Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
ABGB §231Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Z Z, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das am 7. Dezember 2018 mündlich verkündete und mit 5. Februar 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/088/14369/2018-14, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, stellte am 12. März 2018 bei der belangten Behörde einen Erstantrag auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung - Angehöriger“ gemäß § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zum Zweck der Familienzusammenführung mit seiner Großmutter, einer österreichischen Staatsbürgerin, die ihm bereits im Herkunftsstaat regelmäßig Unterhalt geleistet habe.
2.1. Der Landeshauptmann von Wien (im Folgenden: Behörde) wies den Antrag mit Bescheid vom 27. August 2018 ab. Der Revisionswerber habe nicht nachgewiesen, dass er von den Geldüberweisungen durch seine Großmutter finanziell abhängig sei. Die von der Großmutter geleisteten Zahlungen seien tatsächlich nicht als Unterhalt, sondern als freiwillige Zuwendungen zu erachten. Es widerspreche zudem der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Revisionswerber seine Familie (Ehefrau und Kinder) im Herkunftsstaat zurücklasse, um bei seiner Großmutter in Österreich zu leben. Es bestehe vielmehr der Anschein, dass er bloß einen Aufenthaltstitel anstrebe, um in der Folge auch seine Familie nach Österreich holen zu können. Es fehle daher bereits an einer besonderen Erteilungsvoraussetzung, sodass die allgemeinen Voraussetzungen nicht mehr zu prüfen seien. Die Erteilung des Aufenthaltstitels sei auch nicht etwa geboten, um der Zusammenführenden den Genuss des Kernbestands der Unionsbürgerrechte zu sichern.
2.2. Der Revisionswerber erhob gegen den Bescheid Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, er werde von seiner in Österreich lebenden Großmutter seit Jahren finanziell unterstützt, zumal der Ertrag der von ihm und seiner Ehefrau in Serbien betriebenen Landwirtschaft zur Sicherung des Lebensunterhalts für sich und seine Familie nicht ausreiche. Es bestehe daher tatsächlich eine finanzielle Abhängigkeit von den regelmäßigen Geldzuwendungen durch die Großmutter. Diese sei altersbedingt in einem schlechten Zustand und zunehmend auf Unterstützung angewiesen, welche ihr der Revisionswerber leisten wolle. Die Landwirtschaft könne währenddessen von seiner Ehefrau allein betrieben werden. Eine durchgehende Anwesenheit im Heimatstaat sei auch zur Kinderbetreuung nicht (mehr) erforderlich.
3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der Behörde vom 27. August 2018 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab.
3.2. Das Verwaltungsgericht stellte im Wesentlichen fest, der Revisionswerber betreibe in Serbien gemeinsam mit seiner Ehefrau eine Landwirtschaft mit einer Fläche von ungefähr viereinhalb bis fünf Hektar. Auf dem Hof lebten neben ihm, seiner Frau und den drei Kindern, die zur Schule gingen, auch seine Eltern, die in der Landwirtschaft mithälfen. Auf dem Hof werde für den Eigenbedarf Vieh gehalten und Gemüse gezogen; auf den Feldern werde Getreide und Mais angebaut, die Ernte werde verkauft, zum Teil als Futter verwendet oder gegen Mehl eingetauscht. Im Durchschnitt werde pro Hektar ungefähr ein Betrag von € 300,-- im Jahr erwirtschaftet.
Der Revisionswerber habe in Serbien eine Ausbildung zum Spengler absolviert, er habe jedoch nie in dem Bereich gearbeitet. Gelegentlich arbeite er „schwarz“, wobei er im Schnitt ungefähr € 200,-- im Monat verdiene.
In Österreich lebe die 82-jährige Großmutter des Revisionswerbers. Diese überweise ihm seit März 2018 monatlich € 300,--. Dabei handle es sich um freiwillige Zuwendungen, seien doch die Grundbedürfnisse des Revisionswerbers und seiner Familie auch ohne diese Zahlungen gedeckt.
3.3. Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe selbst angegeben, dass durch die Tierhaltung und den Gemüseanbau im Rahmen der Landwirtschaft ein wesentlicher Teil der ernährungsbezogenen Grundbedürfnisse gedeckt werde. Darüber hinausgehende Bedürfnisse würden durch die Erträge aus dem Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte finanziert. Dass eine unzureichende Deckung der ernährungs-, wohnraum- und/oder ausbildungsbezogenen Grundbedürfnisse konkret zu besorgen wäre, sei vom Revisionswerber nicht substanziiert dargetan worden und auch nicht hervorgekommen.
3.4. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen, es liege kein Bezug von Unterhalt im Sinn des § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG vor, weil nach den Angaben des Revisionswerbers sowohl dessen eigene Grundbedürfnisse als auch jene seiner Familie im Herkunftsstaat gedeckt seien. Bei den finanziellen Zuwendungen der Großmutter handle es sich daher um solche zur Aufbesserung der finanziellen Situation, also um freiwillige innerfamiliäre Zuwendungen, nicht jedoch um solche zur Sicherstellung der Grundbedürfnisse und damit auch nicht um eine Leistung von Unterhalt im Sinn der angeführten Gesetzesbestimmung.
3.5. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision mangels Vorliegen einer Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, zu deren Zulässigkeit - unter dem Gesichtspunkt eines Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs - im Wesentlichen vorgebracht wird, die Beurteilung, ob der Fremde vom Zusammenführenden finanziell abhängig sei und daher dessen Leistungen als Unterhalt (und nicht bloß als freiwillige Zuwendungen) zu erachten seien, erfordere Erhebungen und Feststellungen zum Existenzminimum im Herkunftsstaat des Fremden; dazu seien sodann die Einkünfte des Fremden in Relation zu setzen (Hinweis auf VwGH 17.11.2015, Ro 2015/22/0005). Vorliegend habe das Verwaltungsgericht keine derartigen Ermittlungen und Feststellungen vorgenommen und das Ergebnis nicht zu den Einkünften des Revisionswerbers in Relation gesetzt. Diesfalls hätte sich das Fehlen einer Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers und damit das Vorliegen von Unterhaltsleistungen durch die Zusammenführende ergeben.
4.2. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
5. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
Die Revision ist aus dem geltend gemachten Grund zulässig und auch begründet.
6.1. Gemäß § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG kann Angehörigen von Zusammenführenden auf Antrag eine „Niederlassungsbewilligung - Angehöriger“ erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teils erfüllen und wenn sie vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben.
6.2. Der Gesetzgeber hatte bei der Familienzusammenführung gemäß § 47 Abs. 3 NAG in erster Linie jene Angehörigen im Blick, die während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet auf Unterhaltsmittel des Zusammenführenden angewiesen sind. Mit der genannten Bestimmung soll nur jenen Angehörigen die Möglichkeit des Familiennachzugs eingeräumt werden, bei denen ein - in den Fällen des § 47 Abs. 3 NAG näher definiertes, nicht zwingend finanzielles - Abhängigkeitsverhältnis zum Zusammenführenden gegeben ist (vgl. VwGH 3.3.2011, 2010/22/0217). Hinsichtlich der Leistungserbringung sind Unterhaltsleistungen von freiwilligen Zuwendungen abzugrenzen, wobei letztere nicht den Tatbestand des § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG erfüllen (siehe zum Ganzen VwGH 17.11.2015, Ro 2015/22/0005, Pkt. 4.4.).
7.1. Vorliegend vertritt das Verwaltungsgericht die Ansicht, dass von einer finanziellen Abhängigkeit des Revisionswerbers von seiner zusammenführenden Großmutter nicht ausgegangen werden könne, weil die Grundbedürfnisse des Revisionswerbers und seiner Familie im Herkunftsstaat auch ohne die Zuwendungen der Großmutter gedeckt seien.
Dem tritt der Revisionswerber entgegen, indem er Erhebungen und Feststellungen zum Existenzminimum im Herkunftsstaat fordert, zu welchem sodann die Einkünfte in Relation zu setzen seien, womit sich die fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit und der Unterhaltsbedarf des Revisionswerbers gegenüber der zusammenführenden Großmutter ergäben.
7.2. Mit dem soeben aufgezeigten Vorbringen wendet sich der Revisionswerber auch gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, der zufolge die Grundbedürfnisse des Revisionswerbers und seiner Familie ohne die Zuwendungen der Großmutter gedeckt seien.
Die Beweiswürdigung ist einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zwar nur insoweit zugänglich, als es darum geht, ob die angestellten Erwägungen schlüssig sind bzw. die Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden (vgl. etwa VwGH 11.2.2016, Ra 2016/22/0001, Pkt. 4.). Vorliegend bestehen aber erhebliche Bedenken gegen die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung:
Obwohl der Revisionswerber - objektiv unwiderlegt - versicherte, dass seine Einkünfte aus der kleinen Landwirtschaft (von € 1.350,-- bis € 1.500,-- jährlich), von der zudem noch seine Eltern lebten, sowie aus gelegentlicher Schwarzarbeit (von € 200,-- monatlich) nicht ausreichten, um seine eigenen Grundbedürfnisse sowie jene seiner Familie (Ehefrau und drei Kinder in Schulausbildung) zu decken, sodass die Zuwendungen der Großmutter erforderlich seien, kam das Verwaltungsgericht zum gegenteiligen Ergebnis. Soweit das Verwaltungsgericht dabei hervorhob, dass ohnehin die Nahrungsmittel zum wesentlichen Teil aus der Landwirtschaft bezogen würden, der Schulbesuch der Kinder gewährleistet sei und die gesamte Familie auf dem landwirtschaftlichen Hof wohne, ist darauf hinzuweisen, dass eine Deckung der Grundbedürfnisse einer mehrköpfigen Familie erfahrungsgemäß weit mehr Bereiche umfasst und ein weit darüber hinausgehender Lebensbedarf besteht. Entgegen der Argumentation des Verwaltungsgerichts ist auch nicht zu sehen, dass der Revisionswerber die fehlende Deckung der Grundbedürfnisse zu wenig konkret geschildert habe. Dem Verwaltungsgericht kann auch nicht gefolgt werden, insoweit es Bestrebungen des Revisionswerbers vermisste, die finanzielle Lage aus Eigenem (etwa durch Vergrößerung der Landwirtschaft oder Aufnahme einer Beschäftigung) zu ändern oder zumindest Lösungen anzudenken, hat der Revisionswerber doch seine diesbezüglichen Standpunkte dargelegt; im Übrigen schließt auch die betreffende Argumentation in keiner Weise aus, dass der Lebensbedarf des Revisionswerbers und seiner Familie nicht sichergestellt sei und er auf die Zuwendungen der Großmutter angewiesen sei.
Ausgehend davon kann freilich der Beweiswürdigung, wonach die Grundbedürfnisse des Revisionswerbers und seiner Familie im Herkunftsstaat auch ohne die Zuwendungen der Großmutter gedeckt seien, nicht gefolgt werden.
7.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner bereits klargestellt (siehe etwa das in den Zulässigkeitsausführungen der Revisionen angesprochene Erkenntnis VwGH 17.11.2015, Ro 2015/22/0005, Pkt. 4.4.), dass für die Beurteilung der wirtschaftlichen Abhängigkeit eines Antragstellers von Zahlungen eines Zusammenführenden auf das Existenzminimum im Herkunftsstaat abzustellen ist. Es sind daher entsprechende Ermittlungen zum Existenzminimum im Herkunftsstaat erforderlich. Zu den Ergebnissen derartiger Erhebungen sind sodann die vom Antragsteller erzielten Einkünfte - fallbezogen unter Bedachtnahme auf den Wert der zum wesentlichen Teil aus der Landwirtschaft bezogenen Nahrungsmittel - in Relation zu setzen.
Gegenständlich unterließ es das Verwaltungsgericht, die erforderlichen Ermittlungen und Feststellungen zum Existenzminimum in Serbien vorzunehmen, sodass die Abhängigkeit des Revisionswerbers und seiner Familie von den Zuwendungen der Zusammenführenden und damit auch die Eigenschaft der Zahlungen als Unterhaltsleistung nicht beurteilt werden können. Auch deshalb ist das angefochtene Erkenntnis mit einem erheblichen Verfahrensmangel behaftet.
8. Die bekämpfte Entscheidung war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
9. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. November 2021
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019220064.L00Im RIS seit
27.12.2021Zuletzt aktualisiert am
04.01.2022