie habe keine Kenntnis von behaupteten Zustellmängeln, ist davon auszugehen, dass der Unterkunftsgeberin die mögliche Tragweite der Unterlassung eines ersten Zustellversuchs nicht bewusst war.

Es war daher als erwiesen anzunehmen, dass bei der BF kein erster Zustellversuch an der Wohnungstür vorgenommen wurde und auch keine Ersatzzustellung beim Portier des Wohnheimes, ferner dass auf dem im Akt aufliegenden Zustellnachweis die Vornahme eines ersten Zustellversuches zwar angekreuzt wurde, dies jedoch ohne dass ein solcher tatsächlich stattgefunden hätte.

Die Annahme, dass die Beschwerdevorentscheidung vom 14.12.2017 GZ 2017-0566-9-002059 der BF erstmals am 12.1.2018 tatsächlich zuging, ergibt sich aus ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung. Ihre diesbezügliche Behauptung wurde von keiner Partei in Frage gestellt und erscheint unter Berücksichtigung des von der BF dargelegten Gesamtzusammenhangs unbedenklich.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 56 Abs. 2 AlVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Im vorliegenden Fall war daher Senatszuständigkeit gegeben.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Im Rahmen einer nachweislichen Zustellung ist ein Dokument dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen (§ 13 Abs 1, erster Satz, Zustellgesetz).

Kann das Dokument nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. (§ 16 Abs 1 Zustellgesetz).

§ 17 Zustellgesetz sieht für den Fall, dass das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann weitere Regelungen bezüglich Hinterlegung und Bereithaltung des Schriftstückes sowie über die Verständigung von der Hinterlegung durch eine Hinterlegungsanzeige vor.

Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist (§ 7 Zustellgesetz).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 2013/05/0175 vom 23.11.2016 ausgeführt hat, wird der Beweis, dass eine Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, durch den eine öffentliche Urkunde darstellenden Zustellnachweis (Rückschein) erbracht, gegen den jedoch gemäß § 47 AVG in Verbindung mit § 292 Abs. 2 ZPO der Gegenbeweis zulässig ist.

Im vorliegenden Fall sind Umstände hervorgekommen, aufgrund deren der Gegenbeweis im obigen Sinn als erbracht anzusehen ist. Die Beschwerdevorentscheidung vom 14.12.2017 GZ 2017-0566-9-002059 wurde der BF nicht am 22.12.2017 ordnungsgemäß zugestellt. Soweit das AMS in seiner Stellungnahme vom 09.11.2021 auf VwGH 99/01/0124 verweist und von einer rechtlich korrekten Zustellung durch Hinterlegung ausgeht, wird dem nicht gefolgt: Im zitierten Erkenntnis 99/01/0124 hat sich der VwGH einerseits mit dem rechtlichen Begriff „Abgabestelle“ befasst und andererseits die Übergabe einer Hinterlegungsanzeige an den Portier eines Wohnheimes grundsätzlich als zulässig beurteilt – das Fehlen eines ersten Zustellversuches war allerdings nicht Teil des diesem Erkenntnis zugrundeliegenden Sachverhaltes. Der Sachverhalt ist dem hier vorliegenden daher in einem wesentlichen Punkt nicht vergleichbar.

Gemäß § 33 Abs 1 VwGVG ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dann zu bewilligen, wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist […] versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Die Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages setzt somit voraus, dass eine Frist versäumt wurde. Im vorliegenden Fall wäre daher Voraussetzung für die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages, dass die BF die Frist zur Erhebung des gegenständlichen Vorlageantrages versäumt hätte.

Da die Beschwerdevorentscheidung vom 14.12.2017, GZ 2017-0566-9-002059, der BF mangels Durchführung eines ersten Zustellversuches nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde, begann die zweiwöchige Frist zur Erhebung eines Vorlageantrages im vorliegenden Fall erst mit 12.01.2018 zu laufen. Der von der BF erhobene Vorlageantrag vom 23.01.2018 ist als rechtzeitig zu beurteilen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wäre daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Spruchpunkt 1. Des angefochtenen Bescheides war entsprechend abzuändern. Gleichzeitig war Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides vom 07.03.2018 mit dem der Vorlageantrag der BF als verspätet zurückgewiesen wurde, aufzuheben.

Das Bundesverwaltungsgericht wird ein Beschwerdeverfahren über die von den BF rechtzeitig erhobene Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.09.2017 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 14.12.2017, GZ 2017-0566-9-002059, führen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (s. die unter 3. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abänderung eines Bescheides Abgabestelle Fristbeginn Hinterlegung tatsächliches Zukommen unzulässiger Antrag Wiedereinsetzungsantrag Zurückweisung Zustellnachweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W164.2192453.1.01

Im RIS seit

28.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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