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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §12 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und den Senatspräsidenten Dr. Knell sowie die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des A in I, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in G, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Burgenland vom 19. Jänner 1995, Zl. IV/7022 B Pi, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.710,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Arbeitsamtes Stegersbach vom 3. Mai 1994 wurde die dem Beschwerdeführer in der Zeit vom 1. Jänner 1993 bis 30. April 1993 und vom 1. Juni 1993 bis 31. Dezember 1993 zuerkannte Notstandshilfe in näher angeführten Beträgen gemäß § 38 in Verbindung mit den §§ 24 Abs. 2 und 12 Abs. 6 AlVG widerrufen und die sich aus dem Widerruf der Zuerkennung ergebende unberechtigt empfangene Notstandshilfe im Gesamtbetrag von S 47.419,-- gemäß § 38 iVm § 25 Abs. 1 AlVG in näher bestimmten monatlichen Raten zurückgefordert. Begründet wurde diese Entscheidung damit, daß, wie im Ermittlungsverfahren festgestellt worden sei, der Beschwerdeführer seit Jänner 1993 K. betreue und aus dieser Tätigkeit während der im Spruch angeführten Zeiträume Einkünfte erzielt habe, die die Geringfügigkeitsgrenze für 1993 von monatlich S 3.102,-- überstiegen hätten. Diese Einkünfte hätte er dem Arbeitsamt melden müssen (zu ergänzen: habe dies aber unterlassen).
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bestritt der Beschwerdeführer die festgestellte Höhe der Einkünfte. Tatsächlich habe er in den genannten Zeiträumen lediglich monatliche Einkünfte von S 2.500,-- bis S 2.800,-- bezogen. Er habe nämlich seiner Tochter für ihre Betreuungsleistungen einen Betrag von monatlich S 1.000,-- bis S 1.500,-- zur Verfügung gestellt, sodaß sich ein monatliches Einkommen (des Beschwerdeführers) unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze ergebe. Das "übrige bezogene Entgelt seitens der Hauskrankenpflege und Soziale Dienste, Bezirksstelle Güssing", stelle lediglich eine Aufwandsentschädigung für das dem K. "zur Verfügung gestellte Essen, Kilometergeld, Einkäufe dar, was nicht als Einkommen im Sinne des Gesetzes zu werten ist". Die erstinstanzliche Behörde habe es unterlassen, obwohl dies vom Beschwerdeführer angeregt worden sei, seine Tochter sowie B. von der Hauskrankenpflege und Soziale Dienste, Bezirksstelle Güssing, die mit der Angelegenheit betraut gewesen sei, einzuvernehmen. Dies stelle einen Verfahrensmangel dar. Er beantrage ausdrücklich die Vernehmung dieser Zeuginnen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen wie folgt begründet: Der Beschwerdeführer habe am 31. Jänner 1994 niederschriftlich bekanntgegeben, daß er seit Jänner 1993 K. betreue. Er versorge ihn mit dem Frühstück und dem Mittagessen. Dafür erhalte er von B. von der Hauskrankenpflege monatlich S 3.000,-- inkl. des Kilometergeldpauschales. Ein daraufhin eingeleitetes Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß der Beschwerdeführer nicht von B., sondern vom Sachwalter des K., Sch., mit der Betreuung beauftragt worden sei. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens seien Bestätigungen über das monatliche Einkommen des Beschwerdeführers für seine Pflegedienste ab Jänner 1993 abverlangt worden. Dies habe für die Monate Jänner bis November 1993 ergeben, daß sein Einkommen lediglich im Monat Mai 1993 mit S 1.633,-- unter der nach § 12 Abs. 6 lit. a AlVG in Verbindung mit § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG maßgebenden Geringfügigkeitsgrenze für 1993 von monatlich S 3.102,-- gelegen sei. Am 14. Februar 1994 habe der Beschwerdeführer niederschriftlich bekanntgegeben, daß K. nicht von ihm allein betreut werde. Bei seiner Betreuung helfe auch seine Tochter mit. Eine Auflistung über die geteilte Betreuung gebe es nicht; die gesamte Entlohnung würde auf sein Konto überwiesen. Hiezu sei eine schriftliche Stellungnahme des Sch. eingeholt worden, der zu entnehmen sei, daß der Beschwerdeführer die alleinige Betreuungsperson des K. sei. Seine Tochter sei mit der Betreuung nicht, und zwar auch nicht teilweise, beauftragt worden. Aus einer von Sch. vorgelegten Auflistung des Einkommens des Beschwerdeführers für die Monate Dezember 1993 bis Februar 1994 sei zu ersehen, daß er im Monat Dezember 1993 ein Einkommen von S 3.920,-- bezogen habe. Eine Anfrage an Sch. im Berufungsverfahren bezüglich der Mitarbeit der Tochter des Beschwerdeführers habe ergeben, daß diese vom Sachwalter noch nie bei K. angetroffen worden sei und auch keine separate Anweisung der beiden Einkommen erfolgt sei. Aufgrund dieser Umstände sei der ausgesprochene Widerruf der Notstandshilfe zu Recht erfolgt. Zum Berufungsantrag auf Vernehmung der beiden Zeuginnen sei festzuhalten, daß ihre Einvernahme für das gegenständliche Verfahren nicht von Relevanz sei. Denn der Beschwerdeführer sei nicht von B., sondern von Sch., dem Sachwalter des K., mit dessen Betreuung betraut worden. Da nun Sch. die alleinige Verantwortung für die Pflege des K. bzw. für die Beauftragung des Pflegepersonals trage, sei die Vernehmung der B. nicht erforderlich gewesen. Zur beantragten Vernehmung der Tochter des Beschwerdeführers werde festgehalten, daß Sch. in diesem Zusammenhang aufgefordert worden sei bekanntzugeben, ob auch die Tochter des Beschwerdeführers mit der Betreuung des K. beauftragt worden sei. Hiezu habe er aber, wie bereits ausgeführt worden sei, bekanntgegeben, daß die Tochter des Beschwerdeführers nicht bzw. auch nicht nur teilweise mit der Betreuung des K. beauftragt worden sei. Weiters habe er bekanntgegeben, daß er die Tochter des Beschwerdeführers noch nie im Hause des K. angetroffen habe. Die Rückforderung der widerrufenen Notstandshilfe sei deshalb berechtigt, weil der Beschwerdeführer die Tatsache, daß er bereits seit Jänner 1993 ein eigenes Einkommen aus der Betreuung bzw. Pflege des K. beziehe, verschwiegen bzw. in den jeweiligen Anträgen unwahre Angaben gemacht habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. September 1995, Zl. 95/08/0060, wurde das Verfahren - wegen Nichterfüllung eines Mängelbehebungsauftrages durch den Beschwerdeführer - gemäß § 34 Abs. 2 iVm § 33 Abs. 1 VwGG eingestellt.
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1995, Zl. 95/08/0318, wurde dem Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers gemäß § 46 VwGG
stattgegeben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im Recht auf Bezug der Notstandshilfe in den relevanten Zeiträumen verletzt. In Ausführung dieses Beschwerdepunktes bringt er unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, der angefochtene Bescheid sei deshalb mit relevanten Verfahrensmängeln behaftet, weil die belangte Behörde nicht die beiden vom Beschwerdeführer in der Berufung genannten Zeuginnen, die als einzige unmittelbar vom wesentlichen Sachverhalt, nämlich der Entgegennahme des Entgeltes für Betreuungsleistungen, gewußt hätten bzw. hätten wissen können, vernommen habe. Die bloße schriftliche Stellungnahme des Sch. sei zur Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht ausreichend. Hätte die belangte Behörde die Vernehmungen durchgeführt, so hätte sie "erkannt", daß dem Beschwerdeführer (im relevanten Zeitraum) tatsächlich kein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze zugekommen sei.
Diesen Verfahrensrügen kommt aus nachstehenden Gründen im Ergebnis Berechtigung zu:
Die im Beschwerdefall relevanten Bestimmungen des AlVG in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 817/1973 lauten:
"§ 12. (1) Arbeitslos ist, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat.
...
(3) Als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 gilt insbesondere nicht:
a)
wer in einem Dienstverhältnis steht;
b)
wer selbständig erwerbstätig ist;
...
(6) Als arbeitslos gilt jedoch
a) wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt, ...
b) wer einen land-(forst)wirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet, dessen nach den jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften festgestellter Einheitswert 54000 S nicht übersteigt;
c) wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist und daraus ein nach Maßgabe des Abs. 9 festgestelltes Einkommen erzielt, das die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt;
...
(9) Das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit wird
auf Grund des Einkommensteuerbescheides für das Kalenderjahr,
in dem Arbeitslosengeld bezogen wird, festgestellt, ... Bis zur
Erlassung und Vorlage des Bescheides ist die Frage der
Arbeitslosigkeit insbesondere auf Grund einer eidesstattlichen
Erklärung des Arbeitslosen über die Höhe seines
Bruttoeinkommens ... vorzunehmen ... Als monatliches Einkommen
gilt ein ein Zwölftel des sich ergebenden Jahreseinkommens.
§ 38. Soweit in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist, sind auf die Notstandshilfe die Bestimmungen des Abschnittes 1 sinngemäß anzuwenden."
Die Zitierung des § 12 Abs. 6 lit. a AlVG in der Begründung des angefochtenen Bescheides weist darauf hin, daß die belangte Behörde offensichtlich davon ausgeht, es habe zwischen dem Beschwerdeführer und K., dieser vertreten durch seinen Sachwalter Sch., ein Dienstverhältnis im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. a und Abs. 6 lit. a AlVG, das ist ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG (vgl. dazu u.a. das Erkenntnis vom 13. November 1990, Slg. Nr. 13.308/A) bestanden. Träfe dies zu, so wäre der angefochtene Bescheid nicht mit den behaupteten Verfahrensmängeln behaftet. Denn dann hätte es sich bei den dem Beschwerdeführer vom Sachwalter des K. für dessen Betreuung bzw. Pflege bezahlten Geldbeträgen - ungeachtet des Zutreffens der Behauptung, er habe davon seiner (von ihm zur Mitbetreuung des K. herangezogenen) Tochter für ihre Mithilfe Teilbeträge zur Verfügung gestellt - zur Gänze um ein ihm allein arbeitslosenversicherungsrechtlich zurechenbares Entgelt im Sinne des dann anwendbaren § 49 Abs. 1 ASVG (vgl. auch dazu das schon genannte Erkenntnis vom 13. November 1990, Slg. Nr. 13.308/A) gehandelt, weil in diesem Fall einerseits die (nach den unstrittigen Feststellungen) ohne Wissen des Sch. erfolgte Heranziehung seiner Tochter zur Mithilfe kein Beschäftigungsverhältnis zwischen ihr und K., vertreten durch Sch., begründete und andererseits die behaupteten Geldzahlungen des Beschwerdeführers an seine Tochter nicht einem der Tatbestände des § 49 Abs. 3 ASVG subsumiert werden könnten.
Die belangte Behörde hat aber in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht dargetan, aufgrund welcher Umstände sie zur Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen K., vertreten durch Sch., und dem Beschwerdeführer gelangt ist. Die bloße Feststellung, der Beschwerdeführer sei von Sch. namens des K. mit dessen Betreuung bzw. Pflege beauftragt worden, reicht hiefür nicht aus. Sollte aber der Betreuung des K. durch den Beschwerdeführer kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG zugrundegelegen haben, so wäre im Sinne des § 12 Abs. 1 iVm dem § 12 Abs. 3 lit. b, Abs. 6 lit. c und Abs. 9 AlVG zu prüfen gewesen, ob der Beschwerdeführer aus der selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 6 lit. c AlVG (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 13. November 1990, Slg. Nr. 13.308/A, und vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0202) "nach Maßgabe des Abs. 9", d.h. primär aufgrund des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 1993 bzw. - bis zur Erlassung und Vorlage dieses Bescheides - aufgrund der in § 12 Abs. 9 AlVG näher umschriebenen eidesstättigen Erklärung, ein monatliches Einkommen erzielt hat, das die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 lit. c AlVG (vgl. dazu u.a. das Erkenntnis vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0175) überschritten hat. Bei Zugrundelegung des nach § 12 Abs. 9 AlVG steuerrechtlich orientierten Einkommensbegriffes wären aber die behaupteten Zahlungen des Beschwerdeführers an seine Tochter für deren Mithilfe bei der Betreuung und Pflege des K. als Betriebsausgaben einkunftsmindernd zu berücksichtigen gewesen. Die "Einvernahme" der beiden beantragten Zeuginnen hätte deshalb - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - doch "für das gegenständliche Verfahren von Relevanz" sein können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Für das fortgesetzte Verfahren wird bemerkt, daß auch dann, wenn der Beschwerdeführer in den relevanten Zeiträumen im Sinne des § 12 Abs. 6 lit. c AlVG arbeitslos gewesen sein sollte, sein Einkommen gemäß § 5 Abs. 5 der Notstandshilfeverordnung iVm § 36 Abs. 3 lit. A sublit f AlVG zu berücksichtigen wäre.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996080090.X00Im RIS seit
18.10.2001