TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/19 W285 2217315-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.07.2021
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Entscheidungsdatum

19.07.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch


W285 2217315-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Slowakei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.03.2019, Zahl: 538083904-180785775, betreffend die Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht:

A)       I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Oberösterreich, wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG 2005 ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und es wurde ihr gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin, eine slowakische Staatsbürgerin, halte sich seit spätestens April 2009 im Bundesgebiet auf, sei seit 21.01.2011 im Besitz einer Anmeldebescheinigung mit Gültigkeit bis 21.07.2023 und befinde sich seit dem 01.10.2015 in einer Vollzeitbeschäftigung beim XXXX . Am 01.03.2018 habe diese die Ehe mit einem kosovarischen Staatsbürger geschlossen, mit welchem sie nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Ein tatsächliches aufrechtes Eheleben habe aufgrund näher dargestellter Widersprüche in den niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes nicht festgestellt werden können. Da das Eingehen einer Scheinehe das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen erheblich beeinträchtige, sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes geboten. Die Beschwerdeführerin führe in Österreich ein Familienleben mit ihrer im gemeinsamen Haushalt lebenden Tochter, diese sei jedoch bereits volljährig, sodass eine Sorgepflicht nicht vorliege. Die Beschwerdeführerin befinde zwar sich bereits seit Frühjahr 2009 im Bundesgebiet, sei berufstätig und habe einige Freundschaften, ein exzeptionelles Privatleben sei jedoch nicht zu erkennen gewesen. Es sei von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an Ordnung und Sicherheit gegenüber den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Aufenthalt im Bundesgebiet auszugehen.

In Bezug auf den Ehemann der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom gleichen Datum ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Gegen diesen, der Beschwerdeführerin am 06.03.2019 durch Hinterlegung zugestellten, Bescheid, wurde durch ihren damaligen Rechtsvertreter mit am 05.04.2019 postalisch aufgegebenem und für den Ehemann der Beschwerdeführerin gleichlautendem Schriftsatz vom 04.04.2019 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen sowie die angefochtenen Bescheide vom 04.03.2019 (betreffend die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann) jeweils ersatzlos beheben, in eventu die angefochtenen Bescheide dahingehend abändern, dass die „Aufenthaltsdauer“ angemessen herabgesetzt werde, in eventu die angefochtenen Bescheide beheben und der Behörde die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftragen, jedenfalls aber der gegenständlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

Die Beschwerdevorlage und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 11.04.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom 26.02.2020 gab der bis dahin bevollmächtigte Rechtsanwalt die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Die Beschwerdeführerin ist Staatsagehörige der Slowakei und war seit 21.01.2011 im Besitz einer Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer), welche durch die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständige Behörde mit 04.04.2019 gemäß § 10 Abs. 1 NAG für ungültig erklärt worden war (vgl. Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister vom 23.04.2021).

Sie war im Zeitraum 01.04.2009 bis 23.09.2010 sowie von 27.03.2018 bis 29.07.2019 mit einem Nebenwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Seit 23.09.2010 ist sie durchgehend mit einem Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet (vgl. Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 23.04.2021).

Die Beschwerdeführerin ging in den Zeiträumen 03.01.2011 bis 21.01.2011 und 24.01.2011 bis 10.01.2015 einer sozialversicherten Erwerbstätigkeit nach. Im Zeitraum 11.01.2015 bis 30.09.2015 lag ein Bezug von Krankengeld vor. Seit 01.10.2015 befindet diese sich durchgehend in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis als Angestellte im Bundesgebiet (vgl. Sozialversicherungsdatenauszug vom 23.04.2021).

Die Beschwerdeführerin ist seit mehr als zehn Jahren durchgehend im Bundesgebiet aufhältig.

Die Beschwerdeführerin hat am 01.03.2018 im Kosovo die Ehe mit dem kosovarischen Staatsbürger XXXX , geboren am XXXX , geschlossen. Der Ehemann der Beschwerdeführerin besaß im Vorfeld der Eheschließung keinen Aufenthaltstitel für Österreich; dieser begründete am 03.05.2018 – getrennt von der Beschwerdeführerin – einen Wohnsitz im Bundesgebiet und stellte an jenem Datum bei der nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständigen Behörde einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte „Angehöriger eines EWR-Bürgers“ unter Bezugnahme auf die mit der Beschwerdeführerin geschlossene Ehe. Ein gemeinsames Familienleben mit der Beschwerdeführerin wurde in der Folge nicht geführt.

Nach diesbezüglichen Ermittlungen erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – ausgehend vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe – (auch) gegen den Ehegatten der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 04.03.2019 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Die dagegen vom Ehegatten der Beschwerdeführerin erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 21.01.2020 als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Die vom Ehemann der Beschwerdeführerin gegen dieses Erkenntnis eingebrachte außerordentliche Revision wurde durch den Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 30.04.2020 zu Zahl Ra 2020/21/0106-5 zurückgewiesen (vgl. aktenkundige Kopien des Bescheides des BFA vom 04.03.2019, des Ekrenntnisses des BVwG vom 21.01.2020 sowie des Beschlusses des VwGH vom 30.04.2020).

Das gegen die Beschwerdeführerin wegen Verdachts des Eingehens einer Aufenthaltsehe geführte Ermittlungsverfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft XXXX am 18.10.2018 eingestellt (vgl. Benachrichtigung der STA XXXX zu Zahl XXXX vom 18.10.2018, AS 32). Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten (vgl. Auszug aus dem Strafregister vom 23.04.2021).

Die Beschwerdeführerin lebt im Bundesgebiet in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer volljährigen Tochter. Sie beherrscht die deutsche Sprache, befand sich während ihres Aufenthaltes annähernd durchgehend in einem Beschäftigungsverhältnis im Pflegebereich und hat einen Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen befindet sich seit mehr als zehn Jahren im österreichischen Bundesgebiet (vgl. Niederschrift Polizei 19.09.2018, AS 17 ff; Niederschrift BFA 20.02.2019, AS 50 ff; Beschwerde 04.04.2019, AS 94 ff).

2. Beweiswürdigung:

Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Einsicht genommen wurde zudem in den Verwaltungs- und Gerichtsakt des Ehegatten der Beschwerdeführerin zu Zahl G306 2217310-1.

Zur Person der Beschwerdeführerin:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde sowie dem im Verwaltungsakt dokumentierten Umstand, dass diese Inhaberin einer auf diese Personalien lautenden Anmeldebescheinigung und eines slowakischen Reisepasses (gewesen) ist.

Das Bundesverwaltungsgericht nahm weiters hinsichtlich der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten Einsicht in das Fremdenregister, die Sozialversicherungsdaten und das Zentrale Melderegister, hinsichtlich der Beschwerdeführerin auch in das Strafregister, und holte die aktenkundigen Auszüge ein.

Aus den vorliegenden Zeiten der Hauptwohnsitzmeldungen seit 23.09.2010 und der Zeiten der Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet seit Jänner 2011 ergibt sich eine zum Entscheidungszeitpunkt mehr als zehnjährige Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet. Längere Auslandsaufenthalte der Beschwerdeführerin sind nicht bekannt, zudem verbüßte die Beschwerdeführerin nie eine Freiheitsstrafe. Die Feststellung über die der Beschwerdeführerin ausgestellte Anmeldebescheinigung und deren Widerruf ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister, ihre strafgerichtliche Unbescholtenheit lässt sich einer Abfrage im Strafregister entnehmen.

Die Feststellungen zur Eheschließung der Beschwerdeführerin mit einem kosovarischen Staatsangehörigen sowie zum in der Folge nicht tatsächlich geführten Familienleben, sohin zum Vorliegen einer Aufenthaltsehe, ergeben sich aus einer Zusammenschau der im Verwaltungsakt einliegenden Niederschriften der Einvernahmen der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten vor einer Polizeiinspektion am 19.09.2018, vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 20.02.2019 und anlässlich der im Verfahren des Ehegatten der Beschwerdeführerin durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.10.2019, anlässlich derer die Beschwerdeführerin als Zeugin zum Vorliegen eines gemeinsamen Ehelebens befragt worden ist, sowie den im Verfahren des Ehegatten der Beschwerdeführerin bereits rechtskräftig ergangenen Entscheidungen. Das Bundesverwaltungsgericht ist im Erkenntnis vom 21.01.2020, Zahl G306 2217310-1/4E, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Einvernahme des Ehegatten sowie der Beschwerdeführerin als Zeugin zum Ergebnis gekommen, dass die Schlussfolgerungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum Vorliegen einer zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann geschlossenen Aufenthaltsehe, welche in den Bescheiden betreffend die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann im Wesentlichen gleichlautend dargestellt wurden, zutreffend sind. Dabei stützte sich das Bundesverwaltungsgericht zentral auf mehrere näher dargestellte unauflösliche Widersprüche innerhalb der Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten.

In diesem Zusammenhang traf das Bundesverwaltungsgericht insbesondere die folgenden Erwägungen (vgl. BVwG 21.01.2020, G306 2217310-1/4E, S 5 ff; Anm.: BF = Ehegatte der Beschwerdeführerin):

„Wie den dem BVwG vorliegenden Einvernahmeprotokollen des BF und dessen Gattin entnommen werden kann weisen die Angaben derselben einige Widersprüchlichkeiten auf, welche der BF nicht zu erklären vermochte. Die in weiterer Folge dargelegten Widersprüchlichkeiten, lassen keinesfalls erkennen, dass der BF mit seiner Gattin ein tatsächliches Eheleben führt.

Sowohl der BF als auch dessen Gattin gaben übereinstimmend an, dass sie im Grunde getrennt leben würden, zumal die Stieftochter des BF diesen nicht akzeptieren würde. Dennoch würde sich die Gattin des BF bei diesem 3- bis 4-mal die Woche in dessen Wohnung aufhalten. Die Gattin des BF war jedoch, trotz wiederholter Behauptung mehrmals die Woche beim BF in dessen Wohnung aufhältig zu sein, vor der Polizei nicht in der Lage, einen Grundriss der besagten Wohnung zu skizzieren. (siehe Akt Gattin AS 29) Es wäre jedoch davon auszugehen, dass die BF in der Lage sein müsste, einen detaillierten Grundriss einer Wohnung, die sie mehrmals die Woche bewohnt, aufzeichnen zu können. Zudem sagten die Nachbarn des BF aus, dass die Gattin des BF nicht in besagter Wohnung bzw. im besagten Wohnhaus wohne und sie diese noch nie gesehen hätten. Wenn der BF dies mit dem Verweis auf wechselnde Arbeitszeiten seiner Frau zu erklären versucht, vermag er damit nicht zu überzeugen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass unmittelbare Nachbarn eine mehrmals die Woche beim BF wohnende Person, ungeachtet allfälliger Arbeitszeiten, niemals wahrgenommen hätten. Auch hinsichtlich der Bezahlung der Miete für die Wohnung des BF traten Widersprüchlichkeiten zu Tage. Der BF vermeinte die Hälfte der Miete seiner Frau zu geben, welche seiner Vermutung nach, die Überweisung des gesamten Betrages an den Vermieter vornehme. Die Gattin des BF gab dem wiedersprechend an, dass der BF die Miete zur Gänze selbst und direkt an den Vermieter leiste. Selbst hinsichtlich des gemeinsamen Entschlussfassens zu heiraten widersprechen sich die Angaben des BF und dessen Frau, insofern, als der BF angab seiner Frau 3 bis 4 Monate vor der Hochzeit (sohin Ende 2017) die Unrechtmäßigkeit seines Aufenthaltes in Österreich eingestanden und letztlich von seiner Frau einen Heiratsantrag erhalten zu haben, während die Frau des BF vorbrachte, dass der BF 1 Monat nach ihrem Kennenlernen (sohin im März 2017) ihr seinen illegalen Aufenthalt eingestanden und sie dem BF keinen Antrag gemacht habe, sondern sie gemeinsam eine Heirat besprochen hätten.

Ferner widersprachen sich der BF und seine Frau bei der gegenseitigen Aufzählung persönlicher Sachverhalte, von jenen jedoch angenommen werden kann, dass ein sich liebendes und mit einander lebendes Ehepaar Bescheid wissen müsste. Die vom BF vorgebrachte Sprachbarriere kann als Begründung nicht genügen. Sollten dem BF tatsächlich gewisse Informationen hinsichtlich seiner Frau aufgrund sprachlicher Probleme nicht bekannt sein, wäre davon auszugehen, dass der BF – wie auch zu manchen Themen gemacht – dies vorgebracht und keine konkreten Antworten gegeben hätte.

So decken sich die Angaben des BF zur Aufenthaltsdauer seiner Frau in Österreich, zu deren Herkunft, zu deren Freundinnen samt der Anzahl der Treffen mit diesen und zu den Kaffeetrinkgewohnheiten seiner Frau nicht mit den diesbezüglichen Angaben seiner Frau. Die Frau des BF war wiederum nicht in der Lage die Angaben des BF hinsichtlich seiner fehlenden Gläubigkeit, des Nichteinhaltens von Fastenzeiten und des Geburtsortes durch gleichlautende Angaben zu bestätigen.

Zudem gab die Frau des BF an, mit dem BF gemeinsam ihren Geburtstag sowohl zu Hause als auch auswärts gefeiert und vom BF zu diesem Anlass Blumen geschenkt bekommen zu haben. Der BF wiederum verneinte es je mit seiner Frau Geburtstag gefeiert zu haben. Ferner sei es der Gattin des BF nicht bekannt gewesen, dass der BF – wie von ihm behauptet – im September Urlaub gehabt hätte, und sei der BF davon ausgegangen, dass die BF während seines Urlaub gearbeitet hätte, obwohl diese angab Sonderurlaub genommen zu haben und zu ihren Eltern in die Slowakei gefahren zu sein. Sogar bei der Widergabe des letzten Treffens vor deren Einvernahme vor dem BFA tauchten Widersprüchlichkeiten zwischen den Angaben des BF, welcher vorbrachte, mit seiner Frau zu Hause gegessen und ferngesehen zu haben bevor sie schlafen gegangen seien, und seiner Frau, die dagegen vorbrachte, mit dem BF unter anderem spazieren gegangen zu sein. Die Einnahme eines Essens wurde von dieser zudem nicht thematisiert.

Darüber hinaus waren der BF und seine Gattin nicht in der Lage gleichlautende Angaben hinsichtlich des Erwerbs der Eheringe, der Hochzeitsgesellschaft, der bei der Hochzeit getragenen Kleidung, der Trauzeugen, der Geschlechter der Kinder des BF, des Glaubens des BF, sowie des letzten Treffens zu machen. Laut den Angaben der Gattin des BF wurden die Eheringe in Österreich vom BF erworben und seien diese aus Silber, da Gold aus Kostengründen nicht in Frage gekommen sei. Der BF wiederum behauptete, dass der Kauf der Eheringe im Kosovo erfolgt sei und diese aus Gold wären. Die Ehegattin behauptete zwar in der mündlichen Verhandlung, ihren Ring im Kosovo verloren zu haben, weshalb neue angekauft worden seien. Der BF bringt dieses Detail jedoch nie zur Sprache. Gemäß den Angaben der Frau des BF seien ferner die Kinder des BF nicht bei der Hochzeit anwesend gewesen, während der BF deren Anwesenheit behauptete. Zudem seien gemäß den Angaben der Frau des BF die Schwestern des BF Trauzeugen gewesen, wobei der BF vermeinte, dass sein Vater und eine Freundin diese Funktion übernommen hätten. Ferner beschrieb die Frau des BF diesen als gläubigen Menschen, welcher die muslimische Fastenzeit einhalte, während der BF vermeinte kaum gläubig zu sein und nicht zu fasten. Selbst hinsichtlich der bei der Hochzeit getragenen Kleidung erweisen sich die Angaben des BF und seiner Frau als widersprüchlich. Während der BF meinte, selbst eine Jean und eine Jacke und seine Frau eine Jean und eine schwarze Weste getragen zu haben, gab die Gattin des BF an, dass der BF eine dunkle Jean und ein Hemd, sowie sie selbst eine schwarze Hose und eine Bluse getragen hätte.

Letztlich wurde vom BF und dessen Frau in der mündlichen Verhandlung behauptet, dass sie nunmehr durchgehend miteinander wohnen und ein Eheleben führen würden. Laut Angaben der Gattin des BF wolle ihre Tochter auf eigenen Beinen stehen und sei ihre Mutter zu Besuch in Österreich und habe bei ihrer Tochter vorübergehend Unterkunft genommen. Der BF wiederum gab an, dass nunmehr die Mutter seiner Frau mit deren Tochter zusammenleben würde, sohin –dauerhaft – bei dieser eingezogen sei.

Sowohl der BF als auch dessen Gattin wirkten während der gesamten Verhandlung orientiert und konnten Fragen konkret beantworten. Anhaltspunkte, welche eine – vom BF behauptete – Verwirrtheit der Gattin des BF nahelegen könnten, konnten nicht festgestellt werden. Die Gattin des BF hat zudem zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens eine Beeinträchtigung ihrer kognitiven Fähigkeiten bzw. eine eingeschränkte Konzentration behauptet. Diesbezügliche Beweismittel wurden zudem weder vorgelegt noch angeboten.

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Widersprüchlichkeiten und deren Konsistenz über das gesamte Verfahren hinweg, kann dem BF im Ergebnis kein Glauben geschenkt werden, wenn dieser behauptet eine Ehe aus Liebe mit seiner Frau eingegangen zu sein und mit dieser ein aufrechtes Eheleben zu führen. Die Ehegattin vermochte die bestehenden Zweifel nicht auszuräumen, da auch ihre Angaben zu und über den BF sich als durchwegs widersprüchlich erwiesen haben. Es wiederspricht logischen Überlegungen sowie der persönlichen Erfahrung, dass Eheleute nicht in der Lage sind übereinstimmende Angaben zu gemeinsamen Erlebnissen, zum jeweiligen persönlichen Umfeld sowie zur Person des Lebenspartners/ der Lebenspartnerin selbst zu machen. Ferner hat der BF in der mündlichen Verhandlung eingestanden, dass die Idee zu heiraten aus der Überlegung, damit den Aufenthalt des BF in Österreich zu legalisieren, geboren worden sei.“

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluss vom 30.04.2020 zu Zahl Ra 2020/21/0106-5, mit welchem die vom Ehemann der Beschwerdeführerin gegen das angeführte Erkenntnis eingebrachte Revision zurückgewiesen wurde, insbesondere ausgeführt:

„Die in der vorstehenden Rn. wiedergegebenen - in der Revision ausgeblendeten - weiteren Passagen im angefochtenen Erkenntnis, in denen das Vorliegen eines solchen Familienlebens des Revisionswerbers mit seiner Ehefrau dezidiert verneint wurde, lassen vielmehr ausreichend klar erkennen, dass das BVwG - wie es in der rechtlichen Beurteilung überdies noch mit der Bezugnahme auf § 30 Abs. 1 NAG zum Ausdruck brachte - davon ausging, es sei erwiesen, die Ehegatten hätten ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt.

12 Die diesbezügliche Beweiswürdigung, die sich auf die behördlichen Ermittlungen in Verbindung mit dem Ergebnis der mündlichen Beschwerdeverhandlung und dabei aufgetretene unauflösliche Widersprüche in den Angaben des Revisionswerbers und seiner Ehefrau stützte, ist jedenfalls nicht unschlüssig (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Maßstabes etwa VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0056, Rn. 12, mwN, sowie daran anschließend VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0107, Rn. 11, und VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0240, 0241, Rn. 10). Entgegen der Meinung in der Revision betreffen die Abweichungen in den Angaben der Eheleute im Übrigen nicht nur „Nebensächlichkeiten“. Soweit in der Revision in diesem Zusammenhang auch noch Mängel bei den Ermittlungen betreffend die Lebensgestaltung der Eheleute geltend gemacht werden, wird schließlich nicht dargestellt, zu welchem Ergebnis sie konkret geführt hätten, also ihre Relevanz für den Verfahrensausgang nicht aufgezeigt.“

Ausgehend von den dargestellten Erwägungen im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren des Ehegatten, welche dem gegenständlichen Erkenntnis im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden, war demnach auch in Bezug auf die Beschwerdeführerin festzustellen, dass diese ein gemeinsames Familienleben mit ihrem Ehegatten nicht tatsächlich geführt hat.

Die weiteren Feststellungen zu den familiären und privaten Lebensumständen der Beschwerdeführerin in Österreich ergeben sich aus ihren niederschriftlichen Angaben im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, welche bereits dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt wurden und in der Beschwerde nicht bestritten wurden. Ihre Deutschkenntnisse ergeben sich aus dem Umstand, dass dieser die Durchführung der aktenkundigen Einvernahmen ohne Hinzuziehung eines Dolmetschers möglich gewesen ist.

Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln, welche jeweils in Klammer zitiert und von der Beschwerdeführerin zu keiner Zeit bestritten wurden.

2. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Die Beschwerdeführerin ist als Staatsangehörige der Slowakei sohin EWR-Bürgerin iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.1.2. Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:

„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Vorheriger SuchbegriffDaueraufenthaltsrechtNächster Suchbegriff (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.       für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3.       als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1.       wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4.       eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1.       Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2.       Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3.       durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

§ 10 Abs. 1 NAG lautet:

„(1) Aufenthaltstitel und Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts werden ungültig, wenn gegen Fremde eine Rückkehrentscheidung, ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar oder rechtskräftig wird. Solche Fremde verlieren ihr Recht auf Aufenthalt. Ein Aufenthaltstitel oder eine Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts lebt von Gesetzes wegen wieder auf, sofern innerhalb ihrer ursprünglichen Geltungsdauer die Rückkehrentscheidung, das Aufenthaltsverbot oder die Ausweisung im Rechtsweg nachträglich behoben wird.“

Der mit „Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft und Aufenthaltsadoption“ betitelte § 30 NAG lautet auszugsweise:

„§ 30. (1) Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, dürfen sich für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen.

(2) […]

(3) Die Abs. 1 und 2 gelten auch für den Erwerb und die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts.“

Der mit „Eingehen und Vermittlung von Aufenthaltsehen und Aufenthaltspartnerschaften“ betitelte § 117 FPG lautet:

„§ 117. (1) Ein Österreicher oder ein zur Niederlassung im Bundesgebiet berechtigter Fremder, der eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft mit einem Fremden eingeht, ohne ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen zu wollen und weiß oder wissen musste, dass sich der Fremde für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen will, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, vom Gericht mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

(2) Ein Österreicher oder ein zur Niederlassung im Bundesgebiet berechtigter Fremder, der mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft mit einem Fremden eingeht, ohne ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen zu wollen und weiß oder wissen musste, dass sich der Fremde für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen will, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

(3) Wer gewerbsmäßig Ehen oder eingetragene Partnerschaften vermittelt oder anbahnt, obwohl er weiß oder wissen musste, dass sich die Betroffenen für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen wollen, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

(4) Der Fremde, der sich im Sinne dieser Bestimmung auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen will, ist als Beteiligter zu bestrafen.

(5) Nach Abs. 1 ist nicht zu bestrafen, wer freiwillig, bevor eine zur Strafverfolgung berufene Behörde von seinem Verschulden erfahren hat, an der Feststellung des Sachverhaltes mitwirkt.“

3.1.3. Gegen einen Unionsbürger, der sich unter (potentieller) Inanspruchnahme seines unionsrechtliches Freizügigkeitsrechtes in Österreich aufhält oder aufgehalten hat, kann nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Hinsichtlich Unionsbürgern, die - gemäß § 53a Abs. 1 NAG nach einem fünfjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet - das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, muss für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) entspricht, erfüllt sein, nämlich dass der (weitere) Aufenthalt des Unionsbürgers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FPG, jedoch unter jenem nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG (vgl. VwGH 26.11.2020, Ro 2020/21/0013-6, mwN).

Ist vom Vorliegen einer "Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" iSd § 55 Abs. 3 NAG 2005 auszugehen (siehe zum Gleichklang dieser Bestimmung mit Art. 27 der Freizügigkeitsrichtlinie, der darauf abstellt, dass das persönliche Verhalten des Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151; VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0112; VwGH 18.04.2018, Ra 2018/22/0063; VwGH 26.06.2014, Ro 2014/21/0024), so steht dies dem Erwerb bzw. dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts gemäß § 51 Abs. 1 NAG 2005 für den Fremden entgegen; damit würde sich auch die Frage nach dem Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts iSd § 53a NAG 2005 nicht mehr stellen (vgl. VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049).

Hält sich der Unionsbürger allerdings bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes schon zehn Jahre rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich auf, so verlangt der fünfte Satz des § 67 Abs. 1 FPG für die Zulässigkeit dieser Maßnahme, dass aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden könne, die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich werde durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet. Dieser Maßstab entspricht jenem des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie. Zu dieser Bestimmung judizierte der EuGH bereits, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollen; es ist vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweist, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein kann (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091 mit Hinweis auf EuGH 23.11.2010, C-145/09; EuGH 22.05.2012, C-348/09, wo überdies darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegende(r) Merkmale" bedarf.).

Der Genuss des verstärkten Schutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie, der mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG im innerstaatlichen Recht umgesetzt wurde, ist davon abhängig, dass sich der Betroffene in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten hat. Dieser Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren muss grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein und ist vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung des Betroffenen an zurückzurechnen. Der Verwaltungsgerichtshof hielt zuletzt fest, dass der für diese Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt jener der Verfügung einer rechtskräftigen - und nicht schon der erstinstanzlichen - aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist, hat das Bundesverwaltungsgericht doch generell die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bestehende Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen und dabei auch die absehbare weitere Entwicklung, insbesondere die voraussichtliche Dauer einer Freiheitsentziehung, zu berücksichtigen (vgl. auch VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0297, Rn. 9, wonach bei Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf den Zeitpunkt ihrer Durchsetzbarkeit abzustellen ist) (vgl. VwGH 18.01.2021, Ra 2020/21/0511, Rz 16).

Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe finden für die Zwecke der Gewährung des verstärkten Schutzes nach der genannten Bestimmung keine Berücksichtigung und diese Zeiten können die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung grundsätzlich unterbrechen. Diesbezüglich ist eine die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Umstände berücksichtigende umfassende Beurteilung vorzunehmen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen durch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe abgerissen sind. Dabei kommt es unter anderem darauf an, wie lange sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat sowie auf die Gesamtdauer der Unterbrechungen und deren Häufigkeit (siehe dazu unter Bedachtnahme auf EuGH [Große Kammer] 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, und EuGH 16.1.2014, M. G., C-400/12, neuerlich VwGH 26.11.2020, Ro 2020/21/0013, nunmehr Rn. 10/11).

Der Verwaltungsgerichtshof hat desweiteren klargestellt, dass nach der zitierten Rechtsprechung der zehnjährige Aufenthaltszeitraum nicht generell dann unterbrochen wird, wenn die Integrationsverbindungen mit dem Aufnahmemitgliedstaat in irgendeiner Form (etwa durch die Begehung von Straftaten) abgerissen sind; vielmehr muss dies durch eine Abwesenheit vom Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates bzw. die einer solchen Abwesenheit grundsätzlich gleichzuhaltende Verbüßung einer Haftstrafe erfolgt sein. Unter dieser Voraussetzung kann es freilich eine Rolle spielen, ob die zuvor erreichte Integration durch die Begehung von Straftaten bereits als relativiert anzusehen war (vgl. VwGH 18.01.2021, Ra 2020/21/0511-7, Rz 14 f).

Im Aufenthaltsbeendigungsverfahren, in dem verbindlich über das Weiterbestehen der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht entschieden wird, ist für die Vergangenheit in Bezug auf den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nicht (jedenfalls) vom Vorliegen dieser Voraussetzungen auszugehen; vielmehr hat die Behörde (das BFA) in diesem Verfahren eigenständig zu beurteilen, bis zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht vorgelegen sind und ob ausgehend davon bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben worden ist (vgl. VwGH 04.10.2018, Ra 2017/22/0218).

Eine Aufenthaltskarte nach § 54 NAG 2005 gehört zu den Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. In diesen Fällen ergibt sich das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern Kraft unmittelbar anwendbaren Unionsrechts. Diese Bescheinigung hat bloß deklaratorische Wirkung. Ein das Aufenthaltsrecht konstitutiv begründender Aufenthaltstitel liegt mit der Aufenthaltskarte damit nicht vor (vgl. VwGH 26.04.2016, Ra 2015/09/0137).

3.1.4. Die Beschwerdeführerin hält sich laut ihren Angaben (in Einklang mit den seit diesem Monat vorliegenden Nebenwohnsitzmeldungen) seit April 2009, jedenfalls aber seit Mitte September 2010 (Beginn der durchgehenden Hauptwohnsitzmeldung), durchgehend im Bundesgebiet auf, ging seit Jänner 2011 beinahe durchgehend, abgesehen von einer krankheitsbedingten Unterbrechung von Februar 2015 bis Oktober 2015, sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeiten in Österreich nach und ist auch aktuell (seit Oktober 2015 ununterbrochen) erwerbstätig. Sie setzte in diesem Zeitraum kein Verhalten, welches eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit indizieren würde, sodass diese nach einem fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt (gerechnet ab dem Zeitpunkt der Ausstellung der Anmeldebescheinigung) spätestens am 21.01.2016 das Recht zum unionsrechtlichen Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben hatte, weshalb der Ausspruch einer Ausweisung und eines Aufenthaltsverbotes ab diesem Zeitpunkt nur mehr bei Erfüllung des „mittleren“ Gefährdungsmaßstabs nach § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG iVm Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie in Betracht kam.

Der Beschwerdeführerin kam demnach jedenfalls bereits zum Zeitpunkt des Eingehens der Aufenthaltsehe im März 2018 (an welche die Gefährdungsannahme gegenständlich geknüpft wurde) ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht zu, sodass die Behörde hinsichtlich des zu prüfenden Aufenthaltsverbotes nach der oben dargestellten Rechtsprechung den in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehenen Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) entspricht, heranziehen hätte müssen, nämlich, dass der (weitere) Aufenthalt der Beschwerdeführerin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Bereits unter Heranziehung dieses Gefährdungsmaßstabes hätte ein Aufenthaltsverbot gegen die Beschwerdeführerin nicht verhängt werden dürfen, zumal sich aus ihrem Gesamtverhalten keine von ihrem Aufenthalt ausgehende schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit entnehmen lässt (siehe dazu sogleich).

Ob diese (darüber hinaus) zum Entscheidungszeitpunkt (zum für die Beurteilung der Aufenthaltsdauer maßgeblichen Zeitpunkt vgl. nochmals vgl. VwGH 18.01.2021, Ra 2020/21/0511, Rz 16) auch bereits die Voraussetzungen eines zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet erfüllt, erweist sich vor diesem Hintergrund letztlich nicht als entscheidungsrelevant, sodass eine abschließende Beurteilung diesbezüglich unterbleiben konnte, kann jedoch aufgrund der festgestellten mehr als zehnjährigen Aufenthaltsdauer, welche weder durch längere Auslandsaufenthalte, noch durch den Vollzug einer Freiheitsstrafe unterbrochen wurde, angenommen werden. Dass bereits das Eingehen einer Aufenthaltsehe und die damit bewirkte Gefährdung öffentlicher Interessen dieser Beurteilung entgegensteht, ist nicht zu erkennen, zumal der Verwaltungsgerichtshof (vgl. nochmals VwGH 18.01.2021, Ra 2020/21/0511, Rz 15), wie angesprochen, ausgeführt hat, dass der relevante zehnjährige Aufenthaltszeitraum nicht generell dann unterbrochen wird, wenn die Integrationsverbindungen mit dem Aufnahmemitgliedstaat in irgendeiner Form (etwa durch die Begehung von Straftaten) abgerissen sind; vielmehr muss dies durch eine Abwesenheit vom Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates bzw. die einer solchen Abwesenheit grundsätzlich gleichzuhaltende Verbüßung einer Haftstrafe erfolgt sein, welche gegenständlich, wie angesprochen, nicht vorliegt. Ebensowenig schadet der Umstand, dass die Anmeldebescheinigung der Beschwerdeführerin durch die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständige Behörde – offenbar unter der fälschlichen Annahme, dass der gegenständlich angefochtene Bescheid des BFA infolge Versäumung der Rechtsmittelfrist in Rechtskraft erwachsen ist – laut Eintragung im Zentralen Fremdenregister mit 04.04.2019 gemäß § 10 Abs. 1 NAG für ungültig erklärt worden ist, zumal der Anmeldebescheinigung lediglich deklarative Wirkung zukommt (vgl. VwGH 26.04.2016, Ra 2015/09/0137).

Demnach käme die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zum Entscheidungszeitpunkt nur mehr anhand des Gefährdungsmaßstabs des fünften Satzes des § 67 Abs. 1 FPG, welcher Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie entspricht, in Betracht, welcher voraussetzt, dass aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden könne, die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich werde durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FrPolG 2005 liegen vor, wenn ein Fremder - im Sinn des Tatbestands des § 53 Abs. 2 Z 8 FrPolG 2005 - eine Aufenthaltsehe geschlossen, also mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 MRK nicht geführt und sich trotzdem (ua) für den Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe berufen hat (vgl. E 21. Februar 2013, 2011/23/0647; E 12. März 2013, 2012/18/0228; B 14. April 2016, Ro 2016/21/0005). In diesem Fall beträgt die Höchstdauer eines Aufenthaltsverbotes - abweichend von § 67 Abs. 2 FrPolG 2005 - allerdings nicht zehn, sondern nur fünf Jahre (vgl. E 30. September 2014, 2013/22/0280) (vgl. VwGH 30.04.2020, Ra 2020/21/0106).

3.1.5. Die Beschwerdeführerin ist eine Aufenthaltsehe mit einem kosovarischen Staatsbürger eingegangen, um diesem zu einem Aufenthaltsrecht für Österreich zu verhelfen, ohne dass in der Folge ein tatsächliches Familienleben geführt worden ist.

Wie der VwGH wiederholt ausgeführt hat, stellt das Eingehen einer Aufenthaltsehe jedenfalls eine maßgebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung iSd. § 67 Abs. 1 FPG dar. Die Beschwerdeführerin hat sohin durch ihr Verhalten die öffentliche Ordnung in Mitleidenschaft gezogen, indem sie einem Drittstaatanagehörigen durch die besagte Eheschließung die Möglichkeit zur Umgehung gültiger unionsrechtlicher und innerstaatlicher Einreise-, Aufenthalts- und arbeitsmarktrechtlicher Bestimmungen geboten hat. Eine durch dieses Verhalten unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens der Beschwerdeführerin bewirkte Gefährdung im Sinne des erhöhten in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehenen Gefährdungsmaßstabs, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) entspricht, nämlich dass der (weitere) Aufenthalt des Unionsbürgers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, kann jedoch gegenwärtig nicht erkannt werden; umso weniger liegt eine Gefährdung im Sinne des fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG, dass aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden könne, die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich werde durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet, vor, zumal eine solche Annahme nach der zitierten Rechtsprechung auf außergewöhnliche Umstände beschränkt ist.

Im Fall der Beschwerdeführerin ist zu berücksichtigen, dass diese während ihres mehr als zehnjährigen Aufenthaltes – mit Ausnahme des Eingehens einer Aufenthaltsehe, wobei zu anzumerken ist, dass die Beschwerdeführerin bereits rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen gewesen ist und sich demnach selbst nicht im fremdenrechtlichen Verfahren auf eine Scheinehe berufen hat – kein relevantes Fehlverhalten gesetzt hat. Die Beschwerdeführerin ist vielmehr unbescholten, führte im Bundesgebiet ein Familienleben mit ihrer im gleichen Haushalt lebenden volljährigen Tochter, und war während ihres gesamten Aufenthaltes im Bereich der Pflege erwerbstätig. Sie bezog keine Sozialleistungen, beherrscht die deutsche Sprache und hat einen Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen befindet sich vor dem Hintergrund ihrer mehr als zehnjährigen Aufenthaltsdauer in Österreich. Eine von ihrem Aufenthalt ausgehende schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ist demnach nicht zu erkennen.

Im Ergebnis liegen im Entscheidungszeitpunkt sohin die Voraussetzungen für den Ausspruch eines Aufenthaltsverbotes nicht vor, sodass der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid zu beheben war.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterble

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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