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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, Hofrat Dr. Schwarz und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache 1.) des O V, sowie 2.) der M S, beide vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. August 2021, 1. W242 2175037-2/16E und 2. W242 2175028-2/15E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen sowie Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind miteinander verheiratet und Eltern von zwei, in den Jahren 2017 und 2019 bereits in Österreich geborenen Kindern sowie eines in Usbekistan lebenden, im Jahr 2010 geborenen Sohnes. Sie alle sind usbekische Staatsangehörige.
2 Der Erstrevisionswerber stellte am 14. Jänner 2014, die Zweitrevisionswerberin am 27. Februar 2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 3. Oktober 2017 wurden diese Anträge abgewiesen, wobei die negativen asylrechtlichen Entscheidungen insbesondere mit der Erlassung von Rückkehrentscheidungen verbunden waren. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18. März 2019 ab.
3 Am 10.9.2020 stellten die revisionswerbenden Parteien neuerlich Anträge auf internationalen Schutz. Auch diese wurden - mit Bescheiden des BFA vom 19. März 2021 - abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Erneut wurden unter einem den revisionswerbenden Parteien Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), Rückkehrentscheidungen gegen sie erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Usbekistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), sowie eine vierzehntägige Frist für ihre freiwillige Ausreise gesetzt (Spruchpunkt VI.). Darüber hinaus verhängte das BFA (erstmals) gegen die revisionswerbenden Parteien jeweils ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
4 Gegen diese Bescheide erhoben die revisionswerbenden Parteien wieder Beschwerde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 5. Juli 2021 zogen sie diese, soweit sie sich gegen die Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz richtete, zurück.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gegen die Spruchpunkte III. bis VI. der Bescheide des BFA vom 19. März 2021 ab und gab ihrer Beschwerde insofern statt, als es die Dauer des gegen sie jeweils verhängten Einreiseverbots auf zwölf Monate herabsetzte. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
6 Die von den revisionswerbenden Parteien für ihre in Österreich geborenen Kinder gestellten Anträge auf internationalen Schutz (betreffend den im Jahr 2017 geborenen Sohn handelte es sich gleichfalls um einen Folgeantrag) blieben ebenso erfolglos und, nachdem auch ihre Beschwerde gegen die (in ihrer Sache ergangenen) negativen Bescheide des BFA vom 19. März 2021 hinsichtlich ihrer Anträge auf internationalen Schutz in der Verhandlung vom 5. Juli 2021 zurückgezogen worden war, wurde in ihrer Beschwerdeangelegenheit entsprechend den gegenüber ihren Eltern ergangenen Aussprüchen - mit Ausnahme der Verhängung eines Einreiseverbots - mit dem angefochtenen Erkenntnis eine gleichlautende Entscheidung getroffen.
7 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend macht, die revisionswerbenden Parteien seien sich über die Folgen der teilweisen Zurückziehung ihrer Beschwerde nicht im Klaren gewesen. Es sei ihnen nicht möglich gewesen, ein Vorbringen zur Frage der Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Usbekistan zu erstatten, obwohl sie dies gegen Ende der mündlichen Verhandlung versucht hätten. Insbesondere betreffend diesen Spruchpunkt sei das verwaltungsgerichtliche Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben und leide das angefochtene Erkenntnis insofern an einem Begründungsmangel. Im Übrigen wendet sich die Revision gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK sowie gegen das gegen die revisionswerbenden Parteien verhängte Einreiseverbot.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und auch für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots (vgl. VwGH 7.5.2019, Ra 2019/14/0171 bis 0174, Rn. 14, mwN).
12 Eine solche Mangelhaftigkeit der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Interessenabwägung vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausführlich mit den integrationsbegründenden Schritten der revisionswerbenden Parteien im Bundesgebiet auseinander (Aufenthaltsdauer, Sprachkenntnisse, Freundschaften, sonstige soziale Kontakte sowie berufliche Tätigkeiten) und gelangte in vertretbarer Weise zum Ergebnis, dass deren Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens zurückzutreten habe. Gemessen an dem oben dargestellten Prüfkalkül des Verwaltungsgerichtshofs ist in der vorliegenden Konstellation (Missachtung der Ausreiseverpflichtung, die aufgrund der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. März 2019 erlassenen Rückkehrentscheidung bestand, für ca. eineinhalb Jahre) auch die Verhängung eines auf zwölf Monate befristeten Einreiseverbots nicht zu beanstanden. Daraus, dass ein (nach dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien gemäß § 120 Abs. 1b Fremdenpolizeigesetz 2005) gegen sie geführtes Verwaltungsstrafverfahren, das - soweit dies den Akten zu entnehmen ist - im Beschwerdestadium vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich anhängig war, bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht abgeschlossen war, oder daraus, dass - wie in der Revision dargestellt - das (die) in dieser Angelegenheit erlassene(n) Straferkenntnis(se) allenfalls „gegenstandslos wurden“, ist für die Revision jedenfalls nichts zu gewinnen.
13 Die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gegen die Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz wurde nach den Angaben ihrer Rechtsvertretung in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zurückgezogen, weil eine Aktualität der Verfolgungsgefahr nicht mehr gegeben gewesen sei (Verhandlungsprotokoll vom 5. Juli 2021, S 6). Die Zurückziehung der Beschwerde wurde ausweislich der Verhandlungsniederschrift mit den revisionswerbenden Parteien unter Beiziehung einer Dolmetscherin erörtert; diese bestätigten die Ausführungen ihrer Rechtsvertretung und gaben an, die Übersetzung verstanden zu haben. Dass für das vorliegende Verfahren wesentliche Aspekte entgegen der Wünsche der revisionswerbenden Parteien in der mehrstündigen mündlichen Verhandlung nicht behandelt worden wären oder dass diesen nicht ausreichend Gelegenheit geboten worden wäre, zu entscheidenden Gesichtspunkten Näheres auszuführen, ist der Niederschrift nicht zu entnehmen (vgl. insbesondere S 22 und 23). Einen relevanten Begründungsmangel des angefochtenen Erkenntnisses im Zusammenhang mit der Bestätigung des behördlichen Spruchpunkts, mit dem die Abschiebung der revisionswerbenden Parteien in ihren Herkunftsstaat jeweils für zulässig erklärt wurde, legt die Revision vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht dar (siehe im Übrigen die auch auf den verwaltungsgerichtlichen Länderfeststellungen basierenden Ausführungen zur Situation der revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, S 9 des angefochtenen Erkenntnisses).
14 Aus den dargelegten Gründen liegen die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vor. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
15 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG unterbleiben.
Wien, am 22. November 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220202.L00Im RIS seit
27.12.2021Zuletzt aktualisiert am
04.01.2022