TE Vwgh Erkenntnis 2021/11/25 Ra 2020/11/0038

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Veröffentlicht am 25.11.2021
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Index

E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren
60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

AVRAG 1993 §19 Abs1 Z38
LSD-BG 2016 §21 Abs3 Z2
LSD-BG 2016 §26
LSD-BG 2016 §26 Abs2
LSD-BG 2016 §27
LSD-BG 2016 §28
LSD-BG 2016 §29 Abs1
LSD-BG 2016 §72 Abs10
VStG §19
VStG §19 Abs1
VStG §22 Abs2
VwGVG 2014 §42
VwRallg
62018CJ0064 Maksimovic VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Finanzamts Österreich gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 6. November 2019, Zlen. VGW-041/003/11453/2018 und VGW-041/V/003/11554/2018, betreffend Übertretungen des LSD-BG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Parteien: 1. R B in W und 2. A GmbH in W, beide vertreten durch Dr. Georg Kahlig und Mag. Gerhard Stauder, Rechtsanwälte in 1070 Wien, Siebensterngasse 42/3), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 23. Juli 2018 wurde der Erstmitbeteiligte als handelsrechtlicher Geschäftsführer der A GmbH (der Zweitmitbeteiligten) für schuldig erkannt, er habe es zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Beschäftiger für insgesamt 17 namentlich genannte überlassene Arbeitnehmer, die jeweils vor der Arbeitsaufnahme zu erstattende ZKO 4-Meldung nicht bereitgehalten habe. Wegen dieser Übertretung wurden über den Erstmitbeteiligten gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 iVm. § 26 Abs. 2 des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSD-BG) 17 Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 750,00 (insgesamt sohin € 12.750,00) samt Ersatzfreiheitsstrafen verhängt und ihm ein Kostenbeitrag in Höhe von € 1.275,00 zum Strafverfahren vorgeschrieben. Gleichzeitig wurde die Haftung der Zweitmitbeteiligten für die verhängten Geldstrafen und die Verfahrenskosten gemäß § 9 Abs. 7 VStG ausgesprochen.

2        In der über die Beschwerde gegen dieses Straferkenntnis vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde die Beschwerde auf die Strafhöhe eingeschränkt.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde insofern Folge, als es nur mehr eine einzige Geldstrafe in der Höhe von € 500,00 samt Ersatzfreiheitsstrafe (12 Stunden) verhängte (Spruchpunkt I.), die Kosten des Strafverfahrens gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG entsprechend reduzierte (Spruchpunkt II.), festhielt, dass kein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten sei (Spruchpunkt III.) und die Zweitmitbeteiligte gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die über den Erstmitbeteiligten verhängte Strafe und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand hafte (Spruchpunkt IV.). Gleichzeitig sprach das Verwaltungsgericht gemäß § 25a VwGG aus, dass eine ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei (Spruchpunkt V.).

4        Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, „in Anbindung“ an das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033 bis 0034, und das diesem zugrunde liegende Urteil des EuGH vom 12. September 2019, C-64/18 u.a., Maksimovic u.a., sei nur eine einzige Geldstrafe zu verhängen gewesen. Mildernd seien die Schuldeinsicht und die lange Verfahrensdauer, erschwerend hingegen kein Umstand zu werten gewesen. Insbesondere sei die Zahl der Beschäftigten nicht erschwerend zu werten gewesen, dies aufgrund „des der positiv rechtlichen Strafsanktionsnorm innewohnenden Kumulationsprinzips“, woran auch der Entfall der Wortfolge „für jeden Arbeitnehmer“ in der Strafsanktionsnorm nichts geändert habe. Wertete man die Zahl der Arbeitskräfte, deren Meldung unterlassen worden sei, als erschwerend, so „würde dies einen Akt der Normsetzung bedeuten, der dem Gesetzgeber vorbehalten“ sei.

5        Dagegen richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Amtsrevision. Die mitbeteiligten Parteien und die belangte Behörde haben Revisionsbeantwortungen erstattet.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

7        In der Revision wird sowohl zu ihrer Zulässigkeit als auch in den Revisionsgründen unter Verweis auf hg. Judikatur einerseits die Auffassung vertreten, bei den gegenständlichen Delikten handle es sich (angesichts der unterschiedlichen Zeitpunkte der jeweiligen Arbeitsaufnahme der Arbeitskräfte und damit der unterschiedlichen Zeitpunkte der zu erstattenden Meldungen) um mehrere nebeneinander bestehende Verwaltungsübertretungen, die - jeweils (pro unterlassener Meldung) - mit Strafe zu belegen seien. Andererseits sei die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Anzahl der unterlassenen Meldungen könne sich auf die Strafhöhe nicht erschwerend auswirken, rechtswidrig und stehe mit näher genannter hg. Judikatur im Widerspruch.

8        Aufgrund des zweitgenannten Vorbringens ist die Revision zulässig und begründet.

9        Mit der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 wurde die im Revisionsfall maßgebliche Strafbestimmung des § 26 LSD-BG insofern geändert, als die Bestrafung pro Arbeitnehmer und die Festsetzung von Mindeststrafen entfallen ist. Sie lautet (auszugsweise):

„Verstöße im Zusammenhang mit den Melde- und Bereithaltungspflichten bei Entsendung oder Überlassung

§ 26. ...

(2) Wer als Beschäftiger im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung die erforderlichen Unterlagen entgegen § 21 Abs. 3 nicht bereithält oder zugänglich macht, begeht unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 20 000 Euro zu bestrafen.“

10       Gemäß § 72 Abs. 10 letzter Satz der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 sind die §§ 26 bis 29 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 174/2021 auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmungen anhängigen Verfahren einschließlich von Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof anzuwenden (vgl. dazu VwGH 12.10.2021, Ra 2019/11/0015, 0016, und Ra 2021/11/0033, 0034).

11       Dem - somit im Revisionsfall anzuwendenden - § 26 LSD-BG idF BGBl. I Nr. 174/2021 entspricht das angefochtene Erkenntnis insoweit, als nur eine Gesamtgeldstrafe ohne Abstellen auf eine Mindeststrafe verhängt wurde.

12       Hingegen erweist sich die im angefochtenen Erkenntnis verhängte Ersatzfreiheitsstrafe aus jenen Gründen als rechtswidrig, die der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom heutigem Tag, Ra 2020/11/0164 bis 0166, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, näher dargelegt hat.

13       Gleichfalls unzutreffend ist die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, bei Verhängung einer (einzigen) Geldstrafe dürfe für die genannten Verstöße gegen die Bereithaltungspflicht die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer nicht erschwerend berücksichtigt werden. Mit dieser Rechtsauffassung kann sich das Verwaltungsgericht weder auf das zitierte hg. Erkenntnis Ra 2019/11/0033 bis 0034 noch auf das diesem zugrundeliegende Urteil des EuGH berufen (vgl. bereits VwGH 16.11. 2021, Ra 2020/11/0080).

14       Es trifft auch nicht zu, dass es einer eigenen gesetzlichen Anordnung bedürfte, um die - mehrfachen - Verstöße gegen § 26 Abs. 2 LSD-BG bei der Bemessung der zu verhängenden (Gesamt-)Geldstrafe erschwerend berücksichtigen zu können. Vielmehr ergibt sich schon aus § 19 Abs. 1 VStG, dass für die Strafbemessung die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat (die fallbezogen u.a. von der Anzahl der nicht bereitgehaltenen Meldungen abhängt) zu beachten ist.

15       Solange die vom Verwaltungsgericht innerhalb des Strafrahmens verhängte (einzige) Geldstrafe nicht höher bemessen wird als die Summe der von der ersten Instanz verhängten Strafen, liegt außerdem kein Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius vor (vgl. VwGH 13.8.2019, Ra 2019/03/0068, 0069, Rn. 20).

16       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

17       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der Antrag der belangten Behörde, ihr für die Revisionsbeantwortung Aufwandersatz im gebührenden Ausmaß zuzuerkennen, war schon deshalb abzuweisen, weil der Rechtsträger iSd. § 47 Abs. 5 VwGG, der einerseits zum Aufwandersatz verpflichtet und dem andererseits der Aufwandersatz zufließen würde, im vorliegenden Fall ident ist (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2017/11/0301, mwN).

Wien, am 25. November 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62018CJ0064 Maksimovic VORAB

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110038.L00

Im RIS seit

27.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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