TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/12 L524 2167646-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.05.2021
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Entscheidungsdatum

12.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L524 2167646-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.07.2017, Zl. XXXX , betreffend Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsangehörige, ist die Mutter der XXXX , Zl. L524 2167651-1, der XXXX , Zl. L524 2167654-1, des XXXX , Zl. L524 2167541-1 und des XXXX , Zl. L524 2167648-1.

Der ältere Sohn der Beschwerdeführerin XXXX reiste bereits Ende Mai 2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 27.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführerin, ihr jüngerer Sohn und ihre beiden Töchter stellten nach ebenfalls illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 16.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 26.09.2015 erfolgte eine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes und am 20.12.2016 die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA).

Mit Bescheid des BFA vom 21.07.2017, Zl. 1087849902/151385345, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde.

Die Beschwerdevorlage langte am 16.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge nach Unzuständigkeitseinreden zweier Leiter der zunächst befassten Gerichtsabteilungen der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

Mit Eingabe vom 24.04.2018 brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen ein Konvolut an Unterlagen zur Bescheinigung der Integration betreffend ihre Person und ihre Familienangehörigen in Vorlage.

Am 31.03.2021 verließ die Beschwerdeführerin freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe das Bundesgebiet und reiste in den Herkunftsstaat zurück. Der jüngere Sohn der Beschwerdeführerin setzte diesen Schritt am 24.02.2021 und der ältere Sohn der Beschwerdeführerin am 16.04.2021.

II. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist irakische Staatsangehörige, Araberin, sunnitische Muslima, verheiratet und Mutter von fünf erwachsenen Kindern. Sie lebte vor der Ausreise gemeinsam mit den ebenfalls nach Österreich gereisten Familienangehörigen in einem gemieteten Haus in Bagdad im Stadtviertel XXXX innerhalb des Stadtbezirks XXXX . Die Beschwerdeführerin besuchte in Basra die Schule im Ausmaß von zwölf Jahren (Grundschule und Gymnasium); sie erlangte einen Maturaabschluss. Im Anschluss studierte sie an der Universität Basra vier Jahre Biologie. Die Beschwerdeführerin arbeitete vor ihrer Ausreise als Lehrerin an einer Mittelschule und bestritt mit dieser beruflichen Tätigkeit ihren Lebensunterhalt vor ihrer Ausreise. Sie beherrscht Arabisch auf muttersprachlichem Niveau in Wort und Schrift.

Im Irak leben der Ehemann, die Mutter und eine Tochter. Der Ehemann und die Mutter leben weiterhin in Bagdad. Die Tochter wohnt in Erbil in der Autonomen Region Kurdistan.

Die Beschwerdeführerin ist die Mutter von XXXX , geb. XXXX , Zl. L524 2167651-1, von XXXX , geb. XXXX , Zl. L524 2167654-1, von XXXX , geb. XXXX , Zl. L524 2167648-1 und von XXXX , geb. XXXX , Zl. L524 2167541-1. Letzterer verließ im November 2014 den Irak und reiste im Mai 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Die Beschwerdeführerin und ihre drei anderen erwachsenen Kinder verließen Anfang 2015 legal den Irak. Sie reiste mit diesen drei Personen im September 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 16.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Auch die vier erwachsenen Kinder stellten jeweils Anträge auf internationalen Schutz. Für die Reise nach Österreich bezahlte die Beschwerdeführerin und ihre Familie ca. 6.000 US-Dollar.

Der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Fluchtgrund, dass ihr älterer Sohn am 03.11.2014 in Zusammenhang mit dessen beruflicher Tätigkeit von drei Personen aufgrund der Religionszugehörigkeit beleidigt, verprügelt und bedroht worden sei, das Haus der Familie am 04.11.2014 um Mitternacht von sechs Personen einer Miliz/der schiitischen Islamischen Daawa-Partei im Rahmen von Nachforschungen nach ihrem älteren Sohn durchsucht worden sei und man ihren jüngeren Sohn anstelle ihres älteren Sohnes mitnehmen habe wollen, was sie jedoch verhindern habe können, wird der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt.

Der Beschwerdeführerin droht im Fall einer Rückkehr in den Irak keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende individuelle Gefährdung oder psychische und/oder physische Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte aufgrund ihres Geschlechts oder aufgrund ihres Lebensstils. Die Beschwerdeführerin hat noch keine Lebensweise angenommen, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt und die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten im Irak darstellen würde. Jedenfalls ist diese Lebensführung noch nicht zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Beschwerdeführerin geworden, dass von ihr nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Herkunftsstaat an die dort vorherrschenden Sitten und Gebräuche anzupassen, um einer bedrohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden sozialen Ordnung und/oder religiösen Normen zu entgehen. Die aus der Lebensführung erkennbare Haltung der Beschwerdeführerin zur grundsätzlichen Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft steht nicht in maßgeblichem Widerspruch zu den im Herkunftsstaat Irak vorherrschenden Sitten und Gebräuchen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. Sie ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert und im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat deshalb nicht exponiert.

Die Beschwerdeführerin verließ am 31.03.2021 das österreichische Bundesgebiet und kehrte freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe in den Irak zurück. Ihr Sohn XXXX verließ am 24.02.2021 das österreichische Bundesgebiet und kehrte freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe in den Irak zurück. Ihr Sohn XXXX verließ 16.04.2021 das österreichische Bundesgebiet und kehrte freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe in den Irak zurück.

Die Beschwerdeführerin ist – abgesehen von einem Zustand nach Schilddrüsenentfernung im Jahr 2013 und Bluthochdruck – gesund. Aktuelle ärztliche bzw. medizinische Befunde, welche eine Behandlung in Österreich erforderlich erscheinen lassen, hat die Beschwerdeführerin nicht in Vorlage gebracht, weshalb von keiner - schon gar keiner schwerwiegenden - Erkrankung oder Behandlungsbedürftigkeit auszugehen ist. Sie gehört keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung an.

Die Beschwerdeführerin hat die Prüfung „ÖSD Zertifikat A1“ „sehr gut bestanden“ (Prüfungsdatum: 08.11.2017). Ferner hat die Beschwerdeführerin am 17.12.2016 am XXXX und am 15.09.2017 am Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds teilgenommen. Sie geht hier – abgesehen von einer in der Vergangenheit ausgeübten Nachhilfetätigkeit für arabischsprachige Kinder – weder ehrenamtlicher/gemeinnütziger Arbeit noch Erwerbsarbeit nach. Ebenso wenig brachte die Beschwerdeführerin eine Einstellungszusage in Vorlage. Die Beschwerdeführerin bezog seit der Antragstellung bis zu ihrer freiwilligen Rückkehr in den Irak Ende März 2021 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Sie war kein Mitglied eines Vereins oder einer sonstigen Organisation. Sie hat in Österreich auch keine Schule, sonstige Kurse oder Ausbildungen besucht.

Die Beschwerdeführerin pflegt(e) normale soziale Kontakte. Die Beschwerdeführerin verfügt hier über einen Freundes- und Bekanntenkreis, dem auch österreichische Staatsangehörige beziehungsweise in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigte Personen angehören. Sie legte im gegenständlichen Verfahren drei Unterstützungserklärungen ihrer Freunde und Bekannten vor. Diese Personen und die Beschwerdeführerin stehen privat in Kontakt und unternehmen gelegentlich gemeinsam Freizeitaktivitäten, zB. treffen sie sich für Spaziergänge, für Deutschübungen, zum Plaudern, sie trinken Tee oder kochen, besuchen Koch- und Nähkurse, das Theater, Museen, den Wiener Prater oder Veranstaltungen des Vereins „ XXXX “. Abgesehen von den beiden Töchtern befinden sich keine Verwandte in Österreich. Die Beschwerdeführerin lebt(e) mit ihren erwachsenen Kindern vor ihrer freiwilligen Rückkehr in den Irak (mit ihrem jüngeren Sohn lediglich bis 24.02.2021 und mit ihrer jüngeren Tochter lediglich bis 08.03.2021) in einem gemeinsamen Haushalt. Es besteht kein (wechselseitiges) Abhängigkeitsverhältnis zu diesen Personen.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Zur Lage im Irak:

Update Mossul:

Die irakischen Streitkräfte machten zuletzt bei der Rückeroberung von Westmossul Fortschritte und kesselten den IS („Islamischen Staat“) in der Altstadt Mossuls ein, die einem Labyrinth aus engen Gassen gleicht. Die Große Al-Nuri-Moschee, die sich in der Altstadt befindet, und in der der Anführer des IS (sogenannter „Islamischer Staat“) Abu Bakr al-Baghdadi nach dem Ausrufen des „Kalifats“ seine Gefolgschaft einschwor, wurde am 21.Juni 2017 zerstört. Laut den irakischen Streitkräften habe der IS die Moschee in die Luft gesprengt, um das Vorankommen der pro-Regierungstruppen zu verlangsamen (BBC 22.6.2017), bzw. könnte auch dahinterstehen, dass der IS verhindern will, dass das Ende des „Kalifats“ in der symbolträchtigen Moschee verkündet werden kann (BAMF 26.6.2017). Der IS behauptet, dass die Moschee bei einem US-Luftangriff zerstört worden sei (BBC 22.6.2017). Am 29.6.2017 erklärte dann die irakische Armee ihren Sieg über den IS in Mossul, nachdem sie das Gelände der zerstörten Al-Nuri-Moschee in der Altstadt eingenommen hatte. […] Selbst wenn der IS noch immer einige Häuserblöcke hält, in denen sich auch noch Zivilisten befinden, hielt Premier Haidar al-Abadi noch am Donnerstag in Westmossul seine Siegesrede (Harrer 30.6.2017). Laut Spiegel vom 29.6.2017 sind die IS-Kämpfer Militärschätzungen zufolge auf etwa 40 Prozent der Altstadt oder ein Prozent des gesamten Stadtgebietes zurückgedrängt worden. […] Nach wie vor kontrolliert der IS Gebiete im Westen und Süden der Stadt. Auch im Umland Mossuls und in anderen Regionen des Irak hält der IS noch einige Gebiete. (Spiegel 29.6.2017). Al-Baghdadi ist verschwunden – russische und iranische Militärs vermuten, dass er bei einem russischen Luftangriff in der Gegend von Raqqa in Syrien getötet wurde, wohin er mit einem Teil seiner Gefolgschaft schon zu Jahresbeginn geflüchtet sein soll (Harrer 30.6.2017).

In Mossul kam es zuletzt zu vergeblichen Gegenangriffen durch den IS auf befreite Stadtteile. Es kommt zudem immer wieder zu Selbstmordattentaten, auch in Ostmossul (BAMF 26.6.2017, vgl. Al-Jazeera 26.6.2017). IS-Kämpfer setzten in befreiten Gebieten Mossuls Häuser und Autos in Brand (Al-Jazeera 26.6.2017).

Die irakische Armee ist sehr zurückhaltend mit Informationen über die verbliebene IS-Stärke oder darüber, wie viele IS-Gefangene in staatlicher Gewalt sind – und wer diese Leute sind. In der Altstadt von Mossul sollen noch höchstens 350 IS-Kämpfer sein, hieß es vor wenigen Tagen. In Mossul sind in den vergangenen Monaten Tausende von ihnen gefallen. Die letzten sprengen sich nach Angaben irakischer Militärs häufig in die Luft, bevor sie gefangen genommen werden können. In der Altstadt liegen viele ungeborgene, verwesende Leichen. Die irakische Armee befreit mit Westmossul laut Kommentatoren keine Stadt, sondern Ruinen (Harrer 30.6.2017).

Grafik mit Stand 26.6.2017 (BBC 22.6.2017)

Die Schlacht um Mossul tobt bereits seit mehr als acht Monaten, mit großen Verlusten der irakischen Armee und enormen Opfern der Zivilbevölkerung, die der Rache des IS ausgesetzt waren, auf die aber auch die Militärkampagne – mit massiven US-Luftschlägen – wenig Rücksicht nahm (Harrer 30.6.2017). Seit Beginn der Offensive waren tausende Zivilisten getötet worden. Jene, die nicht geflohen oder getötet worden sind, sehen sich Hunger und Tod ausgesetzt. Kämpfer des IS verstecken sich unter der Zivilbevölkerung und missbrauchen Einwohner als menschliche Schutzschilde (Spiegel 29.6.2017).

Unter der dem IS entkommenen Bevölkerung Mossuls hat schon die große Abrechnung begonnen. Auf die irakische Justiz, die international immer wieder wegen ihrer "schnellen" Prozesse kritisiert wird, kommt eine schwierige Aufgabe zu (Harrer 30.6.2017). Es wird auch von Übergriffen von Soldaten und Milizionären auf die Bevölkerung – die unter Generalverdacht steht, Sympathie für den IS zu hegen – berichtet (Harrer 30.6.2017). Nicht nur in den befreiten Gebieten der Stadt, sondern auch in den Flüchtlingslagern kommt es seit Wochen zu Racheakten an Angehörigen von IS-Kämpfern bis hin zum Mord. Mossul wird außerdem den Zuzug ebenso wie die Möglichkeit des Umzugs innerhalb Mossuls massiv einschränken. Künftig besteht ein Rückkehrrecht nur dann, wenn man nachweisen kann, dass man vor Juni 2014 in Mossul gelebt hat und nur zur alten Adresse. Ausnahmen soll es lediglich bei Zerstörung der alten Wohnung geben (BAMF 26.6.2017). Gleichzeitig gab es zuletzt Berichte, dass die irakische Armee und andere lokale Sicherheitskräfte hunderte IDP-Familien zur Rückkehr in Gebiete von Westmossul zwingen, obwohl diese weiterhin dem Risiko ausgesetzt sind, vom IS attackiert zu werden. Auf diese Weise soll Platz für weitere IDPs geschaffen werden, die aus neu zurückeroberten Gebieten stammen (HRW 18.5.2017).

Laut UNHCR-Bericht vom 27.6.2017 sind nach wie vor Tausende in Mossul im IS-Gebiet eingeschlossen, werden als menschliche Schutzschilde benutzt und sind Terror und Hunger ausgesetzt. Die eingeschlossenen Einwohner Mossuls riskieren täglich ihr Leben bei verzweifelten Versuchen, die Frontlienien zu durchqueren. Laut Zahlen der Regierung sind seit Beginn der Offensive im Oktober 2016 mehr als 875.000 Menschen aus Mossul geflohen, aus Westmossul alleine fast 700.000. Über 679.000 Menschen bleiben aus der Stadt vertrieben, die Mehrheit davon ist in Camps rund um Mossul untergebracht (UNHCR 27.6.2017). Die Zustände in den Flüchtlingslagern um Mossul sind geprägt von Mangel an Nahrung und Medikamenten (BAMF 26.6.2017).

Quellen:

-        Al-Jazeera (26.6.2017): ISIL fighters launch counterattacks in west Mosul, http://www.aljazeera.com/news/2017/06/iraq-isil-suicide-bombers-blocked-mosul-170626082142053.html, Zugriff 30.6.2017

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Gruppe 22 - Informationszentrum Asyl und Migration (26.6.2017): Briefing Notes, per Email

-        BBC (22.6.2017): Battle for Mosul: The story so far, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-37702442, Zugriff 30.6.2017

-        Harrer, Gudrun – via Der Standard (30.6.2017): Irak verkündet Befreiung Mossuls vom IS, http://derstandard.at/2000060531577/Kampf-um-Mossul-Staats-TV-verkuendet-Ende-des-IS-Kalifats, Zugriff 30.6.2017

-        HRW - Human Rights Watch (18.5.2017): Iraq: Families Who Fled Mosul Forced Back, https://www.hrw.org/news/2017/05/18/iraq-families-who-fled-mosul-forced-back, Zugriff 29.6.2017

-        ISW – Institute for the Study of War (16.6.2017): Control of Terrain – Iraq, http://iswresearch.blogspot.co.at/, Zugriff 30.6.2017

-        Spiegel Online (29.6.2017): Iraks Armee erklärt IS-Kalifat für beendet, http://www.spiegel.de/politik/ausland/mossul-iraks-armee-erklaert-is-kalifat-fuer-beendet-a-1155121.html, Zugriff 30.6.2017

-        UNHCR (27.6.2017): As Mosul battle rages, trapped residents face terror and hunger, http://www.unhcr.org/news/latest/2017/6/595255454/mosul-battle-rages-trapped-residents-face-terror-hunger.html, Zugriff 29.6.2017

Update Sicherheitslage allgemein:

Iraqi Body Count dokumentierte für 2016 über 16.000 zivile Todesfälle durch Gewalt (hier nach Monaten aufgeschlüsselt: Jänner bis Dezember 2016):

(Iraqi Body Count 13.2.2017):

Neben den derzeit aufgrund der Mossul-Offensive besonders hohen zivilen Todeszahlen in der Provinz Ninewa sterben auch in Bagdad täglich mehrere Menschen durch Gewalt (insbesondere durch improvisierte Sprengsätze). Die Liste der täglichen zivilen gewaltsamen Todesfälle auf Iraqi Body Count liest sich exemplarisch folgendermaßen:

(Iraqi Body Count 14.2.2017)

UNAMI, die UN-Mission für den Irak, veröffentlichte die folgenden Zahlen, die von Seiten der Staatendokumentation zu einer Grafik zusammengefasst wurden:

(Quelle: Zahlen UNAMI 1.2.2017, Darstellung: Staatendokumentation)

Bei dieser Statistik handelt es sich um absolute Mindestzahlen. UNAMI wurde bei der Verifizierung der Opfer behindert. Darüber hinaus starb eine unbekannte Zahl an Menschen auf Grund von indirekten Folgen des Konfliktes, wie das Fehlen von Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung, etc. Des Weiteren ist zu beachten, dass UNAMI nach Beginn der Offensive zur Rückeroberung Mossuls und anderer Gebiete in Ninewa zahlreiche Berichte von zivilen Todesopfern erhalten hat, die aufgrund der Lage nicht verifiziert werden konnten. UNAMI lieferte für den Monat Dez. 2016 keine Zahlen der getöteten Iraker insgesamt, sondern ausschließlich Zahlen für die zivilen Opfer. Bei jenen Monaten, die mit Stern versehen sind, ist die Zahl der in Anbar getöteten Zivilisten nicht enthalten ist.

Die Zahl der Zivilpersonen, die im Jänner 2017 im Irak getötet wurden, beträgt 382, die Zahl der Verletzten 908. Bagdad war, wie fast jeden Monat die am stärksten betroffene Provinz, Ninewa und Salahuddin waren ebenfalls besonders stark betroffen (UNAMI 1.2.2017).

Seit August 2014 wurden im Irak von Seiten der US-geführten Koalition über 10.000 Luftschläge durchgeführt. Bis Februar 2016 waren es noch knapp 7.000 Luftschläge, die bis dahin durchgeführt worden waren (BBC 20.1.2017).

Die folgende Grafik zeigt die groben Kontrollgebiete der unterschiedlichen Akteure, wobei die Kategorie „Iraqi government“ auch die Popular Mobilisation Forces (Volksmobilisierungseinheiten / Hashd al-Shaabi – bestehend aus fast ausschließlich schiitischen Milizen) umfasst:

(BBC 20.1.2017)

2016 war für den Irak ein weiteres turbulentes Kriegsjahr. Die Terrormiliz Islamischer Staat büßte durch den Verlust wichtiger Städte (u.a. Ramadi Anfang 2016 und Falluja im Juni 2016) massiv an Territorium ein. […] Die derzeit laufende Offensive zur Rückeroberung Mossuls ist nach wie vor im Gange. Der IS, der noch knapp 4.000 Kämpfer in Mossul haben dürfte, wehrt sich mit Selbstmordkommandos, Scharfschützen, Drohnenbomben und chemischen Waffen, wie Chlor- und Senfgas (IFK 1.2017). (Näheres zu Mossul s. u.)

Die territoriale Zurückdrängung des IS hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen sogar eine asymmetrische Kriegsführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert (AA 7.2.2017). Der IS führte im Irak im Jahr 2016 über ein Dutzend Selbstmordanschläge und Autobomben-Anschläge durch. Am 3. Juli 2016 kamen bei einem Autobomben-Anschlag in Bagdad über 200 Menschen ums Leben, hunderte weitere wurden verletzt. Der IS hält weiterhin ungefähr 3.200 jesidische Frauen und Kinder fest, die meisten davon werden in Syrien festgehalten (HRW 1.2017).

Laut UNAMI hat der IS seine Anschläge zunehmend auf Märkten und in Wohngegenden verübt, und hat dabei vorwiegend auf Zivilisten, auch Frauen, Kinder und ältere Personen abgezielt (UNAMI 1.2.2017). Am 2.1.2017 fand beispielsweise in einer belebten Straße im schiitisch dominierten Viertel Sadr City in Bagdad ein größerer Autobombenanschlag statt, bei dem 35 Menschen starben und über 60 verletzt wurden (BBC 2.1.2017).

Im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Kontrollgebietes des IS sieht das Institute for the Study of War (ISW) bereits jetzt das erneute Aufflammen von Aufständen von Seiten der Sunniten im Irak, die durch die Schwächung des IS und den dadurch entstehenden Freiraum wieder Fuß fassen können. Regierungsfeindliche Gruppen formieren sich einerseits, weil die Sunniten im konfessionell geprägten Konflikt von der schiitisch dominierten Regierung weiterhin zunehmend marginalisiert werden, und sie Angst vor den an Bedeutung gewinnenden vom Iran aus gelenkten schiitischen Milizen haben. Andererseits werden diese Probleme von Seiten der bereits/nach wie vor existierenden radikalen Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) benutzt, um sunnitische Bürger für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Diese Gruppen sind - Annahmen des ISW zufolge - bereits jetzt zunehmend für Anschläge im Irak verantwortlich. Die US-geführte Koalition gegen den IS habe sich zu sehr auf das Zurückdrängen des IS konzentriert und andere Organisationen vernachlässigt (ISW 7.2.2017).

Bei der Rückeroberung IS-kontrollierter Gebiete kam es weiterhin zu Exekutionen, Folter und Misshandlungen der örtlichen Bevölkerung durch schiitische Milizen der Popular Mobilisation Forces (HRW 1.2017).

Rund 17 Millionen Menschen (53 Prozent der Bevölkerung) sind im Irak von Gewalt betroffen. Die irakischen Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage, den Schutz der Bürger sicherzustellen. Gerichte und Sicherheitskräfte verfügen nicht über ausreichend qualifiziertes Personal, es fehlt an rechtsstaatlichem Grundverständnis. Gewalttaten bleiben oft straflos. Die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte erlaubt es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa’ib Ahl al-Haq und der Kata’ib Hisbollah, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. (AA 7.2.2017).

Mossul-Offensive:

Die seit zwei Jahren geplante Offensive auf die zweitgrößte Stadt des Irak, Mossul, die Hochburg des IS im Irak, startete überstürzt im Oktober 2016, ohne die Frage der politischen Nachfolge in Mossul geklärt zu haben. Die Kampagne wird von einer sehr heterogenen Koalition aus lokalen und regionalen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen geführt (IFK 1.2017).

Die irakische Armee hatte in der letzten Januarwoche des Jahres 2017 – mehr als drei Monate nach dem Start der Offensive – den Ostteil Mossuls für befreit erklärt. Die Extremisten wehren sich jedoch heftig und setzen dabei vor allem sprengstoffbeladene Autos mit Selbstmordattentätern oder Scharfschützen ein. Bis zur vollständigen Einnahme der Stadt dürfte es noch Wochen oder Monate dauern (Standard 1.2.2017).

Der [bevölkerungsreichere] Westteil Mossuls ist nach wie vor in den Händen des IS. Die Vereinten Nationen rechnen mit Militäraktionen zur Rückeroberung des Westteils in den kommenden Wochen. Ein Massenexodus kann dabei nicht ausgeschlossen werden. Aus dem Ostteil sind laut IOM (International Organization for Migration) im Zuge der Kämpfe 180.000 Menschen geflohen, 550.000 seien vor Ort geblieben (NNZ 24.1.2017).

Allgemein wird angenommen, dass die Einheiten bei der Eroberung des Westteiles auf noch größeren Widerstand treffen werden. Darüber hinaus verzeichnet die von den USA trainierte und ausgestattete Eliteeinheit Counter Terrorism Service (CTS), auf die sich der Irak bei der Eroberung Mossuls hauptsächlich verlässt, massive Verluste („über 50 Prozent“). Auch bei der irakischen Armee würde es herbe Verluste geben, wobei jedoch die irakischen Behörden selbst keine Zahlen bekanntgeben (Al-Jazeera 31.1.2017).

Im Zuge der Offensive zur Rückeroberung der IS-Gebiete in und um Mossul evakuierte der IS Zivilisten, um diese als menschliche Schutzschilde zu benutzen (HRW 1.2017).

Die schiitischen Milizen (inzwischen rechtlich der regulären Armee gleichgestellt – s.u.) werden von vielen (insbesondere von vielen Sunniten) mehr gefürchtet als der IS. Ihnen werden Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Zeugen berichten von Folter, Schlägen und Ermordungen. Im Zuge der Befreiung der Stadt Mossul nimmt das Terrain, das die Milizen unter ihrer Kontrolle haben, stark zu. Die Stadt Mossul ist von den Milizen [und den kurdischen Peschmerga] umzingelt (BBC 3.12.2016), wobei vereinbart war, dass die Milizen die Stadt nicht betreten werden, jedoch wird berichtet, dass (vermutliche) Miliz-Angehörige im Ostteil der Stadt auf Zivilisten schießen (MEM 8.2.2017).

Innenpolitik:

Die derzeitigen Anti-IS-Operationen sind zwar insofern erfolgreich, als sie den IS schwächen, gleichzeitig verschärfen sie aber die politische Instabilität. Die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen haben gemeinsam mit der Partei des Ex-Premiers Nouri al-Maliki dem amtierenden Premier Abadi gedroht, ein Misstrauensvotum gegen ihn auszusprechen. Abadi steht in Gefahr sein Amt zu verlieren, und muss Zugeständnisse gegenüber den Milizen machen. Abadi war es beispielsweise auch nicht möglich, die Milizen davon abzuhalten, ihre Operationen in Tal Afar wieder aufzunehmen (ISW 7.2.2017).

Zusätzlich dazu hat das irakische Parlament im November 2016 die Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Forces/Hashd al-Shaabi) – jene Milizen, die wie die irakischen Sicherheitskräfte gegen den IS kämpfen – rechtlich der Armee gleichgestellt. […] Die meisten dieser Milizen sind schiitisch, etliche davon sind vom Iran abhängig, sind radikal und werden der Verbrechen an Sunniten beschuldigt. […] Diese rechtliche Gleichstellung ist ganz nach dem Geschmack von Expremier Nuri al-Maliki, der zurück an die Macht will und dessen neue politische Hausmacht die Milizen sind (Standard 28.11.2016).

Maliki gelingt es auch zunehmend mit Misstrauensanträgen gegenüber Abadis Ministern die Regierung zerbröckeln zu lassen. Der Verteidigungsminister und der Finanzminister wurden im Jahr 2016 bereits entlassen (Standard 23.9.2016). Über die Sommermonate 2016 wurden mit derartigen Methoden bereits fünf Minister erfolgreich abgesetzt (AA 7.2.2017).

Auch für die Region Kurdistan im Irak ist die Frage, ob Maliki zurück an die Macht kommt, von großer Bedeutung. Massoud Barzani, der Präsident der Kurdischen Regionalregierung [Amtszeit bereits abgelaufen - er befindet sich aber nach wie vor Amt], hat immer wieder mit Ankündigungen, die Unabhängigkeit Kurdistans erklären zu wollen, aufhorchen lassen. Falls Maliki zurückkehren würde, würde er dies in die Tat umsetzen, so Barzani (Ekurd Daily 23.1.2017).

Insbesondere auch im Süden des Irak regt sich verstärkter Widerstand gegen Malikis Vorhaben, an die Spitze der Macht zurückkehren zu wollen. Die Anhänger der Sadr-Bewegung wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein inner-schiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.12.2017). Am 11. Februar kam es in Bagdad allerdings zu schiitisch-schiitischen Zusammenstößen. Sicherheitskräfte der schiitisch dominierten Regierung schossen auf schiitische Demonstranten der regierungskritischen Sadr-Bewegung. Dabei wurden mindestens 6 Personen getötet, weitere hunderte wurden verletzt, außerdem wurden dabei Raketen in die „Green Zone“ (ehemalige internationale Zone, in der sich viele Regierungs- und Botschaftsgebäude befinden) geschossen. Gerichtet war die Demonstration v.a. gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik. Die Sadr-Bewegung richtet sich zwar v.a. auch gegen eine Rückkehr Malikis, gerade diesem könnte jedoch der Aktivismus Sadrs nutzen, da er den amtierenden Premier Abadi zusätzlich schwächt (MEE 12.2.2017, vgl. Standard 13.2.2017).

Flüchtlinge/Internvertriebene :

Rund 3 Millionen Menschen wurden seit Januar 2014 intern-vertrieben, an ihre Heimatorte konnten in dieser Zeit rund 1,5 Millionen zurückkehren. Die folgende Grafik veranschaulicht die Zahl der IDPs nach der jeweiligen Region, in die sie geflüchtet sind:

(IOM 2.2.2017)

In der Region Kurdistan-Irak alleine halten sich mehr als 11,3 Millionen Binnenvertriebene auf. Über 10 Millionen Menschen, also rund ein Drittel der Bevölkerung, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 7.2.2017). Bezüglich der Rückkehr von IDPs ist insbesondere Tikrit nennenswert, das eine unerwartete Wendung erlebt hat. Nachdem die Popular Mobilisation Forces nach der Rückeroberung in einem Racheakt zunächst ganze Stadtteile niederbrannten und andere Menschenrechtsverletzungen begingen (MOI 11.2.2016), konnten inzwischen die meisten der ursprünglichen Einwohner Tikrits zurückkehren. Allerdings ist der Großteil der Stadt zerstört und die Infrastruktur noch nicht wieder vollständig hergestellt (WP 23.11.2016).

Beispielsweise wird berichtet, dass von den rund 50.000 Familien, die von Salahuddin nach Kirkuk kamen, es nur 20.000 Familien möglich war, in rückeroberte Gebiete zurückzukehren, die übrigen Familien beschuldigen schiitische Milizen, dass diese sie nicht zurückkehren lassen würden (Rudaw 10.1.2017).

Innerhalb der letzten zwei Jahre seien ungefähr 900.000 Vertriebene nach Hause zurückgekehrt (Stand 23.11.2016), vorwiegend in sunnitische Städte wie Fallujah, Ramadi und Tikrit. An Orte zurückzukehren, an denen Sunniten in Nachbarschaft mit Schiiten oder Kurden gelebt hatten, ist für Sunniten besonders schwierig, und Hunderttausenden war dies nicht möglich, obwohl der IS dort bereits verdrängt wurde. Sunniten leiden unter dem Pauschalverdacht, mit dem IS zu sympathisieren. In manchen Orten, die die Popular Mobilisation Forces vom IS zurückerobert hatten, werden überhaupt keine ehemaligen Ortseinwohner zurückgelassen. Oft spielen dabei auch Stammeskonflikte oder Rachefeldzüge eine Rolle (WP 23.11.2016). Für Rückkehrer besteht oft auch die Gefahr, Opfer von explosiven Kampfmittelrückständen zu werden. Teilweise werden IDPs von Behörden aufgefordert in ihre Häuser zurückzukehren, obwohl die sehr reale Gefahr besteht, dass diese mit Sprengfallen versehen sind (MRG 22.12.2016).

Tikrit kann, wie erwähnt, am ehesten noch als „Erfolg“ gesehen werden, da laut Washington Post über 90 Prozent der Bevölkerung in diese Stadt zurückkehren konnten (Stand Nov. 2016), Auf lange Sicht sei dieser Erfolg aber fraglich, da keine ausreichenden finanziellen Mittel vorhanden seien, um das wiederaufzubauen, was im Zuge des Konfliktes zerstört wurde. Die irakische Regierung hat im Zuge des Konfliktes innerhalb kürzester Zeit fast die Hälft ihres Einkommens verloren, und das während sie große Mengen an finanziellen Mitteln für militärische Offensiven aufbringen musste/muss (WP 23.11.2016). Auf Grund der massiven finanziellen Schwierigkeiten kämpfen die irakische Regierung und die Regionalregierung Kurdistans auch auf Grund von Ressourcenproblemen mit der Bewältigung der IDP-Krise. Die irakischen Streitkräfte und die Streitkräfte der Regionalregierung tragen zur Unsicherheit der IDPs bei, indem sie sich zu wenig um den Schutz und die Unterstützung der vom Konflikt betroffenen IDPs kümmern, wodurch viele Vertriebene um ihr Leben kämpfen müssen, obwohl sie sich bereits in von der Regierung kontrollierten Gebieten befinden (MRG 22.12.2016).

Von der Mossul-Offensive sind laut UNHCR rund 1,5 Millionen Menschen in und um Mossul betroffen. Über 144.000 Menschen in und um Mossul zählen derzeit zu den Vertriebenen, über 23.000 konnten nach Beginn der Offensive wieder an ihren Herkunftsort zurückkehren. Die folgende Grafik zeigt die durch die Offensive ausgelösten Flüchtlingsströme:

Die missliche Lage der IDPs wird zum Teil ausgenützt. So werden IDPs - Vorwürfen zufolge - teilweise von Milizen zwangsrekrutiert (auch Minderjährige). Die in Flüchtlingscamps untergebrachten IDPs haben häufig das Problem, dass ihre Bewegungsfreiheit drastisch eingeschränkt ist, sowie dass Milizen ihnen die Papiere abnehmen und für lange Zeit nicht zurückgeben. Ein zusätzliches Problem ist, dass sie nicht mit ihren Familien kommunizieren können, da ihnen die Mobiltelefone abgenommen werden (UNHCR 20.1.2017, vgl. Al-Jazeera 1.2.2017).

Quellen:

-        Al Monitor (26.12.2017): Can public outcry in southern Iraq end Maliki’s political ambitions?

-        Al-Jazeera (1.2.2017): Iraq's displaced 'in another prison' after fleeing ISIL, http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2017/01/iraq-displaced-prison-fleeing-isil-170130070309929.html, Zugriff 14.2.2017

-        Al-Jazeera (31.1.2017): Taking west Mosul: A bridge too far?, http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2017/01/west-mosul-bridge-170130133948071.html, Zugriff 13.2.2017

-        AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage der Republik Irak

-        BBC (2.1.2017): IS conflict: Baghdad suicide car bomb blast kills 35, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-38488091 , Zugriff 14.2.2017

-        BBC (20.1.2017): Islamic State and the crisis in Iraq and Syria in maps, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-27838034 , Zugriff 10.2.2017

-        BBC (3.12.2017): Iraqi Shia militias' show of force in battle for Mosul , http://www.bbc.com/news/world-middle-east-38194653, Zugriff 13.2017

-        Ekurd Daily (23.1.2017): Barzani: Kurdistan would declare independence if Maliki becomes Iraqi PM again, http://ekurd.net/kurdistan-independence-maliki-2017-01-23, Zugriff 13.2.2017

-        HRW - Human Rights Watch (1.2017): Report: Iraq: Events of 2016, https://www.hrw.org/world-report/2017/country-chapters/iraq , Zugriff 13.22017

-        Al Monitor (26.12.2016): Can public outcry in southern Iraq end Maliki’s political ambitions?, http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/01/southern-iraq-muqtada-maliki-abadi-reform-shiite-protest.html, Zugriff 13.2.2017

http://www.understandingwar.org/backgrounder/warning-update-iraq%E2%80%99s-sunni-insurgency-begins-isis-loses-ground-mosul, Zugriff 13.2.2017

https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.2.2017

-        IFK Analysezentrum (1.2017): Fact Sheet Syrien & Irak, Jahresrückblick 2016, http://www.bundesheer.at/wissen-forschung/publikationen/publikation.php?id=810, http://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/fact_sheet_syrien_irak_jahresrueckblick_2016.pdf, Zugriff 10.2.2017

-        IOM (2.2.2017): Displacement Tracking Matrix (DTM), http://iraqdtm.iom.int/, Zugriff 10.202017

-        Iraqi Body Count (14.2.2017): Recent Events, https://www.iraqbodycount.org/database/recent/0/, Zugriff 14.2.2017

-        Iraqi Body Count (13.2.2017): Documented civilian deaths from violence,

-        ISW - Institute for the Study of War (7.2.2017): Warning Update: Iraq’s Sunni Insurgency Begins as ISIS Loses Ground in Mosul,

-        MEM - Middle East Monitor (8.2.2017): Iraq army, Shia militias execute Sunnis in east Mosul , https://www.middleeastmonitor.com/20170208-iraq-army-shia-militias-execute-sunnis-in-east-mosul/ , Zugriff 13.2.2017

-        Middle East Eye (12.2.2017): Inter-Shia tension mounts in Baghdad after clashes, http://www.middleeasteye.net/news/inter-shia-tension-mounts-baghdad-after-clashes-1268563748, Zugriff 13.2.2017

-        MRG - Minority Rights Group International: Humanitarian challenges in Iraq’s displacement crisis, 22. Dezember 2016 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1483364807_irk.pdf (Zugriff am 14. Februar 2017)

-        Musings on Iraq (11.2.2016): http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/02/life-in-iraqs-tikrit-returns-to-normal.html, Zugriff 13.2.2017

-        Neue Züricher Zeitung (24.1.2017): 750'000 Personen in Mosul in Gefahr, https://www.nzz.ch/international/irak-750000-personen-in-mosul-in-gefahr-ld.141529, Zugriff 13.2.2017

-        Rudaw (10.1.2017): Tikrit IDPs accuse Shiite forces of blocking their return, 'Untrue' says official , http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/100120172, Zugriff 13.2.2017

-        Standard (1.2.2017): Elf tote Zivilisten bei IS-Beschuss in Mossul, http://derstandard.at/2000051937966/Elf-tote-Zivilisten-bei-IS-Beschuss-in-Mossul, Zugriff 13.2.2017

-        Standard (13.2.2017): Schiiten gegen Schiiten im Irak, http://derstandard.at/2000052505984/Schiiten-gegen-Schiiten-im-Irak, Zugriff 13.2.2017

-        Standard (23.9.2016): Parlament feuert Finanzminister: Iraks Regierung zerbröselt, http://derstandard.at/2000044800677/Finanzminister-zurueckgetreten-Iraks-Regierung-wird-sturmreif-geschossen, Zugriff 13.2.2017

-        Standard (28.11.2016): Milizen: Zerstörung der Armee www.derstandard.at/2000048292489/Irakische-Milizen-Zerstoerung-der-Armee, Zugriff 10.2.2017

-        UNHCR (20.1.2017): MOSUL WEEKLY PROTECTION UPDATE, https://www.ecoi.net/file_upload/5250_1485779091_20170120-unhcr-mosul-weekly-protection-update-week12.pdf, Zugriff 14.2.2017

-        UNAMI (1.2.2017): UN Casualties Figures for Iraq for the Month of January 2017 , http://uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6725:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-january-2017&Itemid=633&lang=en , Zugriff 13.2.2017

-        WP - Washington Post (23.11.2016): ISIS: A catastrophe for Sunnis, http://www.washingtonpost.com/sf/world/2016/11/23/isis-a-catastrophe-for-sunnis/, Zugriff 13.2.2017

Politische Lage

Die letzten nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, gewann der ehemalige Premierminister Nouri al-Maliki. Da es auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen Maliki gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Es wird ihm unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitisch-feindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen wie dem IS beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015). Maliki‘s Nachfolger ist der ebenfalls schiitische Parteikollege Haidar al-Abadi (beide gehören der schiitischen Dawa-Partei an), der eine Mehrparteienkoalition anführt, und der mit dem Versprechen angetreten ist, das ethno-religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015). Allerdings gelang es Abadi bislang nicht, politische Verbündete für seine Reformpläne (insbesondere die Abschaffung des konfessionell-ethnischen Proporzes) zu finden. Er hat mit dem besonders Iran-freundlichen Ex-Premier Maliki (nunmehr Vorsitzender der Dawa-Partei) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen, von denen viele vom Iran aus gesteuert werden (s. Abschnitt 3.1.). Diese Milizen - eher lose an die irakische Armee angeschlossen - sind für Abadi einerseits unverzichtbar im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.1.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz von der sunnitischen Bevölkerung aber als das „Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub“ gesehen. Die Sunniten fürchten das skrupellose Vorgehen dieser Milizen - einige betrachten den IS sogar als das geringere Übel und dulden die Extremisten daher in ihren Gebieten (ÖB Amman 5.2015). In der Tat unterscheiden sich einige der mit der Zentralregierung in Bagdad verbündeten schiitischen Milizen hinsichtlich ihres reaktionären Gesellschaftsbildes und ihrer Brutalität gegenüber Andersgläubigen kaum vom IS (Rohde 9.11.2015). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung), die auch mit der Badr-Miliz zusammengearbeitet hat, hat vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitische Bevölkerung die Augen verschlossen, und hat damit den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten angetrieben (Reuters 14.12.2015). Die aufgestaute Wut der Sunniten - auch darüber, dass sie niemanden mehr in der Regierung haben, der mit machvoller Stimme für sie sprechen könnte, trägt in Kombination mit dem Vorgehen der schiitischen Milizen dazu bei, dass sich viele Sunniten radikalisieren oder sich einfach aus Mangel an Alternativen unter die Kontrolle des IS begeben (Qantara 17.8.2015).

Zwölf Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 ist der Irak ein Staat ohne Gewaltmonopol, ohne Kontrolle über große Teile seines Territoriums oder seiner Grenzen, dessen Souveränität zunehmend vom Iran ausgehöhlt wird (Standard 4.12.2015). Nach 2003 ist der Irak (gemeinsam mit Syrien) zum Spiel- und Schlachtfeld konkurrierender regionaler und globaler Interessen zwischen Iran, Saudi-Arabien, der Türkei, den USA und neuerdings auch Russland geworden (Rohde 9.11.2015), wobei sich das Kräfteverhältnis der beiden wichtigsten Verbündeten der irakischen Regierung - die USA auf der einen Seite und der Iran auf der anderen - zunehmend zu Gunsten des Iran verschiebt. Der eher schwache Premierminister Abadi versucht es beiden Verbündeten recht zu machen: Damit die USA ihn aus der Luft unterstützen, muss er versuchen, die iranisch-assoziierten schiitischen Milizen vom Schlachtfeld fernzuhalten (Standard 4.12.2015).

Unter großem öffentlichem Druck und nach Demonstrationen tausender Menschen vor dem schwer bewachten Regierungsviertel in Bagdad hat Abadi Ende März 2016 angekündigt, sein altes Kabinett durch eine Regierung unabhängiger Technokraten zu ersetzen. Bisher waren alle Minister mit politischen Gruppen verbunden. Die neuen sollen nun laut Abadi auf Basis von Professionalität, Effizienz und Integrität ausgewählt werden (Spiegel 31.3.2016). Jedoch scheint das neue Kabinett zu zerbröckeln, bevor es überhaupt zur Abstimmung kommt. Die meisten Parteien stemmen sich gegen den drohenden Machtverlust (SK 8.4.2016).

Quellen:

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2015): Irak – Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 17.12..2015

-        Österreichische Botschaft Amman (5.2015): Asylländerbericht Irak

-        Qantara (17.8.2015): Der Irak ist irreversibel gespalten, https://de.qantara.de/inhalt/der-aufstieg-des-is-und-der-zerfall-des-irak-der-irak-ist-irreversibel-gespalten, Zugriff 14.1.2016

-        Rohde, Achim (9.11.2015): Konfliktporträt: Irak, veröffentlicht von BPB
http://www.ecoi.net/local_link/315594/454291_de.html, Zugriff14.1.2016

-        Der Standard (4.12.2015): Der Irak wird zum Spielfeld für ein neues Match, http://derstandard.at/2000026971833/Der-Irak-wird-zum-Spielfeld-fuer-ein-neues-Match, Zugriff 14.1.2016

-        Der Standard (5.11.2015): Iraks Premier Abadi fährt seinen Reformkarren an die Wand, http://derstandard.at/2000025096956/Iraks-Premier-Abadi-faehrt-seinen-Reformkarren-an-die-Wand , Zugriff 14.1.2016

-        Reuters (14.12.2015): Torture by Iraqi militias: the report Washington did not want you to see, http://www.reuters.com/investigates/special-report/mideast-crisis-iraq-militias/, Zugriff 9.3.2016

-        Der Spiegel (31.3.2016): Proteste im Irak: Regierungschef nominiert Technokraten-Kabinett, http://www.spiegel.de/politik/ausland/irak-regierungschef-haider-al-abadi-nominiert-technokraten-kabinett-a-1084907.html, Zugriff 6.4.2016

-        Standard Kompakt (8.4.2016): Irak: Reformkabinett stolpert vor dem Start

Sicherheitslage

Seit der US-Invasion in den Irak im Jahr 2003 ist ein starker Anstieg der Todeszahlen zu beobachten, der sich insbesondere ab dem Jahr 2012 noch einmal verstärkt. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Todeszahlen im Irak (in Dunkelrot) bis zum Jahr 2014.

(VOH 17.11.2015)

Im Jahr 2014 war der Konflikt im Irak der zweit-tödlichste (nach Syrien) weltweit. Es wurden laut der österreichischen Botschaft in Amman 21.073 Todesopfer verzeichnet. Damit haben sich die Opferzahlen im Irak verglichen zu 2013 (9.742 Todesopfer) mehr als verdoppelt. Auch die Anschlagskriminalität im Irak erreichte, vor allem durch die Taten des IS, 2014 einen Höhepunkt. Die Anzahl der IrakerInnen, die 2014 Opfer von Anschlägen wurden, erreichte ein Ausmaß wie zuvor nur in den berüchtigten Bürgerkriegsjahren 2006/2007: über 12.000 tote und 23.000 verletzte ZivilistInnen (ÖB Amman 5.2015).

Die folgende Grafik zeigt die Anzahl der getöteten Zivilisten im Irak (inkl. Zivilpolizisten) für die Monate Jänner bis Dezember 2015 sowie die Anzahl der getöteten Iraker insgesamt. Demnach wurden im Jahr 2015 12.740 Iraker getötet, 7.515 davon waren Zivilisten (inklusive Zivilpolizei). 14.855 Zivilisten (inkl. Zivilpolizei) wurden verletzt. UNIRAQ wurde bei der Erfassung der Opferzahlen behindert, die Zahlen sollten daher als Minimumangaben gesehen werden. Sofern man anhand dieser Zahlen auf die Sicherheitslage im Irak schließen kann, hat sich die diese im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr 2014 gebessert. Verglichen mit dem Jahr 2013 war die Sicherheitslage im Jahr 2015 schlechter. In der folgenden Grafik finden sich die Mindestzahlen für das Jahr 2015:

Quelle: Daten: UNAMI (Jänner bis Dezember 2015), Grafik: Staatendokumentation

Für den Monat Februar 2016 berichtet UNAMI, dass zumindest 670 Iraker getötet und 1.290 verletzt wurden. Darunter waren 410 getötete Zivilisten (einschließlich Bundespolizei, Sahwa Zivilschutz, Leibwächter, Polizei für den Schutz von Gebäuden und Anlagen, sowie Feuerwehr) und 1.050 verletzte. Die Provinz Bagdad war (im Monat Februar 2016) mit zumindest 277 getöteten Zivilisten dabei am stärksten betroffen, ebenfalls stark betroffen waren Diyala (40 getötete Zivilisten), Nineweh (42 getötete Zivilisten) und Kirkuk (29 getötete Zivilisten). Auf Grund der unübersichtlichen und volatilen Sicherheitslage können laut UNAMI die zu Anbar dokumentierten Zahlen (4 getötete und 126 verletzte Zivilisten) besonders stark von den tatsächlichen Zahlen abweichen (UNAMI 2.2016). Im März 2016 wurden nach der Zählung von Iraq Body Count (IBC) 1.073 Zivilpersonen getötet. Nach der UN Assistance Mission for Iraq (UNAMI) gab es 575 zivile Todesopfer und 1.196 Verletzte im März 2016. Weiter wurden 544 Mitglieder der irakischen Armee, Peshmerga-Kämpfer und andere Verbündete (ohne Opferzahlen der Anbar-Operationen) getötet und 365 verletzt. Die am stärksten betroffene Provinz war im März abermals Bagdad mit 1.029 (259 Tote, 770 Verletzte) zivilen Opfern. In der Provinz Nineweh gab es 133 Tote und 89 Verletzte, in der Provinz Babil 65 Tote und 141 Verletzte, in der Provinz Kirkuk 34 Tote und 57 Verletzte, in der Provinz Diyala elf Tote und in der Provinz Salahuddin sechs Tote und einen Verletzten (Mindestzahlen) (BAMF 4.4.2016).

Am 27.2.2016 kam es zu einem Doppel-Selbstmordanschlag im schiitisch dominierten Viertel Sadr City (Bagdad) mit 70 Todesopfern. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Doppelanschlag (Reuters 29.2.2016). Bei einem weiteren – ebenfalls vom IS verübten – Selbstmordanschlag am 6.3.2016 südlich der Stadt Bagdad starben 47 Menschen (National 6.3.2016).

Die am meisten gefährdeten Personengruppen sind neben religiösen und ethnischen Minderheiten auch Berufsgruppen wie Polizisten, Soldaten, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte, Mitglieder des Sicherheitsapparats, sogenannte „Kollaborateure“, aber auch Mitarbeiter von Ministerien (AA 18.2.2016, s. auch Abschnitt 8).

Insgesamt kann die Sicherheitslage im Irak im Jahr 2015 als weiterhin höchst instabil bezeichnet werden. Die Kampfhandlungen konzentrierten sich weitgehend auf die Provinzen Anbar, Ninewah und Salah al-Din. Die irakische Regierung und die KRG konzentrierten sich weiterhin darauf, territoriale Fortschritte gegen den IS zu machen (UN Security Council 26.10.2015).

Der Aufstieg der zahlreichen konfessionellen Milizen und sonstigen bewaffneten Organisationen und Gruppen geht insbesondere auf den Bürgerkrieg von 2005 bis 2007 zurück. Heute stehen sich v.a. der aus Al-Qaida hervorgegangene „Islamische Staat“, die schiitischen Milizen und die kurdischen Peschmerga gegenüber. Die schiitischen Milizen in ihrer Gesamtheit werden als militärisch stärker als die irakische Armee eingeschätzt (Standard 18.11.2015), und einige davon machen sich massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig (RSF 18.4.2015, vgl. HRW 20.9.2015, vgl. Rohde 9.11.2016). Neben deren gewaltsamen Übergriffen auf Teile der sunnitischen Bevölkerung gibt es auch schiitische Milizen, die - ähnlich wie islamistische sunnitische Gruppen - gegen (nach deren Definition) „un-islamisches“ Verhalten vorgehen und z.B. Bordelle, Nachtclubs oder Alkoholgeschäfte attackieren (Washington Post 21.1.2016). Die Peschmerga kämpfen zwar an der Seite der Zentralregierung, beschränken sich jedoch auf die Verteidigung der kurdischen Gebiete gegen den IS (Rohde 9.11.2015), gleichzeitig befinden sie sich aber auch in einem gespannten Verhältnis zu den schiitischen Milizen (Deutschlandfunk 5.12.2015). All diese Akteure sind mit externen Mächten liiert, allen voran Iran, Saudi-Arabien, Türkei oder den USA (Rohde 9.11.2015). Die USA sind mit einigen tausend US-Soldaten im Irak präsent und haben vor, ihre Präsenz mit weiteren Bodentruppen auszubauen. (Spiegel 2.12.2015, vgl. FAZ 24.10.2015, vgl. Focus 9.3.2016). Die von den USA angeführte Koalition gegen den IS hat im Irak seit Beginn ihrer Luftangriffe im August 2014 mehr als 6.800 Luftschläge durchgeführt (auf der folgenden Karte in blau dargestellt). Die Karte zeigt außerdem, welche Gebiete vom IS kontrolliert werden, bzw. in welchen Gebieten der IS die Möglichkeit hat, frei zu operieren – schraffiert dargestellt (BBC 29.2.2016):

Laut einer Untersuchung des in den USA ansässigen Instituts IHS Jane's habe der IS im Jahr 2015 in Syrien und Irak insgesamt mehr Land eingebüßt als erobert. Insgesamt soll die Miliz etwa 14 Prozent ihres Territoriums eingebüßt haben. Zu den Verlusten im Irak zählten die Stadt Tikrit und die Raffinerie von Baiji. Zudem haben die Extremisten die Kontrolle über einen Teil einer Schnellstraße zwischen Raqqa in Syrien und Mossul im Irak verloren, was logistische Schwierigkeiten mit sich bringe. Erobert hat der IS im Irak die Provinz Anbar, sowie deren Hauptstadt Ramadi [letztere wurde in der Zwischenzeit wieder zurückerobert] (Standard 22.12.2015).

Im November 2015 eroberten die irakisch-kurdischen Peschmerga gemeinsam mit Einheiten der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihres syrischen Ablegers YPG und mit Unterstützung durch amerikanische Luftschläge die Stadt Sinjar vom IS zurück (NZZ 13.11.2015). (In der Folge dessen kam es dort zwischenzeitlich zu Zusammenstößen zwischen jesidischen Kämpfern und Einheiten der KDP-Peschmerga (Ekurd 26.11.2015).)

Den Kurden gelang es auch, den IS aus Dörfern in der Nähe von Kirkuk zu vertreiben (NTV 11.9.2015). Gleichzeitig benutzen die Kurden den Krieg gegen den IS aber auch, um in den ohnehin lange umstrittenen Gebieten kurdische Fakten zu schaffen (unter anderem auch mit der Übernahme der Stadt Kirkuk im Sommer 2014), Araber werden zum Teil vertrieben (20Minuten 8.2015, vgl. Deutschlandfunk 15.7.2015). Umgekehrt kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, wo Teile der sunnitischen Bevölkerung den vorrückenden Peshmerga in den Rücken fallen und mit dem IS zusammenarbeiten. Es herrscht Misstrauen auf beiden Seiten, bei den Kurden, sowie den Arabern (20Minuten 8.2015).

Im Dezember 2015 gab Abadi die Rückeroberung der Stadt Ramadis bekannt, die im Mai in die Hände des IS gefallen war. Für die Armee ist der Sieg in Ramadi ein wichtiger und lang ersehnter Erfolg (Standard 29.12.2015). In dem ein Jahr andauernden Kampf gegen den IS in Ramadi, wurde die Stadt völlig zerstört (Haaretz 18.1.2016).

Stammeskämpfer haben die am 19.02.16 begonnenen Gefechte gegen den IS in Falluja eingestellt, nachdem der IS Angaben der Armee zufolge mehr als 100 Bewohner der Stadt als Geiseln gefangen genommen hatte. Angaben des Verwaltungschefs zufolge soll es sich um rund 60 Gefangene handeln. Die Stämme befürchteten, dass die Geiseln hingerichtet würden (BAMF 22.2.2016). Ende März 2016 begannen irakische Truppen (mit Unterstützung durch US-Luftangriffe) mit einer Großoffensive auf die vom IS besetzte Großstadt Mossul, der zweitgrößten Stadt Iraks, die nach wie vor vom IS gehalten wird (Standard 24.3.2016).

Quellen:

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (22.2.2016): Gruppe 22 - Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes, http://www.ecoi.net/file_upload/4765_1456148840_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-22-02-2016-deutsch.pdf, Zugriff 9.3.2016

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (4.4.2016): Briefing Notes – Irak

-        BBC (29.2.2016): Battle for Iraq and Syria in maps, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-27838034, Zugriff 10.3.2016

-        Deutschlandfunk (15.7.2015): Die fragwürdigen Methoden der Peschmerga, http://www.deutschlandfunk.de/kurden-im-nordirak-die-fragwuerdigen-methoden-der-peschmerga.724.de.html?dram:article_id=325533 , Zugriff 14.1.2016

-        Deutschlandfunk (5.12.2015): Schiitische Milizen unter den Bodentruppen, http://www.deutschlandfunk.de/kampf-gegen-den-is-schiitische-milizen-unter-den.799.de.html?dram:article_id=338924 , Zugriff 14.1.2016

-        Ekurd Daily (26.11.2015): Clashes erupted between Yazidi fighters and KDP Peshmerga in Iraq’s Sinjar, http://ekurd.net/clashes-yazidis-peshmerga-sinjar-2015-11-26, Zugriff 14.1.2016

-        FAZ – Frankfurter Allgemeine (24.10.2015): Verteidigungsminister Carter rechnet mit weiteren Kampfeinsätzen, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/amerikanische-truppen-im-irak-verteidigungsminister-carter-rechnet-mit-weiteren-kampfeinsaetzen-13873630.html , Zugriff 14.1.2016

-        Focus (9.3.2016): USA schicken immer mehr Soldaten in den Irak, http://www.focus.de/politik/ausland/islamischer-staat/isis-terror-im-news-ticker-wie-in-vietnam-usa-schickt-immer-mehr-soldaten-in-den-irak_id_4743099.html, Zugriff 10.3.2016

-        HRW – Human Rights Watch (20.9.2015): Ruinous Aftermath, Militias Abuses Following Iraq’s Recapture of Tikrit, , https://www.hrw.org/report/2015/09/20/ruinous-aftermath/militias-abuses-following-iraqs-recapture-tikrit, Zugriff 19.1.2016

-        Haaretz (18.1.2016): After Year-long Battle With ISIS, Iraq's Ramadi Lies in Ruins, http://www.haaretz.com/middle-east-news/1.698148#!, Zugriff 19.1.2016

-        ISW – Institute for the Study of War (9.2.2016): Iraq Control of Terrain Map: February 9th 2016, http://www.understandingwar.org/sites/default/files/Iraq%20Blobby%20map%2009%20FEBRUARY%202016.pdf , Zugriff 10.3.2016

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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