TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/22 L510 2237454-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.07.2021
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Entscheidungsdatum

22.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch


L510 2237454-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über den Antrag von XXXX , geb. am XXXX , StA. Türkei, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.02.2021, Zl. L510 2237454-1/8E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens auf internationalen Schutz zu Recht:

A)

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird gemäß § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

1. Die antragstellende Partei (aP), ein türkischer Staatsangehöriger, stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 05.08.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge ihrer Erstbefragung am selben Tag gab die aP zum Fluchtgrund an, dass sie in der Türkei nicht frei gewesen sei und als Kurde Mitglied bei der HDP gewesen sei. Weil sie auf kurdischen Demonstrationen gewesen sei, sei von Seiten der türkischen Polizei Druck gemacht worden. Sie sei zweimal von der Polizei mit einem Schlagstock erwischt worden und einmal sei die Gruppe in der sie sich befunden habe mit Tränengas durch die Polizei attackiert worden.

2. Die aP wurde am 22.10.2020 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch: „BFA“) niederschriftlich einvernommen und legte eine Bestätigung hinsichtlich ihrer Mitgliedschaft bei der HDP vor.

3. Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom BFA gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die aP gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG wurde ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

4. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.02.2021, GZ: L510 2237454-1/8E, als unbegründet abgewiesen. Die Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die vom BFA vorgenommene Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid schlüssig und nachvollziehbar war und von der aP lediglich unsubstantiiert bekämpft wurde. Die Beschwerde konnte letztlich nicht aufzeigen, dass das Ermittlungsverfahren des BFA oder die Beweiswürdigung mangelhaft wäre oder Fehler aufweisen würde. Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich daher der beweiswürdigenden Argumentation des BFA an und ging wie bereits das BFA davon aus, dass die aP ihren Herkunftsstaat nicht aus den von ihr vorgebrachten Gründen verlassen hat. Eine anderweitige Gefahr, Verfolgung oder Bedrohung von erheblicher Intensität wurde ebenso nicht ersichtlich.

5. Am 29.04.2021 lange beim Bundesverwaltungsgericht der Antrag vom 27.04.2021 auf Wiederaufnahme des mit dem im Spruch genannten Erkenntnis abgeschlossenen Verfahrens ein. Dieser wurde wesentlich damit begründet, dass nunmehr ein Befundbericht eines Facharztes für Neurologie vom 23.04.2021 auf Grund einer Untersuchung am 22.04.2021 vorliege, in welchem festgestellt werde, dass die aP aufgrund ihrer Lebensgeschichte eine kognitive Einschränkung habe. Aufgrund ihrer Einschränkung sei sie nicht in der Lage gewesen, diese in den bisherigen Befragungen im Asylverfahren zu thematisieren und treffe sie kein Verschulden, dass sie ihre kognitive Einschränkung und den Befundbericht erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht stellig machen könne. Im wiederaufzunehmenden Verfahren stütze sich das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Frage der Unglaubwürdigkeit der Verfolgungsgefahr in der Türkei im Wesentlichen auf ihre eigenen Angaben, vor allem in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Wäre auf ihre kognitive Einschränkung bei den bisherigen Befragungen im Asylverfahren näher eingegangen worden, hätte sie viel ausführlicher und daher glaubwürdiger ihr Fluchtvorbringen und die ihr drohende Verfolgungsgefahr in der Türkei schildern können. Mit dem Antrag auf Wiederaufnahme verbunden war ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter Punkt I. getroffenen Ausführungen.

2. Beweiswürdigung

Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei. Berücksichtigt wurden insbesondere:

-        Abgeschlossenes Asylverfahren

-        Antrag vom 27.04.2021 auf Wiederaufnahme

-        Einsicht in ZMR, GVS, IZF, SA

3. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 i.d.g.F. (VwGVG) geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg. cit. trat dieses Bundesgesetz mit 01.01.2014 in Kraft. Nach § 58 Abs. 2 leg. cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Zu A) des Erkenntnisses

Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme

3.1. Gesetzliche Grundlage und Rechtsprechung:

Gemäß § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Gemäß § 32 Abs 2 VwGVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmeantrags trägt iSd stRsp des VwGH der Antragsteller (zu § 69 Abs 2 AVG zB VwGH 14. 11. 2006, 2005/05/0260; 12.9.2012, 2010/08/0098).

Gemäß § 32 Abs 3 VwGVG kann die Wiederaufnahme des Verfahrens unter den Voraussetzungen des § 32 Abs 1 VwGVG auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des § 32 Abs 1 Z 1 VwGVG stattfinden.

In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs 1-3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.

Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.02.2021 in Hinblick auf Asyl und subsidiären Schutz rechtskräftig abgeschlossene Verfahren der antragstellenden Partei aufgrund neu hervorgekommener Beweismittel im Sinne des § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG wieder aufzunehmen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs 1 Z 2 AVG nur auf solche Tatsachen, das heißt Geschehnisse im Seinsbereich (vgl. VwGH 15.12.1994, 93/09/0434; 04.09.2003, 2000/17/0024) oder Beweismittel, das heißt Mittel zur Herbeiführung eines Urteiles über Tatsachen (vgl. VwGH 16.11.2004, 2000/17/0022; 24.04.2007, 2005/11/0127), gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten (Reisner in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2017], § 32 Rz. 19).

Es muss sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wieder-aufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde („nova reperta“), nicht aber um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel („nova producta“ bzw „nova causa superveniens“) (vgl. VwGH 17.2.2006, 2006/18/0031; 07.04.2000, 96/19/2240, 20.06.2001, 95/08/0036; 18.12.1996, 95/20/0672; 25.11.1994, 94/19/0145; 25.10.1994, 93/08/0123; 19.02.1992, 90/12/0224 u.a.).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen oder Beweismittel im wieder aufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie – allenfalls auch im Verfahren vor der höheren Instanz – nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft (Reisner in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2017], 32 Rz 19). Jegliches Verschulden, dass die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (vgl. VwGH 19.03.2003, 2000/08/0105).

3.2. Gegenständlich begründet die aP den Wiederaufnahmeantrag damit, dass nunmehr ein Befundbericht eines Facharztes für Neurologie vom 23.04.2021 auf Grund einer Untersuchung am 22.04.2021 vorliege, in welchem festgestellt werde, dass die aP aufgrund ihrer Lebensgeschichte eine kognitive Einschränkung habe. Im wiederaufzunehmenden Verfahren stütze sich das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Frage der Unglaubwürdigkeit der Verfolgungsgefahr in der Türkei im Wesentlichen auf ihre eigenen Angaben, vor allem in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Wäre auf ihre kognitive Einschränkung bei den bisherigen Befragungen im Asylverfahren näher eingegangen worden, hätte sie viel ausführlicher und daher glaubwürdiger ihr Fluchtvorbringen und die ihr drohende Verfolgungsgefahr in der Türkei schildern können.

Zum vorgelegten „Befund“ vom 23.04.2021 sowie dem Schreiben mit Datum vom 27.04.2021 mit dem Betreff „Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 32 VwGVG“ ist festzuhalten, dass neu hervorgekommene Tatsachen und Beweise nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens darstellen, wenn sie voraussichtlich eine anderslautende Entscheidung herbeiführen könnten. Der vorgelegte „Befund“ mit Datum vom 23.04.2021 ist erst nach Erlassung des Erkenntnisses neu entstanden. Nova Producta sind jedoch mit Folgeantrag und nicht mit Wiederaufnahme geltend zu machen (vgl. dazu VwGH 19.02.1992, 90/12/0224 ua; 25.10.1994, 93/08/0123; 25.11.1994, 94/19/0145; 18.12.1996, 95/20/0672; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 17.02.2006, 2006/18/0031).

Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides oder nach Erlassen des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts eingeholt wurden, sind nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden und können damit auch nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein (VwGH 10. 5. 1996, 94/02/0449; 21. 4. 1999, 99/03/0097; 2. 7. 2007, 2006/12/0043; 25. 7. 2013, 2012/07/0131). Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheides bzw nach Erlassen des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts "feststellt" oder wenn ihm solche Daten erst später zur Kenntnis kommen, können diese bzw die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - wie insbesondere des mangelnden Verschuldens (VwGH 24. 9. 2003, 2003/11/0079) - als neu hervorgekommene Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (VwGH 18.1.1989, 88/03/0188; 4.8.2004, 2002/08/0074; 25.7.2007, 2006/11/0147; 25.7.2013, 2012/07/0131; 21.10.2016, Ra 2016/11/0141).

§ 69 Abs 1 Z 2 AVG normiert, dass die Partei, die den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt hat, kein Verschulden daran treffen darf, dass ein Beweismittel bei Erlassung des Bescheides nicht berücksichtigt werden konnte. Der aP war schon während des erstinstanzlichen Verfahrens Gelegenheit geboten worden, auf ihren psychischen und physischen Zustand hinzuweisen. Sie hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, entsprechende Beweismittel spätestens während des Beschwerdeverfahrens vorzulegen. Eine kognitive Beeinträchtigung ist zweifelsfrei ein Umstand, welchen diese bereits im Verfahren hätte geltend machen müssen und der keinesfalls einen Wiederaufnahmegrund darstellen kann.

Die Rechtfertigung der aP in ihrem Schreiben vom 27.04.2021, wonach sie die aufgrund ihrer kognitiven Einschränkung nicht in der Lage gewesen sei, diese in ihrem Asylverfahren zu thematisieren und sie daher kein Verschulden treffe, ihre angebliche kognitive Beeinträchtigung und den Befundbericht erst nach Abschluss des Verfahrens stellig gemacht zu haben, überzeugt nicht. Zum einen müsste die aP bei einer tatsächlichen kognitiven Beeinträchtigung sehr wohl gemerkt haben, dass es ihr schwerfalle, sich an gewisse Dinge bzw. Details zu erinnern, was in der behördlichen Einvernahme nicht der Fall gewesen zu sein scheint, zum anderen vermochte die aP auch nicht zu erklären, warum es ihr nun plötzlich doch möglich gewesen sei, gerade nach Erhalt des abweisenden Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.02.2021, ihre kognitive Beeinträchtigung wahrzunehmen. Insgesamt war die aP daher nicht in der Lage darzulegen, kein Verschulden daran zu tragen, dass ihre angebliche kognitive Beeinträchtigung keine Berücksichtigung im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts fand.

Bereits deshalb war der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens abzuweisen.

Im Übrigen wird darauf verwiesen, dass dem Antrag darüber hinaus auch deshalb nicht stattzugeben gewesen wäre, weil das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweise allein nicht genügt, um das Verfahren wieder aufzunehmen. Es handelt sich bei diesem „Neuerungstatbestand“ nämlich um einen relativen Wiederaufnahmegrund (Reisner in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2017], § 32 Rz 23) und für eine Wiederaufnahme ist weiters erforderlich, dass die neuen Tatsachen und Beweise voraussichtlich auch zu einem anderen Verfahrensergebnis führen würden (vgl. VwGH 14.06.1993, 91/10/0107; 27.09.1994, 92/07/0074; 22.2.2001, 2000/04/0195; 26.04.2013, 2011/11/0051; 18.01.2017, Ra 2016/18/0197; ferner VfGH 28.09.2017, E 2821/2017).

Die neuen Tatsachen müssen die Richtigkeit des angenommenen Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen (nova reperta). Neue Beweismittel dürfen nur geltend gemacht werden, wenn die zu beweisende Tatsache im abgeschlossenen Verfahren geltend gemacht wurde, die in Rede stehenden Beweismittel aber erst nach Abschluss des Verfahrens hervorkamen (Reisner in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2017], § 32 Rz. 22; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, § 69 Rz. 7).

Es muss sich also um neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel handeln, die den Sachverhalt betreffen und die, wenn sie schon im wiederaufzunehmenden Verfahren berücksichtigt worden wären, zu einer anderen Feststellung des Sachverhalts und voraussichtlich zu einem im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid bzw. anders lautenden Erkenntnis (anders lautenden Beschluss) des Verwaltungsgerichts geführt hätten (VwGH 30.06.1998, 98/05/0033; 20.12.2005, 2005/12/0124; 24.06.2014, Ro 2014/05/0059; 25. 01.2017, Ra 2016/12/0119; Mannlicher/Quell, AVG § 69 Anm. 6).

Aus dem klaren und unmissverständlichen Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck, durch das Institut der Wiederaufnahme ein Korrektiv gegen aus bestimmten in § 69 Abs 1 AVG näher ausgeführten Gründen unrichtige rechtskräftige Bescheide einzurichten, ergibt sich, dass die Relevanz des behaupteten Wiederaufnahmetatbestandes immer am in der Sache selbst ergangenen rechtskräftigen Bescheid zu messen ist, keinesfalls aber lediglich an den Inhalten und Ergebnissen von diesem Bescheid folgenden und dem gegenständlichen Antrag vorangegangenen Wiederaufnahmeverfahren (VwGH 20.10.1995, 94/19/1353).

Das Wiederaufnahmeverfahren hat nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei in einem Ermittlungsverfahren oder die Unterlassung der Erhebung eines Rechtsmittels im Wege über die Wiederaufnahme eines Verfahrens zu sanieren (VwGH 20.06.2002, 2002/07/0055).

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH bilden weder ein einem Sachverständigen in seinem Gutachten unterlaufener Irrtum noch neue Schlussfolgerungen eines dem Verwaltungsverfahren nicht beigezogenen Sachverständigen einen Wiederaufnahmegrund. (vgl. VwGH 16.10.2007, 2004/18/0376).

Verfahrensgegenständlich hätte das nun geltend gemachte Beweismittel weder allein, noch in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens, eine im Hauptinhalt des Spruches anders lautende Entscheidung herbeigeführt:

In ihrem Antrag auf Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens auf internationalen Schutz führte die aP aus, dass sich das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Frage der Glaubwürdigkeit der Verfolgungsgefahr in der Türkei im Verfahren im Wesentlichen auf ihre eigenen Angaben, vor allem in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, gestützt habe.

Dem ist zum einen zu erwidern, dass eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Verfahren der aP nicht stattgefunden hat, weshalb das diesbezügliche Vorbringen in keinster Weise nachvollziehbar ist. Zumal keine Beschwerdeverhandlung abgehalten wurde, hätte auch eine Berücksichtigung des von der aP erstatteten Vorbringens keine im Hauptinhalt des Spruches anders lautende Entscheidung herbeigeführt.

Sofern die aP vermeint, bereits während ihrer Einvernahme vor dem BFA am 22.10.2020 an einer kognitiven Beeinträchtigung gelitten zu haben, so ist dem entgegenzuhalten, dass die aP in der Einvernahme selbst angab, psychisch und physisch in der Lage zu sein, Angaben zu ihrem Asylverfahren zu machen. Darüber liefert die Niederschrift der Einvernahme überhaupt keinen Hinweis darauf, dass die aP zum Zeitpunkt ihrer Befragung auch nur ansatzweise kognitiv beeinträchtigt gewesen sei und sich an Geschehnisse nicht erinnert oder nur mangelhafte Details wiedergeben habe können, vielmehr war die aP in der Lage detailreiche Ausführungen zu machen sowie Namen, (Geburts-) Daten und Adressen exakt zu benennen.

Darüber hinaus hätte auch bei Wahrunterstellung der nicht glaubwürdigen Angaben der aP, eine kognitive Beeinträchtigung zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA zu keiner anderslautenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts geführt. Die aP brachte in ihrem Antrag auf Wiederaufnahme vor, dass sie bei Bekanntsein ihrer kognitiven Einschränkung in den bisherigen Einvernahmen im Asylverfahren, ihr Fluchtvorbringen sowie die drohende Verfolgungsgefahr in der Türkei viel ausführlicher und somit glaubwürdiger schildern hätte können. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass das Fluchtvorbringen der aP nicht aufgrund fehlender Ausführlichkeit oder Details für unglaubwürdig erachtet wurde und wird diesbezüglich auf die beweiswürdigenden Ausführungen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.02.2021 bzw. auf die Ausführungen im Bescheid des BFA verwiesen. Insgesamt wurden die durchaus tragfähigen Ausführungen des BFA in der Beschwerde nicht entkräftet. So war bspw. insbesondere ausschlaggebend gewesen, dass die aP Ende 2019 zu Besuch in Österreich war und bei dieser Gelegenheit keinen Antrag auf internationalen Schutz stellte, sondern freiwillig in die Türkei zurückkehrte.

Bezüglich des Befundes vom 23.04.2021 selbst ist festzuhalten, dass dieser an sich schon nicht eine kognitive Einschränkung der aP im Verfarhen belegt.

Der Facharzt für Neurologie attestierte die aP in seinem Befund als lucide, allseits orientiert und positiv affizierbar, mit einer etwas herabgesetzten Stimmung. Aus dem Befund ergibt sich weiters, dass eine kognitive Testung der aP (vermutlich aufgrund der Sprachbarriere) für den Facharzt nicht möglich gewesen ist. Eine tatsächliche Beurteilung über die kognitiven Fähigkeiten der aP konnte der Facharzt somit nicht abgeben. Sofern auf Seite 2 des Befundes unter der Überschrift „Beurteilung“ eine kognitive Einschränkung (aufgrund der bisherigen Lebensgeschichte) angeführt wird, so ist festzuhalten, dass die diesbezügliche Beurteilung lediglich aufgrund der eigenen Angaben der aP getroffen wurde und eine tatsächliche Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten der aP eben nicht stattgefunden hat.

Im Ergebnis hätte das nun vorgebrachte Beweismittel keine im Hauptinhalt des Spruches anders lautende Entscheidung herbeiführen können. Weder ist der Befund vom 23.04.2021 geeignet eine kognitive Einschränkung der aP zu belegen, noch hätte eine ausführlichere Schilderung des Fluchtvorbringens in der Einvernahme vor dem BFA etwas geändert, zumal die im Bescheid aufgezeigten Widersprüchen und Ungereimtheiten in der Beschwerde nicht entkräftet wurden.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens des Antragstellers war sohin spruchgemäß abzuweisen.

Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht:

Der Antragsteller beantragt zur Absicherung des Verfahrens die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht, um ihm vorläufiges Aufenthaltsrecht zu gewähren bzw. die Abschiebung bis zur Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufnahme hintanzuhalten.

Grundsätzlich kann eine einstweilige Anordnung nach dem Unionsrecht erlassen werden, auch wenn eine ausdrückliche innerstaatliche Rechtsgrundlage dafür fehlt. Diese kann auf die unmittelbare Anwendbarkeit des Unionsrechts gestützt werden. Sie dient in jedem Fall lediglich dazu, einen Rechtszustand zu verunmöglichen, der den Ausgang des Verfahrens sinnlos macht und allenfalls einer Entscheidung im Verfahren vorgreift. Nach einer Entscheidung in der Sache ist daher eine einstweilige Anordnung jedenfalls unzulässig.

Mit dem gegenständlichen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht bereits über den Antrag auf Wiederaufnahme inhaltlich entschieden. Eine Absicherung dieses Verfahrens ist daher nicht mehr erforderlich. Es erübrigt sich somit, über diesen Antrag abzusprechen.

Absehen von einer mündlichen Beschwerdeverhandlung

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit dem Antrag auf Wiederaufnahme als geklärt erschien und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 (2018) § 32 VwGVG, Anm. 9), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; VfGH 14.03.2012, U 466/11 u.a.).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Insoweit die in der Begründung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Beweismittel gesundheitliche Beeinträchtigung Sachverständigengutachten Verschulden Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L510.2237454.2.00

Im RIS seit

22.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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