TE OGH 2021/10/20 5Ob42/21v

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Veröffentlicht am 20.10.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeindeverband *****, vertreten durch die Rechtsanwalt Dr. Manfred Buchmüller GmbH, Altenmarkt, gegen die beklagten Parteien 1. A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, und 2. S*****, vertreten durch die Mag. Friedrich Kühleitner Mag. Franz Lochbichler Rechtsanwälte – Strafverteidiger OG, Schwarzach, wegen 260.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. November 2021, GZ 6 R 130/20k-54, mit dem das Zwischenurteil des Landesgerichts Salzburg vom 20. August 2020, GZ 14 Cg 134/16t-48, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Der klagende Gemeindeverband war Bauherr eines in den Jahren 2006 und 2007 errichteten Seniorenheims. Der Erstbeklagten oblag die örtliche Bauaufsicht. Die Zweitbeklagte stellte das Wärmedämmverbundsystem (WDVS) an der Fassade her; sie begann mit diesen Arbeiten im Oktober 2006. Das Verfahren zwischen ihr und dem Kläger ruht aufgrund einer gemeinsamen Anzeige dieser Parteien. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Frage der Verjährung des vom Kläger gegen die Erstbeklagte erhobenen Schadenersatzanspruchs. Unstrittig ist, dass die Fassade beim Wärmedämmverbundsystem Mängel aufweist.

[2]       Die Erstbeklagte hatte nach dem Inhalt des mit dem Kläger abgeschlossenen Vertrags vom 28. 4. 2006 im Rahmen der örtlichen Bauaufsicht die Interessen des Auftraggebers vor Ort zu vertreten und das Hausrecht auf der Baustelle auszuüben. Auch die örtliche Überwachung der Herstellung des Bauwerks sowie die Abnahme der Bauleistungen unter Mitwirkung der an der Planung und Bauüberwachung fachlich Beteiligten (Sonderfachleute) mit Feststellung von Mängeln und Gewährleistungsfristen gehörte zum Leistungsumfang der Erstbeklagten. Es war auch vereinbart, dass deren Tätigkeit nicht mit der Übergabe der Schlussgebührennote endet, sondern sie auch die während der Gewährleistungszeit oder zeitlich darüber hinaus wegen eines Anspruchs auf Schadenersatz notwendigen örtlichen Besichtigungen oder die bei den aus diesem Titel erforderlichen Arbeiten anfallenden Überwachungs- und Koordinationstätigkeiten ohne gesonderte Honorierung zu erbringen hat.

[3]       Die Fassade wurde als Wärmedämmverbund-system (WDVS) ausgeführt, das aus Mineralwolle-Fassadendämmplatten, einem mineralischen, armierten Unterputz und einem organisch gebundenen Oberputz, GK 2 mm, Farbe weiß, besteht. Zwischen den Fassadendämmplatten und den Sockeldämmplatten besteht keine technische oder optische Trennung, Ober- und Unterputz wurden durchgehend aufgetragen.

[4]       Die Westfassade des Bewohnertrakts wurde im Dezember 2006 mit einer Schicht des armierten Unterputzes versehen, die danach frei der Witterung ausgesetzt war. Im Frühjahr 2007 wurde die Fassade fertiggestellt. Bei der im Spätherbst 2006 aufgebrachten ersten Unterputzschicht (Ausgleichsmörtel) kam es aufgrund der ungünstigen winterlichen Witterungsbedingungen zu Abbindestörungen und in der Folge zur Ausbildung einer „Kalksinterhaut“, wodurch die Haftung der im Frühjahr 2007 aufgetragenen nächsten Unterputzschicht geschwächt wurde. Dadurch konnte Feuchtigkeit in das Putzsystem eindringen, sodass sich zwischen der ersten Unterputzschicht vom Herbst 2006 und der zweiten Unterputzschicht aus dem Frühjahr 2007 (und dem weiteren Fassadenaufbau) großflächige Hohllagen in einer Gesamtstärke von ca 5 bis 8 mm bildeten. Da in die zweite Unterputzschicht ein Textilglasgitter eingelegt worden war, kam es zunächst zu keinem Ablösen des Oberputzes vom Unterputz und damit einhergehenden Putzabplatzungen, sodass die Hohllagen nur bei genauer Betrachtung der Fassade als leichte Aufwölbungen/Unebenheiten sichtbar waren. Risse bildeten sich in weiterer Folge zunächst im stärkeren und spröderen Unterputz und setzten sich allmählich im elastischeren Oberputz fort, jedoch in einem geringeren Ausmaß. Vom Auftreten eines Risses in der ersten Unterputzlage bis zur Wahrnehmbarkeit des Risses im Oberputz kann es bis zu sechs oder sieben Jahre dauern. Die Ursache für die Rissbildungen war erst nach einer zerstörenden Bauteilöffnung und gutachterlichen Untersuchung erkennbar. Putzablösungen traten erst nach der Rissbildung und massiver mehrjähriger Bewitterung inklusive Erosion der Zementsteinmatrix auf.

[5]       Im Frühjahr 2012 bemerkte der im Seniorenheim tätige Hausleiter in der Westfassade des Bewohnertrakts einen ersten Schaden in Form eines ca 75 cm bis 100 cm langen Vertikalrisses zwischen dem Erd- und erstem Obergeschoß. Er verständigte den Amtsleiter des Klägers, der einen Spannungsriss vermutete und einen Baumeister (den ehemaligen Baustellenkoordinator) mit der Überprüfung beauftragte. Dieser öffnete am 20. 7. 2012 die Fassade und stellte fest, dass es in der Stahlbetonkonstruktion keinen korrespondierenden Riss gab und schloss damit einen Setzungsriss aus. Dass bereits zu diesem Zeitpunkt Putzablösungen an der Fassade bestanden hätten, konnte nicht festgestellt werden.

[6]       Im November 2013 bemerkte der Hausleiter bei seiner jährlichen Überprüfung des Gebäudes Putzablösungen im Sockelbereich. Er hielt den Zustand fotografisch fest und übermittelte die Fotos am 25. 11. 2013 einem Mitarbeiter der Beklagten mit der Frage, ob es für diesen Schaden noch Gewährleistung oder Garantie gebe. Am 9. 12. 2013 antwortete der Mitarbeiter der Beklagten, dass er vor Ort gewesen sei, die Schäden an der Fassade in Teilbereichen schlimmer seien als die Fotos zeigten und er auch Risse oberhalb und im Bereich der Fenster festgestellt habe. Er schlug eine Begutachtung und Mängelbewertung durch ein Fassadenunternehmen im Frühjahr des kommenden Jahres vor und teilte mit, dass das ausführende Unternehmen (die Zweitbeklagte) nicht mehr existiere, und auch keine Gewährleistung oder Garantie mehr bestehe. In der Folge beauftragte der Kläger ein Fassadenunternehmen, das am 4. 7. 2014 eine schriftliche Stellungnahme über augenscheinliche Mängel verfasste, in der auf die Notwendigkeit der Bauteilöffnung und Prüfung des Systemaufbaus zur Ausarbeitung eines optimalen Sanierungsvorschlags hingewiesen wurde. Ende des Jahres 2014 beauftragte der Kläger einen Sachverständigen mit einer Bauteilöffnung und der Erstellung eines Gutachtens zu den Fassadenschäden. Der Sachverständige stellte erstmals am 16. 1. 2015 Schäden an der Fassade in Form von Rissen, Putzabplatzungen und Blasen fest. Witterungsbedingt konnte eine großflächigere Bauteilöffnung erst im Zug der zweiten Befundaufnahme am 15. 4. 2015 durchgeführt werden. In seinen gutachterlichen Stellungnahmen, die er im April und November 2015 erstattete, kam der Sachverständige zum Ergebnis, dass wesentliche Mängel und Schäden am Wärmedämmverbundsystem sowie im Bereich von An- und Abschlüssen bestehen, die er im Einzelnen auflistete. Über Vorschlag des Sachverständigen erfolgte am 29. 5. 2015 eine Besichtigung, an der unter anderem auch Mitarbeiter der Beklagten teilnahmen. Da keine Lösung gefunden werden konnte, fasste der Kläger am 30. 11. 2015 den Beschluss zur Klageführung. Dass bereits vor November 2013 eine Mehrzahl größerer Risse und Putzablösungen an der Fassade für einen Laien mit freiem Auge erkennbar gewesen wären und/oder der Kläger vor November 2013 Kenntnis von derartigen Schäden hatte, konnte nicht festgestellt werden.

[7]       Der Gemeindeverband erhob am 3. 2. 2016 Klage gegen die planende Architekt-GmbH und begehrte darin den Ersatz der Kosten für die Fassadensanierung. Dieses Verfahren wurde zu 1 Cg 13/16b des Erstgerichts geführt. Die hier Erstbeklagte trat diesem Verfahren als Nebenintervenientin auf Klägerseite bei. Die Klage wurde auf Basis des im dortigen Verfahren eingeholten Gutachtens wegen Verjährung abgewiesen, weil größere Risse bzw Putzablösungen bereits 2012 erkennbar gewesen seien und die Einholung einer Expertise zur Abklärung der Ursache auf der Hand gelegen habe, weswegen die Verjährungsfrist spätestens Ende 2012 zu laufen begonnen habe.

[8]       In diesem Verfahren begehrte der Kläger mit seiner am 24. 11. 2016 eingebrachten Klage von der Erstbeklagten als das für die örtliche Bauaufsicht zuständige Unternehmen die geschätzten Sanierungskosten für die gesamte Entfernung und Neuherstellung der Fassade unter Berücksichtigung eines Abzugs „neu für alt“. Im Jahr 2014 seien an den Fassaden des Seniorenheims und insbesondere am WDVS Feuchtigkeitsschäden aufgetreten. Erstmals sei der Schaden und dessen Ursachen für die klagende Partei aufgrund einer gutachterlichen Stellungnahme vom 16. 1. 2015 nach durchgeführter Bauteilöffnung erkennbar gewesen. Zuvor vorhandene Putzrisse hätten nicht auf Mängel am WDVS schließen lassen. Die Mängel hätten verhindert werden können, wenn die Erstbeklagte die Bauaufsicht ordnungsgemäß ausgeübt hätte.

[9]       Die Erstbeklagte wendete die Verjährung des Anspruchs ein. Bereits drei Jahre nach Fertigstellung des WDVS seien Risse an der Fassade erkennbar gewesen, die sich bis 2012 insofern vergrößert hätten, als es zu Putzablösungen gekommen sei, wovon der Kläger im Juli 2012 Kenntnis erhalten habe. Dies sei der späteste Zeitpunkt gewesen, um die Ursachen solcher Mängel durch die Expertise eines Fachmanns klären zu lassen. Die Verjährung habe daher spätestens 2012 begonnen. Aufgrund der Streitverkündung im Verfahren 1 Cg 13/16b des Erstgerichts seien die tragenden Feststellungen des Vorverfahrens hinsichtlich der Erkennbarkeit der Schäden zwischen den Parteien bindend.

[10]     Das Erstgericht stellte mit seinem Zwischenurteil fest, dass der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht verjährt sei. Es verneinte eine Bindung an den im Verfahren 1 Cg 13/16b zur Erkennbarkeit der Schäden festgestellten Sachverhalt, weil eine solche nur bei der Geltendmachung von Rückgriffsansprüchen einer Partei gegen den Nebenintervenienten in Betracht komme. Die Verjährungsfrist beginne mit dem Zeitpunkt zu laufen, indem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen soweit kenne, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden könne. Die Kenntnis müsse dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten. Ausnahmsweise könne, sofern eine Verbesserung des Wissensstands nur so möglich und dem Geschädigten das Kostenrisiko zumutbar sei, auch die Obliegenheit zur Einholung eines Sachverständigengutachtens angenommen werden. Eine solche Erkundigungsobliegenheit hätte auch den Kläger getroffen, weil ohne zerstörende Bauteilöffnung und entsprechende gutachterliche Untersuchungen die Schadensursache nicht erkennbar gewesen sei. Inwieweit der Kläger seiner Erkundigungsobliegenheit fristgerecht nachgekommen sei, spiele hier jedoch keine Rolle, weil nicht feststehe, dass er bereits vor November 2013 Kenntnis von Putzabplatzungen und/oder größeren Rissen in der Fassade gehabt habe bzw derartige auch für einen Laien mit freiem Auge erkennbaren Schäden an der Fassade vor November 2013 überhaupt bestanden hätten. Wenn aber der Kläger erst im November 2013 Kenntnis von Putzabplatzungen erlangt habe, die gegebenenfalls eine Erkundigungsobliegenheit ausgelöst hätte, so habe die Verjährungsfrist keinesfalls vor dem 24. 11. 2013 zu laufen beginnen können. Der mit Klage vom 24. 11. 2016 geltend gemachte Schadenersatzanspruch wegen nicht ordnungsgemäßer Durchführung der Bauaufsicht sei daher nicht verjährt.

[11]     Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Erstbeklagten Folge und änderte das Zwischenurteil des Erstgerichts dahin ab, dass es das Klagebegehren mit Endurteil abwies. Es teilte die Ansicht des Erstgerichts, dass keine Bindung an die im Vorverfahren getroffenen Feststellungen zur Erkennbarkeit der Schäden bestehe. Die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils erstrecken sich soweit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteilige, als diese Personen als Parteien eines Regressprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses im Widerspruch stünden. Der klagende Gemeindeverband nehme – wenngleich zeitlich versetzt – vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Bauprojekts zwei Auftragnehmer unabhängig voneinander wegen von diesen schuldhaft verursachter Schäden in Anspruch, und mache damit keinen Regressanspruch als eigenständige Anspruchsgrundlage geltend. Die Ansprüche des Klägers seien jedoch verjährt, weil – zusammengefasst – bereits der im Frühjahr 2012 vom Hausleiter als bautechnischem Laie bemerkte erste Schaden in Form eines ca 75 bis 100 cm langen Vertikalrisses zwischen Erdgeschoß und erstem Obergeschoß ein solches Schadensereignis gewesen sei, das den Kläger zur sofortigen Ursachenforschung veranlassen hätte müssen. Damit sei die Einholung eines Gutachtens auf der Hand gelegen; sie wäre angesichts der Kosten der Fassadensanierung auch wirtschaftlich sinnvoll gewesen. Demgegenüber habe der Kläger kein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, sondern sich damit begnügt, den ehemaligen Baukoordinator mit einer Überprüfung zu beauftragen. Der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist sei daher spätestens mit Ende 2012 anzusetzen. Da er erst im Dezember 2014 ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben und dessen Ergebnisse im April 2015 erhalten habe, habe der Kläger die von der Rechtsprechung grundsätzlich zugestandene Überlegungsfrist bei weitem überschritten.

[12]     Die Revision sei zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, inwieweit der Bauherr bei aufgetretenen Baumängeln seiner Erkundigungsobliegenheit nachkomme, wenn er mit der Ursachenforschung anstelle eines Sachverständigengutachtens bloß den Baustellenkoordinator und auch nicht die Bauaufsicht beauftrage.

Rechtliche Beurteilung

[13]     Die Revision des klagenden Gemeindeverbands ist zulässig, weil die Auffassung des Berufungsgerichts zum Beginn des Verjährungslaufs einer Korrektur im Einzelfall bedarf; sie ist auch berechtigt.

[14]     1.1 Ein Verstoß gegen die Bindungswirkung einer gerichtlichen Vorentscheidung bildet einen Nichtigkeitsgrund (RIS-Justiz RS0074226).

[15]     1.2 Hat das Berufungsgericht die Nichtigkeit infolge Verstoßes gegen die Bindungswirkung verneint, liegt insoweit ein gemäß § 519 Abs 1 ZPO unanfechtbarer Beschluss des Berufungsgerichts vor (RS0042981 [T6; T10] uva; Lovrek in Fasching/Konecny³ IV/1 § 503 ZPO Rz 26 ff). Hier hat das Berufungsgericht die Frage nach der Bindung an die im Verfahren zu 1 Cg 13/16b des Erstgerichts zur Erkennbarkeit der Schäden am Wärmedämmverbundsystem zugrunde gelegten Ergebnisse mit ausführlicher Begründung verneint. Damit ist diese Frage für das Verfahren in dritter Instanz abschließend geklärt (vgl RS0042981; Lovrek aaO § 503 ZPO Rz 26 ff). Auf die von der Zweitbeklagten in der Revisionsbeantwortung erneut aufgeworfene Frage nach der Bindungswirkung ist damit nicht einzugehen.

[16]     2. Der Kläger macht – zusammengefasst – geltend, die Erkundungsobliegenheit des Geschädigten, um den Ursachenzusammenhang zu erkunden, dürfe nicht überspannt werden; nur ausnahmsweise, sofern sein Wissensstand nicht anders verbessert werden könne und dem Geschädigten das Kostenrisiko zumutbar sei, sei die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich. Ausgehend von den in diesem Verfahren getroffenen (Negativ-)Feststellungen könne der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist nicht vor November 2013 angesetzt werden. Der Verjährungseinwand verstoße darüber hinaus – aus näher dargelegten Gründen – gegen Treu und Glauben und sei somit sittenwidrig.

[17]     3.1 Die Vorinstanzen haben die in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung vorgegebenen Grundsätze zur Verjährung von Schadenersatzansprüchen, zum Beginn der Verjährungsfrist und zur Erkundigungspflicht des Geschädigten zutreffend wiedergegeben.

[18]           3.2 Schadenersatzansprüche verjähren in drei Jahren ab dem Zeitpunkt, zu dem der Eintritt des Schadens und die Person des Ersatzpflichtigen dem Geschädigten soweit bekannt wurden, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg eingebracht werden kann (RS0034524). Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch den Ursachenzusammenhang zwischen dem Schaden und einem bestimmten dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RS0034951 [T1; T2; T4; T7]). Zwar muss dem Geschädigten der anspruchsbegründende Sachverhalt nicht in allen Einzelheiten bekannt sein, er muss aber in der Lage sein, das zur Anspruchsverfolgung erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RS0034524 [T24; T25]). Bloße Mutmaßungen genügen nicht (RS0034524 [T18]). Hat ein geschädigter Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, beginnt die Verjährung nicht zu laufen (RS0034603). Nur wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme in dem Zeitpunkt erlangt, in dem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RS0034327; RS0034335). Die Erkundigungspflicht des Geschädigten darf aber nicht überspannt werden (RS0034327 [T6]; RS0034524 [T48]). Es braucht deutliche Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt im Sinn konkreter Verdachtsmomente, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden (RS0034327 [T42]). Wenn die Kenntnis des Kausalzusammenhangs und bei verschuldensabhängiger Haftung die Kenntnis der Umstände, die das Verschulden begründen, Fachwissen voraussetzt, beginnt die Verjährungsfrist regelmäßig erst dann zu laufen, wenn der Geschädigte durch ein Sachverständigengutachten Einblick in die Zusammenhänge erlangt hat (RS0034603 [T23]). Grundsätzlich ist er nicht verpflichtet, ein Privatgutachten einzuholen (RS0034327 [T2]). Im Einzelfall kann aber – wenn eine Verbesserung des Wissensstands nur so möglich und dem Geschädigten das Kostenrisiko zumutbar ist – auch die Einholung eines Privatgutachtens als Obliegenheit des Geschädigten angesehen werden (RS0034327 [T10]). Dem Geschädigten ist in einem solchen Fall eine angemessene Überlegungsfrist zuzugestehen (3 Ob 65/17f mwN).

[19]     3.3 Die Rechtsprechung nimmt eine Wissenszurechnung durch jene Personen (Wissensvertreter) an, die – sowohl als selbständige Dritte als auch Gehilfen – vom Geschäftsherrn damit betraut wurden, Tatsachen, deren Kenntnis rechtserheblich ist, entgegenzunehmen oder anzuzeigen. Soweit es auf das Wissen des Geschäftsherrn ankommt, wird ihm dabei das Wissen des Wissensvertreters als eigenes zugerechnet, sodass die an sein Wissen geknüpften Rechtsfolgen – etwa die Auslösung einer Erkundigungspflicht – zum Nachteil des Geschäftsherrn eintreten können (RS0065360 [T10; T11]). Das Wissen sowohl seines Amtsleiters als auch des Hausleiters sind dem Kläger in diesem Sinn zuzurechnen.

[20]     3.4 Die Behauptungs- und Beweislast für die den Eintritt der Verjährung begründenden Umstände, den Beginn der Verjährungsfrist und die relevante Kenntnis zu einem bestimmten Zeitpunkt trifft denjenigen, der die Verjährungseinrede erhebt, hier also die Erstbeklagte. Das gilt auch dann, wenn sich der Beklagte darauf beruft, der Geschädigte hätte seine Erkundigungsobliegenheit verletzt (3 Ob 33/20d mwN).

[21]     4.1 Geht man von den – vom Berufungsgericht gebilligten – Feststellungen des Erstgerichts im vorliegenden Fall aus, wäre die Erkundigungspflicht des Klägers überspannt, wollte man ihm – wie das Berufungsgericht – vorhalten, er hätte bereits im Frühjahr 2012, nachdem der Hausleiter erstmals an der Westfassade einen 75 bis 100 cm langen Vertikalriss bemerkt und gemeldet hatte, sogleich ein Sachverständigengutachen zur Abklärung des Ursachenzusammenhangs in Auftrag geben müssen.

[22]     4.Ursache für den Schaden an der Fassade sind Hohllagen zwischen dem im Spätherbst 2006 aufgetragenen ersten Unterputz und der im Frühjahr 2007 angebrachten zweiten Unterschicht. Diese Ursache war jedoch erst nach einer zerstörenden Bauteilöffnung und gutachterlichen Untersuchung erkennbar. Eine erste (geringfügige) Öffnung der Fassade erfolgte zwar am 20. 7. 2012 durch den vom Kläger beauftragen Baumeister (den Baustellenkoordinator). Dass es zu diesem Zeitpunkt bereits zu Putzablösungen gekommen war, konnte aber gerade nicht festgestellt werden. Damit fehlte es nach dem hier maßgebenden Sachverhalt vor November 2013, als eine Mehrzahl größerer Risse und Putzablösungen an der Fassade für einen Laien erkennbar waren, an Anhaltspunkten für den Kläger, die wesentliche Mängel und Schäden am Wärmedämmverbundsystem vermuten lassen hätten können. Bei einem vereinzelten Riss liegt es keineswegs auf der Hand, dass das Wärmedämmverbundsystem insgesamt schadhaft sein könnte, und nicht bloß ein lokal sanierbarer Mangel vorliegt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts begründet es daher auch keinen Verstoß gegen die Erkundigungsobliegenheit, dass der Amtsleiter nach Kenntnis eines Vertikalrisses einen Spannungsriss vermutete und zur Abklärung einen Baumeister beauftragte, der eine Setzung des Gebäudes ausschließen konnte und damit offenbar ebenfalls von einem Setzungsriss ausging. Es mag zutreffen, wie das Berufungsgericht argumentiert, dass die Expertise des im Namen des Klägers beigezogenen Baumeisters und Baustellenkoordinators nicht den Kriterien eines nach der Rechtsprechung allenfalls zur Abklärung des Ursachenzusammenhangs gebotenen Gutachtens durch einen Sachverständigen entspricht. Warum aber bereits ein einzelner Riss den Kläger – über die Abklärung, ob ein Spannungs- oder Setzungsriss vorliegt, hinaus – zu einer gutachterlichen Untersuchung verbunden mit einer zerstörenden Bauteilöffnung veranlassen hätte müssen, erschließt sich dem erkennenden Senat nicht.

[23]           4.3 Anders als in dem zu 1 Cg 13/16b des Erstgerichts entschiedenen Fall, konnten für Laien erkennbare Putzabblätterungen und Risse größerer Anzahl für die Zeit vor November 2013 im hier zu beurteilenden Fall nicht festgestellt werden, sodass nach Ansicht des erkennenden Senats für den Kläger bis dahin auch keine Veranlassung bestanden hat, ein Sachverständigengutachten zur Abklärung des Ursachenzusammenhangs in Auftrag zu geben. Da ihm vor Einholung eines solchen Gutachtens eine angemessene Überlegungsfrist zuzugestehen ist und er ohnedies sofort weitere Maßnahmen zur Feststellung der Schadensursache veranlasste, waren die Ansprüche gegenüber der Erstbeklagten bei Klageerhebung im November 2016 entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht verjährt.

[24]     5. Mit einem Zwischenurteil über die Verjährung wird über den Einwand, der mit der Klage prozessual geltend gemachte Anspruch oder einer von mehreren Ansprüchen sei verjährt, abgesprochen (4 Ob 145/18d). Da das Erstgericht ausdrücklich nur die mit der Klage vom 24. 11. 2016 geltend gemachten Ansprüche zum Gegenstand seines Zwischenurteils gemacht hat, sind allfällige weitere Ansprüche des Klägers nicht Gegenstand dieses Zwischenverfahrens. Soweit der Kläger auf die in den Entscheidungsgründen des Erstgerichts angenommene Verjährung von mit Schriftsatz vom 27. 9. 2019 geltend gemachter Anspruchsgrundlagen Bezug nimmt, hat bereits das Berufungsgericht aus Anlass der Zurückweisung seiner aus diesem Grund erhobenen Berufung zutreffend auf die mangelnde Beschwer hingewiesen. Auf seine diesbezüglichen Ausführungen ist daher nicht einzugehen. Sollte sich seine Annahme, der Verjährungseinwand der Erstbeklagten verstoße gegen Treu und Glauben und sei daher sittenwidrig, nicht nur auf die mit Schriftsatz vom 27. 9. 2019 geltend gemachten (weiteren) Anspruchsgrundlagen, sondern auch auf die mit Klage vom 24. 11. 2016 erhobenen Ansprüche beziehen, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

[25]     6. In Stattgebung der Revision des Klägers ist das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

[26]           7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO.

Textnummer

E133325

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00042.21V.1020.000

Im RIS seit

23.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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