TE Vfgh Erkenntnis 1994/11/29 KI-2/94

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.11.1994
beobachten
merken

Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art138 Abs1 lita
VfGG §51
ASVG §101

Leitsatz

Feststellung der Zuständigkeit des Landeshauptmannes zur Entscheidung über den Einspruch gegen einen den Antrag auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes (§101 ASVG) ablehnenden Bescheid des Sozialversicherungsträgers (vgl. E v 25.06.94, KI-5/93). Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides des Landeshauptmannes von Tirol sowie des ihm zugrundeliegenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes.

Spruch

Der Landeshauptmann von Tirol ist sowohl zur Entscheidung über den Einspruch des Antragstellers gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 18. August 1989, mit dem ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt wurde, als auch über den Einspruch des Antragstellers gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 7. Juni 1989 zuständig, mit dem ein Antrag auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes abgelehnt wurde.

Der entgegenstehende Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 28. April 1993, ZVd-3775/8, und das ihm zugrunde liegende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. März 1993, Z91/08/0079, werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, dem Antragsteller zu Handen seines Vertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid vom 3. Dezember 1987 erkannte die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten dem Antragsteller eine Berufsunfähigkeitspension gemäß §271 ASVG zu. Der Antrag auf rückwirkende Richtigstellung gemäß §101 ASVG, weil in Ungarn erworbene Versicherungszeiten nicht berücksichtigt worden seien, wurde mit Bescheid des Sozialversicherungsträgers vom 7. Juni 1989 mit der Begründung abgelehnt, daß die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten bei der bescheidmäßigen Feststellung der Berufsunfähigkeitspension sich weder in einem wesentlichen Irrtum über den Sachverhalt befunden habe, noch daß ihr ein offenkundiges Versehen unterlaufen sei.

Mit Eingabe vom 18. Juli 1989 begehrte der Antragsteller, vertreten durch die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erhob Einspruch gegen diesen Bescheid. Der Wiedereinsetzungsantrag gemäß §71 AVG wurde damit begründet, daß in der Rechtsmittelbelehrung auf die Klagemöglichkeit hingewiesen worden sei, daß der Vertreterin des Einspruchswerbers jedoch am 13. Juli 1989 eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Kenntnis gelangt sei, derzufolge gegen einen Bescheid, mit welchem eine Richtigstellung gemäß §101 ASVG abgelehnt werde, der Klagsweg unzulässig und der Verwaltungsweg zu beschreiten sei.

Fristgerecht erhob der Antragsteller auch Klage gegen den Bescheid an das zuständige Arbeits- und Sozialgericht. Dieses Verfahren wurde in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 10. Oktober 1989 bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verwaltungsverfahrens unterbrochen.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 18. August 1989 keine Folge gegeben. Mit Bescheid vom 5. April 1991 gab der Landeshauptmann von Tirol den Einsprüchen des Antragstellers gegen die Bescheide der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 18. August 1989 und vom 7. Juni 1989 Folge, bewilligte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und beauftragte die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, die mit Bescheid vom 3. Dezember 1987 zuerkannte Leistung gemäß §101 ASVG richtigzustellen.

Infolge der gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde des Sozialversicherungsträgers an den Verwaltungsgerichtshof behob dieser mit Erkenntnis vom 16. März 1993, Z91/08/0079, den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol mit der Begründung, daß dieser im gegenständlichen Fall über eine Leistungssache entschieden habe, zu der er nicht zuständig gewesen sei.

Mit Bescheid des - gemäß §63 Abs1 VwGG an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes gebundenen - Landeshauptmannes von Tirol vom 28. April 1993 wurde in der Folge die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht bewilligt und der Einspruch gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 7. Juni 1989 zurückgewiesen.

Im fortgesetzten gerichtlichen Verfahren wies das Erstgericht die Klage unter Berufung auf die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes zurück. Mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck wurde dem dagegen erhobenen Rekurs nicht Folge gegeben. Dieser wurde vom Obersten Gerichtshof mit der Begründung bestätigt, daß eine Ablehnung der Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß §101 ASVG den Verwaltungssachen zuzuzählen sei.

Unter Hinweis auf diese Verfahren behauptet der Antragsteller das Vorliegen eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden.

2. Der Oberste Gerichtshof, der Landeshauptmann von Tirol und die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten haben die Akten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch abgesehen. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat von der ihm eingeräumten Möglichkeit einer Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

3. Nach Art138 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden. Ein solcher Kompetenzkonflikt liegt u.a. dann vor, wenn ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde in derselben Sache angerufen wurden und beide Behörden eine Entscheidung in der Sache selbst aus dem Grunde der Unzuständigkeit abgelehnt haben - aber eine zu Unrecht (VfSlg. 4554/1963, 6046/1969) - (verneinender Kompetenzkonflikt; §46 VerfGG).

3.1. Ein solcher verneinender Kompetenzkonflikt liegt hier vor. Der Oberste Gerichtshof und der Landeshauptmann von Tirol, dieser in Bindung an ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes, haben ein- und dasselbe Begehren auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes (§101 ASVG) mit der Begründung zurückgewiesen, die jeweils gegenteilige Verwaltungs- bzw. Gerichtsbehörde sei zuständig.

Der Antrag ist daher zulässig.

4. Die Verwaltungsbehörde hat ihre Zuständigkeit zu Unrecht verneint. Zur Entscheidung über das Begehren des Antragstellers ist der Landeshauptmann von Tirol zuständig.

Dies ergibt sich aus den im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. Juni 1994, KI-5/93, angestellten Erwägungen, in welchen die Frage des Rechtsschutzes gegen Bescheide von Sozialversicherungsträgern, die eine rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach §101 ASVG ablehnen, ausführlich erörtert und dahin entschieden wurde, daß der Landeshauptmann zur Entscheidung über einen Einspruch gegen solche Bescheide zuständig ist.

Es ist daher auch im vorliegenden Kompetenzkonflikt die Zuständigkeit des Landeshauptmannes auszusprechen und der entgegenstehende Bescheid über die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und auf Zurückweisung des Einspruches sowie das ihm zugrunde liegende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes kostenpflichtig aufzuheben (§§51 f. und 19 Abs4 Z2 VerfGG).

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, Sozialversicherung, Gewaltentrennung, Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Kompetenz sukzessive, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von Verwaltung, Zuständigkeit der Gerichte, VfGH / Sachentscheidung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:KI2.1994

Dokumentnummer

JFT_10058871_94K00I02_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten