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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §57Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des Z D, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. September 2021, W240 2239988-1/4E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 18. Jänner 2021 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) dem Revisionswerber, einem serbischen Staatsangehörigen, keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Serbien gemäß § 46 FPG zulässig sei, und legte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. September 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.
3 Das BVwG legte seiner Entscheidung (auf das Wesentliche zusammengefasst) folgenden Sachverhalt zugrunde: Der Revisionswerber sei erstmals im Jahr 2002 in das Bundesgebiet eingereist. Seitdem sei er mehrmals im Bundesgebiet aufgegriffen und insgesamt fünf Mal in Schubhaft genommen worden. In den Jahren 2007, 2012 und 2019 sei er freiwillig ausgereist, in den Jahren 2010, 2016 und 2018 sei er nach Serbien abgeschoben worden. Der Revisionswerber sei auch trotz eines aufrechten Einreiseverbotes erneut in das Bundesgebiet eingereist. Seit dem 1. Dezember 2019 halte er sich wieder in Österreich auf. Über einen Aufenthaltstitel oder eine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung habe er nie verfügt. Er sei gesund und arbeitsfähig und habe in Serbien eine Elektroausbildung sowie eine Ausbildung zum Schiffselektriker absolviert. In Serbien habe er einen Onkel und eine Tante, zu denen er zwar keinen Kontakt habe, diesen aber jederzeit wiederherstellen könne. In Österreich bestünden keine familiären Anknüpfungspunkte. Allfällige freundschaftliche Beziehungen seien zu einem Zeitpunkt entstanden, zu dem er sich seiner unsicheren aufenthaltsrechtlichen Stellung bewusst sein habe müssen. Zudem sei der Revisionswerber mittellos, in keinem Verein aktiv und habe in Österreich keine Schulen oder Kurse besucht sowie keine hinreichenden Deutschkenntnisse belegt.
4 In seinen rechtlichen Erwägungen führte das BVwG wie folgt aus: Der Revisionswerber, der wiederholt eine unrechtmäßige Erwerbstätigkeit ausgeübt und noch in seiner Stellungnahme vom 14. Dezember 2020 angegeben habe, seinen Unterhalt durch Gelegenheitsarbeiten zu finanzieren, habe die Bedingungen des visumfreien Aufenthaltes, der nicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtige, nicht eingehalten und auch die diesbezügliche Befristung überschritten. Da der Aufenthalt des Revisionswerbers nie geduldet gewesen sei und keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass er Zeuge oder Opfer strafbarer Handlungen oder Opfer von Gewalt geworden sei, liege kein Umstand für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 vor.
5 Im Rahmen der Interessenabwägung hinsichtlich der Rückkehrentscheidung verneinte das BVwG mangels Familienangehöriger in Österreich einen Eingriff in das Recht des Revisionswerbers auf Schutz seines Familienlebens. Eine nachhaltige Integration oder enge soziale Anknüpfungspunkte seien nicht belegt worden. Vom Bestehen eines schützenswerten Privatlebens sei daher nicht auszugehen, zumal der Revisionswerber nicht legal erwerbstätig sei, kein Deutsch-Zertifikat vorgelegt und sich immer nur kurzzeitig in Österreich aufgehalten habe. Zudem könne er sich auch aufgrund der mehrmaligen Aufgriffe ohne Aufenthaltsberechtigung, der gegen ihn erlassenen Rückkehrentscheidungen und der Abschiebungen nicht auf mögliche Integrationsbemühungen stützen. Er habe zwar stets die Absicht gehabt, in Österreich zu bleiben, habe aber keine Schritte unternommen, um seinen Aufenthalt zu legalisieren. Im Ergebnis überwiege daher das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts die privaten Interessen des Revisionswerbers.
Konkrete Gründe für die Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß § 52 Abs. 9 FPG habe der Revisionswerber nicht vorgebracht und seien auch unter Berücksichtigung der Situation in Serbien sowie der Lebensumstände des gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerbers nicht ersichtlich. Eine mündliche Verhandlung habe unterbleiben können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Der Revisionswerber rügt in der Zulässigkeitsbegründung, das BVwG habe trotz eines entsprechenden Antrags keine mündliche Verhandlung durchgeführt.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Abstandnahme von einer Verhandlung - auch im Fall eines ausdrücklichen Antrags - nach § 21 Abs. 7 BFA-VG für die Auslegung der (in dieser Bestimmung enthaltenen) Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ folgende Kriterien als beachtlich angesehen: Der für die rechtliche Beurteilung wesentliche Sachverhalt muss von der Behörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Behörde muss die die maßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Behörde festgestellten Sachverhalts ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstoßendes Vorbringen (vgl. VwGH 14.4.2021, Ra 2020/22/0257, Pkt. 4.2., mwN).
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann aber auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 19.10.2021, Ra 2021/22/0174, Rn. 14, mwN).
11 Von einem solchen eindeutigen Fall durfte das BVwG im vorliegenden Fall in vertretbarer Weise ausgehen. Der Revisionswerber hielt sich - zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG - erst seit etwa einem Jahr und neun Monaten (wieder) in Österreich auf. Nach den - insoweit nicht bestrittenen - Ausführungen des BVwG waren auch seine in der Vergangenheit liegenden Inlandsaufenthalte jeweils nur von kurzer Dauer, wobei der Revisionswerber die Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthaltes wiederholt überschritten hat und fünf Mal in Schubhaft genommen wurde. Zudem hat das BVwG berücksichtigt, dass der Revisionswerber keine Familienangehörigen in Österreich habe, im Bundesgebiet keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und keine Kurse oder Schulen besucht habe. Mit dem nicht weiter substantiierten Hinweis auf zahlreiche Freunde und sehr gute Deutschkenntnisse vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen, dass kein derartiger eindeutiger Fall vorliege und das BVwG somit von den dargestellten Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung abgewichen wäre.
12 Soweit der Revisionswerber mit dem unter Verweis auf seinen Freundeskreis und seine Deutschkenntnisse erfolgten Vorbringen, er sei „durchaus als integriert“ anzusehen, der Sache nach die vom BVwG durchgeführte Interessenabwägung rügt, zeigt er nicht auf, dass die - in Rn. 4 zusammengefasst dargestellte - Interessenabwägung des BVwG fallbezogen unvertretbar wäre (vgl. dazu, dass die unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen nicht revisibel ist, VwGH 29.6.2021, Ra 2021/22/0102, Rn. 12, mwN). Warum diese Umstände - wie vom Revisionswerber behauptet - „jenen berücksichtigungswürdigen Gründen entsprechen“ sollen, die zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 57 AsylG 2005 führen würden, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich.
13 Dem vom Revisionswerber weiters geltend gemachten Fehlen von aktuellen Länderfeststellungen ist entgegenzuhalten, dass Serbien gemäß § 1 Z 6 Herkunftsstaaten-Verordnung als sicherer Herkunftsstaat gilt. Die Festlegung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat spricht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der Behörden dieses Staates (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2017/01/0292, Rn. 17, mwN). Inwieweit diese Annahme durch Heranziehung „aktualisierter Länderfeststellungen“ widerlegt hätte werden können, legt der Revisionswerber nicht dar, sodass das BVwG auch unter diesem Aspekt von einem geklärten Sachverhalt ausgehen durfte.
14 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
15 Ausgehend davon erübrigt sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, der Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
16 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 29. November 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220220.L00Im RIS seit
27.12.2021Zuletzt aktualisiert am
25.01.2022