TE Lvwg Erkenntnis 2021/10/11 LVwG-VG-9/002-2021

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.10.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.10.2021

Norm

LVergabenachprüfungsG NÖ 2003 §4
LVergabenachprüfungsG NÖ 2003 §6
LVergabenachprüfungsG NÖ 2003 §12
LVergabenachprüfungsG NÖ 2003 §16
BVergG 2018 §48
BVergG 2018 §88 Abs6
BVergG 2018 §141

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung durch seinen Vergabesenat 1 unter dem Vorsitz von Hofrat Mag. Dr. Becksteiner und Hofrat Mag. Dr. Schwarzmann als Berichterstatter und Dr. Sebastian Kutsche, LL.M. als weiteren Berufsrichter sowie Mag. Markus Fischer und Mag. Dr. Monika Stief-Kótrnec als fachkundige Laienrichter über den Antrag der Bietergemeinschaft A GmbH und B GmbH, ***, ***, vertreten durch C Rechtsanwälte GmbH & Co KG, ***, ***, vom 16.8.2021 auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 9.8.2021 in der Vergaberechtssache „Reinigungsdienstleistungen 2021“ (Öffentlicher Auftraggeber: D GmbH, ***, ***; vertreten durch E Rechtsanwälte GmbH, ***, ***; mitbeteiligte Partei: Bietergemeinschaft F GmbH, G GmbH und H GmbH, ***, ***, vertreten durch I Rechtsanwälte GmbH & Co KG, ***, ***), zu Recht erkannt:

1.   Der Antrag der Bietergemeinschaft A GmbH und B GmbH vom 16.8.2021 auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 9.8.2021 wird abgewiesen.

2.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§§ 4, 6, 12, 16 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz

§ 48 Bundesvergabegesetz 2018 – BVergG 2018

§ 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG

§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Die D GmbH ist öffentlicher Auftraggeber im Vergabeverfahren „Reinigungsdienstleistungen 2021“. Es handelt sich um ein Verhandlungsverfahren mit vorheriger EU-weiter Bekanntmachung gemäß BVergG 2018 nach den Bestimmungen für den Oberschwellenbereich zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrages (Reinigungsdienstleistungen für das Sport- und Freizeitzentrum „J“). Die Vergabe erfolgt nach dem Bestbieterprinzip. Als vergebende Stelle fungiert K.

Mit Schriftsatz vom 16.8.2021 hat die Bietergemeinschaft A GmbH und B GmbH (im Folgenden: „Antragstellerin“) unter anderem

(1.) die Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 9.8.2021,

(2.) die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit welcher dem öffentlichen Auftraggeber für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens die Zuschlagserteilung untersagt wird, und

(3.) den Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren beantragt und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Antragstellerin habe fristgerecht einen Teilnahmeantrag gelegt, sei zur Angebotsabgabe eingeladen worden und habe fristgerecht ein ausschreibungskonformes Erst- sowie Letztangebot gelegt. Nach Ablauf der Letztangebotsfrist sei mit E-Mail vom 6.5.2021, 15:00 Uhr, ein neuer Abgabetermin mit 7.5.2021, 10:00 Uhr, festgelegt und mitgeteilt worden, dass keine elektronische Signatur erforderlich sei. Mit E-Mail vom 9.8.2021 habe der Auftraggeber mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag der Bietergemeinschaft F GmbH / G GmbH / H GmbH (im Folgenden: „mitbeteiligte Partei“) zu erteilen. Aufgrund der bisherigen Beteiligung der Antragstellerin am gegenständlichen Vergabeverfahren seien Kosten angefallen. Diese Aufwendungen würden jedenfalls frustriert sein, wenn die gegenständlichen Vergaberechtswidrigkeiten bestehen bleiben würden und die Antragstellerin den gegenständlichen Auftrag nicht erhielte. Bestandteil des Schadens seien auch die Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung im Nachprüfungsverfahren. Darüber hinaus entginge der Antragstellerin durch die Aufrechterhaltung der angefochtenen Entscheidung die Chance auf die Erlangung eines wichtigen Referenzprojektes für künftige Vergabeverfahren. Die Festsetzung eines neuen Abgabetermins nach Ablauf der Letztangebotsfrist und die Festlegung, dass für eine Abgabe zu diesem ein Abgabetermin ohne elektronische Signatur erforderlich sei, seien jedenfalls vergaberechtswidrig. Bei vergaberechtskonformer Vorgehensweise hätte der Auftraggeber keinen neuen Abgabetermin festsetzen dürfen und der Bestbieterermittlung ausschließlich jene Angebote zu Grunde legen dürfen, die fristgerecht innerhalb der am 6.5.2021, 12:00 Uhr, abgelaufenen Angebotsfrist eingelangt und rechtsgültig gefertigt worden seien. Die Antragstellerin gehe davon aus, dass ihr Angebot bei einer vergaberechtskonformen Vorgehensweise an erster Stelle zu reihen und dementsprechend der Antragstellerin der Zuschlag zu erteilen wäre. Nach ständiger Rechtsprechung sei eine Änderung von Angeboten bzw. Verhandlungen über den Angebotsinhalt nach Ablauf der Letztangebotsfrist jedenfalls unzulässig. Dies verstoße gegen den Grundsatz eines freien und lauteren Wettbewerbs, den Grundsatz der Bietergleichbehandlung sowie den Transparenzgrundsatz. Dies dürfe jedenfalls auch nicht dadurch umgangen werden, dass nach Ablauf der Angebotsfrist ein neuerlicher Abgabetermin festgesetzt werde. Hierbei handle es sich insoweit auch nicht um eine Erstreckung, sondern um eine neuerliche Angebotsfrist bzw. um eine Art Wiedereröffnung der Angebotsfrist. Als vermeintlicher Grund für die Setzung eines neuen Abgabetermins sei vom Auftraggeber angeführt worden, dass ein Signaturdienst (L) nicht verfügbar gewesen sei. Soweit dies überhaupt zutreffe, sei festzuhalten, dass die rechtsgültige Unterfertigung seines Angebots Sache des Bieters sei. Dies habe damit nichts zu tun, ob der Server des Auftraggebers empfangsbereit sei oder nicht. Das Angebot „reise“ nach der Rechtsprechung insoweit auf Risiko des Bieters. Die Festsetzung eines neuen Abgabetermins nach Ablauf der Letztangebotsfrist sei jedenfalls rechtswidrig gewesen, gegebenenfalls sei in einem solchen Fall das Vergabeverfahren zu widerrufen. Auch die nach Ablauf der Letztangebotsfrist erfolgte Festlegung, dass für Angebote, die zum Abgabetermin am 7.5.2021, 10:00 Uhr, abgegeben werden, keine elektronische Signatur erforderlich sei, sei rechtswidrig. Nicht rechtsgültig unterfertigte Angebote seien nach ständiger Rechtsprechung auszuscheiden und kämen für einen Zuschlag nicht in Betracht. Die Antragstellerin gehe davon aus, dass nach eben diesen genannten Maßgaben auch das Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin auszuscheiden und im Rahmen der Bestbieterermittlung nicht zu berücksichtigen gewesen wäre.

Die mit diesem Nachprüfungsantrag auch beantragte einstweilige Verfügung wurde mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 23.8.2021, LVwG-VG-9/001-2021, erlassen und dem Auftraggeber für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens untersagt, den Zuschlag zu erteilen.

Der öffentliche Auftraggeber, die D GmbH, hat seinen Vergabeakt vorgelegt und mit Schriftsatz vom 27.8.2021 die Zurück- bzw. Abweisung des Nachprüfungsantrages beantragt und im Wesentlichen wie folgt dazu vorgebracht: Es handle sich um ein elektronisch durchgeführtes Vergabeverfahren. Bis zum Ende der Erstangebotsfrist am 6.4.2021 seien Erstangebote eingelangt, und mit den betreffenden Bietern seien am 14.4.2021 Verhandlungsrunden abgehalten worden. Am 26.4.2021 seien diese Bieter zur Abgabe eines Last and Best Offer eingeladen worden, wobei als Abgabetermin der 6.5.2021, 12:00 Uhr (Einlangen), festgelegt worden sei. Bieter hätten bei ihrem Versuch, ihr Letztangebot hochzuladen, festgestellt, dass zwar das Hochladen der Unterlagen, nicht jedoch die Angebotsabgabe mittels elektronischer Signatur möglich gewesen sei. Ein Bieter habe diesbezüglich am 6.5.2021, 12:00 Uhr, der vergebenden Stelle davon berichtet, welche ihrerseits die Beschaffungsplattform P kontaktiert habe. Nachforschungen hätten ergeben, dass zumindest eine Stunde vor dem Ende der Letztangebotsfrist bis zum Ablauf derselben der Signaturdienst, der von der L GmbH („L“) betrieben werde, nicht zur Verfügung gestanden habe. Daraufhin habe die vergebende Stelle die Letztangebotsfrist auf den folgenden Tag (7.5.2021, 10:00 Uhr, einlangend) verlängert. Dies sei allen verbliebenen Bietern über die Beschaffungsplattform mitgeteilt und die Möglichkeit eingeräumt worden, ihre Angebote bis dahin einzureichen oder neu hochzuladen. Weiters sei festgelegt worden, dass eine elektronische Signatur zur Angebotsabgabe nicht erforderlich sei, da nicht gesichert gewesen sei, dass der Signaturdienst bis zum neuen Abgabetermin wieder einwandfrei zur Verfügung stehen würde. Mit Ablauf der Frist seien Angebote aller verbliebenen Bieter eingelangt und erst nach Ende der verlängerten Letztangebotsfrist geöffnet worden; eine Öffnung zu einem früheren Zeitpunkt sei nicht erfolgt. Nach Prüfung der Angebote und Bewertung nach den Zuschlagskriterien sei die mitbeteiligte Partei als Bestbieterin hervorgegangen. Die Zuschlagsentscheidung vom 11.5.2021 sei vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit Erkenntnis vom 5.7.2021, LVwG-Vg-7/002-2021, für nichtig erklärt worden. Mit Schreiben vom 9.8.2021 habe der Auftraggeber die neuerliche Zuschlagsentscheidung an die verbliebenen Bieter übermittelt.

Das Letztangebot der Antragstellerin widerspreche den Ausschreibungsunterlagen und sei daher auszuscheiden. Im Angebotsblatt, das integrierender Bestandteil der Ausschreibung sei, seien in der Spalte „GS" Objektbesonderheiten definiert, welche bei der Kalkulation der Angebote verpflichtend zu berücksichtigen seien; u.a. seien in dieser Spalte zu kalkulierende Reinigungsdauern ausgewiesen. Im Begleitschreiben zum Letztangebot der Antragstellerin werde hingegen wiederholt angegeben, dass bei der Kalkulation von den Vorgaben der Antragsgegnerin abgewichen worden sei, da die Antragstellerin ihre eigenen Erfahrungswerte angesetzt habe. Angebote, deren Kalkulation gegen die Vorgaben in der Ausschreibungsunterlage verstoße, seien auszuscheiden. Der Antragstellerin komme daher keine Antragslegitimation zur Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung zu, weshalb ihr Nachprüfungsantrag zurückzuweisen sei.

Die Antragstellerin habe die Festlegung des Auftraggebers vom 6.5.2021, dass die Letztangebotsfrist verlängert werde und für die Angebotsabgabe keine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich sei, nicht binnen zehn Tagen angefochten. Diese Festlegung sei daher bestandsfest und unanfechtbar geworden. Auch aus diesem Grund sei der Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Gemäß § 48 Abs. 8 BVergG 2018 habe der Auftraggeber für den Fall, dass die für die Durchführung des Vergabeverfahrens verwendeten Server nicht durchgehend empfangsbereit seien, die betreffenden Fristen zu verlängern. Das Funktionieren des Signaturdienstes sei unter die Empfangsbereitschaft der Server zu subsumieren, weshalb die Angebotsfrist bei einem Ausfall verpflichtend entsprechend zu erstrecken sei. Im gegenständlichen Fall habe der Auftraggeber bzw. die vergebende Stelle erst mit Fristende bzw. eine Minute danach erfahren, dass die elektronische Infrastruktur beim Signaturdienst L nicht verfügbar und damit die Angebotsabgabe nicht möglich gewesen sei. Ihm sei daher nicht möglich gewesen, die Frist vor deren Ablauf zu verlängern. Würde man der Argumentation der Antragstellerin folgen, wonach eine Fristverlängerung im gegenständlichen Fall nicht zulässig gewesen sei, würde dies bedeuten, dass dem Auftraggeber ein rechtmäßiges Alternativverhalten nicht möglich wäre. Gleichzeitig würde die Antragstellerin in völlig ungerechtfertigter Weise von einem elektronischen Problem des Signaturdienstleisters profitieren, da die konkurrierenden Bieter ihre Angebote trotz offener Frist nicht mehr abgeben hätten können, was mit dem Grundsatz der Bietergleichbehandlung nicht vereinbar wäre. Mangels einschlägiger österreichischer Judikatur zu diesem Spezialfall werde auf die deutsche Rechtsprechung verwiesen. Demnach seien die Rechtsfolgen, die bei technischen Schwierigkeiten bei der Angebotsabgabe auftreten, danach zu beurteilen, wessen Sphäre sie zuzuordnen seien. Schwierigkeiten auf Auftraggeberseite dürften nicht zu Lasten der Anbieterseite gehen. So sei es unzulässig, ein verspätet eingelangtes Angebot auszuscheiden, wenn der verspätete Eingang auf elektronische Probleme in der Sphäre des Auftraggebers zurückzuführen sei. Im Fall verspätet eingelangter Angebote müsse unterschieden werden, welcher Sphäre die Verspätung zuzurechnen sei: Sei sie vom Auftraggeber zu vertreten, hätten diese Angebote weiterhin Berücksichtigung zu finden. Es könne schließlich nicht ein IT-Problem des Auftraggebers zulasten der Bieter gehen. Allerdings sei zu beachten, dass in Österreich - anders als in Deutschland - ein verspätetes Hochladen von Angeboten auf Vergabeplattformen technisch gar nicht möglich sei. Aufgrund einer technischen Sperre werde nämlich ab Ende der Angebotsfrist jeder Abgabevorgang (sei es das Hochladen von Unterlagen oder das Signieren von Angeboten) automatisiert abgebrochen. Ohne Zutun des Auftraggebers (bzw. des Plattformbetreibers) könne dieser Vorgang auch nicht wieder gestartet werden. Die einzige Möglichkeit, um die von der oben zitierten Rechtsprechung vorgegebenen Grundsätze auch in Österreich zu beachten, sei, die Angebotsfrist (auch nach deren Ablauf) manuell zu verlängern und diese Verlängerung den Bietern transparent zur Kenntnis zu bringen. Ein Widerruf des Vergabeverfahrens würde gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit des Vergabeverfahrens verstoßen. Der Auftraggeber habe somit rechtmäßig die Angebotsfrist verlängert. Die Festlegung des Auftraggebers, wonach für die Abgabe der Letztangebote keine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich sei, sei dem Umstand geschuldet, dass ihm unbekannt gewesen sei, wie lange die Störung des Signaturdienstes fortbestehen werde. Das Erfordernis einer rechtsgültigen Unterfertigung der Angebote sei dadurch nicht aufgehoben worden. Da die präsumtive Zuschlagsempfängerin ihr Angebot ohnehin mit einer qualifizierten elektronischen Signatur verschlüsselt habe, könne der Antragstellerin (selbst bei angenommener Rechtswidrigkeit der Festlegung) kein Schaden entstanden sein. Sämtliche Angebote seien erst nach Ende der neu festgesetzten Angebotsfrist geöffnet worden. Weder der Auftraggeber noch ein Bieter hätten vor Fristende etwas über den Inhalt der Angebote erfahren können; eine Manipulation aus diesem Grund sei also ausgeschlossen.

Mit Schriftsatz vom 27.8.2021 hat die präsumtive Zuschlagsempfängerin, die Bietergemeinschaft F GmbH, G GmbH und H GmbH, fristgerecht binnen 10 Tagen ab der Verständigung durch das Landesverwaltungsgericht begründete Einwendungen erhoben und die Zurück- bzw. Abweisung des Nachprüfungsantrages im Wesentlichen mit folgender Begründung beantragt: Sie habe sich am gegenständlichen Vergabeverfahren beteiligt und ein ausschreibungskonformes und ordnungsgemäßen Letztangebot abgegeben. Sollte ihr der Zuschlag nicht erteilt werden, drohe ihr ein evidenter Schaden.

Unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Verlängerung der Angebotsfrist am 6.5.2021 sei diese jedenfalls damals rechtlich wirksam und gültig gewesen. Der Auftraggeber habe ausdrücklich eine „Fristverlängerung“ vorgesehen (und nicht etwa deren „Wiedereröffnung“). Das bedeute schon nach dem Wortlaut, dass der Auftraggeber ein Weiterlaufen der Angebotsfrist über den ursprünglichen Endzeitpunkt hinaus festgelegt habe. Diese gesondert anfechtbare Entscheidung sei nicht fristgerecht von der Antragstellerin angefochten worden und daher bestandsfest.

Die in § 48 Abs. 8 BVergG 2018 enthaltenen Voraussetzungen für die Verlängerung der Angebotsfrist bei technischen Gründen seien im konkreten Fall vorgelegen. Der gesetzliche Begriff des „empfangsbereiten Servers“ sei technisch weit zu verstehen und umfasse jegliche Art von technischen Gründen, also Gebrechen und sonstige Probleme der auftraggebereigenen oder der von ihm von einem Dritt-Dienstleister (AG-Subunternehmer) herangezogenen technischen Abwicklungseinrichtung („Vergabeplattform“). Ein empfangsbereiter Server sei schon dann nicht gegeben, wenn das Signieren des Angebots auf der vorgegebenen Plattform nicht möglich bzw. der freie und gleichzeitige Zugang zum Server zum ordnungsgemäßen Hochladen des Angebots aus welchem technischen Grund auch immer nicht gegeben sei, also wenn der Bieter sein Angebot technisch nicht ordnungsgemäß „am Server“ abgeben könne. Prinzipiell sei der Bieter für das rechtzeitige und ordnungsgemäße Einlangen des Angebots verantwortlich. Das gelte aber nicht, wenn die Gründe und Probleme in der Sphäre des Auftraggebers lägen. Diese könnten nicht zu Lasten der Bieter gehen, vielmehr sei der Auftraggeber gefordert, Abhilfe zu schaffen. Ein vom Auftraggeber herangezogener externer Betreiber einer technischen Abwicklungseinrichtung „Vergabeplattform“) sei als Subunternehmer des Auftraggebers und damit als dessen Erfüllungsgehilfe anzusehen. Nach Kenntnisstand der mitbeteiligen Partei hätten Probleme mit der Schnittstelle der Plattform mit dem verpflichtend zu verwendenden Signaturdienst L für mehrere Stunden die Signatur von Angeboten auf der Plattform generell unmöglich gemacht, und zwar beginnend am 6.5.2021 um 10:00 Uhr. Das falle unzweifelhaft in die Sphäre des Auftraggebers. Der mitbeteiligten Partei seien keinerlei Versäumnisse oder Sorgfaltswidrigkeiten vorzuwerfen. Sie habe die Funktionstüchtigkeit der Vergabeplattform und ihres eigenen Vorgehens auch insofern getestet, als sie bereits etwa eine Stunde vor Ende der ursprünglichen Angebotsfrist erfolgreich ein vollständiges und signiertes Angebot abgegeben habe. In der Folge habe sie sodann noch eine (innerhalb der Angebotsfrist zulässige) lediglich punktuelle Angebotsänderung vorgenommen. Und auch dabei habe sie alle erforderlichen Unterlagen ordnungsgemäß hochgeladen (was technisch weiterhin funktioniert hatte). Nur das Signieren dieser Änderung sei auf Grund des in die Sphäre des Auftraggebers fallenden Gebrechens nicht mehr möglich gewesen. § 48 Abs. 8 BVergG 2018 regle bei „fehlender Verfügbarkeit des Systems“ die Pflicht des Auftraggebers, die Angebotsfrist zu verlängern. Berücksichtige man, dass der Auftraggeber bei einem kurz vor Ende der Angebotsfrist auftretenden „Serverausfall“ überhaupt erst Kenntnis davon erlangen muss, bevor er die Frist verlängert (verlängern muss), kommt es in derartigen Fällen zur Verlängerung zumeist sicherlich erst nachdem die Frist ohne Verlängerung bereits überschritten wäre. Trotzdem spreche man dabei von einer „Verlängerung“ (und nicht etwa von einer Neufestsetzung oder Wiedereröffnung). Dass diese Verlängerung im vorliegenden Fall sogar erforderlich gewesen sei, resultiere auch aus den vergaberechtlichen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und der Gleichbehandlung der Bieter. Bei Vorliegen auftraggeberseitiger technischer Empfangsprobleme könne es auch keinen Unterschied machen, ob die ursprüngliche Frist noch aufrecht oder bereits abgelaufen sei. Solche Probleme dürften bei der Angebotsabgabe nicht zulasten des Bieters gehen. Die mitbeteiligte Partei habe schon vor Ende der ursprünglichen Angebotsfrist ein vollständiges und signiertes Angebot abgegeben. Eine allfällige Verspätung des Angebots der mitbeteiligten Partei könne – wenn überhaupt – nur die eine punktuell vorgenommene Angebotsänderung betreffen. Ihr Angebot dürfe nicht ausgeschieden werden. Die Vergabeplattform P habe zusammengefasst gerade für einen sensiblen Zeitraum vor Ende der Letztangebotsfrist die freie und gleichbehandelnde Abgabe von Angeboten in der vorgesehenen Form nicht zugelassen, was in die Sphäre des Auftraggebers falle und dessen Verpflichtung gemäß § 48 Abs. 8 BVergG 2018 ausgelöst habe. Sollte man diese Verlängerung als nicht zulässig ansehen, wäre diese Rechtswidrigkeit aber nicht wesentlich, da das Letztangebot der mitbeteiligten Partei auch dann nicht ausgeschieden werden dürfte. Die ebenso wie die Verlängerung der Angebotsfrist im Mail vom 6.5.2021 gleichzeitig vorgenommene Festlegung zur Unterfertigung der Angebote sei mangels rechtzeitiger Anfechtung (bis 16.5.2021) ebenso bestandsfest geworden und daher nicht mehr aufgreifbar. Darüber hinaus wäre eine allfällige Rechtswidrigkeit bezogen auf die mitbeteiligte Partei jedenfalls nicht wesentlich, da sie ihr Angebot ohnedies qualifiziert elektronisch signiert habe.

Mit Schriftsatz vom 10.9.2021 hat der Auftraggeber die Chronologie der Letztangebotsabgabe der präsumtiven Zuschlagsempfängerin wie folgt beschrieben:

Als Abgabefrist für das Letztangebot sei der 6.5.2021, 12:00 Uhr (Einlangen), festgelegt worden. Während der laufenden Angebotsfrist sei von der mitbeteiligten Partei ein Angebot auf das Beschaffungsportal hochgeladen und rechtsgültig mit einer qualifizierten elektronischen Signatur verschlüsselt worden; dieses sei mit dem Zeitstempel 6.5.2021, 11:30:57 ausgewiesen. In weiterer Folge habe die mitbeteiligte Partei ein einzelnes Dokument ihres Angebotes, nämlich eine xlsx-Datei gegen eine andere xlsx-Datei austauschen wollen. Technisch sei dabei das Angebot zurückgezogen worden (da ansonsten kein Austausch von Dokumenten möglich gewesen wäre), die bereits hochgeladenen Dateien seien allerdings wie vorgesehen im Bearbeitungsbereich des Bieters vorhanden geblieben und nicht gelöscht worden. Dieser vergaberechtlich zulässige Austausch habe ein neues Signaturerfordernis ausgelöst. Die mitbeteiligte Partei habe ab 11:58:37 insgesamt sechs Mal versucht, das Angebot abzugeben und den Signiervorgang eingeleitet, aufgrund des technischen Problems im Bereich des Signaturdienstes L sei die Abgabe aber nicht möglich gewesen. Das zuvor signierte Angebot sei auf der Vergabeplattform als Relikt der ursprünglichen Abgabe verblieben und wäre, wenn der neuerliche Signiervorgang abgeschlossen werden hätte können, überschrieben worden. Auf dem Beschaffungsportal existierten somit nicht zwei Angebote der mitbeteiligten Partei parallel, sondern lediglich das Angebot vom 6.5.2021, 11:30 Uhr, ergänzt um die ausgetauschte xlsx-Datei. Die zurückgezogene xlsx-Datei stehe aufgrund der Löschung dem Auftraggeber nicht mehr zur Verfügung, und ihr Inhalt sei dem Auftraggeber nicht bekannt, da er vor Angebotsöffnung keine Einsicht in Angebote nehmen könne. Obwohl eine qualifizierte elektronische Signatur des Letztangebotes aufgrund der Festlegung des Auftraggebers nicht erforderlich gewesen sei, seien die allgemeinen Ausschreibungs- und Angebotsbestimmungen seitens sämtlicher Mitglieder der mitbeteiligten Partei bis 6.5.2021, 17:20 Uhr, manuell signiert worden.

Die Antragstellerin hat mit Eingabe vom 27.9.2021 im Wesentlichen wie folgt repliziert: Der Auftraggeber habe in der Objektbeschreibung einiger Positionen indikative Minutenangaben angeführt. Bei diesen „Ca.“-Angaben habe es sich keinesfalls um fixe Werte gehandelt, die der Kalkulation zwingend zugrunde zu legen gewesen wären, sondern um indikative Angaben, die den Bietern als Orientierungswert für die Kalkulation dienen sollten. Diese Orientierungswerte bei den Objektbeschreibungen hätten die Bieter keinesfalls davon entbunden, das Angebot selbst zu kalkulieren und den damit verbundenen Aufwand selbst zu ermitteln. Die Antragstellerin habe in den betreffenden Positionen genau die ausgeschriebenen Leistungen angeboten. Welchen Preis ein Bieter hierfür anbiete und von welchem Aufwand er diesbezüglich ausgehe, sei Sache der Kalkulation des Bieters. Die Antragstellerin sei in den betreffenden Positionen jeweils von einem etwas höheren Aufwand ausgegangen, sodass jedenfalls keine Unterpreisigkeit vorliege. Der Auftraggeber sei im Zuge der Angebotsprüfung offenkundig auch selbst nicht davon ausgegangen, dass eine Ausschreibungswidrigkeit vorliege, denn es sei weder ein Aufklärungsersuchen ergangen noch eine Ausscheidensentscheidung erfolgt. Aufgrund der rechtswidrigen Festsetzung einer neuerlichen Angebotsfrist sei gegebenenfalls auch vom Vorliegen eines zwingenden Widerrufsgrunds auszugehen. So es ein technisches Problem gegeben haben sollte, habe dieses nicht die Vergabeplattform, sondern den Signaturdienst L betroffen. Das habe mit der Empfangsbereitschaft des Servers des Auftraggebers oder der eVergabe-Plattform nichts zu tun. Die rechtsgültige Unterfertigung seines Angebots durch den Bieter sei klar der Sphäre des Bieters zuzurechnen. Selbst wenn ein eVergabe-Plattformbetreiber auch eine Signierfunktion in seine Plattform einbinde, sei dies keinesfalls erforderlich, um ein Angebot rechtsgültig elektronisch zu signieren. Das sei auch außerhalb eines eVergabe-Portals und unabhängig von diesem möglich. Dass dies auch in Bezug auf die gegenständlich verwendete Vergabeplattform möglich sei, sei daran zu ersehen, dass es der Auftraggeber (technisch offenkundig möglich) zulassen habe wollen, dass elektronische Angebote händisch unterfertigt und gänzlich ohne elektronische Signatur abgegeben würden. Die Signierfunktion am Portal könne daher nicht zwingend erforderlich gewesen sein, um ein rechtsgültig elektronisch signiertes Angebot abzugeben. Im Übrigen werde bestritten, dass die Handysignatur des Signaturdienstes L bei Ablauf der Angebotsfrist nicht verfügbar gewesen sein solle. Der Antragstellerin sei seitens der L bestätigt worden, dass für 6.5.2021, 12:00 Uhr, keine generellen Ausfälle der Handysignatur bekannt seien, und seitens der M GmbH als Betreiberin der Plattform P, dass alle anderen Funktionalitäten auf dem Portal durchgehend störungsfrei verfügbar gewesen seien. Es sei daher weder eine Störung des Signaturdienstes noch der Plattform selbst vorgelegen. Der präsumtiven Zuschlagsempfängerin sei es am 6.5.2021 noch um 11:30 Uhr möglich gewesen, ein Angebot mit einer elektronischen Signatur zu versehen. Jedenfalls unzutreffend die Behauptung des Auftraggebers in seiner Stellungnahme, wonach der Signaturdienst zumindest eine Stunde vor Ablauf der Letztangebotsfrist bis nach deren Ablauf nicht zur Verfügung gestanden haben solle. Der Signaturdienst habe hier offenkundig funktioniert. Es sei viel eher von einem Bedienungsfehler der präsumtiven Bestbieterin auszugehen. Allfällige Probleme mit der Handysignatur seien insoweit der Sphäre der betreffenden Bieter zuzurechnen, als von diesen offenkundig die Nutzungshinweise der Vergabeplattform P („Keine Last Minute Aktionen!“) nicht beachtet worden seien, wonach das Angebot mindestens 6 Stunden vorher abgegeben werden solle. Bei vergaberechtskonformer Vorgehensweise hätte der Auftraggeber daher keinen neuen Abgabetermin festsetzen dürfen, die nach dem 6.5.2020, 12:00 Uhr, eingelangten Angebote sowie die nicht mit elektronischer Signatur rechtsgültig unterfertigten Angebote ausscheiden müssen und der Bestbieterermittlung ausschließlich jene Angebote zugrunde legen dürfen, die fristgerecht innerhalb der am 6.5.2021, 12:00 Uhr, abgelaufenen Angebotsfrist eingelangt und rechtsgültig gefertigt seien. Dass die Angebotsfrist ununterbrochen gelaufen wäre, sei unzutreffend; es habe sich um eine Festlegung nach Ablauf der Letztangebotsfrist gehandelt, weshalb von einer Verfristung keine Rede sein könne.

Schlussendlich hat noch die mitbeteiligte Partei in einer Stellungnahme vom 29.9.2021 u.a. vorgebracht, dass Vorgaben des Auftraggebers (gerade auch) zur Kalkulation und Preisangebotslegung einzuhalten seien, was ansonsten zu einem den Ausschreibungsbedingungen widersprechenden Angebot führe; gerade bezogen auf die hier betroffenen Objektbesonderheiten und Leistungsansätze in der Spalte „GS“ des Angebotsblattes komme die Ebene der Vergleichbarkeit der Angebote hinzu. In dieser Spalte sei nur ein geringer Teil der Angaben mit der (von der Antragstellerin herangezogenen) Bezeichnung „ca.“ versehen, und andere Angaben seien sogar ausdrücklich als „Kalkulationsgrundlage“ genannt. Wenn die Antragstellerin der Meinung gewesen sei, dass die von der Ausschreibung vorgegebenen Objektbesonderheiten nicht korrekt seien, hätte sie den Weg der Bieteranfrage und / oder Ausschreibungsanfechtung wählen müssen, zumal ihr die Vorgaben bewusst gewesen seien und auch der zuvor von ihr diesbezüglich gegebene Input vom Auftraggeber in den Letztangebotsunterlagen nicht berücksichtigt worden sei. Sie hätte nicht den Weg wählen dürfen, eine den bestandfest gewordenen Ausschreibungsbedingungen widersprechende Kalkulation abzugeben. Die Vergabekontrollbehörde sei auch befugt, auf solche Gründe für das Ausscheiden eines Angebotes Bedacht zu nehmen, die vom Auftraggeber nicht herangezogen worden seien.

Die Festlegung der Fristverlängerung sei unabhängig davon, ob die Frist weitergelaufen oder wiedereröffnet worden sei, und unbeschadet der Frage der Rechtmäßigkeit dieser Festlegung im Rechtsbestand faktisch gegeben sowie rechtlich wirksam und gültig und darüber hinaus während dem Fristenlauf erfolgt. Die Fristverlängerung (samt der weiteren Festlegung zu den Unterzeichnungserfordernissen) sei daher mangels rechtzeitiger Bekämpfung bestandsfeste Grundlage des weiteren Verfahrens geworden und könne nicht mehr Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens sein.

Dass der Signaturdienst zur Sphäre der Bieter zählen solle, sei falsch. Zudem sei nicht der Signaturdienst an sich, sondern die (vom Auftraggeber bereitgestellte und vom Bieter zu wählende) Schnittstelle zwischen der Vergabeplattform und dem Signaturdienst funktionsunfähig gewesen. Der Plattformbetreiber gestehe die Auftraggeberverantwortung sogar ein und ordne den Dienst auch sich selbst zu. Ausschließlich dieser eine Signaturdienst und damit auch die technische Verbindung zum Signaturdienst sei direkt in die vom Auftraggeber verpflichtend vorgegebene Vergabeplattform eingebunden. Erst nach entsprechend erfolgter Signatur mittels L sei ein Angebot am Portal als abgegeben gezeichnet worden. Der Auftraggeber selbst hat daher genau diesen einen Signaturdienst samt seinem Interface mit der herangezogenen Vergabeplattform untrennbar verknüpft und den Bietern bereitgestellt. Eine abweichende Zuordnung des Signaturdienstes in die Bietersphäre könnte nur dann gelten, wenn ein Bieter die entsprechende Signatur nicht über diesen mit dem Portal verknüpften und den Bietern zur Verfügung gestellten konkreten Dienst vornehmen hätte wollen. Dabei sei der Umstand, dass im Zuge der Fristverlängerung das Signaturerfordernis ausnahmsweise ausgesetzt worden war, kein Beleg für die abweichende Sphärenzuordnung zum Bieter. Die Argumentation der Antragstellerin, es habe kein technisches Gebrechen gegeben, gebe bloße Mutmaßungen wieder. Der Umstand, dass bei einer Angebotsabgabe um 11:30 Uhr die Signatur noch funktioniert habe, sei kein Beleg dafür, dass dies auch bis 12:00 Uhr zum Ende der Angebotsfrist durchgehend weiterhin so gewesen wäre. Dass die mitbeteiligte Partei ihr Angebot knapp vor Ende der ursprünglichen Angebotsfrist signieren haben wollen, sei kein Hinweis auf einen Anwenderfehler. Vielmehr habe die Plattform das technische Gebrechen sogar selbst zugestanden. Im Übrigen hätten (offenbar) auch andere Bieter dasselbe Problem gehabt.

Es sei zwar das Eingabefeld („Fenster“) aufgegangen, aber leer und geblieben und nicht weiter zu verwenden gewesen. Es ist im vorliegenden Fall daher irrelevant, woran die (unbestreitbar gegebene) Nichterreichbarkeit des Auftraggeberservers letztlich genau gelegen sei, denn sämtliche in Frage kommenden technischen Komponenten seien dem Auftraggeber zuzuordnen (Plattform, Signaturdienst und Schnittstelle). Nach der Judikatur der Zivilgerichte solle ein Erklärungsempfänger nicht die Möglichkeit haben, den Zugang einer Erklärung absichtlich zu verhindern (RS0014071). Genau diesen Effekt habe es aber, wenn man die technischen Komponenten den Bietern zuordnen wollte.

Die Nutzungshinweise der Vergabeplattform hätte keine vergaberechtliche Relevanz, sondern seien als zivilrechtlicher Versuch der Plattform anzusehen, Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche der Auftraggeber bzw. von Bietern hintanzuhalten. Wenngleich also der Tipp, Bieterhandlungen rechtzeitig vorzunehmen, faktisch richtig sei, fehle es diesem an rechtlich eigenständiger Relevanz. Eine allfällige Sorgfaltswidrigkeit eines Bieters könne nur bei ordnungsgemäßem Funktionieren der Plattforminfrastruktur und Kausalität eine Bedeutung haben. Trete aber wie hier eine technische Störung auf, könne die von der Antragstellerin monierte „Nichtbeachtung derartiger Nutzungshinweise durch den Bieter“ keine Verschiebung der Verantwortung in die Sphäre des Bieters zur Folge haben. Die Empfangsbereitschaft des Auftraggeberservers müsse bis zur letzten Sekunde gewährleistet sein. Ein Signaturvorgang dauere im Normalfall nur wenige Sekunden, sodass die mitbeteiligte Partei ihre Bieterhandlung wenn auch knapp, dennoch rechtzeitig vorgenommen habe. Es liegt aber jedenfalls keine Sorgfaltswidrigkeit der mitbeteiligten Partei vor; dies umso mehr als sie nach Erkennen des Gebrechens dies auch entsprechend gemeldet habe, wobei die Auftraggeberseite zu diesem Zeitpunkt bereits von einem anderen Bieter über das technische Gebrechen informiert gewesen sei. Ein Widerruf des Vergabeverfahrens komme nicht in Betracht.

Am 4.10.2021 hat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in der eine Beweisaufnahme durch Einsicht in den Nachprüfungsakt und die vorgelegten Vergabeunterlagen, durch Vorbringen der Vertreter der Antragstellerin, des Auftraggebers und der mitbeteiligten Partei und durch Einvernahme der Vertreterin der vergebenden Stelle, N, der Zeugin O von P, des Zeugen Q von der mitbeteiligten Partei und des Zeugen S von der Antragstellerin erfolgte.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat über den Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung wie folgt erwogen:

Folgender Sachverhalt steht fest:

In der verfahrensgegenständlichen Ausschreibungsunterlage „Allgemeine Ausschreibungs- und Angebotsbedingungen Last and Best Offer“, deren Nachprüfung von keiner Seite beantragt worden ist, heißt es u.a.:

„A BIETERERKLÄRUNGEN

A.1

(…)

Für ein ausschreibungsgemäßes Angebot darf der vorgegebene Text der Ausschreibungsunterlagen weder geändert noch ergänzt werden. Vom Bieter sind nur die grau unterlegten Felder mit Eintragungen zu versehen und die allenfalls

erforderlichen Beilagen anzuschließen.

(…)

2 BESCHAFFUNGSZIEL, LEISTUNGSBILD

2.1 Beschaffungsziel

Ziel dieses Vergabeverfahrens ist der Abschluss eines Rahmenvertrages über die Erbringung von Unterhalts-, Grund- und Sonderreinigungsleistungen des Areals J der D GmbH nach Durchführung eines Verhandlungsverfahrens mit vorheriger Bekanntmachung im Oberschwellenbereich gern. § 34 Z 4 BVergG 2018.

(…)

3 VERFAHRENSART, VERFAHRENSABLAUF

(…)

3.2 Verfahrensablauf

(1) Das gegenständliche Verfahren ist ein zweistufiges Verfahren. In der ersten Stufe ist von den Bietern ein Teilnahmeantrag zum Nachweis der Eignungsanforderungen abzugeben. (…)

Nach Prüfung der Teilnahmeanträge werden mittels Auswahlkriterien die Bieter in eine Reihenfolge gebracht und die fünf erstgereihten Bieter werden zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert.

(2) Nach Ablauf der Angebotsfrist werden die Angebote inhaltlich geprüft und mit den Bietern, die im Verfahren verbleiben, Verhandlungen über den gesamten Vertragsinhalt durchgeführt.

(3) Grundsätzlich sind zwei Verhandlungsrunden vorgesehen, wobei jedenfalls in der ersten Verhandlungsrunde die Präsentation des beigebrachten Umsetzungskonzeptes erfolgt. Die Auftraggeberin behält sich vor nur eine Verhandlungsrunde durchzuführen und anschließend zum „last and best offer“ einzuladen.

(4) Die Letztangebote werden anschließend nach den vorgegebenen Zuschlagskriterien bewertet. Der Zuschlag erfolgt nach dem Bestbieterprinzip.

(…)

4 AUSSCHREIBUNGSUNTERLAGEN UND ANGEBOT

4.1 Ausschreibungsunterlagen

(…)

(2) Das Angebot ist gemäß den Ausschreibungsunterlagen zu erstellen und muss sämtliche geforderten Angaben und Bestandteile umfassen.

(…)

4.2 Angebot

(…)

(2) Eigenmächtige Veränderungen des Textes der Ausschreibungsunterlagen sind unzulässig und führen zum Ausschluss des Angebotes. (…)

(5) Mit der rechtsgültigen Signatur anerkennt der Bieter ohne Einschränkungen alle Bestimmungen dieser Ausschreibung (insbesondere die verfahrensrechtlichen Bestimmungen, die Angaben zu den Leistungsbereichen und die vertragsrechtlichen Vorgaben) und haftet für die Richtigkeit und Vollständigkeit aller im Angebot gemachten Angaben. Fehlende Angaben werden nicht gewertet, falsche Angaben und fehlende Nachweise können zum Ausschluss des Angebotes führen.

(…)

5 ANGEBOTSFRIST, EINREICHFORM UND ZUSCHLAGSFRIST

(…)

5.2 Einreichform

Die Angebote sind ausschließlich elektronisch über die Ausschreibungsplattform P einzureichen.

(…)

8 ANGEBOTSPREIS

(1) Der Bieter hat seine Angebotspreise auszuweisen und seine Kalkulation offenzulegen. Die Preise sind ausschließlich entsprechend den Vorgaben in den Kalkulations- und Preistabellen anzubieten.

(…)“

Im Leistungsverzeichnis „Angebotsblatt J“ (xlsx-Dokument) heißt es in den Spalten C („Objektdetail“) und GS („Objektbesonderheiten“) u.a. wie folgt:

H1.1 Mehrzweckhalle:           Anzubieten ist eine Jahrespauschale Mo-Sa für die manuelle oder maschinelle Bodenreinigung der Mehrzweckhalle (…); Achtung: bei der maschinellen Reinigung ist darauf zu achten, dass es sich um einen versiegelten Parkettboden handelt.

HH_SAU Sauna:           Sonderleistungen 1: Anzubieten ist eine Jahrespauschale Mo-Fr für die Grobschmutzentfernung inkl. Mülleimerentleerung auf der Außenfläche inkl. Liegewiese; Dauer ca. 20 min.

S1.1 Sportbecken:           Sonderleistungen 1: Anzubieten ist eine Jahrespauschale Mo-Fr für die tägliche Reinigung der Außenterrasse (…) (Dauer: ca. 15 min.)

S1.1 Sportbecken:           Sonderleistungen 2: Anzubieten ist eine Jahrespauschale für die tägliche Reinigung der Außenterrasse am Samstag (…) (Dauer: ca. 1 Stunde)

TE_TEN Tennishalle:           Anzubieten ist eine Jahrespauschale Mo-Fr für die tägliche Entleerung der Mülleimer (…) Dauer: ca. 5 Minuten

F5 Fußballgarderobe inkl. Außenfläche Sportplätze:           Sonderleistungen 1: Anzubieten ist eine Jahrespauschale für die tägliche Sichtreinigung (…) Sommerbetrieb (…) Dauer ca. 30 min.

F5 Fußballgarderobe inkl. Außenfläche Sportplätze:           Sonderleistungen 2: Anzubieten ist eine Jahrespauschale für die tägliche Sichtreinigung (…) Winterbetrieb (…) Dauer ca. 15 min

Die elektronische Kommunikation zwischen Auftraggeber und Unternehmern wurde zur Gänze über die e-Vergabe-Plattform P, die von der M GmbH betrieben wird, durchgeführt. Bei dieser wurde auf Ersuchen der vergebenden Stelle die Modalität der Angebotsabgabe durch Anklicken des Reiters „elektronische Angebotsabgabe über P mittels Handysignatur“ so voreingestellt, dass die Angebotsabgabe über P mittels Handysignatur zu erfolgen hat; das funktioniert so, dass ein Bieter zuerst seine Angebotsdateien auswählt und auf die Plattform hochlädt, dann das Summenblatt online ausfüllt und auf „Angebot jetzt signieren“ klickt, woraufhin sich ein Fenster mit einer Schnittstelle, die zum Signaturdienst L führt, öffnet, in dem die Schritte für das elektronische Signieren des Angebotes in seiner Gesamtheit mittels Handysignatur auszuführen sind, womit das Angebot als abgegeben gilt, sodass es vom Auftraggeber eingesehen und geöffnet werden kann. Wenn die Handysignatur in diesem Fenster nicht durchgeführt wird, ist das Angebot für den Auftraggeber nicht ersichtlich und kann auch nicht geöffnet werden. Aufgrund dieser Programmierung konnten die Bieter einzig auf die Handysignatur von L, die eine qualifizierte elektronische Signatur darstellt, greifen; eine alternative Signaturvariante stand nicht zur Verfügung. Bis zum Ablauf der Abgabefrist kann der Bieter sein Angebot beliebig oft zurückziehen und neu hochladen.

Die Abgabefrist für das „Last and Best Offer“ endete am 6.5.2021 um 12:00 Uhr. Die Antragstellerin und eine andere Bieterin haben ihr jeweiliges Angebot bereits am 5.5.2021 elektronisch abgegeben. Dem Angebot der Antragstellerin war ein Begleitschreiben vom 5.5.2021 angeschlossen, worin es wörtlich heißt:

„Wir dürfen uns herzlich für das konstruktive Bietergespräch bedanken und dürfen Ihnen das gewünschte Offert mit nachstehenden Anmerkungen zur Kalkulation übermitteln:

1. Objektdeteil Hl .1 Mehrzweckhalle: Bei dieser Position haben wir einen 2x wöchentlichen Maschineneinsatz kalkuliert, sowie die tägliche manuelle Bodenreinigung. Wir empfehlen nicht öfter als 2x pro Woche maschinell zu reinigen, um den versiegelten Parkettboden zu schonen.

2. Objektdetail HH_SAU Sauna; Sonderleistung 1: Wir haben die Vorgabe von ca. 20 Minuten unserer Erfahrung nach, auf 30 Minuten angepasst.

3. Objektdetail S1.1 Sportbecken; Sonderleistung 1: Wir haben die Vorgabe von ca. 15 Minuten unserer Erfahrung nach, auf 45 Minuten angepasst.

4. Objektdetail S1.1 Sportbecken; Sonderleistung 2: Wir haben die Vorgabe von ca. 1 Stunde unserer Erfahrung nach, auf 1,5 Stunden angepasst.

5. Objektdetail TE_TEN Tennishalle; Sonderleistung 1: Wir haben die Vorgabe von ca. 5 Minuten unserer Erfahrung nach, auf 10 Minuten angepasst.

6. Objektdetail F5 Fußballgarderobe inkl. Außenfläche Sportplatz; Sonderleistung 1: Wir haben die Vorgabe von ca. 30 Minuten unserer Erfahrung nach, auf 45 Minuten angepasst und zusätzlich 1x wöchentlich 30 Minuten für die Reinigung der Sitzbänke.

7. Objektdetail F5 Fußballgarderobe inkl. Außenfläche Sportplatz; Sonderleistung 2: Wir haben die Vorgabe von ca. 15 Minuten unserer Erfahrung nach, auf 30 Minuten angepasst.

Wir haben der Kalkulation unsere erfahrungsgemäßen Werte zugrundegelegt und hoffen auf eine weitere partnerschaftliche Zusammenarbeit.“

Die mitbeteiligte Partei hat am 6.5.2021 um 11:27 Uhr begonnen, ein Angebot hochzuladen, und dieses um 11:31 Uhr elektronisch signiert. Um 11:57 Uhr hat sie dieses Angebot zurückgezogen, weil sie das Leistungsverzeichnis (Angebotsblatt) zwischenzeitig als korrekturbedürftig erachtet hatte, und in der nächsten Minute ein neues Angebot mit einem neuen Angebotsblatt hochgeladen. Sechs Signaturversuche zwischen 11:58 Uhr und 12:01 Uhr wurden zwar begonnen, aber konnten nicht erfolgreich abgeschlossen werden; es erschien jedes Mal nur ein weißes Fenster (in dem ansonsten die Signaturanwendung startet) ohne Inhalt am Bildschirm, sodass nicht signiert und damit das Angebot nicht abgegeben werden konnte. Eine weitere Bieterin hat um 11:49 Uhr begonnen, ihr Angebot hochzuladen, konnte jedoch von zehn begonnenen Signaturvorgängen zwischen 11:53 und 12:01 Uhr keinen einzigen erfolgreich beenden und ihr Angebot damit ebenfalls nicht abgeben. Diese Bieterin hat um 12:00 Uhr diese Probleme per Mail der vergebenden Stelle mitgeteilt, und auch die mitbeteiligte Partei hat die Probleme gemeldet. Mit Ausnahme der Signierfunktion waren alle anderen Funktionalitäten auf dem Portal *** störungsfrei durchgehend verfügbar. Nach Rücksprache mit P wurde seitens der vergebenden Stelle entschieden, dass die Abgabemodalität von P auf der Plattform auf „elektronische Angebotsabgabe über P“ (also ohne Handysignatur) umprogrammiert wird, und den Bietern um 15:00 Uhr per Mail Folgendes mitgeteilt:

„Zum Zeitpunkt des Abgabetermins (6.5.2021, 12:00 Uhr) kam es auf dem Portal P zu einer Störung, da der Signaturdienst (L) nicht verfügbar war.

Der Abgabetermin wird daher verlängert, der neue Abgabetermin ist: 7.5.2021, 10:00 Uhr über P.

Bei der Abgabe am 7.5.2021, 10:00 Uhr ist keine elektronische Signatur erforderlich. - Bitte denken Sie daran, das Angebot vor dem Hochladen entweder händisch oder elektronisch zu unterfertigen.

Bereits abgegebene Angebote müssen nicht, aber können zurückgezogen und erneut abgegeben werden.

Bisher eingelangte Angebote wurden nicht geöffnet, die Öffnung aller eingelangten Angebote erfolgt nach dem neuen Abgabetermin am 7.5.2021, 10:00.“

Bei der veränderten Abgabemodalität mussten Bieter nur noch die (signierten) Dateien auswählen und hochladen und sodann auf „Angebot jetzt abgeben“ klicken, ohne zuvor noch den vorhin beschriebenen zwingenden Signiervorgang vorzunehmen.

Die Ursache für die am 6.5.2021 jedenfalls zwischen 11:53 und 12:00 Uhr auf der Plattform P bestehende Nichtverfügbarkeit der Signierfunktion mittels Handysignatur des Signaturdienstes L und damit für die Unmöglichkeit, ein Angebot zu mittels Handysignatur zu signieren und so abzugeben, konnte nicht abschließend ermittelt werden, dürfte aber am ehesten in einer fehlerhaften Verbindung zwischen P und R oder zwischen R und L gelegen sein.

Am 6.5.2021 um 17:20 Uhr hat die mitbeteiligte Partei ihr Angebot neuerlich auf P hochgeladen, und zwar ohne Handysignatur; die Angebotsbestandteile waren aber allesamt extern (direkt über L und nicht über die Signierfunktion der Plattform P) signiert worden.

Die vier Letztangebote wurden am 7.5.2021 zwischen 10:27 und 10:31 Uhr geöffnet. Nach durchgeführter Angebotsprüfung waren das Angebot der mitbeteiligten Partei an erster Stelle, das Angebot der Antragstellerin an zweiter Stelle und die zwei weiteren Angebote an dritter und vierter Stelle gereiht. Es erging in weiterer Folge am 9.8.2021 die Zuschlagsentscheidung des Auftraggebers zugunsten des Angebotes der mitbeteiligten Partei. Ausscheidensentscheidungen wurden nicht nach außen hin mitgeteilt.

Diese Feststellungen gründen sich auf das Vorbringen der Verfahrensparteien, den Vergabeakt (insb. die Ausschreibungsunterlagen inkl. Leistungsverzeichnis und die Mails der vergebenden Stelle vom 6.5.2021, 15 Uhr, und vom 9.8.2021) und die Ergebnisse der Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht am 4.10.2021. Dass gegenständlich die Abgabe eines Last and Best Offer auf der verwendeten Plattform P technisch nur möglich war, wenn man nach dem Hochladen der Dateien und nach Ausfüllen des Summenblattes die Schaltfläche „Angebot jetzt signieren“ anklickte und im sodann geöffneten Fenster die dort aufscheinende Signaturanwendung von L durchführte, bzw. dass eine Angebotsabgabe ohne Verwendung dieser eingebetteten Signierfunktion (oder unter Verwendung eines vom Bieter frei gewählten Signaturdienstes) technischerseits nicht ermöglicht wurde, ergibt sich aus den darin übereinstimmenden Angaben der N sowie der Zeugen O und Q, und im Vergabeakt findet sich ein anschaulicher Screenshot, der das „weiße Fenster“ vor „Angebot jetzt abgeben“ zeigt. Die Feststellungen betreffend die mögliche Ursache dieses technischen Problems ergeben sich ebenfalls aus der Aussage der O bzw. deren Mail vom 14.5.2021, wonach der Signaturdienst L zu dieser Zeit auf P nicht verfügbar war und mit Ausnahme der Signierfunktion alle anderen Funktionalitäten auf dem Portal störungsfrei durchgehend verfügbar waren, und aus dem Mail der L GmbH vom 17.5.2021, wonach am 6.5.2021 zwischen 11 und 12 Uhr keine generellen Ausfälle der Handysignatur bekannt sind.

In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

Gemäß § 4 Abs. 1 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz obliegt die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich. Gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 leg. cit. ist bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zum Widerruf des Vergabeverfahrens das Landesverwaltungsgericht zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen Vorschriften im Bereich des Öffentlichen Auftragswesens
(Artikel 14b Abs. 1 und 5 B-VG) oder von Verstößen gegen unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht zur Nichtigerklärung gesondert anfechtbarer Entscheidungen des Auftraggebers im Rahmen der vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerdepunkte (§ 15) zuständig.

Gemäß § 6 Abs. 1 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz kann ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluss eines den Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens (Art. 14b Abs. 1 und 5 B-VG) unterliegenden Vertrages behauptet, die Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Gemäß § 12 Abs. 1 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz sind Anträge auf Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung bei einer Übermittlung bzw. Bereitstellung der Entscheidung auf elektronischem Weg sowie bei einer Bekanntmachung der Entscheidung binnen zehn Tagen einzubringen. Die Frist beginnt mit der Übermittlung bzw. Bereitstellung der Entscheidung bzw. mit der erstmaligen Verfügbarkeit der Bekanntmachung.

Gemäß § 16 Abs. 1 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz hat das Landesverwaltungsgericht eine im Zuge eines Vergabeverfahrens ergangene gesondert anfechtbare Entscheidung eines Auftraggebers mit Erkenntnis für nichtig zu erklären, wenn

1.   sie oder eine ihr vorangegangene nicht gesondert anfechtbare Entscheidung im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte rechtswidrig ist und

2.   die Rechtswidrigkeit für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss ist.

Die verfahrensgegenständlich entscheidungsrelevanten Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2018 – BvergG 2018 lauten wie folgt:

§ 2. Im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes sind folgende Begriffsbestimmungen maßgebend:

(…)

15. Entscheidung ist jede Festlegung eines Auftraggebers im Vergabeverfahren.

a) Gesondert anfechtbar sind folgende, nach außen in Erscheinung tretende Entscheidungen:

(…)

dd) im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung und bei Innovationspartnerschaften: die Ausschreibung; die Nicht-Zulassung zur Teilnahme; die Aufforderung zur Angebotsabgabe; sonstige Entscheidungen während der Verhandlungsphase bzw. während der Angebotsfrist; das Ausscheiden eines Angebotes; die Widerrufsentscheidung; die Zuschlagsentscheidung;

(…)

29. Qualifizierte elektronische Signatur ist eine elektronische Signatur, die den Anforderungen von Art. 3 Z 12 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG, ABl. Nr. L 257 vom 28.08.2014 S. 73, entspricht. (…)

§ 48. (2) Im Oberschwellenbereich hat die Kommunikation zwischen öffentlichem Auftraggeber und Unternehmer nach Maßgabe der folgenden Absätze elektronisch zu erfolgen. Soweit die Kommunikation zwischen öffentlichem Auftraggeber und Unternehmer in einem Vergabeverfahren elektronisch erfolgt oder zu erfolgen hat, gelten die folgenden Absätze.

(3) Der öffentliche Auftraggeber hat unter Beachtung der folgenden Absätze in der Ausschreibung nähere Festlegungen hinsichtlich der zu beachtenden Anforderungen an die elektronische Kommunikation zu treffen.

(4) Der Unternehmer hat Informationen elektronisch zu übermitteln. Der öffentliche Auftraggeber kann Informationen elektronisch übermitteln oder elektronisch bereitstellen; der Unternehmer ist von der Bereitstellung unverzüglich zu verständigen. Informationen gelten als übermittelt, sobald die Daten in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Informationen gelten als bereitgestellt, sobald die Daten für den Empfänger abrufbar sind.

(…)

(8) Sofern bei fristgebundenen Kommunikationen der vom öffentlichen Auftraggeber für die Durchführung des Vergabeverfahrens verwendete Server bis zum Zeitpunkt des Ablaufes der jeweiligen Frist nicht durchgehend empfangsbereit ist, hat der öffentliche Auftraggeber die betreffende Frist erforderlichenfalls entsprechend zu verlängern. Jedenfalls ist allen Bewerbern oder Bietern eine Verlängerung der Teilnahmeantrags- oder Angebotsfrist mitzuteilen. Ist dies nicht möglich, so ist die Verlängerung in geeigneter Form bekannt zu machen.

(…)

(12) Bei Übermittlung von Ausschreibungs- und Wettbewerbsunterlagen, Teilnahmeanträgen, Angeboten, Wettbewerbsarbeiten sowie Auftragsbestätigungen sind diese mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, einem qualifizierten elektronischen Siegel oder einer Amtssignatur gemäß § 19 Abs. 1 des E-Government-Gesetzes – E-GovG, BGBl. I Nr. 10/2004, zu versehen bzw. hat die Übermittlung so zu erfolgen, dass die Vollständigkeit, Echtheit und Unverfälschtheit der Datensätze mit einer Qualität gewährleistet ist, die mit der Qualität einer qualifizierten elektronischen Signatur bzw. eines qualifizierten elektronischen Siegels vergleichbar ist.

§ 88. (6) Der öffentliche Auftraggeber hat in der Ausschreibung anzugeben, welcher Kommunikationsweg bzw. welche Kommunikationswege bei der Abgabe von Angeboten zulässig sind, welche Form die Angebote aufweisen müssen und wie die Angebote zu übermitteln sind.

§ 141. (1) Vor der Wahl des Angebotes für die Zuschlagsentscheidung hat der öffentliche Auftraggeber aufgrund des Ergebnisses der Prüfung folgende Angebote auszuscheiden:

(…)

6. verspätet eingelangte Angebote, oder

7. den Ausschreibungsbestimmungen widersprechende Angebote, Teil-, Alternativ-, Varianten- und Abänderungsangebote, wenn sie nicht zugelassen wurden, nicht gleichwertige Alternativ- oder Abänderungsangebote und Alternativangebote, die die Mindestanforderungen nicht erfüllen, sowie fehlerhafte oder unvollständige Angebote, wenn deren Mängel nicht behoben wurden oder nicht behebbar sind,

(…)

(3) Der öffentliche Auftraggeber hat den Bieter vom Ausscheiden seines Angebotes unter Angabe des Grundes zu verständigen.

Die D GmbH steht im Mehrheitseigentum der Stadtgemeinde *** und ist somit als öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 4 Abs. 1 Z. 2 BVergG 2018 zu qualifizieren, und das gegenständliche Vergabeverfahren fällt gemäß Art. 14b Abs. 2 B-VG in den Vollziehungsbereich des Landes Niederösterreich.

Die Antragstellung auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung erfolgte rechtzeitig innerhalb der zehntägigen Frist gemäß § 12 Abs. 1 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz ab Mitteilung der Zuschlagsentscheidung. Die gemäß § 21 leg. cit. zu entrichtenden Pauschalgebühren für das Nachprüfungsverfahren wurden ordnungsgemäß entrichtet. Der Antrag erfüllt die Inhaltserfordernisse gemäß § 10 Abs. 1 leg. cit., und der Antragstellerin fehlen auch die Antragsvoraussetzungen nach § 6 leg. cit. nicht offensichtlich: Dass sie im Geschäftsbereich der gegenständlich ausgeschriebenen Leistungen tätig ist, ist nachvollziehbar, und ihr Interesse am Vertragsabschluss hat sie ausreichend glaubhaft gemacht.

Welche Entscheidungen im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit vorheriger Bekanntmachung gesondert anfechtbar sind, regelt § 2 Z. 15 lit. a sublit. dd BVergG 2018. Die hier angefochtene Zuschlagsentscheidung vom 9.8.2021 zählt dem Gesetzeswortlaut nach auf jeden Fall dazu. Bei der Entscheidung des Auftraggebers vom 6.5.2021, 15 Uhr, handelt es sich hingegen um keine „sonstige Entscheidung während der Verhandlungsphase bzw. während der Angebotsfrist“, denn diese erging zweifellos nicht während, sondern nach Ablauf der Angebotsfrist (die am 6.5.2021 um 12 Uhr geendet hatte). Dass mit dieser Entscheidung ein neuer Abgabetermin gesetzt wurde (siehe dazu unten), ändert nichts am eindeutigen Wortlaut des § 2 Z. 15 lit. a sublit. dd BVergG 2018, wonach eben nur Entscheidungen während der Angebotsfrist selbständig anfechtbar sind und eine Rechtswidrigkeit von „sonstigen“ davor oder danach ergehenden Entscheidungen erst im Rahmen der Bekämpfung der nachfolgenden Entscheidung geltend gemacht werden kann (vgl. „sie oder eine ihr vorangegangene nicht gesondert anfechtbare Entscheidung“ in § 16 Abs. 1 Z. 1 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz). Die vom Auftraggeber und von der mitbeteiligten Partei vorgebrachte diesbezügliche Verfristung ist daher nicht gegeben, abgesehen davon, dass die Antragstellerin die Nichtigerklärung der Entscheidung vom 6.5.2021, 15 Uhr, gar nicht beantragt hat und ein Antrag auf Nichtigerklärung einer nicht gesondert anfechtbaren Entscheidung ohnehin als unzulässig zurückzuweisen wäre.

Hauptfrage des Nachprüfungsverfahrens ist die Frage, ob die Zuschlagsentscheidung zu Recht zugunsten der mitbeteiligten Partei ergangen ist, und die Beantwortung dieser Frage ist für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss, da bei ihrer Verneinung die Antragstellerin als hier unstrittig Zweitgereihte nach der Bestbieterermittlung für den Zuschlag in Frage käme. In diesem Zusammenhang wenden sowohl der Auftraggeber als auch die mitbeteiligte Partei mangelnde Aktivlegitimation der Antragstellerin ein, da deren Angebot auszuscheiden gewesen sei. Eine nach außen getretene (und damit gesondert anfechtbare) Ausscheidensentscheidung liegt gegenständlich nicht vor, es heißt nur im Prüfbericht der vergebenden Stelle, dass „die zweitgereihte Bieterin … einen Ausscheidenstatbestand gemäß § 141 Abs. 1 Z. 7 BVergG 2018 gesetzt“ habe und dass „von einer formalen Ausscheidensentscheidung aber abgesehen“ werde, da das Angebot

Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten