TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/6 L502 2226518-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2021
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Entscheidungsdatum

06.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L502 2226518-1/32E

L502 2226517-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX , beide XXXX , vertreten durch die XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.11.2019, FZ. XXXX und XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.03.2021 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) stellte im Gefolge der illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 17.04.2019 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am gleichen Tag wurde die Erstbefragung der BF1 durchgeführt.

Im Gefolge dessen wurde das Verfahren zugelassen und beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) fortgeführt.

3. Für ihren nach der Einreise geborenen Sohn, den Zweitbeschwerdeführer (BF2), stellte sie als gesetzliche Vertreterin am 12.06.2019 unter Vorlage seiner Geburtsurkunde einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes im Familienverfahren.

4. Am 21.08.2019 und 29.08.2019 wurde die BF1 beim BFA niederschriftlich einvernommen.

Dabei legte sie eine Identitätskarte und einen Auszug aus dem Familienregister (AS 99 - 105) sowie eine weitere Urkunde samt Übersetzung in die deutsche Sprache (AS 133, 135) als Beweismittel vor.

5. Einer Anfrage des BFA vom 02.09.2019 folgend langte dort am 23.09.2019 eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ein.

6. Mit Bescheiden des BFA vom 06.11.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf das Herkunftsland Palästinensisches Autonomiegebiet-Gazastreifen gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II) abgewiesen. Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in das Herkunftsland Palästinensisches Autonomiegebiet-Gazastreifen gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI).

7. Mit Verfahrensanordnung vom 07.11.2019 wurde gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

8. Gegen die mit 08.11.2019 zugestellten Bescheide wurde fristgerecht mit Schriftsatz der vormaligen Vertretung der BF vom 04.12.2019 Beschwerde in vollem Umfang erhoben.

9. Das Beschwerdeverfahren langte am 12.12.2019 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde in der Folge der nun zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.

10. Am 13.08.2020 langte beim BVwG ein ärztlicher Befundbericht die BF1 betreffend ein.

11. Am 29.10.2020 langte im Wege des BFA eine Beweismittelvorlage der BF1 ein. Die amtswegig veranlasste Übersetzung des Beweisstücks in die deutsche Sprache langte am 04.12.2020 ein.

12. Am 19.03.2021 langte eine kurze Stellungnahme der Vertretung der BF beim BVwG ein.

13. Am 23.03.2021 führte das BVwG – nach mehreren schriftlichen Ersuchen der BF1 um Verfahrensbeschleunigung - eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit der BF1 und eines Vertreters durch.

Dabei wurden auch aktuelle länderkundliche Informationen zum Herkunftsgebiet der BF zum Akt genommen.

14. Das BVwG erstellte Datenbankauszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Strafregister und dem Zentralen Fremdenregister.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF1 und der BF2, ihr minderjähriger Sohn, sind staatenlose Angehörige der palästinensischen Volksgruppe. Ihr Herkunftsgebiet ist XXXX im gleichnamigen israelischen Autonomiegebiet.

Die BF1 wurde in XXXX geboren und wuchs dort bei ihrer Herkunftsfamilie auf. Sie hat sieben Brüder und vier Schwestern. Ihr Vater war Taxifahrer und ist bereits im Ruhestand, ihre Mutter führt ein Geschäft für Backwaren mit mehreren Angestellten, das sich in XXXX befindet. Einer ihrer Brüder war ehemals Polizeibeamter im Dienst der Fatah und ist ohne Beschäftigung, bezieht aber weiterhin seinen Gehalt als Angestellter der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah. Ein weiterer Bruder ist Volksschullehrer in XXXX , einer ist in einer Fliesenmanufaktur angestellt, einer besucht die Universität und arbeitet daneben in einer Fabrik für Hygieneartikel, einer arbeitet als Reinigungskraft für die Kommune und einer ist in den Jemen ausgewandert, wo er auf Baustellen arbeitet. Alle bis auf einen der Brüder sind verheiratet. Drei ihrer Schwestern sind verheiratet, eine ist ledig. Zwei der Schwestern wohnen mit ihren Familien in XXXX , eine mit ihrer Familie in XXXX und die unverheiratete im Haus der Eltern. Zwei der Brüder leben in einem eigenen Haus in XXXX , vier weitere in einem anderen Haus ebendort, in dem auch die Eltern wohnen.

Die BF1 ist seit 2012 verheiratet, aus der Ehe stammen neben dem BF2 noch zwei in den Jahren 2014 und 2016 geborene Kinder, die gemeinsam mit ihrem Vater in XXXX wohnen, woher dieser stammt und wo noch einige seiner vierzehn Geschwister leben. Der Gatte der BF1 arbeitet als Anästhesist in einer Klinik in einer Vollzeitstellung, während seiner Arbeitszeit werden die beiden bei ihm wohnhaften Kinder, eine Tochter und ein Sohn, von Verwandten oder der Familie der BF1 beaufsichtigt, sofern sie nicht die Schule bzw. den Kindergarten besuchen.

Die BF1 besuchte nach der Volks- und Hauptschule eine Allgemeinbildende Höhere Schule, die sie 2011 abschloss, danach inskribierte sie an der Universität von Gaza für ein Jahr arabische Literatur. Bis zur zweiten Schwangerschaft betätigte sie sich zu Hause als Privatlehrerin, danach war sie Hausfrau ohne sonstige berufliche Beschäftigung.

Im April 2019 verließ sie ihre Herkunftsregion über den Grenzübergang XXXX nach Ägypten und gelangte in weiterer Folge auf dem Luftweg in die Türkei, von wo sie schlepperunterstützt über Griechenland und den Balkan bis Österreich gelangte, wo sie am 17.04.2019 den gg. Antrag auf internationalen Schutz stellte.

In Österreich bewohnt sie ein Zimmer in der Wohnung eines Bruders ihres Gatten, der sich seit ca. zehn Jahren hier aufhält, und seiner Familie. Sie kümmert sich vornehmlich um ihren nach der Einreise geborenen Sohn, den BF2.

1.2. Die BF1 ist, wie auch ihre Angehörigen vor Ort, nicht bei der UN-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge UNRWA in Gaza registriert. Weder sie selbst bezog noch beziehen aktuell ihre Angehörigen mangels Bedürftigkeit Unterstützungsleistungen dieser Hilfsorganisation.

Sie ist im israelischen Bevölkerungsregister für Gaza sowie bei der palästinensischen Autonomiebehörde registriert und verfügt über einen Personalausweis dieser Behörde.

1.3. Sie war weder vor der Ausreise einer individuellen Verfolgung durch Organe der Hamas ausgesetzt war noch liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass sie bei einer Rückkehr nach Gaza einer solchen ausgesetzt wäre.

1.4. Zur Lage in der Herkunftsregion wird festgestellt:

1.4.1. Die Palästinensischen Gebiete bestehen aus dem Westjordanland, dem Gaza-Streifen und Ost-Jerusalem (AA 6.11.2019a). Palästina hat den Status eines Völkerrechtssubjekts, wird aber von Österreich nicht als Staat im Sinne des Völkerrechts anerkannt (BMEIA 18.3.2020). 137 Staaten erkennen Palästina als unabhängigen Staat an (GIZ 3.2020a). Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO – Palestinian Liberation Organisation) wurde 1964 gegründet, 1974 als einzig legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes von der UNO anerkannt und erhielt den Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen (VP o.D.; vgl. Britannica o.D.). 1993 kam es zum Oslo-Abkommen zwischen Israel und der PLO (BPB 17.7.2011). Im Jahr 1993 folgte die Anerkennung der PLO als einzige Vertreterin der Palästinenser durch Israel (Israel MFA 10.9.1993). Die PLO ist die Dachorganisation für die verschiedenen palästinensischen Parteien und Bewegungen, darunter die Fatah, die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die Arabische Befreiungsfront, die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP), die Palästinensische Befreiungsfront (PLF) und die Palästinensische Volkspartei (PPP). Hamas und Islamischer Dschihad sind nicht in der PLO vertreten.

Nach dem Erdrutschsieg der Hamas [Anm.: bei den Wahlen im Jahr 2006] begannen die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern von Hamas und Fatah, in deren Verlauf Hunderte von Menschen ums Leben kamen. Ihren Höhepunkt fanden sie im Juni 2007 im Gazastreifen als die Hamas mit Gewalt die Kontrolle über alle Sicherheitseinrichtungen und Regierungsgebäude der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA – Palestinian Authority) übernahm (GIZ 3.2020a). Zahlreiche Mitglieder und Anhänger der Fatah von Palästinenserpräsident Abbas flohen aus Gaza (Spiegel 13.6.2007; FAZ 3.8.2008). Von diesem Zeitpunkt an war Palästina zweigeteilt, in einen von Hamas kontrollierten Gazastreifen und ein von Fatah kontrolliertes Westjordanland. In beiden Gebieten wurden Aktivisten der jeweils anderen Seite inhaftiert und misshandelt, deren Einrichtungen geschlossen, ihre Medien verboten und ihre Demonstrationen aufgelöst. 2012 einigten sich Präsident Mahmoud Abbas und (damaliger) Hamas-Chef Khaled Mashaal in Katar auf die Bildung einer Übergangsregierung unter Leitung von Mahmoud Abbas (GIZ 3.2020a).

Die PA wurde 1994 nach Abschluss der Osloer Verträge zwischen Israel und der PLO gegründet. Am 13.4.2019 wurde die neue PA unter Premierminister Mohammad Shtayyeh vereidigt. Grundpfeiler des politischen Systems sind der Präsident, die Regierung unter Vorsitz eines Premierministers sowie das Parlament, der sogenannte Legislativrat (Palestinian National Council – PLC) mit 132 Sitzen. Das Wahlrecht sieht Verhältniswahl (Landesebene) und Direktwahl (Bezirksebene) vor. Letzte Wahlen in der Westbank und Gaza fanden im Januar 2006 statt; die vierjährige Legislaturperiode ist seit 2010 abgelaufen. Der Legislativrat tagt seit der Machtübernahme der Hamas in Gaza im Juni 2007 nicht mehr. Am 22.12.2018 hat Präsident Abbas den PLC für aufgelöst erklärt (AA 6.11.2019b; vgl. FH 4.2.2019). Parlamentswahlen hätten in den folgenden sechs Monaten stattfinden sollen, was nicht passierte. Die Hamas lehnte die Entscheidung über die Auflösung des PLC ab (FH 4.2.2019). Der Präsident der Palästinensischen Behörde wird vom Volk direkt gewählt. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden im Januar 2005 statt. Die Amtszeit von Präsident Abbas ist formal seit 2009 abgelaufen (AA 6.11.2019b; vgl. FH 4.2.2019). Präsident Abbas ist auch Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation und Generalkommandant der Fatah-Bewegung (USDOS 11.3.2020). Der Premierminister ist laut Verfassung gegenüber dem Präsidenten und dem Legislativrat für sein Handeln und das Handeln des Kabinetts verantwortlich (GIZ 3.2020a).

Nach dem Wahlsieg der Hamas 2006 kam es 2007 zum Bruch zwischen der Hamas und der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Im Gazastreifen regiert die Hamas seitdem allein und wird höchstens von noch radikaleren Kräften herausgefordert (DS 17.5.2018; vgl. USDOS 11.3.2020). Obwohl die Gesetze der PA in Gaza formal gültig sind, hat sie nur wenig Autorität, und die Hamas verfügt über die de facto-Kontrolle (USDOS 11.3.2020). Seit 2007 funktioniert der Gazastreifen als De-facto-Einparteienstaat unter der Herrschaft der Hamas, obwohl kleinere Parteien - darunter der Islamische Dschihad, die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) und eine von Präsident Abbas nicht unterstützte Fraktion der Fatah - in unterschiedlichem Maße toleriert werden. Einige dieser Gruppen verfügen über eigene Medien und veranstalten Kundgebungen und Versammlungen. Diejenigen, die mit Präsident Abbas und seinen Unterstützern in der Fatah verbunden sind, sind jedoch der Verfolgung ausgesetzt (FH 4.2.2019). Zivilgesellschaftliche Organisationen in Gaza geben an, dass die Hamas und andere islamistische Gruppen keinen öffentlichen Dissens, keine Opposition und keinen bürgerlichen Aktivismus tolerieren (USDOS 11.3.2020). Am 6. Mai 2017 wurde Ismail Haniyye zum neuen Vorsitzenden des Politbüros der Hamas gewählt. Er löste damit Khaled Mashaal ab, der das Amt seit 1996 innehatte (GIZ 3.2020a).

In den letzten Jahren sind mehrere Versöhnungsversuche zwischen Fatah und Hamas gescheitert (CGRS 6.3.2020). Am 12. Oktober 2017 unterzeichneten Fatah und Hamas in Kairo erneut ein Versöhnungsabkommen. Nach 2011 und 2014 ist dies der dritte Versuch, den seit mehr als zehn Jahren bestehenden Konflikt zwischen den beiden wichtigsten politischen Bewegungen in Palästina zu überwinden. Am 21. Dezember 2017 erklärte jedoch der Hamas-Chef im Gazastreifen Yahia al-Sinwar, dass das Abkommen vom 12.10.2017 dabei sei, zu scheitern (GIZ 3.2020a). Die ständige Verschiebung der Wahlen im Gaza-Streifen verhindert jede Möglichkeit für eine Änderung des politischen Status quo. Die Umsetzung des Versöhnungsabkommens von 2017, das schließlich zu Wahlen geführt hätte, scheiterte zum Teil an der Frage der Kontrolle über die innere Sicherheit des Gazastreifens, da die Hamas ihren unabhängigen bewaffneten Flügel und eine dominante Sicherheitsposition im Territorium behalten wollte (FH 4.2.2019; vgl. CGRS 6.3.2020). Die Kontrolle über die Grenzübergänge wurde von der Hamas 2017 auf die PA übertragen (CGRS 6.3.2020; vgl. DS 1.11.2017), wenngleich die Hamas trotzdem über die de facto Kontrolle in Sicherheits- und anderen Angelegenheiten hatte (USDOS 20.4.2018). Im Jänner 2019 zog die PA ihre Mitarbeiter am Grenzübergang zu Ägypten (Rafah) mit der Begründung zurück, dass die Hamas die Arbeit ihrer Mitarbeiter behindere (CGRS 6.3.2020).

Es gibt noch keinen Termin für die nächsten Präsidentschaftswahlen (FH 4.2.2019; vgl. CGRS 6.3.2020). Entscheidungen über die Durchführung von Wahlen sind stark politisiert. Die PA führte 2017 Gemeinderatswahlen im Westjordanland durch, aber die Hamas lehnte angesichts der Streitigkeiten zwischen Hamas und Fatah über die Kandidatenlisten die Teilnahme ab, und im Gazastreifen wurden keine Wahlen abgehalten. Auch bei den letzten Kommunalwahlen 2012 war der Gazastreifen von der Teilnahme ausgeschlossen. Versöhnungs- und Wiedervereinigungs-versuche zwischen Fatah und Hamas bleiben weiterhin erfolglos (FH 4.2.2019). Die Fähigkeit palästinensischer Beamter, im Gazastreifen Politik zu machen und umzusetzen, ist durch israelische und ägyptische Grenzkontrollen, israelische Militäraktionen und die anhaltende Spaltung mit der PA im Westjordanland stark eingeschränkt (FH 4.2.2019).

2005 zog Israel sein Militär und die nach 1967 angesiedelten Israelis aus dem Gazastreifen ab, behielt jedoch die Kontrolle über Außengrenzen und Luftraum unilateral bei: Daraus resultiert der Rechtsstreit, ob der Gazastreifen noch besetzt ist oder nicht (DS 17.5.2018). Israel hat weiterhin die Kontrolle über Wasser, Elektrizität, Infrastruktur, Grenzübergänge, medizinische Behandlung, Exporte/Importe und viele andere Bereiche des täglichen Lebens. Den Palästinensern kommt keine Souveränität über ihre Ressourcen zu (MEE 13.10.2019). Die Blockade des Gazastreifens seit 2007 durch Israel, die durch die ägyptischen Beschränkungen an der Grenze zum Gazastreifen noch verschärft wird, schränkt den Zugang der fast zwei Millionen dort lebenden Palästinenser zu Bildung, wirtschaftlichen Möglichkeiten, medizinischer Versorgung, sauberem Wasser und Elektrizität ein. Achtzig Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen sind von humanitärer Hilfe abhängig (HRW 14.1.2020; vgl. FH 4.2.2019).

Die EU, Israel und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein (Zeit Online 28.8.2019). Die Hamas verhaftete in der ersten Jahreshälfte 2019 Hunderte Salafisten. Gruppen wie der sogenannte Islamische Staat sind im Gazastreifen momentan nicht stark organisiert, aber die Gefahr, dass sie hier Fuß fassen könnten, ist sehr groß (Zeit Online 8.7.2019).

1.4.2. Die Sicherheitslage in Israel und den Palästinensischen Gebieten ist wesentlich vom israelisch-palästinensischen Konflikt geprägt (AA 25.3.2020). Auch den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im besetzten Palästinensischen Gebiet auswirken (EDA 30.3.2020).

1994 begann Israel einen Grenzzaun zu bauen, der 2000, während der Intifada, attackiert und danach durch eine Sicherheitsbarriere ersetzt wurde. Dabei richtete Israel auch eine Pufferzone auf dem Gebiet des Streifens ein (was ihn noch schmäler macht), in die laut israelischen Einsatzregeln scharf hineingeschossen werden kann. Die Breite der Zone, bis zu 300 Meter, wird variabel festgelegt – dort fanden in der Vergangenheit Aufmärsche statt. 2005 zog Israel sein Militär und die nach 1967 angesiedelten Israelis aus dem Gazastreifen ab, behielt jedoch die Kontrolle über Außengrenzen und Luftraum unilateral bei: Daraus resultiert der Rechtsstreit, ob der Gazastreifen noch besetzt ist oder nicht. Die letzten Jahre sind geprägt von einem Wechselspiel von Raketenangriffen auf Israel aus dem Gazastreifen, dem Bau von Schmuggel- und Angriffstunnels – und der immer wieder gelockerten und angezogenen Blockade durch Israel (DS 17.5.2018) sowie israelischen Militäroffensiven (AA 25.3.2020).

Für den Gazastreifen besteht eine Reisewarnung (AA 25.3.2020; vgl. BMEIA 18.3.2020). Die Lage ist äußerst gespannt. Seit Ende März 2018 kommt es immer wieder zu Massenprotesten entlang der Grenze zu Israel. Gewaltsame Konfrontationen zwischen Demonstranten und der israelischen Armee haben zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 30.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Seit März 2018 kam es im Gazastreifen regelmäßig zu Demonstrationen entlang des Grenzzauns zu Israel (“Great March of Return“), teils wöchentlich. Viele der Proteste waren mit Gewalt verbunden, es wurden insgesamt mehr als 200 Palästinenser getötet und Tausende verletzt (CIA 15.3.2020). Andere Quellen sprechen von mehr als 180 getöteten Palästinensern, viele durch scharfe Munition der israelischen Streitkräfte. Laut einer NGO wurden im Jahr 2018 in Gaza insgesamt 255 Palästinenser durch israelische Streitkräfte getötet, die höchste Zahl seit den offenen Kampfhandlungen 2014. Viele der Opfer waren zivile Demonstranten in der Nähe des Grenzzauns, andere Todesopfer waren auf israelische Luftangriffe sowie Schusswechsel mit in Gaza ansässigen militanten Kämpfern zurückzuführen (FH 4.2.2019).

Die Kämpfe zwischen Israel und bewaffneten palästinensischen Gruppen in Gaza waren mit unrechtmäßigen Angriffen und zivilen Opfern verbunden. Israelische Streitkräfte feuern weiterhin scharfe Munition auf Demonstranten innerhalb des Gazastreifens ab, die keine unmittelbare Bedrohung des Lebens darstellen, was gegen internationale Menschenrechtsstandards verstößt. Nach Angaben einer palästinensischen Menschenrechtsorganisation haben die israelischen Streitkräfte bei den Protesten im Jahr 2019 bis Ende Oktober 34 Palästinenser getötet und nach Angaben des Gesundheitsministeriums des Gazastreifens 1.883 mit scharfer Munition verletzt (HRW 14.1.2020). Eine weitere Quelle gibt an, dass im Jahr 2019 38 Palästinenser im Rahmen der Proteste entlang des Grenzzauns getötet wurden (USDOS 11.3.2020). Insbesondere werden zahlreiche, mit Brandsätzen ausgestattete Drachen und Ballons eingesetzt, die vom Gazastreifen aus starten und im Nahbereich des Zauns landen. Auch Raketen- und Mörserbeschuss aus dem Gazastreifen heraus auf israelisches Staatsgebiet und israelische Gegenangriffe kommen des Öfteren vor (AA 25.3.2020; vgl. Zeit 28.8.2019).

Die Eskalation des Konflikts im und um den Gazastreifen forderte im Sommer 2014 über 2000 Todesopfer und zahlreiche Verletzte. Am 26. August 2014 ist ein (unbefristeter) Waffenstillstand geschlossen worden. Trotz des Waffenstillstandsabkommens nehmen die Spannungen periodisch zu und führen immer wieder zu Raketenbeschüssen auf israelische Gebiete und zu militärischen Aktionen der israelischen Armee im Gazastreifen, wie z.B. Anfang Mai 2019 (EDA 30.3.2020). Die von Ägypten vermittelte inoffizielle Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas war mehrfach gebrochen worden (Zeit 28.8.2019). Auch in den Monaten Juli, August, Oktober und November 2018 sowie März 2019 hatte es mehrere kleinere Gewaltausbrüche gegeben, die zum Teil zivile Todesopfer zur Folge hatten (HRW 4.2.2020). Palästinensische Kämpfer beschossen Israel mit mehr als 1.340 Raketen und Mörsergranaten, es wurden laut israelischer Regierung fünf israelische Soldaten getötet. Als Reaktion auf diese Angriffe starteten die Israeli Defense Forces im Laufe des Jahres 2019 579 Luftangriffe auf Ziele in Gaza, die nach Angaben der Vereinten Nationen zusammen mit Panzerbeschuss 66 Palästinenser, darunter 10 Minderjährige, töteten (USDOS 11.3.2020).

Nach der Eskalation der Lage zwischen Israel und dem Gaza-Streifen vom 12. und 13. November 2019 (BMEIA 18.3.2020; vgl. DW 13.11.2019) herrscht seit dem 14. November nunmehr ein Waffenstillstand. Ein neuerliches Aufflammen der feindseligen Handlungen kann aber nicht ausgeschlossen werden. In Palästina finden immer wieder Protestmärsche und Kundgebungen statt, im Gaza-Streifen kommt es zudem zu massiven Zusammenstößen mit Todesopfern am Grenzzaun (BMEIA 18.3.2020). Es kommt vor, dass die Grenzübergänge zwischen Israel und dem Gazastreifen vorübergehend und ohne Vorwarnung auf unbestimmte Zeit abgeriegelt werden (EDA 30.3.2020; vgl. AA 25.3.2020). Der Gazastreifen ist seit Juni 2007 für den allgemeinen Personenverkehr von und nach Israel fast vollständig abgeriegelt (AA 25.3.2020).

1.4.3. Im Gazastreifen verfügt die Hamas in allen Gesellschaftsbereichen de-facto die Kontrolle. Es gibt keine rechtlichen oder unabhängigen Institutionen, die in der Lage sind, die Hamas zur Verantwortung bzw. Rechenschaft zu ziehen. Für die innere Sicherheit in Gaza zuständig sind Zivilpolizei, Wach- und Schutztruppen, eine interne Geheimdienst- und Ermittlungseinheit sowie der Zivilschutz. Für die nationale Sicherheit zuständig sind die nationalen Sicherheitskräfte, die Militärjustiz, die Militärpolizei, der medizinische Dienst und die Gefängnisbehörde. In einigen Fällen nutzen die "zivilen" Hamas-Behörden de facto den militärischen Flügel der Hamas-Bewegung, um gegen interne Meinungsverschiedenheiten vorzugehen (USDOS 11.3.2020).

Die Hamas hat kein konventionelles Militär im Gazastreifen, sondern unterhält verschiedene Einheiten von Sicherheitskräften, zusätzlich zu ihrem bewaffneten Flügel, der Izz al-Din al-Qassam Brigade. Dieser militärische Flügel untersteht dem politischen Büro der Hamas. Es gibt mehrere andere militante Gruppierungen, die im Gazastreifen operieren, vor allem die Al-Quds-Brigaden des Palästinensischen Islamischen Dschihad, die normalerweise, aber nicht immer, der Autorität der Hamas unterstehen (CIA 15.3.2020). Die Izz al-Din al-Qassam Brigade kann, gemäß Informationen aus dem Jahr 2014, als etwa 7.000 Mann starke „stehende Armee“ gesehen werden, mit einem Mobilisierungspotential von etwa 25.000 Mann (GS 1.5.2017). Die EU, Israel und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein (Zeit 28.8.2019), genauso wie Izz al-Din al-Qassam. Auch der Islamische Dschihad wird von der EU als terroristische Gruppierung eingestuft (EU 8.8.2019).

Die Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas wirken sich auch auf die Sicherheitskräfte aus. Nach der Spaltung untersagte die palästinensische Behörde ehemaligen Mitarbeitern der Sicherheitskräfte, im Gazastreifen für die Verwaltung der Hamas zu arbeiten. Sie wurden stattdessen von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) bezahlt, ohne zu arbeiten. Die Arbeit der palästinensischen Sicherheitsdienste und der Polizei wird jedoch auch durch die israelische Armee behindert, z.B. zerstörte sie während des Gazakrieges im Dezember 2008 alle Gefängnisse und Haftzentren in Gaza durch Bombenangriffe (GIZ 3.2020a). Israel behält die effektive zivile Kontrolle über seine Sicherheitskräfte im Gazastreifen bei (USDOS 11.3.2020).

1.4.4. Der Gazastreifen steht seit 2007 unter einer Blockade seitens Israel, was sich schwer auf die Wirtschaft auswirkt(e). Der gesamte Waren- und Personenverkehr in und aus dem Gaza-Streifen ist stark eingeschränkt. Die Bevölkerung in Gaza beläuft sich auf 1,9 bis 2 Millionen, von denen etwa 1,57 Millionen registrierte palästinensische Flüchtlinge sind (UNRWA 2019; vgl. GIZ 3.2020b).

Die Behörden der Hamas haben im Gazastreifen allem Anschein nach keine routinemäßigen Einschränkungen der internen Bewegungsfreiheit implementiert, obwohl es einige Gebiete gibt, zu denen die Hamas den Zutritt verwehrte. Der steigende Druck, der Interpretation islamischer Normen der Hamas zu entsprechen, führt im Allgemeinen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen. Durch Kritik an der Hamas, beispielsweise im Internet, riskieren Personen ein Ausreiseverbot aus Gaza (USDOS 11.3.2020).

Die Bewegungsfreiheit der Bewohner des Gazastreifens ist stark eingeschränkt, die Bedingungen haben sich in den letzten Jahren weiter verschlechtert. Sowohl Israel als auch Ägypten überwachen die Grenzgebiete streng, und die Hamas verhängt ihre eigenen Beschränkungen (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Palästinenser, die nach Gaza zurückkehren, werden regelmäßig von der Hamas über ihre Aktivitäten in Israel, im Westjordanland und im Ausland verhört (USDOS 11.3.2020). Die Hamas erlaubte 2017 die Entsendung von Beamten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) an die Grenzübergänge des Gazastreifens, aber dies führte zu keinen praktischen Veränderungen der Bewegungsfreiheit der Einwohner des Gazastreifens. Korruption und die Zahlung von Bestechungsgeldern an den Grenzübergängen ist üblich (FH 4.2.2019). Palästina verfügt über keinerlei Souveränitätsrechte, was die Einreise und den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern betrifft. Allein zuständig für die Erteilung von Visa ist der Staat Israel (GIZ 3.2020d). Kurzfristige und unangekündigte Totalsperrungen des Gazastreifens sind jederzeit möglich, der Gazastreifen kann dann auch von ausländischen Staatsbürgern nicht verlassen werden (BMEIA 18.3.2020). Israel unterhält eine starke Sicherheitspräsenz rund um die Land- und Meeresgrenzen des Gazastreifens (FH 4.2.2019).

Gemäß NGOs besitzen 40.000 bis 50.000 Personen im Gazastreifen keine Identifikationskarten, die von Israel anerkannt werden. Einige dieser Personen sind im Gazastreifen geboren, aber Israel hat sie nie als Einwohner Gazas anerkannt, andere wiederum waren im Krieg von 1967 aus Gaza geflohen oder hatten Gaza nach 1967 aus verschiedenen Gründen verlassen und sind später zurückgekehrt. Eine kleine Gruppe ist in Gaza geboren und nie von dort weggegangen und besitzt ausschließlich Identifikationskarten, die von der Hamas ausgestellt wurden. Gemäß den Osloer Abkommen verwaltet die PA das palästinensische Bevölkerungsregister, obwohl Statusänderungen im Register der Zustimmung der israelischen Regierung bedürfen. Die israelische Regierung hat seit dem Jahr 2000 keine Änderungen des Registers mehr vorgenommen. Die israelischen Behörden erlauben einem Elternteil aus der Westbank nur dann Zugang zu ihrem Kind in Gaza, sofern es keine anderen Verwandten im Gazastreifen hat (USDOS 11.3.2020).

Israel schränkt den Personen- und Warenverkehr in den und aus dem Gazastreifen pauschal ein (HRW 14.1.2020). Israel verweigert den Einwohnern des Gazastreifens oft aus Sicherheitsgründen die Erlaubnis, das Gebiet zu verlassen, und erlaubt nur bestimmten medizinischen Patienten und anderen Personen die Ausreise (FH 4.2.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Universitätsstudenten haben Schwierigkeiten, die notwendigen Genehmigungen zu erhalten, um das Gebiet zu verlassen und im Ausland zu studieren (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Der Gaza-Streifen ist seit Juni 2007 für den allgemeinen Personenverkehr von und nach Israel fast vollständig abgeriegelt. Der einzige Personenübergang zwischen Israel und dem Gaza-Streifen, Erez, ist zurzeit insbesondere für humanitäre Fälle und internationale Organisationen geöffnet (AA 25.3.2020). Es kommt vor, dass die Grenzübergänge zwischen Israel und dem Gazastreifen vorübergehend und ohne Vorwarnung auf unbestimmte Zeit abgeriegelt werden (EDA 30.3.2020; vgl. AA 25.3.2020). Die Einreise nach Israel aus dem Gazastreifen via Erez-Checkpoint ist nur möglich, wenn die Ausreise aus Israel nach Gaza ebenso dort erfolgte. Personen, die nach Gaza über Rafah (Ägypten) einreisen, müssen wieder über Rafah ausreisen (BMEIA 18.3.2020; vgl. AA 25.3.2020). Im Jahr 2019 verließen insgesamt 191.830 Menschen den Gazastreifen via Erez Richtung Israel, also im Durchschnitt rund 16.000 pro Monat oder ca. 530 täglich (OCHA o.D.; vgl. HRW 14.1.2020).

Der Grenzübergang Rafah, zwischen Ägypten und dem Gazastreifen, ist außer an Wochenenden und islamischen Feiertagen grundsätzlich geöffnet (AA 25.3.2020), eine andere Quelle spricht jedoch davon, dass er von Ägypten nur sporadisch für wenige Stunden geöffnet wird (BMEIA 18.3.2020). Der Grenzübergang kann dann nach Angaben der ägyptischen Behörden regulär nur von Palästinensern mit gültigen Ausweispapieren der PA benutzt werden. Für die Ausreise aus dem Gazastreifen bedarf es der Zustimmung der ägyptischen und palästinensischen Grenzbehörden. Hier kann es auch bei erst kürzlich erfolgter Einreise zu Wartezeiten von mehreren Wochen bis zur Ausreise kommen (AA 25.3.2020). Politische Entwicklungen in Ägypten haben direkte Auswirkungen auf den Gazastreifen, indem die ägyptischen Behörden die Grenze ohne Vorwarnung auf unbestimmte Zeit abriegeln (EDA 30.3.2020).

Ab Mai 2018 lockerte Ägypten seine Beschränkungen für den Grenzübergang Rafah teilweise (FH 4.2.2019), schränkt den Personen- und Warenverkehr jedoch immer noch ein (HRW 14.1.2020). Es ist für Einzelpersonen nach wie vor äußerst schwierig, die Genehmigung der Hamas-Regierung zur Ausreise und zur Abfertigung durch die ägyptischen Behörden zu erhalten, und die Zahl der monatlichen Grenzübertritte bleibt im historischen Vergleich gering (FH 4.2.2019). Im Jahr 2019 überquerten durchschnittlich 12.172 Palästinenser monatlich die Grenze in beide Richtungen, was einen deutlichen Anstieg gegenüber den Vorjahren bedeutet (OCHA o.D.; vgl. HRW 14.1.2020).

1.4.5. In den Jahren der vollständigen israelischen Besatzung ist die palästinensische Wirtschaft ein reiner Zulieferbetrieb für Israel, eine eigenständige Wirtschaftsentwicklung gibt es nicht. Auch nach der Schaffung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) blieb die wirtschaftliche Entwicklung von Israel abhängig. Bis heute sind alle Exporte und Importe von der Zustimmung und Genehmigung der israelischen Behörden abhängig (GIZ 3.2020e). Die Blockade des Gazastreifens seit 2007 durch Israel, die durch die ägyptischen Beschränkungen an der Grenze zum Gazastreifen noch verschärft wird, schränkt den Zugang der fast zwei Millionen dort lebenden Palästinenser zu Bildung, wirtschaftlichen Möglichkeiten, medizinischer Versorgung, sauberem Wasser und Elektrizität ein. 80 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen sind von humanitärer Hilfe abhängig (HRW 14.1.2020; vgl. FH 4.2.2019). Zwei Drittel der Bevölkerung Gazas sind palästinensische Flüchtlinge, die vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) betreut werden (GIZ 3.2020e). Die Zahl der palästinensischen Flüchtlinge, die auf die Nahrungsmittelhilfe von UNRWA angewiesen sind, ist von weniger als 80.000 im Jahr 2000 auf heute fast eine Million gestiegen (UNRWA 1.1.2018).

Israelische Behörden schränken den Verkehr von Material, Waren und Personen in den und aus dem Gazastreifen ein (USDOS 11.3.2020), sowohl auf dem Land- als auch auf dem Seeweg. Für den Waren- und Personenverkehr nach bzw. aus Gaza gibt es drei Grenzübergänge: Rafah, Erez und Kerem Shalom (UNRWA o.D.). Kerem Shalom ist der einzige vom Handel genutzte Grenzübergang für den Warenverkehr zwischen dem Gazastreifen und Israel und damit de facto auch für das Westjordanland, obwohl er nie für diese Funktion ausgelegt war. Im Februar 2018 öffnete Ägypten den Grenzübergang Salah a-Din. Der Übergang wird von privaten Unternehmen auf beiden Seiten unter der Aufsicht des ägyptischen Militärs bzw. der Hamas-Behörden im Gazastreifen verwaltet. Er wird nur für den Warentransfer in eine Richtung, nach Gaza, und in begrenztem Umfang genutzt (Gisha 3.2020).

Die Versorgungslage im Gazastreifen ist schwierig (AA 25.3.2020). Die Wirtschaft des Gazastreifens befindet sich infolge der Blockade im freien Fall und im Zuge der Eskalationen der Feindseligkeiten in den Jahren 2008, 2012 und 2014 wurden die grundlegende Infrastruktur, die Erbringung von Dienstleistungen, und die Lebensgrundlagen weiter zerstört. Die Situation hat sich durch eine Spaltung zwischen der PA im Westjordanland und den de facto Behörden der Hamas im Gazastreifen weiter verschlechtert (z.B. 2017 Kürzung der Gehälter aller PA-Mitarbeiter im Gazastreifen um 30 bis 50 Prozent, Verzögerung von Bargeldhilfen für über 74.000 gefährdete Haushalte) (Oxfam 1.2020; vgl. UNRWA 1.1.2018; vgl. FH 4.2.2019).

Der Zugang zu sauberem Wasser und Elektrizität ist nach wie vor krisenanfällig und wirkt sich auf fast jeden Aspekt des Lebens in Gaza aus. Sauberes Wasser ist für 95 Prozent der Bevölkerung nicht verfügbar (UNRWA 1.1.2018; vgl. GIZ 3.2020b). Durch die israelische Abriegelung des Gazastreifens seit Juni 2007 ist es schwierig, Geräte und Material für die Wiederinstandsetzung der Wasserinfrastruktur in den Küstenstreifen zu bekommen (GIZ 3.2020b). Im Jahr 2019 begann der Bau einer vierten Wasserleitung von Israel nach Gaza, aber es war nicht klar, wie viel zusätzliches Wasservolumen die Rohre in Gaza aushalten, denn die Wasserinfrastruktur wird von der Hamas

1.4.6. Laut John Hopkins University verzeichneten das Westjordanland und Gaza mit Stand 12.8.2020 15.184 (mit Stand 14.7.2020 waren es noch 6.579 lt. JHU 14.7.2020) bestätigte Infektionen und 104 Tote (mit Stand 14.7. waren es 42 lt. JHU 14.7.2020). Die Weltgesundheitsorganisation meldete ebenfalls mit Stand 10.8.2020 18.651 bestätigte Infektionen und 103 Tote seit 5.3.2020 (WHO 10.8.2020B). Der Gaza-Streifen ist aufgrund seiner Isolation und aufgrund der Maßnahmen seitens der Hamas eines der wenigen Gebiete der Welt, aus dem keine Fälle der Übertragung des Corona-Virus innerhalb der Gesellschaft bekannt sind. Alle bekannten 78 Fälle von Corona-Infektionen wurden während der dreiwöchigen Quarantäne für Einreisende, welche im März von der Hamas verhängt wurde, entdeckt (NYT 8.8.2020). Laut The Daily Star gab es einen Todesfall durch COVID-19 im Gaza-Streifen (TDS 9.8.2020). Weitere Maßnahmen im Gaza-Streifen wurden mittlerweile wieder aufgehoben. Ein Vertreter der Weltgesundheitsorganisation warnte, dass ein kleiner Fehler dies ändern könnte, und dass die medizinische Infrastruktur keinem großen Ausbruch gewachsen sei (NYT 8.8.2020). Unterdessen verhängten Ägypten und Israel, die beide mit Zehntausenden Fällen von Infektionen betroffen sind, neue Beschränkungen für die Ein- und Ausreise aus Gaza. Der Grenzübergang zu Ägypten wurde im März von Ägypten und der Hamas geschlossen. Israel erteilt weiterhin Genehmigungen für die Ausreise über Erez für lebensnotwendige medizinische Behandlungen, ist aber bei andern Genehmigungen restriktiver geworden – z.B. für den Besuch krebskranker Angehöriger in der Westbank oder von Ehefrauen und Kindern in Israel.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verfahrensakt unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der BF1 und der von ihr vor dem BFA vorgelegten Beweismittel, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, die Einsichtnahme sowie Übersetzung der weiteren von ihr vorgelegten Beweismittel, die Beischaffung aktueller länderkundlicher Informationen sowie die amtswegige Einholung einer Strafregisterauskunft und von Datenbankauszügen des Zentralen Melderegisters und des Grundversorgungsinformationssystems die BF1 und den BF2 betreffend.

Auf der Grundlage dieses Beweisverfahrens gelangte das BVwG nach Maßgabe unten dargelegter Erwägungen zu den entscheidungswesentlichen Feststellungen.

2.2. Die genaue Identität der BF1, ihre Staatenlosigkeit und Zugehörigkeit zur palästinensischen Volksgruppe, ihre regionale Herkunft, ihre Registrierung bei der palästinensischen Autonomiebehörde und im israelischen Bevölkerungsregister, ihr früherer Lebenswandel bzw. ihre Lebensumstände vor der Ausreise aus der Herkunftsregion sowie die aktuellen Lebensumstände ihrer Angehörigen und Verwandten ebendort bis dato konnten in einer Zusammenschau der diesbezüglich glaubhaften, weil nachvollziehbaren und plausiblen Schilderungen der BF1 vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie der im erstinstanzlichen und im Beschwerdeverfahren vorgelegten Urkunden festgestellt werden.

Die Identität des BF2 war anhand seiner Geburtsurkunde feststellbar.

Dass weder die BF1 noch ihre Angehörigen bei der UNRWA in Gaza als palästinensische Flüchtlinge registriert sind und mangels Bedürftigkeit auch keine Leistungen der UNRWA beziehen, war aus ihrer eindeutigen Erzählung in der mündlichen Verhandlung sowie in Ermangelung einer Registrierungskarte der UNRWA festzustellen.

Die Feststellungen zur Ausreise aus Gaza sowie Einreise nach Österreich stützen sich ebenso auf ihre entsprechenden plausiblen Angaben.

2.3. Die Feststellung oben unter Punkt 1.3. stützt sich auf folgende Erwägungen:

2.3.1. Anläßlich der Erstbefragung gab die BF1 zu ihren Ausreisegründen befragt an, sie sei von der Hamas bedroht worden. Ein Freund Ihres Gatten, der seinerseits Mitglied der Hamas sei, habe den Gatten gewarnt, dass sie auf einer Liste von Kollaborateuren mit Israel stehe und deshalb nach der Geburt ihres Kindes getötet werde.

Im Zuge ihrer erstinstanzlichen Einvernahme führte sie diese Angaben insofern weiter aus, als sie behauptete, vor der Ausreise von der Hamas verhört worden zu sein, wobei man ein Urteil über sie für die Zeit nach der Geburt ihres Kindes angekündigt habe. Mittlerweile sei in ihrer Abwesenheit das Urteil gefällt worden.

Im Weiteren legte sie die Einzelheiten jenes Geschehens dar, das zur Anklage gegen sie und zu ihrer Verurteilung geführt habe. Dieses betraf – zusammengefasst – den Vorwurf, dass sie anläßlich von zwei Besuchen Unbekannter gemeinsam mit ihrem Schwager an ihrem Wohnsitz diesen Unbekannten Informationen zu Lasten der Hamas und zu Gunsten Israels gegeben habe.

Die belangte Behörde erachtete dieses Vorbringen der BF1 zu ihren Ausreisegründen als nicht glaubhaft.

Als Beweismittel legte sie vor dem BFA einen Beschluss eines Sondermilitärgerichtes vom 12.05.2019 samt Übersetzung (AS 133, 135) und im Beschwerdeverfahren ein Urteil eines Ständigen Militärgerichtes gegen sie samt Übersetzung (OZ 14) vor.

2.3.2. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG wurde das bisherige Vorbringen zu ihren Ausreisegründen und Rückkehrbefürchtungen nochmals mit ihr erörtert.

Dabei erschloss sich im Hinblick auf ihre Behauptung vor dem BFA, dass die Unbekannten, welche „Juden“ gewesen seien, ihre Wohnung aufgesucht hätten um von dort aus Beobachtungen zu machen und Fotos anzufertigen, dem Gericht nicht, welche Gründe für diese Aktivitäten gerade in bzw. aus ihrer Wohnung gegeben gewesen seien bzw. was von dort aus zu beobachten gewesen sei. Die BF1 selbst verneinte in der mündlichen Verhandlung zuerst, eine Erklärung dafür zu haben, bzw. mutmaßte sie dann bloß, dass die Unbekannten „vielleicht Leute der Hamas beobachten wollten“ (S.10 der NS). Weshalb aber gerade von dort aus Mitglieder der Hamas beobachtet werden sollten, wurde daraus nicht erkennbar.

Vor dem BFA hatte sie demgegenüber angegeben, dass einer der Besucher das Heimatdorf „bewachen“ und ein anderer „die Grenze bewachen“ wollte (gemeint: die Grenze zwischen Gaza und Israel). Nachdem ihrer Darstellung in der Verhandlung folgend aber ihr Wohnsitz inmitten zahlreicher anderer Häuser lag, war nicht erkennbar, was gerade ihren Wohnsitz als Beobachtungsposten für Vorgänge im Dorf qualifiziert habe. Wie ebenso nicht nachvollziehbar war, wie man von ihrer Wohnung aus die Grenze beobachten wollte, wenn diese ihrer Antwort auf Nachfrage in der Verhandlung folgend „zwei bis drei Gehstunden“ von der Wohnung entfernt gelegen sei.

Zudem stellte sie ihren Schwager als Kollaborateur der unbekannten Besucher dar. Weshalb dieser dann aber nicht seine eigene, im Stockwerk darunter gelegene Wohnung dafür verwendet habe um damit möglichst von Dritten unbemerkt zu bleiben, sondern die BF1 und ihre Angehörigen damit konfrontierte und dadurch auch riskierte, dass durch sie etwas über sein Tun bekannt werden könnte, so etwa gegenüber dem Ehegatten der BF1, blieb unverständlich.

Lebensfremd war für das Gericht auch, dass der Schwager über seine eigene Person hinaus auch die BF1, also die Schwester seiner eigenen Gattin, bewusst in größte Gefahr gebracht habe, indem er sie dem potentiellen Vorwurf der Kollaboration und des Verrates und damit der Verfolgung durch die Hamas ausgesetzt habe.

Unerklärlich war für das Gericht darüber hinaus, weshalb die BF1, die im Zuge der Besuche auch unter Todesdrohungen geraten sei für den Fall, dass sie etwas verraten sollte, nichts von den Geschehnissen in ihrer Wohnung ihrem Gatten erzählt habe. Gerade durch die unmittelbare Erzählung des Geschehenen im Gefolge des ersten Besuches wäre sie in der Lage gewesen ihre Unschuld bzw. Zwangslage glaubhaft zu machen und so die ihr drohende Verfolgungsgefahr abzuwenden, auch wenn dies ihren Schwager ins Visier der Hamas geraten hätte lassen, zumal ihr eigenes Schicksal sowie indirekt auch das ihrer Kinder für sie von weit größerer Bedeutung gewesen sein müsste als das ihres Schwagers. Nicht zuletzt sei ihr Schwager ihrer Darstellung folgend, wenn auch auf unbekannte Weise, von der Hamas enttarnt und am Tag nach dem zweiten Besuch bei ihr festgenommen und in einem Schnellverfahren hingerichtet worden.

Die Erklärung der BF1 auf entsprechenden Vorhalt in der Verhandlung, sie habe nichts an ihren Gatten verraten wollen um eine mögliche „Kette von Problemen“ zu vermeiden bzw. „die Situation nicht außer Kontrolle geraten zu lassen“, entbehrte angesichts drohender bzw. ihrer weiteren Darstellung nach dann auch tatsächlich eingetretener gravierender Probleme mit der Hamas jeder Logik, zumal sie in der Folge verhaftet, verhört und zum Tod verurteilt worden sei. Diese Unschlüssigkeit wurde noch dadurch verdeutlicht, dass sie auf Nachfrage, welche Probleme sie mit ihrem Schweigen ihrem Gatten gegenüber vermeiden habe wollen, bloß mutmaßte, dass er dem Schwager etwas antun hätte können. Auch dem Vorhalt, dass sie sich der drohenden Gefahr entziehen hätte können, indem sie das Geschehen gleich nach dem ersten Besuch der Unbekannten ihrem Gatten berichtete, und dieser sie und die Kinder andernorts, so bei Verwandten von ihr oder von ihm, zumindest vorübergehend in Sicherheit bringen hätte können, vermochte sie nichts Plausibles zu entgegnen.

Fehlende Plausibilität haftete weiter der Darstellung der BF1 an, dass man ihr vorgeworfen habe, den unbekannten Besuchern Informationen über die Grenztunnel der Hamas gegeben zu haben. Oben wurde bereits erwähnt, dass diese Grenze mehrere Gehstunden vom Wohnsitz der BF1 entfernt lag. Welche Informationen sie schon angesichts dessen haben sollte, blieb unbekannt, wie auch grundsätzlich unerklärlich war, weshalb gerade die BF1 überhaupt einem solchen Vorwurf ausgesetzt worden sein sollte.

Dass sie in der Verhandlung im Zusammenhang damit noch vermeinte, ihr sei nicht von der Hamas im Verhör die Informationsweitergabe an Israel vorgeworfen worden, wie sie dies noch vor dem BFA behauptete, sondern sei ihr bloß von ihrem Schwager angedroht worden, dass er dies von ihr behaupten würde, für den Fall, dass sie ihn verrate, während ihr von der Hamas nur vorgehalten worden sei, „Israelis“ in ihr Haus gelassen zu haben, bestätigte für das Gericht die mangelnde Glaubwürdigkeit der BF1.

Schließlich berichtete die BF1 schon vor dem BFA, dass einer ihrer Brüder mit der Hamas „zusammenarbeitete“. Weshalb es ihr dann mit dessen Unterstützung nicht möglich gewesen wäre, sich der drohenden Verfolgung der Hamas zu entziehen, stellte sie schon vor dem BFA nicht plausibel dar. In der Verhandlung verstärkte sie diesen negativen Eindruck noch dadurch, dass sie bestritt, dies über ihren Bruder gesagt zu haben.

Soweit sie schon vor dem BFA behauptete, es sei gegen sie gleich nach dem Verhör ein Todesurteil gefällt worden, dessen Vollstreckung aber bis nach der Geburt ihres dritten Kindes aufgeschoben worden sei, und sie sich im Angesicht dessen bis zur Ausreise frei bewegen habe können, mutete auch dies lebensfremd an. Im Übrigen widersprach sie ihrer Darstellung vor dem BFA, dass sie am Folgetag bereits vom Urteil erfahren habe, in der Verhandlung, indem sie dort vermeinte, dies sei zwei Tage später geschehen.

Unschlüssig war für das BVwG auch, dass sie trotz eines bereits gegen sie verhängten Todesurteils ohne Personenkontrolle der Hamas durch einen der Tunnel an der Grenze zu Ägypten ausreisen habe können, da die Hamas die alleinige Kontrolle nicht nur über den Gaza-Streifen an sich, sondern naturgemäß auch über diese Grenze auf ihrer Seite hat. Dass sie dies damit zu erklären versuchte, dass manche der Tunnels kontrolliert wurden und manche nicht, überzeugte nicht, da zutreffendenfalls nicht verständlich wäre, weshalb die Hamas einen Teil der Tunnel unkontrolliert gelassen hätte.

Zu den beiden von ihr vorgelegten Beweisstücken ist anzumerken, dass sich die Authentizität solcher in Kopie vorgelegter Unterlagen nicht verifizieren ließ wie auch die Richtigkeit ihres Inhalts nicht überprüft werden konnte. Schon deshalb kam diesen kein maßgeblicher Beweiswert zu. In diametralem Widerspruch zur Darstellung vor dem BFA, dass sie bereits Ende März 2019 zum Tode verurteilt worden sei, stand jedenfalls, dass sie sich dem ersten Beweisstück vom 12.05.2019 folgend binnen 10 Tagen der Justiz zu stellen habe, „widrigenfalls“ sie in Abwesenheit verurteilt werde. Ebenso in diametralem Widerspruch zur erstinstanzlichen Aussage stand, dass sie dem zweiten Beweisstück, dem gegen sie gefällten Urteil, folgend „in Abwesenheit aufgrund ihres Nichterscheinens vor dem Gericht und ihrer Flucht außerhalb der Heimat in einen anderen Staat“ verurteilt worden sei, war sie doch im Gegensatz dazu noch bis Anfang April, sohin bis nach der Urteilfällung Ende März, in XXXX .

Im Übrigen fiel inhaltlich noch auf, dass eines der beiden einen Beschluss eines „special military court“ und das andere ein Urteil eines „permanent military court“ darstellte, in beiden aber der Fall der BF1 behandelt wurde, wie auch das „Todesurteil“ bloß eine einzige, wenig beschriebene A4-Seite darstellte, was ebenso deren Beweiswert maßgeblich in Frage stellte.

2.3.3. Auf der Grundlage dieser Beweiswürdigung gelangte das erkennende Gericht sohin zur Feststellung, dass die BF1 vor ihrer Ausreise keiner individuellen Verfolgung durch die Hamas wegen des Vorwurfs der Kollaboration mit oder Spionage für Israel unterlag, woraus auch pro futuro nicht auf die Gefahr einer solchen zu schließen war.

2.4. Die länderkundlichen Feststellungen des BVwG oben stützen sich auf die vom Gericht dafür herangezogene aktuelle Informationsquelle der Staatendokumentation des BFA. Davon abweichende länderkundliche Informationen wurden nicht eingebracht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Soweit die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Mit Datum 1.1.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 24/2016.

Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet. Gemäß § 3 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF v. 04.08.2015, BGBl. I Nr. 84/2015, obliegt dem BFA u.a. die Vollziehung des AsylG 2005.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des BFA.

Zu A)

1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG hat die Behörde einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht. Darüber hinaus darf keiner der in § 6 Abs. 1 AsylG genannten Ausschlussgründe vorliegen, andernfalls der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden kann.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Im Hinblick auf die Neufassung des § 3 AsylG 2005 im Vergleich zu § 7 AsylG 1997 wird festgehalten, dass die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zu den Kriterien für die Asylgewährung in Anbetracht der identen Festlegung, dass als Maßstab die Feststellung einer Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK gilt, nunmehr grundsätzlich auch auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 anzuwenden ist.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, Zl. 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

1.2. Die von der BF1 behauptete Verfolgung bzw. Bedrohung durch die Hamas war aus oben dargelegten Gründen nicht glaubhaft.

Es war daher zum Ergebnis zu gelangen, dass die BF1 weder vor der Ausreise einer individuellen Verfolgung durch die Hamas ausgesetzt war noch der Gefahr einer solchen für den Fall der Rückkehr ausgesetzt wäre.

1.3. Die Beschwerde war sohin zu Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abwei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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