TE Vwgh Beschluss 2021/11/29 Ra 2021/19/0415

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Veröffentlicht am 29.11.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des I A, vertreten durch die Kocher & Bucher Rechtsanwälte OG in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juni 2021, I412 2202761-1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein aus Bagdad stammender Staatsangehöriger des Irak, stellte am 12. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 3. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit einer hier nicht relevanten Maßgabe - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Mit Beschluss vom 27. September 2021, E 2612/2021-8, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vor, das BVwG habe dieser Beurteilung in unvertretbarer Beweiswürdigung zu Grunde gelegt, dass der (im Entscheidungszeitpunkt 66-jährige) Revisionswerber trotz seines hohen Alters erwerbsfähig und ungeachtet seiner Erkrankung nicht vulnerabel sei und bei einer Rückkehr über ein familiäres Netzwerk zu seiner Unterstützung verfüge, obwohl er im Asylverfahren anderes behauptet habe.

9        Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 10.3.2021, Ra 2021/19/0060, mwN).

10       Das BVwG traf Feststellungen zur wirtschaftlichen Lage und zur Versorgungssituation sowie zur möglichen Behandlung der festgestellten Erkrankung des Revisionswerbers (Diabetes mellitus) im Irak sowie im Besonderen in Bagdad, dem Herkunftsort des Revisionswerbers. Hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse des Revisionswerbers legte das BVwG seiner Beurteilung zu Grunde, dieser sei arbeitswillig und ungeachtet seiner Erkrankung arbeitsfähig und könne durch einfache Tätigkeiten oder Taxifahren selbst ein gewisses Einkommen lukrieren. Diese Feststellungen begründete das BVwG unter anderem damit, dass der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angegeben habe, er wolle (in Österreich) als Fahrer arbeiten. Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre (vgl. zur eingeschränkten Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Beweiswürdigung etwa VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407, mwN). Dasselbe gilt für die Annahme des BVwG, es sei wahrscheinlich, dass der Revisionswerber auf Grund der zahlreichen in Bagdad lebenden Familienangehörigen nicht gänzlich auf sich alleine gestellt sein werde und sich bei einer Rückkehr Unterstützung erwarten könne.

11       Soweit die Revision eine mangelnde Auseinandersetzung mit den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen“ vom Mai 2019 rügt, nach denen eine Rückkehr nach Bagdad nur für gesunde Männer im erwerbsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilitäten in Betracht komme, gelingt es ihr schon deswegen nicht, die dargestellten Feststellungen des BVwG zur persönlichen Situation des Revisionswerbers zu entkräften, weil sich diese Ausführungen des UNHCR auf die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative beziehen (vgl. aaO S. 141), Bagdad jedoch der Herkunftsort des Revisionswerbers ist.

12       Insgesamt zeigt die Revision nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG, beim Revisionswerber lägen im Fall einer Rückkehr nach Bagdad nicht solche exzeptionellen Umstände vor, welche konkret die reale Gefahr einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellten, fallbezogen an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leiden würde (vgl. zu einem ähnlichen Fall eines aus Bagdad stammenden, älteren Asylwerbers VwGH 1.9.2021, Ra 2021/19/0251).

13       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 29. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190415.L00

Im RIS seit

24.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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