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E6JNorm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl sowie Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Wiener Landesregierung gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. Mai 2021, Zl. VGW-152/090/10782/2020-23, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: DI L B in M, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Wiedner Haupstraße 46/6), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte erwarb die österreichische Staatsbürgerschaft durch Erstreckung der Verleihung gemäß § 17 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG).
2 Mit Schreiben vom 1. April 2020 beantragte er die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit (der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation) gemäß § 28 StbG und brachte dazu im Wesentlichen vor, er lebe derzeit mit seiner Lebensgefährtin und den beiden gemeinsamen außerehelichen 2009 und 2020 geborenen Töchtern in Moskau. Er verfüge in Russland über eine bis 17. September 2023 gültige Aufenthaltsberechtigung. Er sei Alleingesellschafter einer im Jahr 2004 in Russland gegründeten näher genannten Immobiliengesellschaft, mit der er zwei näher genannte Immobilienprojekte in Russland entwickelt habe. Ein Projekt werde bis Ende 2020 abgeschlossen sein. Die Realisierung des anderen Projektes sei 2027 geplant.
Nach der russischen Rechtslage würden fremde Staatsangehörige selbst mit einer Aufenthaltsbewilligung bereits aufgrund zweier administrativer Vergehen, wie etwa Verkehrsdelikten, für drei bis fünf Jahre des Landes verwiesen werden. Der Mitbeteiligte habe bereits die Erfahrung gemacht, ungerechtfertigt eines Verkehrsdelikts beschuldigt zu werden. Eine wegen willkürlich verhängter Verwaltungsstrafen jederzeit mögliche Ausweisung aus Russland würde für den Mitbeteiligten bedeuten, nicht mehr mit seiner Familie in Russland zusammenleben zu können und sämtliche in Russland getätigten Investitionen zu verlieren, weil niemand in der Lage wäre, die Projekte erfolgreich umzusetzen. Mit dem Erwerb der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation könne er dies verhindern. Dem damit verbundenen Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft stehe entgegen, dass der Mitbeteiligte beabsichtige, nach der Realisierung der Projekte seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Wien zu verlegen, wo seine Mutter und Geschwister sowie seine drei ehelichen Kinder lebten und er eine derzeit vermietete Immobilie besitze. Er werde jedoch weiterhin in Russland geschäftlich tätig sein.
Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2020 brachte der Mitbeteiligte ergänzend vor, er beabsichtige, ab dem Schuljahr 2020/2021 mit seiner älteren Tochter, der 2018 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei, in seine Wohnung in Wien zu übersiedeln, damit diese in Österreich die Schule besuchen und hier studieren könne. Der jüngeren Tochter sei eine Übersiedlung nicht zumutbar und sie bleibe bei ihrer Mutter, die nicht Deutsch spreche und der deshalb ein Leben in Österreich nicht möglich sei, in Russland. Nach der Übersiedlung nach Österreich werde sich der Mitbeteiligte mehr als 185 Tage hier aufhalten, weshalb ihm auch deshalb der Verlust der Aufenthaltsgenehmigung (in Russland) drohe. Eine andere Form der Aufenthalts- und Einreiseberechtigung, die dem Mitbeteiligten ein Familienleben in Russland ermöglichen würde, gebe es nicht. Ein „Geschäftsvisum“ berechtige lediglich zum Aufenthalt in der Dauer von maximal 90 Tagen alle 180 Tage. Der Mitbeteiligte hätte nach einer Übersiedlung nach Österreich keine Möglichkeit, jederzeit seine in Russland lebende Tochter zu sehen bzw. mit ihr zusammenzuleben.
3 Mit Bescheid vom 6. Juli 2020 wies die Wiener Landesregierung (Amtsrevisionswerberin) den Antrag des Mitbeteiligten auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall der Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit (des Erwerbs der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation) gemäß § 28 StbG ab.
4 Bezugnehmend auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Verweis auf VfGH 17.6.2019, E 1832/2019), wonach der Tatbestand des § 28 Abs. 1 Z 1 StbG dann erfüllt sei, wenn der gesetzlich angeordnete Verlust der Staatsbürgerschaft eine Verletzung des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens bedeuten würde, liege kein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund iSd hier maßgeblichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 2 StbG vor. Das Vorbringen des Mitbeteiligten, er würde bei zwei administrativen Vergehen aus Russland verwiesen werden und dadurch sämtliche seiner dortigen Investitionen verlieren und er könnte in Russland mit seiner Familie nicht mehr zusammenleben, sei nicht hinreichend konkret. Betreffend den Wunsch nach mehreren und längeren Aufenthalten in verschiedenen Staaten sei auf „diverse aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten“ zu verweisen. Überdies berechtige den Mitbeteiligten ein „Geschäftsvisum“ zum Aufenthalt von 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen in Russland. Die Absicht eines längeren Aufenthalts in Russland habe er nicht nachgewiesen.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid Folge, bewilligte ihm die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft gemäß § 28 Abs. 2 StbG für den Fall des Erwerbes der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation binnen zwei Jahren und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte sei Alleineigentümer von vier Gesellschaften, die derzeit im Wesentlichen ein großes Bauprojekt in der Nähe von Moskau realisieren würden. Als einerseits österreichischer Staatsbürger, der über einen Daueraufenthaltstitel bis September 2023 in Russland verfüge, und andererseits „erfolgreicher und damit exponierter Unternehmer“ sei „er der Gefahr ausgesetzt, durch ein Zusammenwirken einer Intervention von Konkurrenten und Behördenwillkür aus dem Markt gedrängt“ und jederzeit aus dem Gebiet der Russischen Föderation ausgewiesen zu werden. Dies beeinträchtige seine Möglichkeiten, seine Unternehmen erfolgreich zu führen, wesentlich.
Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 2019, E 1832/219, würde es für den Mitbeteiligten eine extreme Beeinträchtigung seines Privatlebens darstellen, wenn er wegen der Nichtannahme der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation und der damit verbundenen, realen Gefahr einer Ausweisung aus dem Gebiet der Russischen Föderation seine Bauunternehmen nicht mehr erfolgreich betreiben könnte „und damit sein berufliches Lebenswerk zerstört werden würde“.
Diese Beeinträchtigung sei „konkret erwartbar“. Es handle sich nicht um eine solche Beeinträchtigung, die von ungewissen, in der Zukunft vom Mitbeteiligten selbst zu setzenden Handlungen abhänge, weil er im Hinblick auf ein im Jahr 2011 von ihm in Russland erfolglos geführtes Zivilverfahren um die Rückgabe eines von ihm für ein Immobilienprojekt gekauften Grundstücks und ein damit in Verbindung stehendes im Dezember 2013 von der russischen Strafjustiz gegen ihn eingestellten Strafverfahren bereits in der Vergangenheit Opfer willkürlichen Behördenhandelns geworden sei. Etwaiges zukünftiges, willkürliches Handeln von Verwaltungsbehörden oder Gerichten zum Nachteil des Mitbeteiligten hänge nicht von ihm selbst ab. Bereits in der Vergangenheit liegendes behördliches bzw. gerichtliches Agieren zum Nachteil des Mitbeteiligten könnte sich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch in der Zukunft wiederholen. Der Mitbeteiligte könnte zufällig, ohne dies zu beeinflussen, durch mögliche Konkurrenten in eine Situation geraten, in der gegen ihn willkürlich Verwaltungsstrafen auch aufgrund einer Beleidigung nach Art. 5.61 des (russischen) Kodex über Verwaltungsübertretungen verhängt würden. Dies könnte unter den Begriff der administrativen Rechtsverletzungen subsumiert werden, die einen Angriff auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellten und zu einer Ausweisung führen könnten.
7 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete - erwogen:
Zulässigkeit
9 Die Amtsrevision ist in Bezug auf das zu ihrer Zulässigkeit vorgebrachte Abweichen von der näher dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach es sich bei den gemäß § 28 StbG beachtlichen Eingriffen in das Privat- und Familienleben um nicht nur hypothetische oder potentielle Folgen, sondern um konkret zu erwartende Beeinträchtigungen handeln muss, sowie hinsichtlich der im Zulässigkeitsvorbringen monierten mangelnden Prüfung der gemäß § 28 Abs. 1 Z 1 letzter Halbsatz StbG sinngemäß zu erfüllenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 StbG zulässig; sie ist auch berechtigt.
„Besonders berücksichtigungswürdiger Grund“ iSd § 28 Abs. 1 Z 1 StbG
10 Vorauszuschicken ist, dass dem österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht die Ordnungsvorstellung zugrunde liegt, mehrfache Staatsangehörigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden (vgl. VwGH 8.10.2020, Ra 2020/01/0343, Rn. 12, mwN).
11 § 28 StbG normiert drei Tatbestände für die Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft. Nach § 28 Abs. 1 Z 1 StbG muss die Beibehaltung wegen der bereits erbrachten oder noch zu erwartenden Leistungen oder aus einem anderen besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Interesse der Republik und nicht bloß des Betroffenen selbst liegen, - soweit Gegenseitigkeit besteht - der fremde Staat, dessen Staatsangehörigkeit angestrebt wird, der Beibehaltung zustimmen und müssen die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 StbG sinngemäß erfüllt sein. Der durch die Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 geschaffene Tatbestand des § 28 Abs. 2 StbG wiederum soll Staatsbürgern die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft trotz Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit ermöglichen, wenn ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt, um extreme Beeinträchtigungen des Privat- oder Familienlebens des Staatsbürgers zu vermeiden, die sich aus der Nichtannahme der Staatsangehörigkeit oder dem Verlust der Staatsbürgerschaft ergeben (vgl. zu allem VwGH 15.5.2019, Ra 2018/01/0076, mwN).
12 Da der Mitbeteiligte die österreichische Staatsbürgerschaft nicht - wie in § 28 Abs. 2 StbG als Voraussetzung normiert - durch Abstammung erworben hat, sondern durch Erstreckung der Verleihung gemäß § 17 StbG, ist in der vorliegenden Rechtssache entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts § 28 Abs. 1 Z 1 StbG maßgeblich.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits berücksichtigt, dass der VfGH in seiner jüngeren Rechtsprechung (Verweis auf VfGH 17.6.2019, E 1832/2019 = VfSlg. 20.330) in verfassungskonformer Interpretation den Tatbestand des § 28 Abs. 1 Z 1 StbG dahin ausgelegt hat, dass ein Grund im Interesse der Republik auch dann vorliegt, wenn der gesetzlich angeordnete Verlust der Staatsbürgerschaft eine Verletzung des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens bedeuten würde, und insbesondere auf die Rn. 15 dieses Erkenntnisses mit Verweis auf EGMR 21. Juni 2016, Ramadan, Appl. 76.136/12, und EuGH 12. März 2019, C-221/17, Tjebbes, hingewiesen (vgl. VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0437; 8.10.2020, Ra 2020/01/0354; 29.1.2021, Ra 2021/01/0002, jeweils mwN).
14 Nach der verfassungskonformen Auslegung des VfGH, der sich der Verwaltungsgerichtshof angeschlossen hat, ist ein „besonders berücksichtigungswürdiger Grund“ (nach § 28 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 StbG) auch dann gegeben, wenn der gesetzlich angeordnete Verlust der Staatsbürgerschaft eine Verletzung des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens und damit einen Verstoß gegen die Verpflichtung der Republik Österreich zur Gewährleistung dieses Konventionsrechts bedeuten würde (vgl. etwa zuletzt VwGH 15.3.2021, Ra 2021/01/0051, Rn. 16, mwN).
15 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG und daher vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nur aufzugreifen, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten hat oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hat bzw. die Entscheidung auf einer verfahrensrechtlich nicht einwandfreien Grundlage erfolgte (vgl. etwa VwGH 15.3.2021, Ra 2021/01/0051, Rn. 18, mwN).
16 Dies ist aus folgenden Erwägungen vorliegend der Fall:
17 Entscheidend ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei Eingriffen in das Privat- und Familienleben nicht um nur hypothetische oder potentielle Folgen handeln darf, sondern um konkret zu erwartende Beeinträchtigungen handeln muss und nicht um solche, die von ungewissen, in der Zukunft vom Beibehaltungswerber selbst zu setzenden Handlungen abhängen (vgl. für viele VwGH 29.1.2021, Ra 2021/01/0002, Rn. 11, mwN). Die zu erwartenden Beeinträchtigungen müssen konkret sein. Dabei muss es sich um konkret zu erwartende Beeinträchtigungen handeln und nicht um solche, die von ungewissen, in der Zukunft vom Beibehaltungswerber selbst zu setzenden Handlungen abhängen. Die zu erwartenden Beeinträchtigungen sind daher am bisherigen Gesamtverhalten des Beibehaltungswerbers zu messen, aus dem eine Prognose zu erstellen ist (vgl. VwGH 14.12.2018, Ra 2018/01/0415, Rn. 18, mwN).
18 Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich allgemein, dass die zu erwartenden Beeinträchtigungen konkret sein müssen und es sich nicht um nur hypothetische oder potentielle Folgen handelt. Dabei ist es nicht entscheidend, dass die Beeinträchtigungen von ungewissen, in der Zukunft vom Beibehaltungswerber selbst zu setzenden Handlungen abhängen. Dieser Fall ist nur ein Beispiel für hypothetische oder potentielle Folgen.
19 Das Verwaltungsgericht gründet das Vorliegen einer extremen Beeinträchtigung des Privatlebens des Mitbeteiligten auf die ausschließlich in Bezug auf die Nichtannahme der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation „konkret erwartbare“ Gefahr, dass der Mitbeteiligte als in der Russischen Föderation tätiger Bauunternehmer in Bezug auf die Realisierung eines großen Bauprojektes in der Nähe von Moskau „durch ein Zusammenwirken einer Intervention von Konkurrenten und Behördenwillkür ... aus dem Gebiet der Russischen Föderation ausgewiesen“ werde, „was seine Möglichkeiten, seine Unternehmen erfolgreich zu führen, wesentlich beeinträchtigen würde“. Dabei stellt das Verwaltungsgericht entscheidend darauf ab, dass die vorgebrachten Beeinträchtigungen nicht von ungewissen, in der Zukunft vom Beibehaltungswerber selbst zu setzenden Handlungen abhängen, und verkennt dabei, dass es sich bei diesem Fall nach dem Obgesagten nur um ein Beispiel für hypothetische oder potentielle Folgen handelt.
20 Aus den Feststellungen des Verwaltungsgerichts über die geschäftliche Tätigkeit des Mitbeteiligten in der Russischen Föderation lässt sich keine aus der Nichtannahme der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation konkret zu erwartende Beeinträchtigung des Privatlebens des Mitbeteiligten ableiten, welche fallbezogen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Z 1 StbG erfüllt.
§ 28 Abs. 1 Z 1 letzter Halbsatz StbG
21 Nach § 28 Abs. 1 Z 1 StbG ist die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft außerdem daran geknüpft, dass der Beibehaltungswerber die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 StbG sinngemäß erfüllt (vgl. VwGH 20.9.2011, 2009/01/0023).
22 Der Mitbeteiligte erwarb die Staatsbürgerschaft nicht durch Abstammung, sondern durch Erstreckung der Verleihung gemäß § 17 StbG. In Verkennung der Rechtslage, nach der für diesen Fall der Tatbestand des § 28 Abs. 1 Z 1 StbG und nicht des § 28 Abs. 2 StbG zur Anwendung kommt, bewilligte das Verwaltungsgericht die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft, ohne die Tatbestandsvoraussetzung des § 28 Abs. 1 Z 1 letzter Halbsatz StbG, und zwar die sinngemäße Erfüllung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 StbG zu prüfen und Feststellungen dazu zu treffen.
23 Das Verwaltungsgericht hat das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
24 Zu den in der Revisionsbeantwortung aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Tatbestandsvoraussetzung des § 28 Abs. 1 Z 1 letzter Halbsatz StbG ist der Mitbeteiligte auf das Erkenntnis des VfGH vom 17. Juni 2019, E 1832/2019, zu verweisen, worin sich der VfGH eingehend mit § 28 StbG in Bezug auf eine allfällige Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz auseinandersetzte, ohne im Zusammenhang mit § 28 Abs. 1 Z 1 letzter Halbsatz StbG von einer Verfassungswidrigkeit oder einer verfassungskonformen Auslegung dieser Bestimmung in dem Sinn, dass diese Tatbestandsvoraussetzung unangewendet zu bleiben hat, auszugehen.
Ergebnis
25 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 1. Dezember 2021
Gerichtsentscheidung
EuGH 62017CJ0221 Tjebbes VORABSchlagworte
Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010303.L01Im RIS seit
27.12.2021Zuletzt aktualisiert am
24.02.2022