Index
E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §57Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache 1. des D F, und 2. der S D, beide vertreten durch Mag. Pia Maria Krebs, Rechtsanwältin in 1190 Wien, Döblinger Hauptstraße 66, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. November 2020, 1. W232 2146308-5/3E und 2. W232 2188297-3/3E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und Verhängung eines Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Erstrevisionswerber ist der Lebensgefährte der Zweitrevisionswerberin. Beide sind serbische Staatsangehörige. Am 30. Jänner 2018 stellten sie beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) jeweils Anträge auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheiden vom 18. April 2019 wies die belangte Behörde diese Anträge ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Serbien zulässig sei. Unter einem erließ die belangte Behörde jeweils ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab.
3 Den dagegen erhobenen Beschwerden der revisionswerbenden Parteien gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 16. April 2020 hinsichtlich der - von der belangten Behörde auf § 53 Abs. 2 Z 7 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestützten - Einreiseverbote statt und behob diese ersatzlos. Im Übrigen wies das BVwG die Beschwerden der revisionswerbenden Parteien als unbegründet ab.
Zur Behebung der Einreiseverbote hielt das BVwG fest, die belangte Behörde habe die Einreiseverbote auf die illegale Beschäftigung der revisionswerbenden Parteien gestützt. Der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG setze aber voraus, dass der Drittstaatsangehörige bei einer illegalen Beschäftigung „betreten“ werde. Im gegenständlichen Fall sei die illegale Beschäftigung der revisionswerbenden Parteien erst bekannt geworden, nachdem diese ihren Arbeitgeber angezeigt hätten. Eine behördliche „Betretung“ habe nicht stattgefunden, weshalb der Tatbestand nach § 53 Abs. 2 Z 7 FPG nicht erfüllt sei. Eine von den revisionswerbenden Parteien ausgehende Gefahr wäre auch bei Erfüllung des Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 Z 7 FPG nicht erkennbar, sei es doch - abgesehen von der mehr als siebenjährigen illegalen Beschäftigung, der die revisionswerbenden Parteien nachgegangen seien, bis sie selbst ihren Arbeitgeber angezeigt hätten - zu keiner anderen unerlaubten Tätigkeit gekommen und sei auch in Zukunft von keiner Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Bundesgebiet auszugehen.
Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 30. September 2020, Ra 2020/14/0269 bis 0271, zurück.
4 Im Anschluss an das Erkenntnis des BVwG vom 16. April 2020 erließ die belangte Behörde die hier zugrundeliegenden Bescheide vom 26. Juni 2020 (betreffend den Erstrevisionswerber) bzw. vom 24. Juni 2020 (betreffend die Zweitrevisionswerberin). Darin erteilte sie den revisionswerbenden Parteien keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.), stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie jeweils ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.), erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.) und gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 4. November 2020 gab das BVwG den dagegen erhobenen Beschwerden der revisionswerbenden Parteien hinsichtlich Spruchpunkt IV. der bekämpften Bescheide insoweit statt, als es die Dauer der befristeten Einreiseverbote auf drei Jahre herabsetzte (Spruchpunkt A) I. erster Satz). Im Übrigen - somit hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. sowie V. und VI. der bekämpften Bescheide - wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A) I. zweiter Satz). Die Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurden zurückgewiesen (Spruchpunkt A) II.). Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 ?-VG erklärte das BVwG für nicht zulässig (Spruchpunkt B)).
Das BVwG stellte im Wesentlichen fest, die revisionswerbenden Parteien befänden sich seit 2010 - abgesehen von einer dreimonatigen sichtvermerksfreien Zeit und der Dauer des Asylverfahrens - unrechtmäßig in Österreich. Gegen den Erstrevisionswerber seien bereits am 3. März 2017 eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot erlassen worden. Mit Bescheiden vom 18. April 2019 seien gegen beide revisionswerbenden Parteien Rückkehrentscheidungen erlassen worden und die dagegen erhobenen Beschwerden habe das BVwG mit Erkenntnis vom 16. April 2020 als unbegründet abgewiesen. Bei den gesunden und arbeitsfähigen revisionswerbenden Parteien lägen keine Anhaltspunkte für eine tiefgreifende wirtschaftliche oder soziale Integration in Österreich vor. Sie hätten keine familiären oder sonstigen engen sozialen Bindungen in Österreich. Zudem gingen sie keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und verfügten über keine ausreichenden Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes.
In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG zunächst aus, die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 seien nicht erfüllt, weil nicht erkannt werden könne, dass ein in § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 genanntes Verfahren eingeleitet worden sei. Zudem habe das BVwG das Vorliegen der Voraussetzungen bereits mit Erkenntnis vom 16. April 2020 verneint, zumal der ehemalige Arbeitgeber der revisionswerbenden Parteien nach einer Anzeige wegen Ausbeutung als Arbeitskraft von diesem Verdacht im November 2018 freigesprochen worden sei.
Zur Rückkehrentscheidung führte das BVwG aus, die revisionswerbenden Parteien seien gleichermaßen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen, ihr volljähriger Sohn sei bereits abgeschoben worden. Es liege daher kein Eingriff in ihr Recht auf Familienleben gemäß Art. 8 EMRK vor. Die revisionswerbenden Parteien hätten sich seit 2010 bis zur Asylantragstellung Anfang 2018 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Der Erstrevisionswerber habe bereits der Rückkehrentscheidung aus dem Jahr 2017 keine Folge geleistet. Zudem hätten beide revisionswerbenden Parteien den mit Erkenntnis des BVwG vom 16. April 2020 bestätigten Rückkehrentscheidungen Folge leisten und nach Serbien ausreisen müssen. Mangels Integrationsbemühungen sowie angesichts der Ausübung einer illegalen Beschäftigung während des unrechtmäßigen Aufenthaltes und der nach wie vor vorhandenen engen Bindungen nach Serbien liege auch keine Verletzung des Privatlebens der revisionswerbenden Parteien im Sinn des Art. 8 EMRK vor.
Zum Einreiseverbot hielt das BVwG einleitend fest, dass für die Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten der Fremden in Betracht zu ziehen sei. Im vorliegenden Fall seien die revisionswerbenden Parteien sieben Jahre lang einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen und sie hätten trotz der langen Aufenthaltsdauer keinen Versuch unternommen, ihren Aufenthalt zu legalisieren. Da die revisionswerbenden Parteien legale Mittel für ihren Unterhalt nicht hätten nachweisen können und sie bislang für die Finanzierung ihres Aufenthaltes auf eine unerlaubte Erwerbstätigkeit angewiesen gewesen seien, sei die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt und der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG verwirklicht. Auch wenn die revisionswerbenden Parteien nicht bei der Ausübung einer illegalen Beschäftigung betreten worden seien, sei das an den Tag gelegte Gesamtverhalten jedenfalls als gravierendes Fehlverhalten zu werten. Hinzu komme, dass die revisionswerbenden Parteien den Rückkehrentscheidungen nicht nachgekommen, sondern im Bundesgebiet verblieben seien. Hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren ins Treffen geführten Behebung der Einreiseverbote im vorangegangenen Asylverfahren mit Erkenntnis vom 16. April 2020 führte das BVwG ins Treffen, dass die belangte Behörde das Einreiseverbot im gegenständlichen Fall auf § 53 Abs. 2 Z 6 FPG (und nicht auf § 53 Abs. 2 Z 7 FPG) gestützt habe. Die Dauer des Einreiseverbotes erweise sich allerdings als unverhältnismäßig lang, weshalb es auf drei Jahre herabzusetzen gewesen sei.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
Revisionsbeantwortung wurde keine erstattet.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Vorauszuschicken ist zunächst, dass es sich bei den Aussprüchen, mit denen ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung in ein bestimmtes Land für zulässig erklärt wird, sowie bei der daran anknüpfenden Verhängung eines Einreiseverbotes um voneinander rechtlich trennbare Aussprüche handelt, die separat anfechtbar sind und auch unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen können (vgl. VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0146, Rn. 15, mwN). Die vorliegende Revision enthält Zulässigkeitsvorbringen (nur) hinsichtlich der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sowie der Verhängung eines Einreiseverbotes.
9 Gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 bringen die revisionswerbenden Parteien vor, sie hätten bereits vorbereitende Schritte für die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber gesetzt. Spezifische Anforderungen an die Art der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche könnten aus § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht abgeleitet werden. Opfer von Menschenhandel hätten einen unbedingten Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005.
10 Gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel, zu erteilen.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass es sicherheitspolitisches Ziel dieser Norm sei, Fremde, die in besonderem Maße Repressalien ausgesetzt sind, staatlich zu schützen. Diese Voraussetzung sah der Gesetzgeber in den ausdrücklich genannten Fällen des Menschenhandels und der grenzüberschreitenden Prostitution im Allgemeinen als gegeben an. Durch die Anführung dieser Delikte wurde aber auch zum Ausdruck gebracht, dass andere gerichtlich strafbare Handlungen (arg. „insbesondere“) nur dann eine Aufenthaltsberechtigung nach § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 rechtfertigen können, wenn bei ihnen - unter Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalles - eine mit den explizit genannten Straftaten vergleichbare Gefahrenlage vorliegt (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0216, Rn. 16 f, mit Verweis auf die Erläuterungen zur Vorgängerbestimmung des § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, RV 952 BlgNR 22. GP 147).
12 Nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen des BVwG im angefochtenen Erkenntnis ist der Arbeitgeber der revisionswerbenden Parteien vom Verdacht der „Ausbeutung“ freigesprochen worden. Dass die revisionswerbenden Parteien Opfer einer (anderen) gerichtlich strafbaren Handlung geworden wären, bei denen eine - mit den in § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 explizit genannten Straftaten - vergleichbare Gefahrenlage vorläge oder auf Grund derer sie in besonderem Maße Repressalien ausgesetzt seien, wird von den revisionswerbenden Parteien nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Ausgehend davon begegnet es aber keinen Bedenken, dass das BVwG den Tatbestand des § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als nicht erfüllt erachtet hat, weil eine Aufenthaltsberechtigung nach dieser Bestimmung nur dann zu erteilen ist, wenn die Geltendmachung der zivilrechtlichen Ansprüche im Zusammenhang mit einer der dort umschriebenen strafbaren Handlungen steht.
13 Dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien, es sei - ungeachtet des Freispruchs ihres ehemaligen Arbeitgebers - ein Strafverfahren nach § 104a StGB geführt worden, „was per se bereits die Zuerkennung des Aufenthaltstitels begründet hätte“, ist entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung in der Regel an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hat (vgl. VwGH 25.11.2020, Ra 2020/22/0082, Rn. 17, mwN).
14 Soweit in der Zulassungsbegründung fehlende Rechtsprechung zu den Fragen geltend gemacht wird, ob unter Berücksichtigung des sogenannten „Non-Punishment-Prinzips“ gemäß Art. 8 der Richtlinie 2011/36/EU (zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer) Opfer von Menschenhandel einen unbedingten Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Geltendmachung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche hätten (an dem auch ein Freispruch des Täters im strafgerichtlichen Verfahren nichts ändern könne) bzw. ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme wegen einer infolge Ausbeutung zwangsweise erfolgten Erwerbstätigkeit zulässig sei, genügt folgender Hinweis: Art. 8 der Richtlinie 2011/36/EU verpflichtet nach dessen klarem Wortlaut die Mitgliedstaaten dazu, Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass Opfer von Menschenhandel wegen ihrer Beteiligung an (dort näher umschriebenen) strafbaren Handlungen nicht strafrechtlich verfolgt werden oder von einer Bestrafung abgesehen wird. Bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme handelt es sich jedoch um keine Strafverfolgung (vgl. zu einem Aufenthaltsverbot VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0222, Rn. 9, mwN), sodass Art. 8 der Richtlinie 2011/36/EU nicht einschlägig ist.
15 Vor diesem Hintergrund sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch nicht veranlasst, wie in der Revision angeregt, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten.
16 Die Revision zeigt somit hinsichtlich der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 keine grundsätzliche Rechtsfrage auf.
17 Hinsichtlich der Verhängung der Einreiseverbote bringen die revisionswerbenden Parteien zur Zulässigkeit vor, das BVwG habe insoweit die sich aus seinem Erkenntnis vom 16. April 2020 ergebende Bindungswirkung missachtet. Die darin erfolgte ersatzlose Behebung der Einreiseverbote sei damit begründet worden, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG nicht erfüllt und von keiner Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach § 53 Abs. 2 FPG auszugehen sei. Dies schließe in sachverhaltsmäßiger Hinsicht auch die nunmehr als Grund für die Einreiseverbote herangezogene Mittellosigkeit mit ein, zumal dieser Umstand nicht erst nach Abschluss des Asylverfahrens hinzugekommen sei.
18 Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist auch vom Verwaltungsgericht von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne deren sachliche Richtigkeit nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0078, Rn. 11, mwN; zur Bindungswirkung im Zusammenhang mit einer ersatzlosen Behebung durch das Verwaltungsgericht vgl. VwGH 29.7.2021, Ra 2021/12/0046, Rn. 22, mwN).
19 Das BVwG hat im nunmehr angefochtenen Erkenntnis bei der Gefährdungsprognose auch die Nichtbeachtung der (mit dem Erkenntnis vom 16. April 2020 bestätigten) Rückkehrentscheidungen bzw. die damit einhergehende Verletzung der Ausreiseverpflichtung durch die revisionswerbenden Parteien herangezogen. Dieser Umstand konnte dem genannten „Vorerkenntnis“ von vornherein noch nicht zugrunde gelegt werden. Entgegen der von den revisionswerbenden Parteien zum Ausdruck gebrachten Auffassung kommt es hinsichtlich der Verletzung der Ausreiseverpflichtung nicht auf die Zurückweisung der Revision durch den hg. Beschluss Ra 2020/14/0269 bis 0271, sondern auf die Rechtskraft des Erkenntnisses des BVwG vom 16. April 2020 an (dass der Revision gegen dieses Erkenntnis die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden wäre, wird von den revisionswerbenden Parteien nicht vorgebracht und ist auch nicht ersichtlich). Im Hinblick auf dieses neue - und für die Gefährdungsprognose jedenfalls im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nicht unwesentliche - Sachverhaltselement ist aber nicht von einer Identität der Sache im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auszugehen.
20 Dem steht auch nicht entgegen, dass die Verletzung der Ausreiseverpflichtung über einen Zeitraum von einigen Monaten für sich allein nicht jedenfalls die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 53 Abs. 2 FPG zu rechtfertigen vermag (vgl. etwa VwGH 27.4.2020, Ra 2019/21/0277; Rn. 15, wobei sich der dort maßgebliche Sachverhalt insofern von der hier zugrundeliegenden Konstellation unterscheidet, als dort auf die elfjährige Dauer des Asylverfahrens Bezug genommen wurde, während hier erst nach einem mehr als siebenjährigen unrechtmäßigen Inlandsaufenthalt ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde; vgl. weiters VwGH 5.5.2020, Ra 2019/21/0061, Rn. 10). Im vorliegenden Fall geht es nämlich nicht um die Frage, ob ein Einreiseverbot allein auf eine Verletzung der Ausreiseverpflichtung (im hier gegebenen Ausmaß) gestützt werden kann, sondern ob die Nichtbeachtung der Ausreiseverpflichtung dazu führt, dass der dadurch geänderte Sachverhalt insgesamt einer neuerlichen Beurteilung unterzogen werden kann.
21 Wenn dies - wie im vorliegenden Fall - zu bejahen ist, dann steht es dem BVwG bei der Gefährdungsprognose aber offen, das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen (vgl. VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0006, Rn. 13). Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das BVwG bei seiner Gefährdungsprognose neben der Nichtbeachtung der Rückkehrentscheidungen auch die (von diesen nicht bestrittene) Mittellosigkeit der revisionswerbenden Parteien sowie ihre in der Vergangenheit erfolgte unerlaubte Erwerbstätigkeit miteinbezogen hat (vgl. dazu, dass sich die Gefahr der Beschaffung der Unterhaltsmittel aus illegalen Quellen durch eine illegale Beschäftigung wirklichen kann, VwGH 8.4.2021, Ra 2021/21/0059, Rn. 14).
22 Schon aus diesem Grund zeigen die revisionswerbenden Parteien mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen zum Einreiseverbot bzw. mit dem Verweis auf die Bindungswirkung des Erkenntnisses vom 16. April 2020 keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.
23 Die Revision war daher (hinsichtlich der übrigen vom BVwG bestätigten Spruchpunkte der Bescheide der belangten Behörde enthält sie kein Zulässigkeitsvorbringen) zur Gänze mangels Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 18. November 2021
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Trennbarkeit gesonderter AbspruchEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020220273.L02Im RIS seit
27.12.2021Zuletzt aktualisiert am
04.01.2022